OGH 10ObS194/06m

OGH10ObS194/06m17.4.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Stanek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Manfred A*****, vertreten durch Dr. Michaela Iro, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1103 Wien, Wienerbergstraße 15-19, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Krankengeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. September 2006, GZ 10 Rs 99/06m-22, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 18. Jänner 2006, GZ 33 Cgs 244/04w-18, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung des Feststellungsbegehrens insgesamt zu lauten hat:

„1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger Krankengeld im gesetzlichen Ausmaß vom 16. 4. 2004 bis 17. 6. 2004 zu gewähren, besteht dem Grunde nach zu Recht.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger eine vorläufige Zahlung in Höhe von 300 EUR binnen 14 Tagen zu zahlen.

2. Das auf Zahlung von Krankengeld am 14. 4. und 15. 4. 2004 gerichtete Mehrbegehren sowie das weitere Begehren, für den Zeitraum vom 14. 4. 2004 bis 17. 6. 2004 die Arbeitsunfähigkeit des Klägers infolge Krankheit festzustellen, werden abgewiesen. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.061,34 EUR (darin 148,22 EUR Umsatzsteuer und 172 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 818,97 EUR (darin 136,59 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das versicherungspflichtige Dienstverhältnis des am 13. 12. 1974 geborenen Klägers zur B***** GmbH endete am 8. 5. 2004. Der Kläger litt ab 13. 4. 2004 an Gastritis. Infolgedessen war er eine Woche lang arbeitsunfähig. Von der behandelnden Ärztin war er ab 13. 4. 2004 wegen Gastritis bei der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse krankgemeldet worden. Er litt außerdem an einer bipolaren Störung II F 31.8 (Depression), derentwegen er seit 14. 4. 2004 bis über den 17. 6. 2004 hinaus arbeitsunfähig war. Trotz Befindlichkeits- und Antriebsstörung in diesem Zeitraum war er ungeachtet seiner Arbeitsunfähigkeit in der Lage, die Notwendigkeit einer Krankenstandsmeldung zu erkennen und diese ordnungsgemäß durchzuführen. Von der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse wurde er nicht zu einer Kontrolluntersuchung vorgeladen. Am 16. 6. 2004 rief er eine Außenstelle der beklagten Partei an und teilte mit, dass er seit 13. 4. 2004 im Krankenstand sei. Die Referentin wies ihn darauf hin, dass er sich wegen einer ärztlichen Kontrolle mit der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse in Verbindung setzen müsse. Er suchte am 18. 6. 2004, erstmals seit dem 13. 4. 2004, eine Ärztin auf. Bis dahin hatte er sich keiner Behandlung unterzogen. Am 30. 6. 2004 ging bei der beklagten Partei eine Stellungnahme der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse ein, wonach eine Arbeitsfähigkeit des Klägers ab 14. 4. 2004 bestünde. Der medizinische Dienst der beklagten Partei lehnte mangels Behandlungsnachweises für den Zeitraum vom 14. 4. bis 17. 6. 2004 die Anerkennung eines Krankenstandes für diesen Zeitraum ab. Mit Bescheid vom 13. 9. 2004 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Zuerkennung von Krankengeld und Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit für den Zeitraum vom 14. 4. 2004 bis 17. 6. 2004 ab.

Der Kläger erhob dagegen Klage mit dem Begehren, es werde festgestellt, dass er vom 14. 4. 2004 bis 17. 6. 2004 infolge Krankheit arbeitsunfähig gewesen sei, und die beklagte Partei schuldig sei, ihm Krankengeld für diesen Zeitraum zu gewähren. Er sei vom 15. 3. 2004 bis 8. 5. 2004 bei der B***** GesmbH beschäftigt gewesen. Am 13. 4. 2004 sei er zunächst an einer Gastritis erkrankt und deshalb auch krank geschrieben worden. Zuzüglich zu dieser Erkrankung habe sich eine schwere depressive Episode entwickelt. Aufgrund dieser schweren Depression sei es ihm auch nicht möglich gewesen, das Haus zu verlassen und seinen weiteren Krankenstand entsprechend zu melden. Der Versicherungsfall sei am 13. 4. 2004 eingetreten und habe bis 4. 7. 2004 gedauert.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Krankenstand aufgrund der Diagnose „Gastritis" sei am Tag der Krankschreibung - dem 13. 4. 2004 - wieder beendet worden. Wegen der schweren depressiven Episode habe der Kläger erst am 18. 6. 2004 eine Ärztin konsultiert. Für die Anerkennung von Krankengeld sei nicht nur die Arbeitsunfähigkeit Voraussetzung. Es müsse auch eine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn und eine tatsächlich durchgeführte Krankenbehandlung vorliegen. Diese Voraussetzungen für eine Anerkennung eines Krankenstandes ab dem 14. 4. 2004 seien nicht gegeben.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Seine eingangs im Wesentlichen wiedergegebenen Feststellungen beurteilte es rechtlich dahin, sowohl die Gastritis als auch die bipolare Störung des Klägers verwirklichten den Versicherungsfall der Krankheit. Die Notwendigkeit einer Krankenbehandlung bedeute nicht deren Dringlichkeit. Es lägen besondere Gründe für die nicht rechtzeitige Meldung der Arbeitsunfähigkeit vor, die es gerechtfertigt erscheinen ließen, dass der Anspruch auf Krankengeld nicht ruhe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge. Es wies das Feststellungsbegehren ab und verpflichtete die beklagte Partei, dem Kläger Krankengeld im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum vom 14. 4. 2004 bis 17. 6. 2004 binnen 14 Tagen zu zahlen. Der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit trete mit dem Beginn der durch die Krankheit herbeigeführten Arbeitsunfähigkeit ein. Es sei nicht strittig, dass der Kläger ab 14. 4. 2004 über den 17. 6. 2004 hinaus infolge einer Krankheit (bipolare Störung II F 31.8) arbeitsunfähig gewesen sei. Aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, dass der Versicherungsfall der Krankheit nicht schon mit der Behandlungsbedürftigkeit, sondern erst mit dem faktischen Beginn der Behandlung eintrete, könne die beklagte Partei nichts zu ihren Gunsten ableiten. Diese Rechtsprechung beziehe sich auf Fälle der Zahnbehandlung. Für den Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit sei jedoch nicht der Behandlungsbeginn, sondern der Beginn der Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer Krankheit maßgeblich. Der Kläger sei ab 13. 4. 2004 für eine Woche arbeitsunfähig gewesen. Dies sei von der behandelnden Ärztin der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse gemeldet worden. Dass diese rückwirkend eine Arbeitsfähigkeit des Klägers ab 14. 4. 2004 angenommen habe, spiele keine Rolle, weil die Arbeitsfähigkeit des Klägers nach den Feststellungen nicht bestanden habe. Am 14. 4. 2004, als die weitere Erkrankung des Klägers begonnen habe, sei daher bereits Arbeitsunfähigkeit vorgelegen. Die Arbeitsunfähigkeit könne aber nur dann neuerlich beginnen, wenn sie zuvor weggefallen sei, also nicht bereits zuvor bestanden habe. Dass der Kläger unter zwei Krankheiten gelitten habe, könnte allenfalls den Eintritt zweier Versicherungsfälle der Krankheit zur Folge haben, nicht aber den neuerlichen Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit. Die am 13. 4. 2004 begonnene Arbeitsunfähigkeit habe nämlich am 14. 4. 2004 fortbestanden und über den 17. 6. 2004 hinaus weiter angedauert.

Gemäß § 138 Abs 3 ASVG habe der Versicherte den Beginn der Arbeitsunfähigkeit binnen einer Woche dem Versicherungsträger zu melden. Der Krankengeldanspruch ruhe gemäß § 143 Abs 1 Z 1 ASVG, solange die Arbeitsunfähigkeit dem Versicherungsträger nicht gemeldet sei, es sei denn, dass die Arbeitsunfähigkeit binnen einer Woche nach Beginn gemeldet werde (§ 143 Abs 2 Satz 1 ASVG). In Fällen, in denen die persönlichen Verhältnisse des Anspruchsberechtigten oder das Vorliegen besonderer Gründe für die nicht rechtzeitige Meldung der Arbeitsunfähigkeit es gerechtfertigt erscheinen ließen, sei gemäß § 143 Abs 2 Satz 2 ASVG das Krankengeld auch für die zurückliegende Zeit zu gewähren.

Besondere Gründe für die nicht rechtzeitig oder die nicht erstattete Meldung im Sinn des § 143 Abs 2 ASVG könnten dann bejaht werden, wenn sie es ausnahmsweise rechtfertigten, dass der Zweck der Meldevorschriften im konkret zu beurteilenden Fall nicht verfehlt werde. So treffe etwa die Gefahr der formell und materiell ordnungsgemäßen Übermittlung der Meldung den Versicherten. Für den zu beurteilenden Sachverhalt sei das Vorliegen besonderer Gründe in diesem Sinne zu bejahen.

Das rechtliche Interesse des Klägers an der von ihm begehrten Feststellung der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit falle weg, weil mit dem Ausspruch über die Berechtigung des Anspruchs auf Krankengeld die Feststellung des der Leistungspflicht zugrunde liegenden Versicherungsfalls miterfasst sei. Insoweit sei das Klagebegehren abzuweisen gewesen. Das Leistungsbegehren sei mit der Maßgabe zu bestätigen gewesen, dass eine Leistungsfrist zu bestimmen gewesen sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Ungeachtet der für die Beurteilung des Ruhens des Krankengelds maßgeblichen Umstände des Einzelfalls fehle - soweit überblickbar - Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Meldepflicht bei vergleichbaren, nicht dem § 139 Abs 3 oder 4 ASVG zuzuordnenden Konstellationen im Schnittpunkt der Ziffern 1 und 2 des § 120 Abs 1 ASVG.

Gegen den klagestattgebenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, jenen im klageabweisenden Sinn abzuändern.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nur teilweise berechtigt.

Pflichtversicherte haben aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ab dem vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Krankengeld (§ 138 Abs 1 ASVG). Die genannte Bestimmung ist so zu verstehen, dass der Anspruch auf Krankengeld bereits mit dem Eintritt des Versicherungsfalls entsteht, die Leistung jedoch erst am vierten Tag nach Eintritt des Versicherungsfalles anfällt (10 ObS 64/94 = SSV-NF 8/36; 10 ObS 217/01m = SSV-NF 15/98 ua). Das Berufungsgericht hat auf diese Karenzzeit nicht Bedacht genommen und die Sache insofern rechtlich unrichtig beurteilt, als es Krankengeld für den zweiten und dritten Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit des Klägers zuerkannte. Dies war im Sinn der allseitigen rechtlichen Nachprüfung (9 ObS 8, 9/87 = SSV-NF 1/14 uva) wahrzunehmen. Die Urteile der Vorinstanzen waren daher insoweit - wie aus dem Spruch zu ersehen - abzuändern. Im Übrigen ist die Revision aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin macht im Wesentlichen zusammengefasst geltend, nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 252/97z trete der Versicherungsfall der Krankheit mit dem faktischen Beginn der Krankenbehandlung ein. Als Vorfrage der Beurteilung des Eintritts des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit sei der Eintritt des Versicherungsfalls der konkreten Erkrankung zu prüfen. Das Erfordernis der Krankenbehandlung sei Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld. Daher sei in Bezug auf die Zweiterkrankung des Klägers auf Grund der Diagnose „depressive Episode" der Zeitpunkt des Beginns der tatsächlichen Behandlung am 18. 6. 2004 als Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit anzunehmen. § 139 Abs 1 ASVG sei nicht anwendbar, weil eine Fortsetzungserkrankung nicht vorliege. Da zwei Versicherungsfälle der Krankheit vorlägen, sei auch von zwei verschiedenen Versicherungsfällen der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit auszugehen. Am 18. 6. 2004, als der zweite Versicherungsfall eingetreten sei, sei der Kläger nicht krankenversichert gewesen. Dieser Zeitpunkt liege auch nicht innerhalb der Schutzfrist gemäß § 122 Abs 2 Z 2 ASVG. Gehe man davon aus, dass die Arbeitsunfähigkeit auf Grund der Zweiterkrankung im unmittelbaren Anschluss an jene auf Grund der Gastritis eingetreten sei, so habe ein Krankengeldanspruch mangels Meldung an den Versicherungsträger geruht. Besondere Gründe im Sinn des § 143 Abs 2 ASVG seien nicht gegeben, weil der Kläger im Stande gewesen sei, die Notwendigkeit einer Krankenstandsmeldung zu erkennen und die Erkrankung ordnungsgemäß zu melden.

Hiezu wurde erwogen:

1. Der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit gilt mit dem Beginn der durch eine Krankheit - das ist durch einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der die Krankenbehandlung notwendig macht - herbeigeführten Arbeitsunfähigkeit als eingetreten (§ 120 Abs 1 Z 2 iVm Z 1 ASVG).

2. Die Auffassung der Beklagten, der Eintritt des Versicherungsfalls sei erst mit dem Beginn der ärztlichen Behandlung der die Arbeitsunfähigkeit verursachenden Krankheit gegeben, ist unzutreffend. Den Eintritt des Versicherungsfalls der Krankheit nimmt der Gesetzgeber mit dem Beginn der Krankheit (§ 120 Abs 1 Z 1 ASVG) an. Für den Fall der (unentgeltlichen) Organspende (§ 120 Abs 2 ASVG) - hier besteht weder ein regelwidriger Körperzustand noch Behandlungsbedürftigkeit des Spenders - normiert der Gesetzgeber, dass die Organspende einer Krankheit im Sinn des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG gleichzuhalten und - zur leichten und zweckdienlichen Feststellbarkeit - dass der Versicherungsfall mit der Vornahme der ersten - für den späteren Eingriff erforderlichen - ärztlichen Maßnahme als eingetreten gilt. In allen übrigen Fällen der Krankheit kommt es nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes auf den Zeitpunkt der Notwendigkeit einer Krankenbehandlung an.

Die Revisionswerberin stützt ihre Ansicht zu Unrecht auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 252/97z (= SSV-NF 11/96 = ZAS 1998, 86 [Binder] = DRdA 1998, 257 [Mosler u Brodil] = SozSi 1998, 218 [Kletter]). Die Entscheidung betrifft den Fall eines Zahnersatzes. Sie hält ausdrücklich fest, dass auch bei einer Zahnbehandlung - wie bei jeder Krankenbehandlung - der Versicherungsfall mit dem Zeitpunkt der Notwendigkeit der Kranken(Zahn)behandlung anzunehmen ist. Sie erachtete es aber als sach- und normgerecht, im Fall des Zahnersatzes auf den faktischen Beginn der Behandlung abzustellen. Zum Einen könne nämlich der Versicherte den (notwendigen) Zahnarztbesuch immer wieder verschieben. Zum Anderen käme es bei einem Abstellen auf den Beginn der Behandlungsbedürftigkeit nicht nur zu beträchtlichen Rückwirkungen alten Rechts, wenn sich zwischen dem Eintritt der Notwendigkeit der Zahnbehandlung und dem tatsächlichen Arztbesuch die Satzung des Krankenversicherungsträgers ändere, sondern wäre dies auch gegebenenfalls beweismäßig problematisch und damit letztlich auch im Ergebnis nicht befriedigend. Aufgrund des besonders gelagerten Sachverhalts lässt sich aus dieser Entscheidung gerade nicht ableiten, dass für sämtliche Krankheiten der Eintritt des Versicherungsfalls mit dem faktischen Beginn der Behandlung anzunehmen ist. Im Unterschied zum Fall des Zahnersatzes (§ 153 ASVG), in dem die Feststellung des konkreten Zeitpunkts, ab dem Behandlungsbedürftigkeit gegeben ist, problematisch und überaus schwierig ist, und der Ähnlichkeiten zum Fall des Gebrechens (§ 154 ASVG) hat (vgl Binder, ZAS 1998, 90), bildete die bipolare Störung (ein regelwidriger Geisteszustand) des Klägers aufgrund ihrer festgestellten Behandlungsbedürftigkeit und Behandlungsfähigkeit einen eindeutigen Fall einer Krankheit im Sinn des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG, was die Revisionswerberin nicht in Abrede stellt. Anders als im Fall eines Zahnersatzes ist die Möglichkeit, die Aufnahme der Behandlung nahezu beliebig zu verschieben, bei einer bipolaren Störung nicht gegeben, weil diese Erkrankung die Lebensführung mitunter schwerst beeinträchtigt. Eine vergleichbare Auswirkung auf das alltägliche Leben besteht im Fall von Zahnersatz nicht. Die beim Zahnersatz gegebene Problematik der allfälligen Anwendbarkeit schon überholter leistungsrechtlicher Bestimmung in den Satzungen der Krankenversicherungsträger (s § 153 Abs 2 ASVG) stellt sich ebenfalls nicht in vergleichbarer Weise. Beim Zahnersatz ist nur die Änderung der Satzung notwendig. Im Fall einer bipolaren Störung müssten gesetzliche Bestimmungen novelliert werden.

Dem Argument der Revisionswerberin, durch das Abstellen auf den Zeitpunkt der faktischen Behandlungsaufnahme solle eine Überprüfbarkeit der Wirksamkeit der angewandten Heilungsmethoden des Arztes sowie eines beim Versicherten eingetretenen Heilungserfolgs gewährleistet werden, ist nicht zu folgen. Die Behauptung findet keine Deckung im Gesetz. Die Krankenbehandlung ist zwar Merkmal des im ASVG definierten Begriffs „Krankheit", ihre Durchführung aber nicht Voraussetzung des Eintritts des Versicherungsfalls der Krankheit. Die Kontrolle der Zweckmäßigkeit ärztlicher Behandlungsmaßnahmen berührt nur die Rechtsbeziehung zwischen Versicherungsträger und Vertragsarzt, nicht aber den Leistungsanspruch des Versicherten. Von einer „Kontrolle der Vertragsärzte" spricht § 456 ASVG - dazu unten - nicht. Die in den Krankenordnungen vorgesehenen Kontrolluntersuchungen dienen der Überprüfung des Gesundheitszustands des Versicherten und der Feststellung, ob Arbeitsunfähigkeit gegeben ist oder nicht (Meggeneder, Die Rolle der Ärzte und Chefärzte bei Krankenständen, ASoK 2005, 118 ff).

3. Aus der unter Punkt 1. wiedergegebenen gesetzlichen Definition des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ergibt sich bereits, dass

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