OGH 10ObS135/21g

OGH10ObS135/21g14.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Kirchl und Dr. Martin Gleitsmann (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. H*, vertreten durch Mag. Petra Laback, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Alterspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. Juni 2021, GZ 7 Rs 22/21 p‑16, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00135.21G.1214.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger hatte die Beiträge nach dem GSVG für den Zeitraum von 1. 11. 2017 bis 31. 3. 2020 nicht gezahlt. Am 15. 4. 2020 stellte er einen Pensionsantrag. Mit Schreiben vom 19. 5. 2020 teilte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen dem Kläger ua mit (unstrittiger Wortlaut der Beil ./B): „Wir haben die Beiträge für das Jahr 2017 endgültig bemessen. Aus der entstandenen Nachbelastung sind noch Teilbeträge offen. Bitte bezahlen Sie bis spätestens 20. 6. 2020 den Betrag von 24.181,79 EUR. Nur dann wirken sich die Versicherungszeiten bei der Pensionsberechnung aus! … Wir ′versteinern′ Beitragsgrundlagen, die zum Pensionsstichtag vorläufig sind, für die also bei uns noch kein Einkommensteuerbescheid eingegangen ist. Dadurch werden sie zu endgültigen Beitragsgrundlagen, die wir später nicht mehr nachbemessen. …“ Eine Zahlung erfolgte nicht.

Mit dem ersten angefochtenen Bescheid vom 11. 8. 2020 (Verfahren 27 Cgs 233/20f des Erstgerichts) erkannte die Beklagte dem Kläger ab 1. 5. 2020 eine Alterspension in Höhe von 2.859,40 EUR brutto zu.

[2] Mit dem zweiten angefochtenen Bescheid vom 26. 8. 2020 (Verfahren AZ 27 Cgs 234/20b des Erstgerichts) erklärte die Beklagte die Aufrechnung einer offenen Forderung an Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von 21.606,10 EUR zuzüglich Verzugszinsen ab 1. 9. 2020 auf den Leistungsanspruch des Klägers.

[3] Am 8. 10. 2020 ersuchte der Kläger um Gewährung einer Ratenzahlung von monatlich 1.000 EUR ab Oktober 2020. Die Beklagte bewilligte diesen Antrag mit Schreiben vom 15. 10. 2020 und stellte die Aufrechnung ab Oktober 2020 vorläufig ein.

[4] Mit den Klagen in den verbundenen Verfahren begehrt der Kläger die Zuerkennung einer Alterspension in Höhe von 2.922,47 EUR monatlich ab 1. 5. 2020, und zwar in ungekürzter Höhe ab 1. 5. 2020, hilfsweise ab 15. 10. 2020. Infolge der Ratenzahlungsvereinbarung habe er seine Beiträge pensionswirksam entrichtet, er erfülle die Ausnahme des § 118 Abs 2 lit g GSVG iVm § 35 Abs 3 bzw Abs 4 GSVG. Da die Beklagte die Beiträge mit Schreiben vom 19. 5. 2020 endgültig bemessen habe, könnten diese pensionswirksam bis 2021 entrichtet werden. Mangels Fälligkeit der Beiträge sei die Aufrechnung unwirksam erklärt worden.

[5] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass der Kläger weder mit Ablauf des Kalendermonats, in den der Stichtag fiel, noch innerhalb der ihm gesetzten Nachfrist die rückständigen Beiträge entrichtet habe, sodass sie nicht für die Berechnung der Alterspension wirksam seien. Die Aufrechnung sei wirksam vor der Ratenzahlungsvereinbarung erklärt worden. Da jedoch die Quartalsanrechnung für die Monate Jänner bis April 2020 zu berücksichtigen sei, errechne sich die Alterspension des Klägers ab 1. 5. 2020 richtig mit 2.866,58 EUR brutto.

[6] Das Erstgericht erkannte dem Kläger eine Alterspension in Höhe von 2.866,58 EUR brutto ab 1. 5. 2020 zu und wies das Mehrbegehren in den verbundenen Verfahren ab.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[8] In seiner gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts gerichteten außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[9] 1.1 Der Kläger macht einen sekundären Feststellungsmangel geltend: Es hätte festgestellt werden müssen, dass die Sozialversicherungsbeitragsgrundlagen mit Schreiben der Beklagten vom 19. 5. 2020 endgültig bemessen worden seien, und zwar ausdrücklich für 2017 und durch „Versteinerung“ für die Folgejahre. Dass § 35 Abs 3 GSVG nur auf § 25 Abs 6 GSVG, nicht aber auf Abs 7 dieser Bestimmung verweise, sei eine unsachliche und daher gleichheitswidrige Differenzierung. Daher lägen die Voraussetzungen des § 35 Abs 3 GSVG vor und der Kläger habe gemäß § 118 Abs 2 lit g GSVG die Möglichkeit gehabt, die rückständigen Beiträge noch wirksam zu zahlen. Die erste Quartalsvorschreibung hätte erst am 1. 7. 2021 erfolgen dürfen. Darüber hinaus sei der Kläger ungeachtet des Pensionsantritts weiterhin erwerbstätig gewesen, sodass die Pflichtversicherung nach dem GSVG weiterhin aufrecht bestehe. Könnte er als erwerbstätiger Pensionist nicht mehr pensionswirksame Beiträge leisten, wäre dies eine unsachliche und gleichheitswidrige Benachteiligung gegenüber anderen erwerbstätigen Pflichtversicherten. Das Berufungsgericht habe seine Entscheidung mangelhaft begründet und damit seine Begründungspflicht verletzt.

[10] 1.2 Der Revisionswerber bestreitet nicht die Rechtsansicht der Vorinstanzen in Bezug auf die von der Beklagten erklärte Aufrechnung (§ 71 Abs 1 Z 1 GSVG), sodass dieser – rechtlich gesondert zu beurteilende – Aspekt für den Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbar ist (RIS‑Justiz RS0043338 [T15]).

[11] 2. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt dann keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vor, wenn das Gesetz selbst eine klare und eindeutige Regelung trifft (RS0042656). Das ist hier insbesondere in Bezug auf § 118 Abs 1 und Abs 2 lit g iVm § 35 Abs 3 GSVG der Fall. Die Vorinstanzen haben, beruhend auf dem Wortlaut des Gesetzes, ihre Rechtsansicht begründet dargelegt, sodass der behauptete Mangel des Berufungsverfahrens nicht vorliegt.

[12] 3.1 Gemäß § 115 Abs 1 Z 1 GSVG sind Zeiten der Beitragspflicht nach diesem Bundesgesetz als Beitragszeiten anzusehen, wenn die Beiträge wirksam (§ 118 GSVG) entrichtet worden sind. Für den Anspruch auf Leistung genügt es nicht, dass während einer bestimmten Dauer der Erwerbstätigkeit von Gesetzes wegen Pflichtversicherung bestanden hat; erst die tatsächliche Entrichtung der Beiträge für einen bestimmten Zeitraum qualifiziert die betreffende Zeit im Leistungsrecht als Beitragszeit. Unwirksame Beiträge wirken sich auf die Pension nicht aus, und zwar weder auf den Pensionsanspruch noch auf die Pensionshöhe (10 ObS 56/10y SSV‑NF 24/30; 10 ObS 100/13y SSV‑NF 27/61).

[13] 3.2 Beiträge, die nach dem Stichtag für einen anderen Zeitraum als für das letzte dem Stichtag unmittelbar vorangehende Kalendervierteljahr und für das Kalendervierteljahr, in das der Stichtag fällt, geleistet werden, sind für die Leistung aus dem eingetretenen Versicherungsfall unwirksam (§ 118 Abs 1 GSVG). Der Zweck dieser Bestimmung liegt darin, zu verhindern, dass der Versicherte durch spekulative Überlegungen das Versicherungsrisiko einseitig zu Lasten des Versicherungsträgers verschiebt (10 ObS 100/13y mwH).

[14] 3.3 § 118 Abs 1 GSVG ist gemäß § 118 Abs 2 lit g GSVG nicht anzuwenden auf Beiträge, die nach der Vorschrift des § 35 Abs 2 Satz 2, Abs 3 oder 4 GSVG entrichtet wurden. Da die Einkünfte von Selbständigen in der Regel erst im Nachhinein – nämlich mit Rechtskraft des Einkommensteuerbescheids – feststehen, erfolgt die Bildung der Beitragsgrundlagen im GSVG seit dem ASRÄG 1997, BGBl I 1997/139, nach dem System der permanenten Nachbemessung: Die Beiträge sind zunächst auf der Basis einer vorläufigen Beitragsgrundlage gemäß § 25a GSVG zu entrichten. An deren Stelle tritt gemäß § 25 Abs 6 GSVG nach Vorliegen des Einkommensteuerbescheids die endgültige Beitragsgrundlage (Pflug in Sonntag, GSVG10 § 25 GSVG Rz 3). Die Nachbemessung von Beiträgen bewirkt wiederum, dass die Beitragsschuld für das von der Feststellung einer höheren endgültigen Beitragsgrundlage betroffene Kalenderjahr trotz der für dieses Jahr bereits gezahlten vorläufigen Beiträge noch nicht vollständig entrichtet ist (Taudes in Sonntag, GSVG10 § 35 GSVG Rz 10). § 35 Abs 3 GSVG legt – ebenso wie § 35 Abs 4 GSVG für den Fall, dass die Pflichtversicherung bereits beendet ist (vgl 10 ObS 154/10k SSV‑NF 25/11) – die Fälligkeit für die Zahlung solcher Beiträge fest, um – in Verbindung mit § 118 Abs 2 lit g GSVG – der versicherten Person die Möglichkeit zu geben, einen Verlust von Beiträgen (Beitragsmonaten) zu verhindern.

[15] 4.1 Dem vom Revisionswerber hervorgehobenen Umstand, dass im Schreiben der Beklagten vom 19. 5. 2020 tatsächlich ausgeführt wird, dass die Beiträge für das Jahr 2017 endgültig bemessen wurden – worauf die Beklagte mit dem Hinweis, den Einkommensteuerbescheid für dieses Jahr erst im Jahr 2019 erhalten zu haben, in der Berufungsbeantwortung auch eingegangen ist – kommt vor dem Hintergrund des Wortlauts des § 35 Abs 3 GSVG keine rechtliche Bedeutung zu.

4.2 § 35 Abs 3 GSVG lautet (Hervorhebung durch den Senat):

„(3) Ergibt die Feststellung der endgültigen Beitragsgrundlage nach § 25 Abs. 6 eine Beitragsschuld der versicherten Person, so ist diese in dem Kalenderjahr, das der Feststellung der endgültigen Beitragsgrundlage folgt, in vier gleichen Teilbeträgen jeweils am Letzten des zweiten Monates der Kalendervierteljahre abzustatten. Abweichend davon ist unter Bedachtnahme auf die wirtschaftlichen Verhältnisse die Beitragsschuld auf Antrag der versicherten Person in den der Feststellung der endgültigen Beitragsgrundlage folgenden drei Kalenderjahren in zwölf gleichen Teilbeträgen jeweils am Letzten des zweiten Monates der Kalendervierteljahre abzustatten, soweit die endgültige Beitragsgrundlage nach § 25 Abs. 6 für das Kalenderjahr des erstmaligen Eintritts einer Pflichtversicherung und die darauf folgenden zwei Kalenderjahre festgestellt wird; der Antrag kann bis zum 31. März des Kalenderjahres, das der Feststellung der endgültigen Beitragsgrundlage folgt, gestellt werden. [Satz 3] Solche Beiträge sind jedenfalls mit Ablauf jenes Kalendermonates fällig, der dem Ende der Pflichtversicherung folgt oder in dem der Stichtag einer Pension aus eigener Pensionsversicherung liegt. Auf Antrag der versicherten Person kann, soweit dies nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen gerechtfertigt erscheint, die Beitragsschuld gestundet bzw deren Abstattung in Raten bewilligt werden. Eine Stundung der Beitragsschuld ist bis zum Ablauf eines Jahres nach Fälligkeit zulässig. Die Abstattung in Raten hat innerhalb eines Jahres zu erfolgen.“

[16] 4.3 Nach dem mit dem SRÄG 2010, BGBl I 2010/62, in § 35 Abs 3 GSVG eingefügten Satz 2 – seit dem SVÄG 2013, BGBl I 2013/86, nunmehr Satz 3 – sollen sich aus einer Nachbemessung ergebende Beiträge jedenfalls mit Ablauf jenes Kalendermonats fällig werden, der dem Ende der Pflichtversicherung folgt, oder in dem der Stichtag einer Pension aus eigener Pensionsversicherung liegt (Taudes in Sonntag, GSVG10 § 35 GSVG Rz 13). Die aus Nachbemessungen nach § 25 Abs 6 GSVG allenfalls resultierenden Nachbelastungen sollen daher auch in jenen Fällen sofort fällig gestellt werden, in denen – wie im vorliegenden Fall – die Pflichtversicherung anlässlich der Feststellung der Pension nicht beendet wird. Dies dient der Beschleunigung des Verfahrens zur Feststellung der Pension und vor allem der Entscheidung, wie weit Beiträge leistungswirksam im Sinn des § 118 GSVG gezahlt wurden (ErläutRV 785 BlgNR 24. GP  10).

[17] 4.4 Beruhend darauf haben die Vorinstanzen ausgeführt, dass aufgrund des Stichtags 1. 5. 2020 die Fälligkeit der Beitragsschuld des Klägers mit Ablauf des Monats Mai 2020 eingetreten ist. Dies wäre auch dann der Fall, wenn die Neubemessung von Beitragsgrundlagen nicht nur für das Jahr 2017 erfolgt wäre, sondern, worauf die Argumentation des Klägers im Ergebnis abzielt, infolge der „Versteinerung“ gemäß § 25 Abs 7 GSVG auch für die Folgekalenderjahre. Einer näheren Auseinandersetzung damit bedarf es daher nicht.

[18] 4.5 Die Vorinstanzen haben weiters rechtlich begründet ausgeführt, dass zwischen der Fälligkeit der Beiträge und deren Einzahlung zu unterscheiden sei. Sei die Zahlungsfrist verstrichen, so seien die Beiträge nicht mehr fällig, sondern rückständig (Galler in Neumann, GSVG für Steuerberater² [Stand 1. 1. 2018, rdb.at] § 35 GSVG Rz 5). Der Kläger habe die geschuldeten Beiträge weder innerhalb der Frist des § 35 Abs 3 Satz 3 GSVG gezahlt noch innerhalb der ihm von der Beklagten mit Schreiben vom 19. 5. 2020 gesetzten Stundungsfrist; außerdem habe er innerhalb dieser Fristen auch kein Ratenzahlungsgesuch (§ 35 Abs 3 Satz 4 GSVG) gestellt. Eine Berücksichtigung erst nachträglich (im Weg der nach Eintritt der Fälligkeit vereinbarten Ratenzahlungen) geleisteter Beitragszahlungen für die Pensionsberechnung sei daher nicht mehr möglich. Dieser im Einklang mit dem Wortlaut des Gesetzes stehenden rechtlichen Beurteilung tritt der Revisionswerber nicht entgegen. Der Umstand, dass der Kläger nach wie vor nach dem GSVG pflichtversichert ist, ändert an der eingetretenen Fälligkeit nichts.

[19] Die außerordentliche Revision ist daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 zurückzuweisen.

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