OGH 10ObS16/12v

OGH10ObS16/12v13.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Ernst Bassler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Divitschek Sieder Sauer Rechtsanwälte GmbH in Deutschlandsberg, gegen die beklagte Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, Josef-Pongratz-Platz 1, 8011 Graz, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld (Revisionsinteresse 5.303,45 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Dezember 2011, GZ 7 Rs 97/11f-12, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin bezog für ihren am 6. 10. 2004 geborenen Sohn Alexander vom 1. 1. bis 31. 12. 2006 Kinderbetreuungsgeld in Höhe von insgesamt 5.303,45 EUR.

Mit Bescheid vom 1. 4. 2011 widerrief die Beklagte die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgelds und verpflichtete die Klägerin zum Rückersatz, weil der nach § 8 KBGG für das Jahr 2006 maßgebliche Gesamtbetrag ihrer Einkünfte (von 15.200,68 EUR) die Zuverdienstgrenze (von 14.600 EUR) überschritten hatte.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren, den Rückersatzanspruch als nicht zu Recht bestehend festzustellen, ab und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung des bezogenen Kinderbetreuungsgelds von 5.303,45 EUR in 105 Monatsraten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung auf:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 1 lit a KBGG-Härtefälle-Verordnung gelten - für Anspruchsüberprüfungen der Kalenderjahre 2002 bis 2007 (§ 49 Abs 15 KBGG) - nur Fälle einer geringfügigen und zugleich unvorhersehbaren Überschreitung der Zuverdienstgrenze als Härtefälle.. Die Ansicht der Vorinstanzen, es liege eine geringfügige, nicht jedoch unvorhersehbare Überschreitung der Zuverdienstgrenze vor, weil es der Klägerin bei objektiv zumutbarer Sorgfalt möglich gewesen wäre, die Höhe ihrer Einkünfte verlässlich zu beurteilen, steht im Einklang mit der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0124751).

3. Die Revisionswerberin hält selbst fest, dass die Fragen der Unvorhersehbarkeit der Überschreitung der Zuverdienstgrenze und des zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs nach ständiger Rechtsprechung nur einzelfallbezogen gelöst werden können (RIS-Justiz RS0124751 [T2]) und daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO bilden (10 ObS 137/09h; 10 ObS 111/11p; 10 ObS 9/12i jeweils mwN). Der Oberste Gerichtshof hat bereits in vielen - auch im Berufungsurteil zitierten - Entscheidungen Leitlinien für die Beurteilung der Unvorhersehbarkeit iSd 1 lit a KBGG-Härtefälle-Verordnung (BGBl II 2004/91) aufgezeigt, denen das Berufungsgericht gefolgt ist.

4. Nach diesen Grundsätzen liegt das Kriterium der Unvorhersehbarkeit vor, wenn die Überschreitung der Zuverdienstgrenze trotz Anlegung eines zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs nicht erkannt werden konnte. Dabei trifft den Leistungsbezieher eine Überprüfungspflicht hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Einkünfte (RIS-Justiz RS0124751 [T3]). Daher können typischerweise auftretende Einkommensschwankungen für sich allein keine Unvorhersehbarkeit begründen; diese wäre nur bei außergewöhnlichen, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht zu erwartenden Vorgängen zu bejahen (10 ObS 208/09z; 10 ObS 111/11p; jüngst 10 ObS 9/12i).

5. Dass die Vorinstanzen solche Umstände nicht berücksichtigt hätten, zeigt die Revisionswerberin nicht auf:

5.1. Die Zulassungsbeschwerde beruft sich weiterhin darauf, die - im Bezugszeitraum freiberuflich als Vortragende des BFI Steiermark tätige - Klägerin habe „äußerst kurzfristig“ darüber zu entscheiden gehabt, ob sie vertretungsweise einen Kurs bzw eine Prüfung (die nie am Beginn des Monats, sondern zur Monatsmitte stattgefunden hätten) übernehme. Eine Ablehnung einzelner Seminare bzw Vertretungen (die teilweise durch den krankheitsbedingten Ausfall von Mitarbeitern des BFI ausgelöst worden seien) sei ihr nicht zumutbar gewesen; dies hätte nämlich „zweifelsfrei“ dazu geführt, dass sie keine Folgeaufträge mehr erhalten hätte und „verheerende existentielle Folgen“ für sie als alleinerziehende Mutter gehabt, weil ihr ausschließlicher „Arbeitgeber“ im Jahr 2006 das BFI Steiermark gewesen sei. Die geringfügige Überschreitung der Zuverdienstgrenze könne nicht mit Umsatzschwankungen, die mit einer selbständigen Erwerbstätigkeit typischerweise verbunden seien, begründet werden. Die Einkommensschwankungen samt Überschreitung der Zuverdienstgrenze beruhten vielmehr darauf, dass sich das Angebot des BFI an der Entwicklung des Arbeitsmarkts orientiere und freiberuflich Vortragende geringen Einfluss auf die Seminarangebotserstellung hätten; es sei daher „immer wieder“ - für die Klägerin unvorhersehbar - vorgekommen, „kurzfristig [durch Erkrankung bzw Ausfall von Beschäftigten des BFI ausgelöste] Vertretungen zu übernehmen“.

5.2. Entgegen dem Standpunkt der Revision liegt die bekämpfte Beurteilung jedoch im Rahmen der bereits eingangs zitierten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs: Die vorliegenden Einkommensschwankungen, die mit der Erwerbstätigkeit der Klägerin - nach ihren eigenen Ausführungen - offenbar typischerweise verbunden sind, können keine Unvorhersehbarkeit begründen (RIS-Justiz RS00124751; 10 ObS 63/09a, SSV-NF 23/38); diese wäre nämlich nur bei außergewöhnlichen, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht zu erwartenden Vorgängen zu bejahen (10 ObS 208/09z; 10 ObS 111/11p; jüngst: 10 ObS 9/12i), auf die sich die Revisionswerberin aber gar nicht beruft.

5.3. Nach der Entscheidung 10 ObS 145/09k (vgl auch 10 ObS 143/09s, SSV-NF 23/66), auf die sich das Rechtsmittel weiterhin beruft, kann allein daraus, dass im Schulbetrieb immer wieder Supplierstunden anfallen können, nicht abgeleitet werden, dass die zufolge der Absolvierung von verpflichtenden Supplierstunden eingetretene Überschreitung der Zuverdienstgrenze nach dem KBGG vorhersehbar war. Wie bereits das Berufungsgericht aufzeigt, ist daraus für den - damit nicht vergleichbaren - Fall der Klägerin ebenfalls nichts zu gewinnen, weil eine Bezieherin von Kinderbetreuungsgeld alle ihr zumutbaren Maßnahmen treffen muss, um eine Überschreitung der Zuverdienstgrenze zu vermeiden. Im vorliegenden Fall stand es der Klägerin (offenbar anders als im Fall der Entscheidung 10 ObS 143/09s, SSV-NF 23/66) als freiberuflich tätige Vortragende des BFI grundsätzlich frei, Kurse und Prüfungen auch im Wintersemester 2006 nur in einem zeitlichen Ausmaß zu übernehmen, dass damit die maßgebliche Zuverdienstgrenze nicht überschritten wird.

5.4. Soweit die Zulassungsbeschwerde hingegen geltend macht, eine Ablehnung einzelner Seminare bzw Vertretungen sei der Revisionswerberin „nicht zumutbar“ gewesen (da sie in diesem Fall keine Folgeaufträge mehr erhalten hätte), ist das Vorbringen auch auf mangelndes Verschulden (infolge befürchteter Einkommensreduktion) gerichtet, weil die Revision offenbar meint, auch dies begründe die Unvorhersehbarkeit der Überschreitung.

5.5. Abgesehen von der vertretbar angenommenen Vorhersehbarkeit der Überschreitung der Zuverdienstgrenze wird dabei jedoch übersehen, dass die Klägerin gemäß § 31 Abs 2 zweiter Satz KBGG auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen verpflichtet ist, wenn sich „ohne ihr Verschulden“ aufgrund des von der Abgabenbehörde an die Gebietskrankenkasse übermittelten Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt hat. Die Rechtsansicht, eine Überschreitung der Zuverdienstgrenze durch eine von der Klägerin selbst begehrte Auszahlung eines Entgelts (hier: für geleistete Mehrarbeit) sei für sie jedenfalls nicht „unvorhersehbar“ gewesen, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats in vergleichbaren Fällen (10 ObS 31/11y; 10 ObS 167/10x mwN; 10 ObS 9/12i).

Die außerordentliche Revision ist daher mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO als unzulässig zurückzuweisen.

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