OGH 10ObS149/16h

OGH10ObS149/16h25.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ing. Thomas Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Entziehung des Rehabilitationsgeldes, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 31. August 2016, GZ 12 Rs 75/16k‑18, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00149.16H.1125.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der 1989 geborene Kläger bezog von 1. 6. 2013 bis 31. 7. 2014 eine befristete Invaliditätspension. Ab 1. 8. 2014 bis zu dessen Entziehung per 30. 9. 2015 bezog er Rehabilitationsgeld.

Das Erstgericht gab der gegen den Entziehungsbescheid vom 30. 7. 2015 gerichteten Klage auf Weitergewährung des Rehabilitationsgeldes insoweit statt, als es feststellte, dass der Kläger über den 30. 9. 2015 hinaus Anspruch auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und – dem Grunde nach – Anspruch auf Rehabilitationsgeld hat, soweit er der österreichischen Krankenversicherung unterliegt.

Es stellte unter anderem fest, dass sich im Vergleich zur Gutachtenserstellung im Juli 2013 das Leistungskalkül und der Gesundheitszustand des Klägers insofern gebessert hat, als er nun 500 m ohne Benutzung einer Stützkrücke zurücklegen kann. Im Vergleich zum Zeitpunkt der Gutachtenserstellung am 1. 9. 2014 haben sich das Leistungskalkül und der Gesundheitszustand des Klägers hingegen nicht verändert.

Rechtlich gelangte das Erstgericht zum Ergebnis, dass maßgeblicher Vergleichszeitpunkt jener der Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes sei. Da die beklagte Partei den Anspruch auf Rehabilitationsgeld mit Bescheid vom 29. 10. 2014 anerkannt habe, seien die diesem Bescheid zu Grunde gelegten Anstaltsgutachten vom 1. 9. 2014 maßgeblich. Da es gegenüber dem Zeitpunkt der Erstellung dieser Gutachten zu keiner wesentlichen Veränderung des Leistungskalküls gekommen sei, sei das Rehabilitationsgeld auch über den 30. 9. 2015 hinaus weiter zu gewähren.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

1. Für diejenigen Versicherten, die – wie der Kläger – am 1. 1. 2014 das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, wurde mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2012 (SRÄG 2012, BGBl I 2013/3) die befristete Invaliditätspension (Berufsunfähigkeitspension) abgeschafft, aber ein Rechtsanspruch auf medizinische Rehabilitation bei vorübergehender Invalidität/Berufsunfähigkeit sowie auf die neuen Leistungen des Rehabilitations‑ und des Umschulungsgeldes eingeführt.  Nach der Rechtslage seit dem SRÄG 2012 gebührt bei vorübergehender Invalidität Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung, hingegen bei dauernder Invalidität Invaliditätspension aus der Pensionsversicherung (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP  24).

2.1 Mit der Schaffung des Rehabilitationsgeldes ist der Gesetzgeber des SRÄG vom Konzept der grundsätzlichen Befristung von Leistungen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit wieder abgegangen, indem er das Rehabilitationsgeld als unbefristete Dauerleistung ausgestaltet hat (ErläutRV 321 BlgNR 25. GP  4). Es ist durch Bescheid des Pensionsversicherungsträgers gemäß § 99 ASVG zu entziehen (§ 143a Abs 1 ASVG; ErläutRV 321 BlgNR 25. GP  5).

2.2 Der angefochtene Bescheid vom 30. 7. 2015 fällt bereits in den Geltungsbereich des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes 2015 (SVAG 2015, BGBl I 2015/2), mit dem auch die Entziehung des Rehabilitationsgeldes neu geregelt wurde. Wenngleich der Grundtatbestand des § 99 Abs 1 ASVG durch das SVAG 2015 unberührt blieb, wurde in § 99 Abs 1a ASVG der neue Rückforderungstatbestand der Verletzung von Mitwirkungspflichten geschaffen (10 ObS 4/16k). Bei den weiteren Entziehungstatbeständen– Besserung des Gesundheitszustands, Zumutbarkeit der beruflichen Rehabilitierbarkeit, Eintritt voraussichtlich dauernder Invalidität/Berufsunfähigkeit – handelt es sich aber jeweils um Fälle des Wegfalls einer ursprünglich vorhandenen Leistungsvoraussetzung im Sinn des Grundtatbestands des § 99 Abs 1 ASVG (Atria in Sonntag, ASVG7 § 99 Rz 23).

2.3 In allen diesen Fällen kann daher (auch) das Rehabilitationsgeld nach § 99 Abs 1 ASVG nur entzogen werden, wenn eine wesentliche, entscheidende Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt der ursprünglichen Zuerkennung eingetreten ist (10 ObS 50/15y; RIS‑Justiz RS0106704; RS0083941).

2.4 Zeitpunkt der ursprünglichen Leistungszuerkennung ist die Erlassung des Gewährungs-bescheids. Es ist der Zustand im Bescheidzeitpunkt dem Zustand im Zeitpunkt der Entziehung gegenüberzustellen (RIS‑Justiz RS0083876; Schramm in SV‑Komm [127. Lfg] § 99 ASVG Rz 6 mzwN).

3. Mit dieser Rechtslage bzw Rechtsprechung steht die Ansicht der Vorinstanzen, als Vergleichszeitpunkt sei der Zeitpunkt der bescheidmäßigen Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes heranzuziehen, in Einklang.

4.1 Mit ihrem auch in der Revision vertretenen Standpunkt, im Hinblick auf das Vorliegen eines einheitlichen Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit wäre als Vergleichszeitpunkt der Zeitpunkt der erstmaligen Gewährung der befristeten Invaliditätspension heranzuziehen, gelingt es der Revisionswerberin nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

4.2 Im Fall der mehrfach aufeinanderfolgenden Weitergewährung einer einzigen (jeweils befristeten) Pensionsleistung (Invaliditäts‑ oder Berufsunfähigkeits-pension) und lückenlosem Weiterbestehen der Invalidität oder Berufsunfähigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung ein einheitlicher Versicherungsfall vor, dessen Voraussetzungen durch den für die befristete Leistung maßgeblichen Stichtag bestimmt werden und der keinen neuen Stichtag iSd § 223 Abs 2 ASVG auslöst (RIS‑Justiz RS0085389 [T2, T4]). Da das Gesetz diese Zuerkennung nur an das Weiterbestehen von Invalidität und an einen fristgerechten Weitergewährungsantrag knüpft, waren im Weitergewährungsverfahren andere Anspruchs-voraussetzungen, zB die Erfüllung der Wartezeit, nicht mehr zu prüfen.

4.3 Die Ansicht des Berufungsgerichts, diese zur Weitergewährung ergangene Rechtsprechung sei im vorliegenden Zusammenhang nicht anwendbar, entspricht der jüngsten höchstgerichtlichen Rechtsprechung (10 ObS 131/16m). Dass es sich beim Rehabilitationsgeld und der befristeten Invaliditäts/Berufsunfähigkeitspension um unterschiedliche Leistungen handelt, entspricht der bisherigen Rechtsprechung sowie dem Schrifttum (10 ObS 116/16f; Sonntag, Neues zur vorübergehenden Invalidität, Asok 2015, 420 [423]). Nach Auslaufen der befristet gewährten Invalidiätspension ist es dem Kläger nicht mehr möglich, einen Weitergewährungsantrag zu stellen, sondern er ist darauf verwiesen, einen „neuen“ Antrag zu stellen, der grundsätzlich zu einem neuen Stichtag führt (siehe auch Panhölzl in SV‑Komm [116. Lfg] § 223 ASVG Rz 31).

Die außerordentliche Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen.

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