OGH 10ObS105/04w

OGH10ObS105/04w22.12.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Mag. Dr. Günther Schön (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Paul F*****, vertreten durch Dr. Johannes Hintermayr und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, 1081 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Mai 2004, GZ 11 Rs 34/04f-20, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. Jänner 2004, GZ 19 Cgs 172/03t-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1. den

Beschluss

gefasst:

Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 14. 7. 2003 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 26. 5. 2003 auf Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung aus Anlass seiner Erkrankung (chronisch depressive Störungen und Angstpanik) gemäß §§ 88 ff B-KUVG mangels Vorliegens einer Berufskrankheit ab.

Mit seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger, die beklagte Partei zur Gewährung einer Versehrtenrente ab 1. 1. 2001 im gesetzlichen Ausmaß zu verpflichten, in eventu festzustellen, dass er am 1. 7. 2000 Anspruch auf Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß gehabt habe. Die chronisch depressiven Störungen und die Angstpanik, an denen er leide und die der Grund seiner Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand gewesen seien, seien auf das berufliche Umfeld zurückzuführen und daher als Berufskrankheit im Sinn des § 92 Abs 3 B-KUVG zu werten.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Erkrankung des Klägers sei keine Berufskrankheit.

Das Erstgericht wies das Klagehaupt- und -eventualbegehren ab. Es stellte fest:

Der am 18. 1. 1953 geborene Kläger leidet im Wesentlichen an einer Angstpanik-Störung und einer chronifizierten depressiven Störung. Im Persönlichkeitsinventar finden sich Auffälligkeiten in den Skalenbereichen schizoid, paranoid und Selbstunsicherheit. Diese Auffälligkeiten erreichen noch nicht die Dimension einer Persönlichkeitsstörung, es sind aber Persönlichkeitsmerkmale vorhanden, die in entsprechenden Belastungssituationen dekompensieren können - dann auch mit einer klinisch-krankheitswertigen Symptomatik. Beim Kläger ist es zu einem Ineinandergreifen von exogenen (belastungsbedingten) und persönlichkeitsbedingten Faktoren gekommen.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Erkrankung des Klägers sei nicht unter die in Anlage 1 zum ASVG enthaltenen Krankheiten zu subsumieren. Es liege auch ein Fall der Generalklausel nicht vor, wonach eine Erkrankung im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen als Berufskrankheit anerkannt werden könne.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes könne die Feststellung einer Berufskrankheit im Sinn des § 92 Abs 3 B-KUVG nur vom Träger der Unfallversicherung vorgenommen werden und bedürfe überdies zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Bundesministers für soziale Verwaltung. Diese Feststellungsbefugnis könne schon deshalb nicht sukzessive in die Kompetenz der Sozialgerichte übergehen, weil zufolge des in Art 94 B-VG verankerten Grundsatzes der Trennung der Justiz von der Verwaltung die Wirksamkeit einer gerichtlichen Entscheidung nicht davon abhängen könne, dass sie einer Zustimmung durch die Verwaltungsbehörde bedürfe. Die Frage, ob eine nicht im Anhang 1 zum ASVG enthaltene Krankheit dennoch als konkrete Berufskrankheit gemäß § 92 Abs 3 B-KUVG anerkannt werden könnte, könne daher als Vorfrage im sozialgerichtlichen Verfahren nicht geprüft werden. Solange das Vorliegen einer Berufskrankheit im Sinne des § 92 Abs 3 B-KUVG vom dazu ausschließlich zuständigen Träger der Unfallversicherung nicht festgestellt worden sei, fehle es an den Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Versehrtenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers an der engen Formulierung des § 92 Abs 3 B-KUVG könnten nicht geteilt werden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, jene im klagestattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

1. Die Revisionsbeantwortung ist verspätet.

Eine vom Obersten Gerichtshof freigestellte Beantwortung einer außerordentlichen Revision (§ 508a Abs 2 ZPO) ist vom Revisionsgegner binnen vier Wochen ab Zustellung der Mitteilung des Obersten Gerichtshofes, dass ihm die Beantwortung der Revision freigestellt werde, beim Revisionsgericht einzubringen (§ 507a Abs 1, Abs 2 Z 3 und Abs 3 Z 2 ZPO).

Der beklagten Partei wurde die Mitteilung (§ 508a Abs 2 ZPO) am 12. 11. 2004 zugestellt. Sie brachte ihre Revisonsbeantwortung am 7. 12. 2004 beim Erstgericht ein, das den Schriftsatz an den Obersten Gerichtshof weiterleitete, bei dem er am 13. 12. 2004 einlangte. Wird ein Rechtsmittel bei einem funktionell nicht zuständigen Gericht (Erstgericht) eingebracht, so ist es zwar von Amts wegen an das funktionell zuständige Gericht weiterzuleiten, doch ist für die Rechtzeitigkeit der Zeitpunkt des Einlangens bei diesem Gericht maßgebend (RIS-Justiz RS0043678). Da dieser Zeitpunkt im vorliegenden Fall nach dem Ablauf der Revisionsbeantwortungsfrist liegt, war die Revisionsbeantwortung wegen Verspätung zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

2. Die Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehlt, ob eine Angstpanik-Störung und eine chronifizierte depressive Störung eine Berufskrankheit im Sinn des § 92 B-KUVG sind (sein können). Sie ist aber nicht berechtigt.

Im Fall einer durch einen Dienstunfall oder eine Berufskrankheit verursachten körperlichen Schädigung des Versicherten ist als Leistung der Unfallversicherung ua Versehrtenrente zu gewähren (§ 88 Z 1 lit d B-KUVG).

Nach § 92 Abs 1 B-KUVG „gelten" - in inhaltlicher Übereinstimmung mit § 177 ASVG - als Berufskrankheit nur die in der Anlage 1 zum ASVG bezeichneten Krankheiten unter den dort angeführten Voraussetzungen. Die Regelung enthält keine inhaltliche Umschreibung des Begriffs „Berufskrankheit", sondern verweist auf die Liste der Berufskrankheiten, Anlage 1 zum ASVG. Bei den in dieser Liste unter 52 laufenden Nummern genannten taxativ (SSV-NF 2/88) aufgezählten Erkrankungen bzw Leidenszuständen („abstrakte Berufskrankheiten") ist offensichtlich nur die körperliche Komponente erfasst. Psychische Erkrankungen scheinen in dieser Liste nicht auf (vgl SSV-NF 1/30 „paranoidales Syndrom"). Dass das beim Kläger vorliegende psychische Leiden (Angstpanik-Störung und chronifizierte depressive Störung) nicht unter die in der Anlage 1 zum ASVG bezeichneten Krankheiten fällt, stellt auch die Revision nicht in Abrede.

Gemäß § 92 Abs 3 B-KUVG gilt eine Krankheit, die ihrer Art nach nicht in Anlage 1 zum ASVG enthalten ist, im Einzelfall als Berufskrankheit, wenn die Versicherungsanstalt auf Grund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse feststellt, dass diese Krankheit ausschließlich oder überwiegend durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen bei einer vom Versicherten ausgeübten Beschäftigung entstanden ist; diese Feststellung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung. Diese Regelung, die der durch die 32. ASVG-Novelle eingeführten Bestimmung des § 177 Abs 2 ASVG nachgebildet ist, setzt also als Ursache für eine Berufskrankheit voraus, dass diese Krankheit ausschließlich oder überwiegend durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen bei einer vom Versicherten ausgeübten Berufstätigkeit entstanden ist.

Es zeigt sich somit, dass der Gesetzgeber nicht jede Krankheit, die als Folge dienstlicher Einwirkungen auftreten kann, als Berufskrankheit gelten lässt, sondern sich im Wesentlichen des Enumerationsprinzips bedient. Auch die mit § 92 Abs 3 B-KUVG erfolgte Erweiterungsmöglichkeit für konkrete Einzelfälle sieht als Tatbestandselement nur die Einwirkung von schädigenden Stoffen oder Strahlen vor. Daraus ist zu schließen, dass psychische Faktoren von vornherein nicht als Berufskrankheit anerkannt sind (in diesem Sinn auch VwGH VwSlg 14807 A/1997).

Dies erkennt auch die Revision, macht sie doch geltend, § 92 Abs 3 B-KUVG verstoße gegen das Gleichheitsgebot des Art 7 B-VG, weil diese Regelung infolge ihrer engen Fassung alle psychischen Erkrankungen als Berufskrankheiten ausschließe. Die enge Formulierung habe zur Folge, dass ausschließlich Arbeitnehmer - vorwiegend Arbeiter - geschützt seien, die zum Großteil in der Schwerindustrie arbeiteten und deren Tätigkeit physische Schäden am Körper verursacht habe. Völlig außer Acht gelassen würden jene Personenkreise, die auf Grund ihrer beruflichen Verantwortung, des großen Zeitdrucks oder durch Mobbing am Arbeitsplatz und den dadurch verursachten Stresssituationen, einer enormen psychischen Belastung ausgesetzt seien und deshalb an einer körperlichen und/oder psychischen Beeinträchtigung leiden.

Dem ist zu erwidern:

Der Gesetzgeber hat sich - wie dargelegt - nicht dazu entschließen können, jede Krankheit als Berufskrankheit anzuerkennen, die als Folge arbeitsbedingter Einwirkungen auftreten kann. Um die Unfallversicherung nicht mit den Unsicherheiten der medizinischen Ätiologie zu belasten, hat er sich selbst vorbehalten, im Einzelnen festzulegen, welche Krankheiten unter welchen Voraussetzungen als Berufskrankheiten gelten. Das Ergebnis findet sich in der Berufskrankheitenliste, die als Anlage 1 Bestandteil des ASVG ist (Tomandl in Tomandl, SV-System, 13. Erg-Lfg, 272; SSV-NF 2/88). Nach den Materialien zur 32. ASVG-Novelle (RV 181 BlgNR 14. GP 71) lag der Grund der Einführung des § 177 Abs 2 - dem § 92 Abs 3 B-KUVG inhaltlich entspricht - darin, dass „die rasche Entwicklung auf technischem Gebiet, insbesondere in der Schaffung und Entstehung neuer chemischer Stoffe", in der letzten Zeit wiederholt Schädigungen bei Versicherten hervorbringt, „die einwandfrei durch Stoffe oder Strahlen entstanden sind, denen sie bei ihrer versicherungsbegründenden Beschäftigung ausgesetzt waren, ohne dass diese Schädigung innerhalb einer Arbeitsschicht eingetreten ist oder die Erkrankung im Sinne der derzeitigen Gesetzesbestimmung als Berufskrankheit angesehen werden kann". In diesem Zusammenhang erweise sich die ausschließliche Feststellung der als Berufskrankheiten zu entschädigenden Krankheiten als ein „zu grobes Instrument, mit dem solche besonders gelagerte Einzelfälle nicht hinreichend berücksichtigt werden können". Im Allgemeinen werde die Anerkennung einer in der Anlage 1 nicht enthaltenen Krankheit als Berufskrankheit im Einzelfall eine Vorstufe zur Erweiterung der Anlage 1 des ASVG darstellen (RV aaO 72). Als Sicherung für eine einheitliche Anwendungspraxis wurde die Mitwirkung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vorgesehen (RV aaO 72). Der vorgesehene Ausdruck „durch die Verwendung schädigender Stoffe oder schädigende sonstige Einwirkungen" wurde auf Antrag des Ausschusses, „um Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden", durch den Ausdruck „durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen" ersetzt (AB 388 BlgNR 14. GP 8). Der Wortlaut des § 177 Abs 2 oder des § 92 Abs 3 B-KUVG und die dargelegte Entstehungsgeschichte zeigen klar, dass der Gesetzgeber der 32. ASVG-Novelle mit der Schaffung dieser Normen nicht auf eine Lückenlosigkeit des Systems zielte, in dem jede irgendwie mit der Berufstätigkeit in Zusammenhang stehende Krankheit als Berufskrankheit anzuerkennen ist. Nach Auffassung des Senats liegt die Entscheidung für ein nicht auf Lückenlosigkeit abzielendes Regelungssystem der Berufskrankheiten im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Sozialversicherungsgesetzgebers. Zur angeregten Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof sieht sich der Senat daher nicht veranlasst.

Auf die Kritik des Revisionswerbers an der vom Senat in ständiger Rechtsprechung (SSV-NF 1/30; jüngst 10 ObS 183/04; RIS-Justiz RS0084390, RS0084386) vertretenen Auffassung, dass die Feststellung einer Krankheit als Berufskrankheit im Sinne des § 177 Abs 2 ASVG oder des § 92 Abs 3 B-KUVG durch die Arbeits- und Sozialgerichte nicht möglich ist, musste nicht eingegangen werden, weil das psychische Leiden des Klägers nicht als Berufskrankheit anzusehen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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