European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E133382
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Der Kläger bezog von 1. September 2016 bis 30. September 2017 eine Invaliditätspension. Die Gesamtgutschrift zum Stichtag 1. September 2016 betrug 21.523,74 EUR. Bis zu dem – durch die Antragstellung auf Zuspruch einer Korridorpension ausgelösten – Stichtag 1. 7. 2020 erwarb der Kläger weitere Beitragszeiten. Zum Stichtag 1. 7. 2020 wurde ausgehend von einem 80%igen Steigerungsbetrag eine Gesamtgutschrift von 27.373,68 EUR festgestellt.
[2] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob bei der Feststellung der Korridorpension des Klägers die Kontoerstgutschrift nach § 15 Abs 9 APG auf Basis eines Stichtags 1. September 2016 neu zu berechnen und ein Steigerungsbetrag von 81 % anzuwenden sind (Standpunkt des Klägers) oder ob die Gesamtgutschrift zu dem (neuen) Stichtag 1. Juli 2020 mit einem Steigerungsbetrag von 80 % zu ermitteln ist (Standpunkt der beklagten Pensionsversicherungsanstalt).
[3] Mit Bescheid vom 16. Oktober 2020 anerkannte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Korridorpension ab 1. Juli 2020 im Ausmaß von 1.656,11 EUR.
[4] Der Kläger begehrt in seiner Klage eine höhere Korridorpension von zumindest 1.671,44 EUR.
[5] Die Beklagte verweist auf ihre offengelegten Berechnungen zur Ermittlung der Pensionshöhe.
[6] Der Kläger bestreitet diese Berechnung nur mit dem Argument der Neuberechnung der Kontoerstgutschrift iSd § 15 Abs 9 APG.
[7] Das Erstgericht wiederholte den angefochtenen Bescheid und wies das auf Gewährung einer höheren Korridorpension gerichtete Klagebegehren ab. Bei der Ermittlung oder Überprüfung der Erstgutschrift zu dem für die Gewährung der Korridorpension maßgeblichen Stichtag 1. Juli 2020 sei § 15 Abs 9 APG nicht anzuwenden.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es teilte die Rechtsauffassung der Beklagten sowie des Erstgerichts und ließ die Revision zu, weil der Oberste Gerichtshof zu einer allenfalls (verlängerten) Anwendbarkeit des § 15 Abs 9 APG über Pensionsantritte nach dem Jahr 2016 hinaus oder der allfälligen Gleicheitswidrigkeit dieser Norm noch nicht Stellung genommen habe.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die – beantwortete – Revision des Klägers ist entgegen dem nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
[10] 1.1 Mit dem zweiten Stabilitätsgesetz 2012 (9. APG‑Nov, BGBl I 2012/35) wurde in § 15 APG die Kontoerstgutschrift eingeführt. Für Personen, die nach dem 31. Dezember 1954 geboren sind und bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 mindestens einen Versicherungsmonat nach dem ASVG, GSVG, FSVG oder GSVG vor dem 1. Jänner 2005 erworben haben, wird eine Kontoerstgutschrift zum 1. Jänner 2014 ermittelt (§ 15 Abs 1 iVm § 15 Abs 13 APG; Rainer/Pöltner in SV‑Komm § 15 APG Rz 28). Diese ersetzt die zuvor geltende Parellelrechnung (Rainer/Pöltner in SV‑Komm § 15 APG Rz 19).
[11] 1.2 Nach § 15 Abs 9 Satz 1 APG ist bei der Feststellung von Pensionen mit einem Stichtag in den Jahren 2014 bis 2016 die Kontoerstgutschrift neu zu berechnen, wenn mehr als 480 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate vorliegen. Damit wurde für Personen mit mehr als 40 Versicherungsjahren, die ihre Pension in den Jahren 2014 bis 2016 angetreten haben, eine „klassische Übergangsregelung“ geschaffen, damit Pensionsverluste vermieden werden sollten, die sich aus dem Entfall der Parallelrechnung in Verbindung mit der Pensionsberechnung (samt Abschlägen) nach dem APG ergeben würden (Rainer/Pöltner in SV‑Komm § 15 APG Rz 51).
[12] 1.3 § 15 Abs 9 APG ordnet in seinem ersten Satz unmissverständlich an, dass eine Kontoerstgutschrift nur bei der Feststellung von Pensionen mit einem Stichtag in den Jahren 2014 bis 2016 nach den Vorgaben des § 15 Abs 9 Satz 2 APG neu zu berechnen ist.
[13] 2.1 Der Stichtag gilt nach § 223 Abs 1 ASVG als eingetreten: Bei Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters mit der Erreichung des Anfallsalters (Z 1) und bei Leistungen aus den Versicherungsfällen geminderter Arbeitsfähigkeit im Fall der Invalidität, Berufsunfähigkeit oder Dienstunfähigkeit mit deren Eintritt, wenn aber dieser Zeitpunkt nicht feststellbar ist, mit der Antragstellung (Z 2 lit a). Der Versicherungsfall muss als primäre Leistungsvoraussetzung am Stichtag eingetreten sein (Sonntag in Sonntag ASVG12 § 223 Rz 3). Der Stichtag für die Feststellung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist und die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, ist nach § 223 Abs 2 ASVG bei Anträgen auf eine Leistung nach § 223 Abs 1 Z 1 oder Z 2 ASVG der Tag der Antragstellung, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Tag der Antragstellung folgenden Monatserste.
[14] 2.2 Bei den Versicherungsfällen des Alters und der geminderten Arbeitsfähigkeit handelt es sich um unterschiedliche Versicherungsfälle. Der Stichtag für die dem Kläger in den Jahren 2016 und 2017 gewährte Invaliditätspension war der 1. September 2016. Der Stichtag für die Korridorpension als Leistung aus dem Versicherungsfall des Alters bestimmte sich nach dem Antrag des Klägers auf die Gewährung einer derartigen Leistung und ist – wie schon die Vorinstanzen dargelegt haben – mit 1. Juli 2020 anzusetzen. Eine „Übertragung“ eines für den Versicherungsfall der Invalidität verwirklichten Stichtags auf den Versicherungsfall des Alters entbehrt der gesetzlichen Grundlage. Eine solche zeigt die Revision auch nicht auf.
[15] 3.1 Der Verfassungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass keine Verfassungsvorschrift den Schutz wohlerworbener Rechte gewährleistet, weshalb es im Prinzip in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers fällt, eine einmal geschaffene Rechtsposition auch zu Lasten des Betroffenen zu verändern. Auch verschlechternde Regelungen sind unangreifbar, wenn sie dem Grundsatz der Sachlichkeit und Verhältnismäßigkeit entsprechen (RIS‑Justiz RS0008687 [T40]). Dem Gesetzgeber steht verfassungsrechtlich insoweit ein Gestaltungsspielraum zu, als er in seinen rechtspolitischen und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen frei ist (RS0053889 [T1]), wenn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingehalten wird und keine unsachliche Ungleichbehandlung die Folge ist (vgl RS0053889 [T8, T9]).
[16] 3.2 Die Einführung der Kontoerstgutschrift für alle seit dem 1. 1. 1955 geborenen Versicherte sollte nach den Vorstellungen des Gesetzgebers zu einer einfacheren, verständlichen und gut erklärbaren Pensionsberechnung sowie zu einer maßgeblichen Verwaltungsvereinfachung führen – im Vergleich zur bisherigen, drei Rechtslagen berücksichtigenden Parallelrechnung (Rainer/Pöltner SV‑Komm § 15 APG Rz 22 ff mit Hinweis auf die ErläutRV 1685 BlgNR 24. GP 49 f).
[17] 3.3 Eine zeitlich unbeschränkte Geltung der – Personen mit Pensionsantritten in den Jahren 2014 bis 2016 begünstigenden – Übergangsregelungen in § 15 Abs 9 APG, wie sie der Kläger wünscht, konterkariert diese Zielsetzung. Der am 1. 1. 2014 in Kraft getretene § 15 Abs 9 APG sollte Personen mit Pensionsstichtagen in den Jahren 2014 bis 2016 vor höheren Pensionsverlusten schützen, indem er für diese drei Jahre im Vergleich zum allgemeinen Steigerungssatz in der Pensionsversicherung höhere Steigerungsbeträge vorsah. Es war bei Inkrafttreten dieser Bestimmung klar, dass der 1958 geborene Kläger bei Antritt einer (Korridor-)Alterspension von dieser Einschleifregelung nicht mehr profitieren kann. Inwieweit sich daher ein zu schützendes Vertrauen in die Weitergeltung der Übergangsregelung entwickeln sollte, ist nicht ersichtlich.
[18] 4.1 Nach Meinung des Klägers trifft ihn ein „doppelter Pensionsverlust“. Zum einen wäre er von der für ihn günstigeren Übergangsregel des § 15 Abs 9 APG nicht erfasst, zum anderen erleide er finanzielle Einbußen in der Alterspension, weil er während des Bezugs einer Invaliditätspension in den Jahren 2016 und 2017 keine Pensionsversicherungsbeiträge auf seinem Pensionskonto erworben habe. Seiner Ansicht nach müssten auch für diesen Zeitraum fiktive, sich an Zeiten der ausgeübten Erwerbstätigkeit orientierende Beitragsgrundlagen herangezogen werden.
[19] 4.2 Es entspricht dem System der österreichischen Pensionsversicherung, dass die Höhe der Alterspension – von hier nicht interessierenden Ausnahmen (wie Kindererziehungszeiten) abgesehen – grundsätzlich von der Anzahl der Beitragsmonate und der Höhe der Sozialversicherungsbeiträge abhängt. Eine Rechtsgrundlage für die gewünschte Berechnung einer Alterspension aufgrund eines fiktiven Durchschnittseinkommens während des Bezugs einer Invaliditäts‑ oder Berufsunfähigkeitspension nennt der Kläger in seiner Revision nicht.
[20] 5. Bei Vorliegen einer – wie in diesem Fall – eindeutigen Gesetzeslage liegt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 2 ZPO vor, selbst wenn der Oberste Gerichtshof zu einer konkreten Bestimmung noch nicht Stellung genommen hat (RS0042656).
[21] 6. Die Revision des Klägers ist aus diesen Erwägungen zurückzuweisen.
[22] 7. Anhaltspunkte für einen Kostenzuspruch nach § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG sind nicht vorhanden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)