Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger bezieht von der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt zur Abgeltung der Folgen des Arbeitsunfalls vom 14. 12. 1992 eine Versehrtenrente von 40 vH der Vollrente.
Mit Bescheid vom 6. 8. 2002 hat die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt dem Antrag des Klägers vom 29. 4. 2002 auf Abfindung der Versehrtenrente nicht stattgegeben.
Das Erstgericht hat die gegen diesen Bescheid erhobene Klage (die beklagte Partei zu verpflichten, dem Kläger den Abfindungsbetrag von 123.795,30 EUR samt 4 % Zinsen seit 20. 4. 2002 zu bezahlen) mit der Begründung zurückgewiesen, dass Begehren auf Rentenabfindungen keine Leistungssachen iSd § 65 Abs 1 Z 1 ASGG seien, weshalb der Rechtsweg unzulässig sei.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Klägers Folge. Es hob den angefochtenen Beschluss auf und trug dem Erstgericht auf, das Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund fortzusetzen. Der Oberste Gerichtshof sei in seiner Entscheidung vom 18. 2. 2003 von seiner früheren Rechtsprechung abgerückt und habe die Zulässigkeit einer Klage gegen eine Ermessensentscheidung des Versicherungsträgers bejaht. Die Versehrtenrente in der Unfallversicherung stelle eine gesetzliche Pflichtleistung dar. Die Gewährung der Abfindung einer Rente nach § 184 Abs 1 und 2 ASVG liege nach herrschender Auffassung im freien Ermessen des Sozialversicherungsträgers. Auch bei Pflichtleistungen ohne individuellen Rechtsanspruch sei aber nach nunmehriger Ansicht des Höchstgerichts eine Klage wegen gesetzwidriger Ermessensausübung zulässig. Es sei daher notwendig, dass das Erstgericht die erforderlichen Feststellungen treffe, die zur Prüfung geeignet seien, ob eine gesetzmäßige Ermessensübung der beklagten Partei vorliege. So seien unter anderem auch Feststellungen über die geplante Verwendung des Abfindungsbetrags und die Auswirkungen des Wegfalls der Versehrtenrente auf die Einkommenssituation des Klägers erforderlich.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil das Rekursgericht der zitierten neuesten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gefolgt sei, weshalb eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht vorliege.
Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen, in eventu die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt in seiner "außerordentlichen Revisionsrekursbeantwortung", den Revisionsrekurs der beklagten Partei mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, in eventu dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der in diesem Verfahren ergangenen Entscheidung vom 7. 10. 2003, 10 ObS 226/03p, ausgesprochen hat, handelt es sich bei einem "aufhebenden" Beschluss des Rekursgerichts, mit dem ein Zurückweisungsbeschluss des Erstgerichtes beseitigt wird, der wegen des Fehlens von Prozessvoraussetzungen oder des Vorliegens eines Prozesshindernisses ergangen ist, in Wahrheit um eine abändernde Entscheidung (RIS-Justiz RS0044033; RS0044035; RS0044037; RS0044125), weil sich die Notwendigkeit der Fortsetzung des Verfahrens nur als Folge der "aufhebenden Entscheidung" ergibt (8 Ob 48/02w; 1 Ob 504/90 uva). Die Anfechtbarkeit der "aufhebenden Entscheidung" richtet sich daher nicht nach § 527 Abs 2 ZPO, sondern nach § 528 ZPO (vgl 8 Ob 48/02w). Demnach ist der Revisionsrekurs nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt (§ 528 Abs 1 ZPO).
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs der beklagten Partei zulässig, da eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehlt, ob - entsprechend den Grundsätzen der Entscheidung 10 ObS 258/02t - auch die Verweigerung der Abfindung einer Versehrtenrente durch den Unfallversicherungsträger mit Klage vor dem Sozialgericht bekämpfbar ist.
Der Revisionsrekurs ist jedoch nicht berechtigt.
In ihrem Rechtsmittel vertritt die beklagte Partei zusammengefasst die Ansicht, dass es im vorliegenden Fall nicht - wie in der Grundsatzentscheidung des OGH vom 18. 2. 2003, 10 ObS 258/02t - um einen klagbaren Leistungsanspruch oder um eine Leistung gehe, die nach pflichtgemäßen Ermessen zu gewähren sei, sondern um die Frage der Abfindung eines sonst unstrittigen Anspruchs. § 184 ASVG bestimme die Möglichkeit der Abfindung ausdrücklich als rein freiwillige Leistung des Versicherungsträgers. Die beklagte Partei habe aus budgetären Gründen beschlossen, bis auf Weiteres den Anträgen auf Abfindung von Renten nicht zuzustimmen sowie aus Gründen der Gleichbehandlung auch keine Ausnahmen zuzulassen. Im Jahresvoranschlag 2004 des Versicherungsträgers seien keine Rentenabfindungen vorgesehen. Mit seiner Entscheidung greife das Rekursgericht rechtswidrigerweise in die finanzielle Gebarung des Sozialversicherungsträgers ein. Im Übrigen habe keine unsachliche Ermessensausübung stattgefunden.
Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Nach § 184 Abs 1 ASVG können Versehrtenrenten von nicht mehr als 25 vH der Vollrente mit Zustimmung des Versehrten durch Gewährung eines dem Werte der Rente entsprechenden Kapitals abgefunden werden. Auf Antrag des Anspruchsberechtigten kann der Träger der Unfallversicherung auch eine Versehrtenrente von mehr als 25 vH der Vollrente ganz oder teilweise mit dem dem Wert der Rente oder des Rententeiles entsprechenden Kapital abfinden, wenn die zweckmäßige Verwendung des Abfindungsbetrages gesichert ist (§ 184 Abs 2 ASVG). Über die Abfindung eines Leistungsanspruchs hat der Versicherungsträger einen Bescheid zu erlassen (§ 367 Abs 2 ASVG).
Der Oberste Gerichtshof ist in der Entscheidung vom 18. 2. 2003, 10 ObS 258/02t (DRdA 2004/22, Naderhirn = SVSlg 48.369; RIS-Justiz RS0117386) nach ausführlicher Darstellung und Abwägung der Lehrmeinungen der auf Oberndorfer (Grundprobleme des Vewaltungsverfahrens in der österreichischen Sozialversicherung, ZAS 1973, 215 f) zurückgehenden Auffassung gefolgt und hat - in Abkehr von der früheren Rechtsprechung (zB SSV-NF 1/13 [Unfallverhütungsmaßnahmen], SSV-NF 3/68 = SZ 62/103 [Maßnahmen der Krankheitsverhütung], SSV-NF 3/87 [Erhöhung der Versehrtenrente nach § 205 Abs 3 ASVG]) - für das Begehren auf Gewährung von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation in der Krankenversicherung nach § 154a ASVG den Rechtsweg für zulässig erklärt. Der Versicherte hat demnach im Bereich dieser Maßnahmen zwar keinen individuellen Rechtsanspruch auf Leistung, wohl aber einen Anspruch auf gesetzmäßige Ermessensausübung, die auch verfahrensmäßig nachprüfbar sein muss. In der Entscheidung wird ausdrücklich erwähnt, dass es sich bei den genannten Maßnahmen der Rehabilitation "um eine im pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers liegende Gewährung freiwilliger Leistungen" (ohne individuellen Rechtsanspruch) handelt.
Der differenzierenden Ansicht der beklagten Partei, wonach die in der genannten Entscheidung aufgestellten Grundsätze nicht auf den Fall der Ablehnung der Abfindung einer Versehrtenrente übertragbar seien, weil es sich dabei um eine "rein freiwillige Leistung" des Versicherungsträgers handle, kann nicht beigetreten werden. Schrammel (Verfügungen über Leistungsansprüche aus der Sozialversicherung [1982] 76 ff, insb 80) und ihm folgend Fink (Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen [1995] 152) bejahen - ungeachtet des Fehlens eines Rechtsanspruchs des Versicherten auf Abfindung - eine Anfechtbarkeit des die Abfindung verweigernden Bescheides beim Arbeits- und Sozialgericht, wobei nach Schrammel die richterliche Tätigkeit auf die Kontrolle der fehlerfreien Ermessensausübung beschränkt ist, wie auch in der Entscheidung 10 ObS 258/02t zum Ausdruck kommt (ebenso Resch, Formvorschriften im Verfahren vor den Sozialversicherungsträgern, ZAS 1992, 81 [84] zu freiwilligen Leistungen aus der Krankenversicherung).
Im Gegensatz zur Ansicht der beklagten Partei fehlt sowohl bei den in der Entscheidung 10 ObS 258/02t in Frage stehenden Maßnahmen der Rehabilitation in der Krankenversicherung (§ 154a ASVG) als auch bei der Abfindung einer Versehrtenrente in gleicher Weise ein individueller Rechtsanspruch. Die Entscheidung über das entsprechende Begehren ist jeweils in das Ermessen des Versicherungsträgers gestellt. In beiden Fällen ist bei Ablehnung des Begehrens des Versicherten ein Bescheid zu erlassen (wobei im Bereich der Krankenversicherung zur Vereinfachung der Verwaltungspraxis noch erforderlich ist, dass eine Bescheiderlassung begehrt wird). Gerade bei der Ablehnung der Abfindung wäre die Bescheidpflicht unverständlich, wenn die Entscheidung eine "rein freiwillige" Leistung wäre, die nicht einmal von pflichtgemäßen Ermessen getragen sein müsste.
Da beide Konstellationen gleich gelagert sind und insbesondere das Rechtsschutzbedürfnis des Versicherten bei Ablehnung seines Begehrens in gleicher Weise gegeben (oder nicht gegeben) ist, kann auch der von der beklagten Partei im vorliegenden Fall erlassene Bescheid vom 6. 8. 2002 entsprechend den in der Entscheidung 10 ObS 258/02t aufgestellten Grundsätzen im Rahmen der sukzessiven Zuständigkeit beim Sozialgericht angefochten werden. Selbst wenn kein individueller Rechtsanspruch auf Abfindung der Rente vorliegt, besteht ein Anspruch des Versicherten auf gesetzmäßige Ermessensübung, der auch verfahrensmäßig nachprüfbar sein muss. Nach zutreffender Ansicht ist die im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebrachte Ermessensübung auf ihre Sachlichkeit kontrollierbar (siehe Schrammel aaO), wobei nur eine Rechtskontrolle, nicht auch eine Zweckmäßigkeitskontrolle durchzuführen ist (Binder, ZAS 1992, 100 im Kommentar zur Entscheidung ZAS 1992/12).
Von diesen Grundsätzen ist das Rekursgericht im angefochtenen Beschluss ausgegangen und es ist das Ergebnis seiner rechtlichen Ausführungen - die ersatzlose Aufhebung des erstinstanzlichen Zurückweisungsbeschlusses - zu bestätigen. Auf die bei der Nachprüfung auf einen etwaigen Ermessensmissbrauch zu beachtenden Kriterien ist im derzeitigen Verfahrensstadium nicht einzugehen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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