OGH 10ObS110/22g

OGH10ObS110/22g21.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Franz Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alfred Iser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch die Thurnherr Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. Juni 2022, GZ 210 Rs 4/22 t‑14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. März 2022, GZ 63 Cgs 6/22p-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00110.22G.0321.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,36 EUR (darin enthalten 69,38 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist die Mutter des am 30. Juli 2021 geborenen R*. In der Zeit vom 17. Juni 2021 bis 4. November 2021 bezog sie Wochengeld.

[2] Am 26. August 2021 beantragte die Klägerin die Zuerkennung von pauschalem Kinderbetreuungsgeld als Konto in der Variante „365 Tage ab Geburt des Kindes“ für die höchstmögliche Bezugsdauer (30. Juli 2021 bis 29. Juli 2022). Am 18. Oktober 2021 stellte die beklagte Österreichische Gesundheitskasse eine Leistungsmitteilung gemäß § 27 Abs 1 KBGG aus, in der die Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld für die Zeit von 5. November 2021 bis 29. Juli 2022 mit 33,88 EUR pro Tag bemessen wurde.

[3] Am 3. November 2021 beantragte die Klägerin, die ursprünglich gewählte Variante auf die Variante „851 Tage ab der Geburt“ zu ändern.

[4] Mit Bescheid vom 20. Dezember 2021 wies die Beklagte den Antrag ab. Da die Klägerin im Antragszeitpunkt noch kein Kinderbetreuungsgeld bezogen habe, sei (sie nach § 5a Abs 2 KBGG nicht antragslegitimiert und) der Antrag abzuweisen.

[5] Mitihrer Klage begehrt die Klägerin, ihr ab 5. November 2021 pauschales Kinderbetreuungsgeld (in der Variante „851 Tage ab der Geburt“) von 14,53 EUR täglich zu zahlen. Es sei zwar richtig, dass sie den Antrag am vorletzten Tag des Wochengeldbezugs gestellt habe. Dennoch sei sie der „beziehende Elternteil“ iSd § 5a Abs 2 Satz 2 KBGG, weil damit auch der antragstellende Elternteil gemeint sei, der tatsächlich noch kein Kinderbetreuungsgeld beziehe.

[6] Die Beklagtehält dem entgegen, dass nach dem klaren Wortlaut des § 5a Abs 2 Satz 2 KBGG eine Änderung des Bezugszeitraums nur vom zu diesem Zeitpunkt tatsächlich beziehenden Elternteil gestellt werden könne. Während Bezugslücken wie einem Ruhen nach § 6 Abs 1 KBGG infolge Wochengeldbezugs sei daher eine Änderung der gewählten Variante nicht möglich.

[7] Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Der Wortlaut des § 5a Abs 2 KBGG lege zwar rein begrifflich die Notwendigkeit eines tatsächlichen Bezugs nahe. Allerdings habe der Gesetzgeber mit dieser Regelung lediglich eine Änderung durch den zu diesem Zeitpunkt nicht bezugsberechtigten Elternteil verhindern wollen. Das zeige sich vor allem darin, dass er nicht auf den in § 3 Abs 5 KBGG verwendeten Begriff des „tatsächlichen Bezugs“ zurückgegriffen habe. So wie beim Erfordernis des Bezugs von Familienbeihilfe (§ 2 Abs 1 Z 1 KBGG) sei daher auch im Zusammenhang mit § 5a Abs 2 Satz 2 KBGG davon auszugehen, dass ein Anspruch aber kein tatsächlicher Bezug „über Null“ vorliegen müsse, um als beziehender Elternteil zu gelten. Dafür sei vielmehr relevant, welcher Elternteil zuletzt den Antrag auf Auszahlung gestellt habe, da eine Änderung nur auf diesen Elternteil unmittelbare Auswirkung habe. Ein vorübergehendes Ruhen des Anspruchs bewirke daher keinen Wegfall der Antragslegitimation. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil der Oberste Gerichtshof zum Begriff des „beziehenden Elternteils“ noch nicht Stellung genommen habe.

[8] MitihrerRevisionstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage an.

[9] In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, die Revision zurückzuweisen, eventualiter, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist abernicht berechtigt.

[11] In ihrer Revision vertritt die Beklagte weiterhin den Standpunkt, dass der Gesetzgeber in § 5a Abs 2 KBGG bewusst vom „beziehenden“ Elternteil und nicht etwa – wie in § 5a Abs 1 KBGG – vom „antragstellenden“ oder vom „anderen“ Elternteil spreche. Da im KBGG kein Bezug in Höhe von „Null“ vorgesehen sei, könne als „beziehender Elternteil“ nur gelten, wer tatsächlich Kinderbetreuungsgeld erhalte.

[12] Dem ist nicht zu folgen.

[13] 1. Nach § 5a Abs 1 KBGG idF BGBl I 2016/53 ist die Anspruchsdauer (§ 3 Abs 1 und 2, § 5 Abs 1 und 2 KBGG) bei der erstmaligen Antragstellung verbindlich festzulegen, wobei der antragstellende und der andere Elternteil an den sich daraus ergebenden Tagesbetrag gebunden sind.

[14] Darauf aufbauend normiert § 5a Abs 2 KBGG (idF BGBl I 2016/53) auszugsweise:

„Eine spätere Änderung der festgelegten Anspruchsdauer ist nur einmal pro Kind auf Antrag und nur bis spätestens 91 Tage vor Ablauf der ursprünglich beantragten Anspruchsdauer möglich. Die Änderung kann nur auf Antrag des beziehenden Elternteiles erfolgen. Die Änderung bindet auch den anderen Elternteil. Die Änderung der Anspruchsdauer ist […] ausgeschlossen, sofern dadurch vergangene Bezugszeiträume nachträglich geändert werden sollen. Die Änderung bewirkt, dass die Eltern so zu stellen sind, wie sie stünden, wenn von Anfang an die nun geänderte Anspruchsdauer festgelegt worden wäre, weshalb die durch die Änderung ausgelöste Neubemessung des Tagesbetrages einen Nachzahlungsanspruch oder eine Rückzahlungsverpflichtung für vergangene Zeiträume auslöst. [...] Hat der andere Elternteil bereits Kinderbetreuungsgeld bezogen, so ist eine Änderung nur bei ausdrücklicher Zustimmung dieses Elternteiles möglich; ... .“

[15] Die Gesetzesmaterialien erläutern dazu zunächst, dass der erstantragstellende Elternteil mit der Wahl der Anspruchsdauer den Tagesbetrag festlegt, woran beide Elternteile gebunden sind. „Die dem zweitantragstellenden Elternteil zur Verfügung stehende Anspruchsdauer hängt somit wiederum (auch) vom feststehenden Tagesbetrag ab. Die Eltern sollten aus diesem Grund bei der Wahl der Anspruchsdauer einvernehmlich vorgehen.“ Zur Möglichkeit der Änderung der Bezugsdauer wird (nur) ausgeführt, dass die mit dem Antrag festgelegte Anspruchsdauer bei jedem Kind nur einmal durch einen der beiden Elternteile geändert werden kann, wozu „ein eigener Änderungsantrag vom beziehenden Elternteil“ einzubringen ist. Zudem wird darauf verwiesen, dass aus dem geänderten Tagesbetrag ein Anspruch auf Nachzahlung oder eine Rückzahlungspflicht resultiert, je nachdem, ob der Anspruchszeitraum verkürzt oder verlängert wird. Eine Änderung ist (demgemäß) „ohne weiteres möglich, wenn der andere Elternteil noch nicht Kinderbetreuungsgeld bezogen hat. Hat der andere Elternteil bereits bezogen, so würde der ändernde Elternteil rückwirkend in dessen Rechtsposition eingreifen. Ein derartiger Eingriff kann ohne Zustimmung des Betroffenen nicht erfolgen. Eine Änderung in solchen Fällen kann somit nur erfolgen, wenn der andere Elternteil ausdrücklich seine Zustimmung zur Änderung (mit allen Konsequenzen) erklärt“ (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP  6 und 7). Daraus ergibt sich nur, dass grundsätzlich ein einvernehmliches Vorgehen beider Elternteile gewollt ist und der andere Elternteil der Änderung des Anspruchszeitraums zustimmen muss, wenn er bereits Kinderbetreuungsgeld bezogen hat. Für die hier interessierende Auslegung des Begriffs „beziehender Elternteil“ lässt sich hingegen nichts Entscheidendes ableiten.

[16] 2. Der Ausdruck „beziehender Elternteil“ wird allerdings auch in den §§ 3 Abs 3, 24b Abs 5, 24e, 31 Abs 3b und 42 KBGG verwendet. Im Kontext dieser Regelungen ist naheliegend, dass damit jener Elternteil gemeint ist, der Kinderbetreuungsgeld tatsächlich bezieht. Im Zweifel ist daher davon auszugehen, dass der Ausdruck auch in § 5a Abs 2 KBGG dasselbe bedeutet (RIS‑Justiz RS0008797; 10 ObS 22/11z SSV‑NF 25/52 ua). Dieses Verständnis liegt auch der Entscheidung zu 10 ObS 26/16w SSV‑NF 30/35 – zum vormaligen § 7 Abs 4 KBGG (idF vor BGBl 2016/53) – zugrunde (ErwG 3. und 5.2.) und wird in der Lehre vertreten (Holzmann‑Windhofer in Holzmann‑Windhofer/Weißenböck KBGG2 § 5a 111 f).

[17] 3. Das steht der von den Vorinstanzen im Ergebnis vorgenommenen teleologischen Reduktion aber nicht entgegen, durch die der ratio legis ja gerade gegenüber einem überschießenden Gesetzeswortlaut zum Durchbruch verholfen (RS0008979) und unverständliche, nicht sachgerechte oder ungerechte Ergebnisse, die sich bei einer undifferenzierten Gesetzesanwendung ergeben, vermieden werden sollen (10 ObS 192/21i; 10 ObS 61/18w SSV‑NF 32/46 ua). Die dafür notwendige Voraussetzung eines klar in eine bestimmte Richtung weisenden Gesetzeszwecks, an dem sich die letztlich den Gesetzeswortlaut korrigierende Auslegung orientieren soll (RS0106113 [T3]; RS0008880 [T23]; Bydlinski in KBB6 § 7 Rz 2 ua), haben die Vorinstanzen zu Recht angenommen:

[18] 3.1. Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass der Gesetzgeber ein einvernehmliches Vorgehen beider Elternteile präferiert. Abgesehen von der Anordnung der grundsätzlichen Verbindlichkeit der einmal getroffenen Wahl der Anspruchsdauer besteht in dieser Konstellation kein weiterer Regelungsbedarf. In diesem Zusammenhang soll § 5a Abs 1 und 2 KBGG daher – ebenso wie etwa § 2 Abs 3 KBGG – in erster Linie Sicherheit für Fälle schaffen, in denen ein Einvernehmen nicht (mehr) besteht, indem vorweg der andere Elternteil an die Wahl der Bezugsdauer durch den Antragsteller gebunden wird. Im Fall der Änderung der Bezugsdauer soll sodann der erstbeziehende Elternteil gegen eine für ihn allenfalls nachteilige spätere Änderung durch den nunmehr beziehenden Elternteil geschützt werden. Im Licht des darin zum Ausdruck kommenden Regelungsziels ist auch die hier interessierende Beschränkung der Antragslegitimation auf den „beziehenden“ Elternteil zu sehen. Damit soll verhindert werden, dass die Anspruchsdauer (bzw der Tagesbetrag) gegen den Willen des derzeit beziehenden Elternteils verändert wird, weil ihn die Änderung unmittelbar betrifft und er im Vertrauen auf die erfolgte Wahl der Anspruchsdauer unter Umständen bereits Dispositionen getroffen hat. Dieses Schutzbedürfnis fällt nicht weg, wenn es während des von ihm beantragten (und gewährten) Anspruchszeitraums zu einem Ruhen kommt. Insofern entspricht es dem Telos des § 5a Abs 2 KBGG, dem anderen Elternteil auch während solcher Zeiten keine Legitimation für einen Änderungsantrag einzuräumen. Warum jedoch während eines Ruhens nunmehr auch der andere Elternteil, dessen Bezug noch gar nicht begonnen hat oder der – wie hier – Kinderbetreuungsgeld gar nicht begehrt vor einer Änderung der Anspruchsdauer geschützt werden müsste, ist nicht erkennbar. Es ist auch nur schwer zu argumentieren, den anderen Elternteil an die ursprüngliche Wahl und die Änderung der Anspruchsdauer während des tatsächlichen Bezugs zu binden, ihn während Zeiten eines vor allem nur vorübergehenden Ruhens des Anspruchs hingegen genau davor zu schützen. Vor dem Hintergrund des klaren (Schutz‑)Zwecks der Regelung wäre es im Gegenteil ein nicht erklärbarer Systembruch, einem Elternteil innerhalb des von ihm beantragten (und gewährten) Anspruchszeitraums in Zeiten eines Ruhens des Anspruchs die Berechtigung zur Änderung der Anspruchsdauer zu verwehren. Auch die Beklagte führt dafür keine stichhältigen Gründe an.

[19] 3.2. Richtig ist demgegenüber, dass ein Abstellen darauf, wer zuletzt den Antrag gestellt hat, nicht überzeugt, weil es sich nicht in die Konzeption des § 5a KBGG einfügt. Für einen Änderungsantrag nach § 5a Abs 2 KBGG ist vielmehr der Elternteil legitimiert, in dessen beantragten (und gewährten) Anspruchszeitraum die durch das Ruhen bewirkte „Bezugslücke“ fällt. Da ein Ruhen nur die Leistungspflicht des Versicherungsträgers sistiert, der Anspruch auf die ruhenden Leistungen hingegen gewahrt bleibt (RS0083756; Atria in Sonntag, ASVG13 Vor §§ 89 ff Rz 1), trifft das hier auf die Klägerin zu.

[20] 4.1. Zusammenfassend sind die Vorinstanzen daher zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass § 5a Abs 2 Satz 2 KBGG bei einem Sachverhalt wie dem vorliegenden – gemessen an seinem Zweck – überschießend ist. Die Regelung ist daher teleologisch dahin zu reduzieren, dass ein Elternteil unter den weiteren Voraussetzungen des § 5a Abs 2 KBGG auch während eines Ruhens des Anspruchs einen Änderungsantrag stellen kann, sofern das Ruhen in den von ihm beantragten (und gewährten) Anspruchszeitraum fällt.

[21] 4.2. Das Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 5a Abs 2 KBGG bestreitet die Beklagte ebenso wenig, wie Dauer und Höhe des von den Vorinstanzen zuerkannten Kinderbetreuungsgeldes.

[22] 5. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

[23] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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