Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung
Der 1947 geborene Kläger ist seit 1981 als ungelernter Arbeiter in einem industriellen Textilveredelungsbetrieb tätig. Er arbeitet dabei in der Vorbehandlung als Maschinenführer an einer Seng- und Entschlichtungsmaschine. Er muss die Maschine auf zwei Ebenen bedienen. Im Keller hat er die Rohgewebe, die auf verschiedenen Transportmitteln liegen, für die Bearbeitung vorzubereiten. Diese findet einen Stock höher statt. Arbeitskräfte an Seng- und Entschlichtungsmaschinen haben neue Ware zu den Maschinen zu bringen, die von einem Sammelplatz abzuholen ist. Dazu werden verschiedene Transportmittel verwendet (Kaulenwägen, Aluminiumwannen auf Rädern, Tische und ähnliches). Sobald sich die Ware an der Maschine befindet, werden die Stoffenden aneinandergenäht, sodass die Ware durchlaufen kann, ohne die Maschine abstellen zu müssen. Die Arbeitskraft hat darauf zu achten, dass die Ware mit der richtigen Seite nach oben und glatt durch die Anlage läuft. Sie hat das Ergebnis der Behandlung zu beobachten und gegebenenfalls den Schichtleiter zu informieren. Am Ende der Anlage läuft der Stoff in eine Aluminiumwanne oder wird auf eine Kaule aufgerollt. Nach Erreichen der vorgegebenen Meteranzahl hat die Arbeitskraft den Stoff abzutrennen und zu einem Sammelplatz oder in eine weiterverarbeitende Abteilung zu bringen. Einstell- und Reparaturarbeiten werden üblicherweise von den Bedienungskräften nicht durchgeführt. Die Anlagen werden wöchentlich gereinigt und gegebenenfalls geschmiert.
Der Kläger kann diese Tätigkeit nicht mehr ausüben, weil sie sein eingeschränktes Leistungskalkül übersteigt.
Das Berufungsgericht verneinte eine Invalidität des Klägers nach § 255 Abs 4 ASVG. Er sei in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag als (ungelernter) Bediener einer Industrieproduktionsanlage in der Textilindustrie tätig gewesen. Diese Tätigkeit könne er nicht mehr ausüben. Er sei jedoch nicht außerstande, einer (ungelernten) Tätigkeit in der industriellen Produktion nachzugehen. Eine solche ungelernte Tätigkeit stelle jene eines Stanzers oder Bohristen für Kleinteile in der Metallindustrie sowie eines Montierers in einer Beschlägefabrik dar. Es sei nur eine geringfügige Einschulung von der einen ungelernten Tätigkeit auf die andere ungelernte Tätigkeit erforderlich. Auch wenn der räumliche Arbeitsbereich der genannten Verweisungstätigkeiten begrenzter als jener eines Bedieners einer Industrieproduktionsanlage sei, könne daraus ein markanter Unterschied im arbeitskulturellen Umfeld nicht abgeleitet werden, weil die zu vergleichenden Tätigkeiten jeweils in der Bedienung von Maschinen bestünden und in Industriebetrieben verrichtet würden. Der Umstand, dass mit der Tätigkeit eines Bedieners einer Industrieproduktionsanlage eine mittelschwere bis schwere körperliche Belastung, mit der Verrichtung der genannten Verweisungstätigkeiten jedoch nur eine leichte körperliche Belastung verbunden sei, lasse nicht die Schlussfolgerung auf ein allfällig höheres Ansehen, das mit der Ausübung der erstgenannten Tätigkeit verbunden wäre, zu.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers vermag eine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage nicht aufzuzeigen.
Die Frage, ob eine Verweisungstätigkeit eine „zumutbare Änderung" der im Sinne des Tätigkeitsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG maßgebenden „einen" Tätigkeit darstellt, kann nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und bildet als Frage des Einzelfalls regelmäßig keine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Tätigkeiten eines Stanzers oder Bohristen für Kleinteile in der Metallindustrie sowie eines Montierers in einer Beschlägefabrik stellten zumutbare Änderungen der vom Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag ausschließlich ausgeübten Tätigkeit eines Bedieners einer Seng- und Entschlichtungsmaschine in einem Textilveredelungsunternehmen dar, liegt im Rahmen der vom Berufungsgericht zitierten Leitlinien der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.
Der Anlassfall ist mit dem der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 421/02p zugrunde liegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. In diesem Fall wurde ausgeführt, dass eine Verweisung eines Bauschlossers auf die Tätigkeiten eines Einstellers an CNC-gesteuerten Maschinen oder eines Fertigungsprüfers den Rahmen der „zumutbaren Änderungen" überschreiten würde. Denn abgesehen von dem nicht genau festgestellten, aber doch länger dauernden Umschulungsbedarf stehe bei den genannten Verweisungstätigkeiten nicht die eigenhändige Produktion, sondern die Kontrolle maschineller Tätigkeiten im Vordergrund. Dazu seien Bauschlosserarbeiten typischerweise auf Baustellen (auch im Freien) zu verrichten, während die Verweisungstätigkeit in Werkstätten und Betriebshallen angesiedelt seien. Dem Umstand, dass hier wie dort Metall be- und verarbeitet werde, könne keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen, weil damit die vom Gesetzgeber - im Verhältnis zu § 255 Abs 3 ASVG - beabsichtigte Einschränkung des Verweisungsfelds nicht gewährleistet werden könne. Im vorliegenden Fall sind aber die Verweisungstätigkeiten eines Stanzers oder Bohristen ebenso wie die bisherige Tätigkeit durch die maschinelle Be- und Verarbeitung von Materialien, die zur Maschine gebracht und nach der maschinellen Behandlung abtransportiert werden, geprägt.
Es liegt auch kein Abweichen des Berufungsgerichts von der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 101/03f vor. In dieser wurde ausgeführt, der Umstand, dass sowohl bei der Tätigkeit eines Flughafenfrachtgutladers als auch bei der Tätigkeit in der Leergutannahme eines Großhandelsbetriebs mit Gütern manipuliert werde und das geistige Anforderungsprofil vergleichbar gering sei, für sich allein nicht ausreiche, um die Zumutbarkeit einer Verweisung eines Flughafenfrachtgutladers auf die Tätigkeit in der Leergutannahme eines Großhandelsbetriebs zu begründen, wäre doch auf diese Weise die vom Gesetzgeber beabsichtigte Einschränkung des Verweisungsfelds nicht gewährleistet. Damit ist der Anlassfall aber im Hinblick auf den zuvor dargestellten Kern der Tätigkeiten nicht vergleichbar.
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