Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 17. 1. 1951 geborenen Klägerin wurde mit Bescheid der beklagten Partei vom 14. 5. 1996 ab 1. 10. 1995 ein Pflegegeld der Stufe 2 gewährt. Mit Bescheid vom 13. 12. 1996 wurde das gewährte Pflegegeld der Stufe 2 herabgesetzt und ab 1. 2. 1997 Pflegegeld der Stufe 1 gewährt.
Dagegen richtet sich die vorliegende Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei zu verpflichten, der Klägerin ab 1. 2. 1997 weiterhin das Pflegegeld in der bisherigen Stufe 2 zu gewähren.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab 1. 2. 1997 das Pflegegeld der Stufe 1 (im monatlichen Ausmaß von) S 2.635 zu gewähren. Es ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass die Klägerin aufgrund der bei ihr bestehenden und im Einzelnen beschriebenen Leidenszustände bei der Zubereitung der Mahlzeiten, der Herbeischaffung von Nahrung und Medizin, der Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, beim Waschen der Leib- und Bettwäsche und bei der Mobilitätshilfe im weiteren Sinn fremde Hilfe bedürfe. Weiters bedürfe die Klägerin der Betreuung bei der Körperpflege beim Wannenvollbad oder Duschbad, beim Föhnen und Rückenwaschen sowie bei der Pediküre und Maniküre im Ausmaß von vier Stunden pro Monat. Das Pflegeausmaß betrage somit insgesamt 74 Stunden pro Monat. Darüber hinaus sei aufgrund der bei der Klägerin bestehenden psychosomatischen Störung und der bei ihr gegebenen Angstreaktion eine Hilfestellung von 5 bis 10 Stunden pro Monat erforderlich. Bei der Klägerin seien keine ständigen Motivationsgespräche erforderlich. Der näher beschriebene Gesundheitszustand der Klägerin bestehe seit 1. 2. 1997. Gegenüber dem der Gewährung von Pflegegeld der Stufe 2 zugrunde liegenden Befund sei insofern eine Änderung eingetreten, als die Klägerin nunmehr beim An- und Auskleiden nicht mehr fremde Hilfe und auch nicht der Mobilitätshilfe im engeren Sinn bedürfe.
In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, dass gegenüber dem Gewährungsgutachten eine wesentliche Besserung im Gesundheitszustand der Klägerin eingetreten sei und der erforderliche Pflegeaufwand nunmehr nur noch 74 Stunden pro Monat betrage, weshalb der Klägerin nur noch Pflegegeld der Stufe 1 gebühre. Die bei der Klägerin erforderliche Hilfestellung aufgrund psychosomatischer Störung und Angstreaktion sei bei der Ermittlung des Pflegebedarfes nicht zu berücksichtigen.
Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen dieses Urteil erhobenen Berufung keine Folge und schloss sich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Klägerin argumentiert in ihren Revisionsausführungen dahin, dass eine Neubemessung des Pflegegeldes nicht zulässig sei, weil keine wesentliche Veränderung im Ausmaß des Pflegebedarfes eingetreten sei. Die Tiroler Pflegebedarfsverordnung sei nur bis zum 31. 12. 1998 anzuwenden; danach sei der Pflegegeldanspruch der Klägerin aussschließlich an den Regelungen des Tiroler Pflegegeldgesetzes zu messen. Es seien daher auch ein Pflegebedarf für Motivationsgespräche sowie die im Hinblick auf die vorliegende psychosomatische Störung und Angstreaktion erforderliche Hilfestellung im Ausmaß von 5 bis 10 Stunden pro Monat zu berücksichtigen, weshalb der Pflegebedarf der Klägerin nach wie vor 75 Stunden monatlich übersteige und die Klägerin daher weiterhin Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 2 habe.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
Mit 1. 1. 1999 ist das Tiroler Landesgesetz vom 9. 12. 1998, LGBl 1999/1, mit dem das Tiroler Pflegegeldgesetz - TPGG 1996 (LGBl 1997/8) geändert wurde, in Kraft getreten. Gemäß Art II Abs 1 idF dieser Novelle sind auf alle zum 1. 1. 1999 noch nicht bescheidmäßig erledigten Verfahren für die Zeit bis zum 31. 12. 1998 die bis zu diesem Zeitpunkt für die Beurteilung des Anspruches geltenden Bestimmungen des § 2 und der Pflegebedarfsverordnung, LGBl Nr 101/1993, weiterhin anzuwenden. Dies gilt auch im gerichtlichen Verfahren. Ab 1. 1. 1999 sind die Bestimmungen des TPGG in der novellierten Fassung anzuwenden. Eine Änderung der Tiroler Pflegebedarfsverordnung (LGBl 1993/101) ist bisher nicht erfolgt. Diese ist daher weiterhin anzuwenden, soweit nicht durch das geänderte TPGG eine materielle Derogation eingetreten ist (SSV-NF 13/59; 10 ObS 38/99g).
Soweit die Klägerin demgegenüber aus der Übergangsbestimmung des Art II Abs 1 idF LGBl 1999/1 abzuleiten versucht, dass die angesprochenen Bestimmungen des § 2 TPGG und der Pflegebedarfsverordnung lediglich noch für die Zeit bis zum 31. 12. 1998, nicht mehr aber für die Zeit seit dem 1. 1. 1999 anzuwenden seien, ist ihr unter Hinweis auf den zitierten ausdrücklichen Wortlaut dieser Bestimmung zu entgegnen, dass damit nur zum Ausdruck gebracht wird, dass auf die zum 1. Jänner 1999 noch nicht bescheidmäßig oder gerichtlich erledigten Verfahren für die Beurteilung des Anspruches auf Pflegegeld für die Zeit bis zum 31. Dezember 1998 die Bestimmungen des § 2 TPGG und der Pflegebedarfsverordnung in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung weiterhin anzuwenden sind. Aus der genannten Übergangsbestimmung geht jedoch entgegen der Ansicht der Klägerin nicht hervor, dass die Pflegebedarfsverordnung mit 31. Dezember 1998 überhaupt ihre Wirksamkeit verlieren soll.
Soweit die Klägerin Letzteres auch damit zu begründen versucht, dass die Pflegebedarfsverordnung, LGBl 1993/101, aufgrund des TPGG 1993 ergangen sei, das TPGG 1993 jedoch gemäß § 32 TPGG 1996 gleichzeitig mit Inkrafttreten des TPGG 1996 außer Kraft getreten sei und aufgrund der sogenannten "Herzog-Mantel-Theorie" mit Außerkrafttreten des TPGG 1993 auch die auf diesem Gesetz beruhende Pflegebedarfsverordnung außer Kraft getreten sei, kann ihr ebenfalls nicht gefolgt werden. § 2 Abs 3 des am 1. 7. 1993 in Kraft getretenen TPGG 1993, LGBl 1993/55, ermächtigte die Landesregierung unter anderem auch zur Definition der Begriffe "Betreuung" und "Hilfe" mittels Verordnung (vgl auch die damit korrespondierende Bestimmung in § 4 Abs 5 - nunmehr Abs 4 - BPGG). Von dieser Verordnungsermächtigung hat die Tiroler Landesregierung durch die Erlassung der Pflegebedarfsverordnung (LGBl 1993/101) Gebrauch gemacht. § 2 Abs 4 TPGG 1996 enthält eine im hier maßgeblichen Umfang gleichlautende Verordnungsermächtigung. Selbst nach der in Lehre und Rechtsprechung nicht unumstrittenen "Herzog-Mantel-Theorie" wäre grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Änderung der Gesetzeslage nur dann automatisch zum Außerkrafttreten einer bisherigen Durchführungsverordnung führen würde, wenn diese in der neuen Gesetzesgrundlage keine materielle Deckung mehr hätte (vgl VfSlg 15.693, 12.634, 7.500 mwN; VwGH 31. 5. 1999, Zl 98/10/0373 mwN ua; Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht3 116; Traxler, Zur Weitergeltung der §§ 29a - 29c KDV (Nachschulungen) nach dem Außerkrafttreten der §§ 64a und 73 KFG, ZVR 2000, 100 ff [102] mwN ua). Auch nach dieser Auffassung hätte somit entgegen der Ansicht der Klägerin das Außerkrafttreten des TPGG 1993 im Hinblick auf die auch im TPGG 1996 enthaltene gleichlautende Verordnungsermächtigung nicht zum Außerkrafttreten der Pflegebedarfsverordnung geführt. Die Tiroler Pflegebedarfsverordnung (LGBl 1993/101) ist daher, wie bereits ausgeführt, weiterhin anzuwenden, soweit nicht durch das mittlerweile geänderte TPGG eine materielle Derogation eingetreten ist.
Bei der Klägerin ist nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen im Hinblick auf die bei ihr bestehende psychosomatische Störung und die bei ihr gegebene Angstreaktion eine "monatliche Hilfestellung von 5 bis 10 Stunden" erforderlich. "Ständige" Motivationsgespräche sind hingegen nicht erforderlich. Die zum BPGG ergangene Bestimmung des § 4 EinstV idF BGBl II 1999/37 enthält einen neuen Abs 2, der einen zeitlichen Richtwert von 10 Stunden pro Monat vorsieht, wenn mit geistig oder psychisch behinderten Menschen zur selbständigen Durchführung von in den §§ 1 und 2 angeführten Verrichtungen Motivationsgespräche zu führen sind. Bei dem Motivationsgespräch handelt es sich demnach um eine eigene Betreuungshandlung, die als Beziehungsarbeit für geistig oder psychisch Behinderte oft eine unerlässliche Basis für deren Aktivierung ist. Mit einer dadurch erzielbaren Tagesstrukturierung wird dem Pflegebedürftigen die selbständige Lebensführung ermöglicht oder doch erleichtert, da er sich bedingt durch seinen Mangel an psychischer oder geistiger Flexibilität strikt an diese Vorgaben halten kann. Das Motivationsgespräch ist in diesem Sinne als eine übergreifende Betreuungsmaßnahme zu verstehen und bei der Ermittlung des Pflegebedarfs lediglich einmal für alle notwendigen Hilfs- und Betreuungsmaßnahmen zu berücksichtigen (10 ObS 257/00t).
Wie die Klägerin in ihrem Rechtsmittel unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W***** in seinem Ergänzungsgutachten vom 2. 8. 2000 (ON 58) selbst zutreffend darlegt, handelt es sich bei der aufgrund der bei ihr vorliegenden psychosomatischen Störung und Angstreaktion als erforderlich erachteten Hilfestellung im Ausmaß von 5 bis 10 Stunden monatlich um keinen Zeitaufwand für Motivationsgespräche (vgl in diesem Sinne auch die Ausführungen des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen Dr. St***** in seinem Gutachten vom 14. 1. 2000, Seite 16 in ON 45), sodass ganz abgesehen davon, dass in der Tiroler Pflegebedarfsverordnung ein diesbezüglicher Betreuungsaufwand gar nicht vorgesehen ist, eine Berücksichtigung dieses Aufwandes aus dem Titel "Motivationsgespräche" von vornherein nicht in Betracht kommt.
Nach § 4 Tiroler Pflegebedarfsverordnung ist die Anleitung und Beaufsichtigung von Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung bei der Durchführung der in den §§ 1 und 2 angeführten Verrichtungen der Betreuung und Hilfe selbst gleichzusetzen. Wie jedoch bereits das Berufungsgericht unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senates zutreffend dargelegt hat, ist auch die Bestimmung des § 4 Tiroler Pflegebedarfsverordnung auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil diese Bestimmung die Anwesenheit der Betreuungsperson zur Anleitung und Beaufsichtigung während der Durchführung der in den §§ 1 und 2 Tiroler Pflegebedarfsverordnung angeführten Verrichtungen voraussetzt und die Notwendigkeit einer solchen Anwesenheit einer Betreuungsperson bei diesen Verrichtungen auch von der Klägerin selbst gar nicht behauptet wird. Bei der Klägerin besteht daher ein Pflegebedarf lediglich im unstrittigen Ausmaß von 74 Stunden monatlich. Ein darüber hinaugehender Pflegebedarf durch das Erfordernis einer "monatlichen Hilfestellung von 5 bis 10 Stunden" ist aus den dargelegten rechtlichen Gründen nicht zu berücksichtigen (vgl 10 ObS 232/97h ua). Die Klägerin erfüllt damit nur die Voraussetzungen für die Gewährung eines Pflegegeldes der Stufe 1.
Nach § 6 Abs 4 TPGG ist das Pflegegeld neu zu bemessen, wenn eine für die Höhe des Pflegegeldes maßgebende Veränderung eintritt. Diese Regelung entspricht der Regelung des § 99 Abs 1 ASVG betreffend die (teilweise) Entziehung von Leistungsansprüchen bzw des § 183 ASVG betreffend die Neufeststellung einer Versehrtenrente. Nur eine Änderung in den tatsächlichen (oder rechtlichen) Verhältnissen rechtfertigt einen Eingriff in die Rechtskraft der (Vor-)Entscheidung (SSV-NF 12/143, 10 ObS 333/98p mwN; Gruber/Pallinger, BPGG 63 f ua). Ausgehend von den Tatsachengrundlagen ist daher zu beurteilen, ob die objektiven Grundlagen für die Leistungszuerkennung sich so wesentlich verbessert haben, dass sich eine Veränderung im Anspruch auf eine andere Pflegegeldstufe ergeben hat (SSV-NF 12/166 mwN ua). Diese Frage ist im vorliegenden Fall zu bejahen, weil nach den Feststellungen bei der Klägerin gegenüber dem seinerzeit zur Gewährung von Pflegegeld der Stufe 2 führenden Befund insofern eine wesentliche Besserung eingetreten ist, als sie nunmehr beim An- und Auskleiden nicht mehr fremder Hilfe und auch nicht mehr der Mobilitätshilfe im engeren Sinn bedarf. Diese Änderung des Pflegebedarfes rechtfertigt die Neubemessung des Pflegegeldes nach § 6 Abs 4 TPGG.
Die Höhe des Pflegegeldes der Stufe 1 beträgt nach § 4 Abs 1 TPGG richtigerweise S 2.000 monatlich. Der darüber hinausgehende Zuspruch des Erstgerichtes an die Klägerin kann mangels Anfechtung durch die beklagte Partei nicht korrigiert werden.
Der Revision der Klägerin war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
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