OGH 10ObS124/99d

OGH10ObS124/99d9.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl. Ing. Walter Holzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Andrea Svarc (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ing. Hans-Joachim F*****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. März 1999, GZ 8 Rs 305/98d-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. September 1998, GZ 9 Cgs 140/98b-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist zutreffend, sodass es ausreicht, auf deren Richtigkeit zu verweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Nach der ständigen Rechtsprechung dieses Senates werden behinderungsbedingte Kurzpausen in einer täglichen Gesamtdauer bis etwa 20 Minuten im Allgemeinen in der Wirtschaft toleriert, sodass diese Gruppe von Arbeitnehmern nicht auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen und deshalb nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist (SSV-NF 3/107, 4/10, 6/66, 6/86; 10 ObS 3/99k, 10 ObS 29/99h ua). Nach der ständigen Rechtsprechung dieses Senates ist auch kein Ausschluss vom allgemeinen Arbeitsmarkt anzunehmen, wenn die maßgebliche Gesamtdauer der voraussichtlichen Krankenstände nicht mehr als sechs Wochen beträgt (SSV-NF 6/70, 6/82, 7/76, 10/14, 12/79 ua). Auf diese Rechtsprechung weist der Revisionswerber selbst hin, meint jedoch, dass sich auch aus der Kumulierung von - jeweils isoliert betrachtet unter den obigen Grenzen liegenden - Kurzpausen und Krankenständen ein weiterer Ausschluss vom allgemeinen Arbeitsmarkt ergeben könne, wenn nämlich die prognostizierten Krankenstände und die auf volle Arbeitstage umgerechneten Kurzpausen zusammen sieben oder mehr Wochen erreichen. Ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen, dass bei ihm mit einer Gesamtkrankenstandsdauer von sechs Wochen zu rechnen sei und ihm täglich drei bis vier zusätzliche Pausen a 5 Minuten zur vermehrten Harnausscheidung wegen verstärkter Flüssigkeitsaufnahme einzuräumen seien, gelangt der Revisionswerber durch Umrechnung seiner Pausen (20 Minuten täglich mal 52 Wochen ergäben mehr als 10 Arbeitstage) auf eine Abwesenheit von insgesamt mehr als sieben Wochen und folgert hieraus seine Berufsunfähigkeit.

Den vom Revisionswerber angestellten Überlegungen kann nicht beigepflichtet werden. Er lässt nämlich unberücksichtigt, dass Krankenstände einerseits und zusätzliche Pausen andererseits im Hinblick auf deren Länge, zeitliche Lagerung, Vorhersehbarkeit etc den Arbeitsablauf in ganz unterschiedlicher Weise beeinflussen und demnach an die Toleranz des Arbeitgebers auch ganz unterschiedliche Anforderungen stellen. Gerade bei Angestellten ist das Aufsuchen der Toilette keineswegs nur während der Arbeitspausen üblich, sodass sich überhaupt die Frage stellt, ob es sich tatsächlich um drei bis vier "zusätzliche" Pausen handelt. Auf den Umstand, dass nach den allgemeinen Grundsätzen über die Verteilung der Beweislast bei der Möglichkeit mehrerer Zeitwerte ("drei bis vier ... Pausen") vom niedrigsten auszugehen ist, wurde im übrigen schon vom Berufungsgericht zutreffend hingewiesen (SSV-NF 10/133, 12/79; 10 ObS 75/99y ua). Eine Umrechnung von Pausen auf volle Tage ist daher - etwa über ein Jahr gesehen - zwar rechnerisch möglich, vermengt aber in unsachlicher Weise diese Unterschiede und führt zu mehr oder weniger zufälligen Ergebnissen. Beide Beeinträchtigungen - Pausen und Krankenstände - sind daher getrennt zu prüfen und nicht zusammenzurechnen und können jeweils Berufsunfähigkeit bewirken oder eben noch innerhalb jener Toleranzgrenze liegen, die noch kein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers verlangt. Auf die Berechnungen des Revisionswerbers, mit denen Pausen über einen Zeitraum von einem Jahr auf volle Tage umgerechnet werden, braucht daher nicht näher eingegangen werden.

Nicht zielführend ist auch das weitere Argument des Revisionswerbers, dass Arbeitgeber bei Krankenständen von Angestellten weniger Verständnis aufbrächten als bei Arbeitern, weil bei letzteren von vornherein auf Grund der stärkeren körperlichen Belastung mit beinahe doppelt so vielen Krankenstandstagen als bei den Angestellten zu rechnen sei. Seiner Ansicht, im Hinblick auf die ohnehin rückläufige Krankenstandsstatistik liege das zumutbare Ausmaß an Gesamtkrankenständen der Angestellten unter sieben Wochen, kann nicht beigepflichtet werden. Der Senat hat erst jüngst (SSV-NF 12/52; 10 ObS 175/98b; 10 ObS 396/98b) ausgeführt, dass in der Zahl statistischer Krankenstandstage und Krankenstandsfälle nicht so eine gravierende Änderung eingetreten sei, dass damit auch eine Änderung der bisherigen ständigen Rechtsprechung bezüglich der einen Arbeitsmarktausschluss bedingenden Krankenstandszeiten gerechtfertigt wäre. Auch der Umstand, dass die Arbeitsmarktlage gegenüber früher angespannter ist, bildet keinen Grund für ein Abgehen von dieser Judikatur (10 ObS 396/98b). Es wird auf einen Durchschnittswert der Beschäftigten aller Altersgruppen abgestellt (SSV-NF 3/45). Wie der Senat bereits in einer früheren Entscheidung begründet hat (SSV-NF 4/40) besteht zwischen Arbeitern und Angestellten hinsichtlich der Dauer der voraussichtlichen Krankenstände, welche zum Ausschluss vom Arbeitsmarkt führen, kein Unterschied. Dass die Krankenstände der Angestellten im Durchschnitt beträchtlich kürzer als jene der Arbeiter sind (vgl Wirtschafts- und sozialstatistisches Taschenbuch 1999, Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, 373), fällt nicht so entscheidend ins Gewicht, weil der Umstand, dass bei Angestellten, die unter das AngG oder das GutsangG fallen, § 8 EFZG nicht anzuwenden ist und der Arbeitgeber daher keinen Anspruch auf Erstattung des während des Krankenstandes fortgezahlten Entgelts hat, dadurch ausgeglichen wird, dass die Bindung zum Arbeitgeber bei Angestellten insbesondere bei qualifizierterer Tätigkeit gewöhnlich enger als bei Arbeitern ist. Dazu kommt noch, dass bei Angestellten für die Kündigung des Arbeitsvertrages in der Regel längere Fristen als bei Arbeitern gelten. Der Arbeitgeber wird bei Angestellten die Kündigung auch aus diesem Grund weniger leicht als bei Arbeitern in Betracht ziehen. Krankenstände schließen in erster Linie nämlich nicht deshalb vom allgemeinen Arbeitsmarkt aus, weil der Versicherte einen Arbeitsplatz nicht findet, sondern vor allem deshalb, weil die Gefahr einer Kündigung besteht (SSV-NF 4/40). Bei beiden Gruppen ist daher - wie schon oben dargelegt - erst bei voraussichtlichen Krankenständen von sieben Wochen jährlich von einem Ausschluss vom Arbeitsmarkt auszugehen.

Was schließlich die Frage eines Kuraufenthaltes des Klägers angeht, führte der Senat schon wiederholt aus, dass es - wie bei den Krankenständen (SSV-NF 3/120) - nicht darauf ankommt, ob der Versicherte einen Kuraufenthalt "in Anspruch nimmt" (bzw in Zukunft in Anspruch zu nehmen gedenkt), sondern nur darauf, ob dieser Kuraufenthalt zur Hintanhaltung einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus medizinischer Sicht notwendig ist (SSV-NF 3/120, 7/76, 8/120, 10/14). Dies ist beim Kläger nach den bereits vom Berufungsgericht näher benannten Verfahrensergebnissen nicht der Fall.

Die Revision des Klägers muss deshalb ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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