OGH 10ObS183/03i

OGH10ObS183/03i7.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Matzka (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Albert Ullmer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elfriede F*****, Pensionistin, *****, vertreten durch Mag. Johann Juster, Rechtsanwalt in Zwettl, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Aufrechnung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. März 2003, GZ 10 Rs 28/03s-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 10. Oktober 2002, 15 Cgs 48/01b-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird gemäß § 508a ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 8. 3. 2001 hat die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten ausgesprochen, dass auf die Pension der Klägerin - unbeschadet einer bereits bestehenden Lohnpfändung - ab 1. 3. 2001 ein Betrag von monatlich 50 S (3,63 EUR) zur Deckung einer offenen Forderung der Sozialversicherungsanstalt der Bauern an Beiträgen zur Sozialversicherung in der Höhe von 38.849,30 S (2.823,29 EUR) aufgerechnet wird.

In der dagegen erhobenen Klage brachte die Klägerin vor, die Aufrechnung sei unzulässig, weil allfällige Beitragsforderungen der Sozialversicherungsanstalt der Bauern ihr gegenüber verjährt seien und eine Aufrechnung nach § 103 Abs 1 ASVG gegen verjährte Beträge unzulässig sei. Der Aufrechnung lägen Forderungen der Sozialversicherungsanstalt der Bauern aus den Jahren 1982 bzw 1983 zugrunde. Das Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen bei Beitragsschuldnern und Beitragsmithaftenden verjähre binnen drei Jahren vom Tag der Fälligkeit der Beiträge an. Selbst bei Feststellung einer Verpflichtung zur Zahlung offener Beträge sei Einforderungsverjährung eingetreten, weil die Sozialversicherungsanstalt der Bauern mehrfach länger als zwei Jahre keine Einbringungsmaßnahmen gegen die Klägerin gesetzt habe. Mit Ausnahme eines Mahnschreibens vom 18. 1. 2001 seien Betreibungsmaßnahmen ihr gegenüber nicht erfolgt. Auch die Zuschläge und Nebengebühren seien verjährt. Eine Aufrechnung nach § 103 Abs 1 ASVG gegen verjährte Beträge sei jedoch unzulässig.

Die beklagte Partei wandte ein, dass eine Verjährung der Ansprüche nicht eingetreten sei, zumal regelmäßig Betreibungsschritte erfolgt seien.

Das Erstgericht erkannte die Klägerin schuldig, die im Bescheid vom 8. 3. 2001 verfügte Aufrechnung zu dulden und wies das Begehren ab, dass die Pension in voller Höhe auszuzahlen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Gemäß § 34 Abs 2 BSVG seien rückständige Beiträge zur Pflichtversicherung einzumahnen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Fälligkeit eingezahlt werden. Die Mahnung werde durch Zustellung eines Mahnschreibens (Postauftrages) vollzogen. Ein Nachweis der Zustellung des Mahnschreibens sei nicht erforderlich; bei Postversand werde die Zustellung des Mahnschreibens am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post vermutet. Nach erfolgloser Mahnung gemäß § 34 Abs 2 BSVG habe der Versicherungsträger einen Beitragszuschlag im Ausmaß von 5 vH des eingemahnten Beitrages vorzuschreiben (§ 34 Abs 3 BSVG). Die Verjährung werde nach § 39 Abs 3 Satz 2 BSVG durch jede zum Zweck der Hereinbringung getroffene Maßnahme, wie zB durch Zustellung einer an den Zahlungspflichtigen gerichteten Zahlungsaufforderung (Mahnung) unterbrochen. Eine die Verjährung unterbrechende Maßnahme setze nicht etwa eine "bescheidmäßige" Feststellung voraus. Unter einer solchen Maßnahme sei vielmehr jede nach außen hin in Erscheinung tretende und dem Beitragsschuldner zur Kenntnis gebrachte Tätigkeit des Versicherungsträgers zu verstehen, die der Feststellung der Beitragsschulden diene. Die "zum Zweck der Hereinbringung getroffenen Maßnahmen" iSd § 39 Abs 3 BSVG müssten dem Verpflichteten gar nicht zur Kenntnis gelangen; auch müsse die Maßnahme nicht "unmittelbar" der Hereinbringung der Beitragsschuld dienen. Maßgeblich sei ausschließlich der Zweck der Maßnahme. Als verjährungsunterbrechende Maßnahme iSd des § 39 Abs 3 BSVG sei jede Maßnahme anzusehen, die objektiv mit dem Zweck der Hereinbringung der offenen Forderung in Einklang gebracht werden könne, dh diesem Zweck diene. Die Behörde müsse eindeutig zu erkennen geben, dass sie eine Maßnahme im Bezug auf die konkrete Forderung gegen den Zahlungspflichtigen setzen habe wollen; dies müsse auch später noch nach der Aktenlage nachvollziehbar sein. Ob eine Maßnahme der Hereinbringung einer offenen Forderung diene, hängt von der Beurteilung im Einzelfall ab. Aufgrund der von der Sozialversicherungsanstalt der Bauern gesetzten Schritte sei das Erstgericht zu Recht davon ausgegangen, dass eine Verjährung nicht eingetreten sei und daher eine Aufrechnung erfolgen könne.

Die Revision sei zulässig, da der Oberste Gerichtshof zur Frage der Verjährung aufgrund eines Sachverhalts wie dem gegenständlichen noch keine Entscheidung gefällt habe.

Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) ist die Revision unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Eine solche Rechtsfrage liegt hier nicht vor.

§ 103 Abs 1 Z 1 ASVG erlaubt dem Versicherungsträger die Aufrechnung von fälligen Beiträgen, die ein Anspruchsberechtigter einem Versicherungsträger nach dem ASVG oder einem anderen Bundesgesetz schuldet, auf die von ihm zu erbringenden Geldleistungen, soweit das Recht auf Einforderung nicht verjährt ist. Über die Geltendmachung der Aufrechnung ist ein Bescheid in Leistungssachen zu erlassen (§ 367 Abs 2 ASVG), der mit Klage bei Gericht außer Kraft gesetzt werden kann. Im gerichtlichen Verfahren bildet die Frage, ob die Beitragsrückstände verjährt sind, eine Vorfrage, die weder in der Aufzählung der Gründe für eine zwingende Unterbrechung des Verfahrens nach § 74 Abs 1 ASGG genannt noch den dort angeführten Tatbeständen gleichartig ist. Gemäß § 190 ZPO ist das Gericht in diesem Fall befugt, die Vorfrage - auch wenn es sich um eine verwaltungsrechtliche handelt - selbständig zu beurteilen (SZ 58/156, SZ 71/3 uva; RIS-Justiz RS0036837, RS0036841, RS0036854), solange eine bindende Entscheidung einer Verwaltungsbehörde über die Vorfrage (hier der Verjährung) nicht vorliegt. § 35 Abs 2 Satz 3 EO steht dem nicht entgegen (Jakusch in Angst, EO § 35 Rz 3).

Die angefochtene Entscheidung hat sich an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 68 Abs 2 ASVG orientiert, nach der unter "zum Zwecke der Hereinbringung getroffenen Maßnahmen" iSd § 68 Abs 2 ASVG nicht nur jene Maßnahmen zu verstehen sind, die dem Verpflichteten auch zur Kenntnis gelangt sind und unmittelbar der Hereinbringung der Beitragsschuld dienen (VwSlg 14.749 A/1997 uva). Die in Bezug auf eine konkrete Forderung gegen den Zahlungspflichtige gesetzte Maßnahme muss insoweit eindeutig zu erkennen sein, als sie auch später noch nach der Aktenlage nachvollziehbar ist. Ob eine Maßnahme der Hereinbringung einer offenen Forderung dient, hängt von der Beurteilung im Einzelfall ab.

Mit der Frage der Verjährung nach § 39 BSVG (§ 40 GSVG, § 68 ASVG) ist regelmäßig der Verwaltungsgerichtshof konfrontiert, während die Frage nur in besonderen Ausnahmekonstellationen vor dem Obersten Gerichtshof eine Rolle spielt. So wie der Mangel einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum anzuwendenden ausländischen Sachrecht idR keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet (RIS-Justiz RS0042948 [T6]), gebieten es weder Rechtseinheit noch Rechtssicherheit noch Rechtsentwicklung, dass der OGH - parallel zum VwGH - eine Judikatur zu einzelfallbezogenen verwaltungsrechtlichen Vorfragen aufbaut, die von den Gerichten gar nicht als Hauptfrage selbständig beurteilt werden dürfen. Im Gegenteil würde die Gefahr von Entscheidungsdivergenzen heraufbeschworen.

Eine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifende Fehlbeurteilung der zu entscheidenden Rechtsfrage durch das Berufungsgericht ist nicht zu ersehen. Die Klägerin verkennt insbesondere die Rechtsnatur und den Zweck von Rückstandsausweisen. Es handelt sich dabei nicht um zuzustellende und bekämpfbare Bescheide, sondern um "Auszüge aus den Rechnungsbehelfen", mit denen eine Verwaltungsbehörde eine sich unmittelbar aus dem Gesetz oder einem (Grundlagen-)Bescheid ergebende - Zahlungsverbindlichkeit bekannt gibt (siehe näher Nunner-Krautgasser, Der Rückstandsausweis als Grundlage der gerichtlichen Exekution, ÖJZ 2000, 833).

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

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