OGH 10Ob96/05y

OGH10Ob96/05y18.10.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der nunmehr volljährigen Nicole C*****, geboren am 5. September 1986, sowie des minderjährigen Sascha C*****, geboren am 15. März 1989, dieser vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsfürsorge für den 21. Bezirk, 1210 Wien, Am Spitz 1, infolge Revisionsrekurses der Mutter Michaela C*****, vertreten durch Dr. Günter Tews, Rechtsanwalt in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 8. Juni 2005, GZ 45 R 165/05f-68, womit infolge Rekurses der Mutter der Beschluss des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 18. Februar 2005, GZ 1 P 500/01h-58, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die in der Abweisung des Unterhaltsmehrbegehrens von EUR 110 monatlich ab 1. 10. 2003 für den minderjährigen Sascha und von EUR 90 monatlich ab 1. 10. 2003 für Nicole von dieser Entscheidung als unbekämpft unberührt bleiben, werden im übrigen Umfang aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Text

Begründung

Das Erstgericht verpflichtete die Mutter zu monatlichen Unterhaltsleistungen, und zwar für Nicole vom 1. 1. 2002 bis 30. 9. 2003 von EUR 60 und ab 1. 10. 2003 von EUR 150 sowie für Sascha vom 1. 1. 2002 bis 30. 9. 2003 von EUR 60, vom 1. 10. 2003 bis 30. 3. 2004 von EUR 153 und ab 1. 4. 2003 von EUR 170 monatlich, und wies das darüber hinausgehende Mehrbegehren - rechtskräftig - ab. Nach seinen Feststellungen ist die Mutter außer für die beiden genannten Kinder noch für den am 1. 4. 2001 geborenen minderjährigen Alexander, der bei ihr lebt, sorgepflichtig. Sie bezog in der Zeit vom 8. 1. 2002 bis 9. 1. 2003 von der Sozialabteilung der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach Aushilfen in Höhe von insgesamt EUR 7.008,34, worin allerdings auch der Lebensbedarf für den minderjährigen Alexander enthalten ist. In der Zeit vom 7. 2. 2003 bis 6. 5. 2003 erhielt die Mutter für sich und ihren Sohn Alexander von der Magistratsabteilung 12 (Wien Sozial) insgesamt EUR 2.585,70. Die ausschließlich für den Lebensbedarf der Mutter bestimmten Aushilfen betragen seit 7. 2. 2003 EUR 390,33 monatlich.

Seit 1. 1. 2003 ist die Mutter beim Arbeitsmarktservice Wien arbeitsuchend gemeldet. Sie ist gelernte Friseurin, hat aber ihren erlernten Beruf seit ihrem Lehrabschluss kaum ausgeübt. Seit 1. 3. 2004 absolviert sie eine Ausbildung zur Pflegehelferin.

Die Mutter muss für die von ihr mitbewohnte Wohnung keine Miete bezahlen.

Nicole C***** besuchte vom 15. 9. 2002 bis 8. 2. 2005 eine Schule für allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege in Wien. Sie bezog im ersten Jahr ein Taschen- und Versorgungsgeld von EUR 312,33 und im zweiten Jahr ein solches von EUR 378,50 monatlich. Im Februar 2005 beendete sie aufgrund psychischer Probleme vorzeitig die Schulausbildung. Sie bemüht sich derzeit um eine Lehrstelle als Restaurantfachfrau.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, die Mutter müsse sich bis 30. 9. 2003 zu der von ihr bezogenen Sozialhilfe auch eine Mietzinsersparnis von EUR 300 monatlich als Einkommen anrechnen lassen, welches damit in diesem Zeitraum insgesamt ca. EUR 690 monatlich betragen habe. Ab 1. 10. 2003 betrage die Unterhaltsbemessungsgrundlage EUR 900 monatlich, weil die Mutter ab diesem Zeitpunkt unter Anspannung ihrer Kräfte als Friseurhilfskraft ein Durchschnittseinkommen in Höhe von EUR 900 monatlich netto hätte erzielen können. Die Höhe des Unterhalts erachtete das Erstgericht für Nicole mit 19 %, für Sascha bis 31. 3. 2004 bis 17 % und danach ebenfalls mit 19 % des Durchschnittseinkommens der Mutter als angemessen.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Rekursgericht dem Rekurs der Mutter insoweit Folge, als es die Mutter zu einer monatlichen Unterhaltsleistung an die beiden Kinder in Höhe von jeweils EUR 60 monatlich ab 1. 1. 2002 verpflichtete und das Mehrbegehren - unbekämpft - abwies. Das Rekursgericht vertrat die Auffassung, dass eine auf die abgeschlossene Friseurlehre gestützte Anspannung der Mutter nicht in Betracht komme, weil sie diesen Beruf nach der Aktenlage seit ihrer Lehre nicht mehr ausgeübt und seit der Geburt von Nicole im September 1986 den Haushalt geführt und die ehelichen Kinder betreut habe. Die Absolvierung eines einjährigen Pflegehilflehrganges sei ihr daher nunmehr zuzugestehen, da sie in diesem Bereich künftig sicherlich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben werde. Das Rekursgericht räumte zwar ein, dass bei einem Unterhaltsschuldner mit einem Einkommen im Bereich des sogenannten Unterhaltsexistenzminimums wohl nicht von den tatsächlichen Kosten der von diesem in der Regel ohne Wahlmöglichkeit (z. B. bei den Eltern, einem Lebensgefährten oder Freund etc) zu wesentlich günstigeren Bedingungen benützten Wohnung oder von durchschnittlichen Wohnungskosten ausgegangen werden könne, es komme aber der Frage nach der Höhe einer Mietzinsersparnis bzw eines entsprechenden Sachbezuges im vorliegenden Fall ohnedies keine Bedeutung zu. Der Mutter sei nämlich unabhängig von der Höhe ihrer Wohnungskosten zur Deckung ihrer sonstigen Bedürfnisse Sozialhilfe in Höhe von ca. EUR 400 monatlich gewährt worden, sodass ihr eine monatliche Unterhaltsleistung von jeweils EUR 60 für die beiden Kinder zumutbar sei, weil auch ein pflichtbewusster Unterhaltsschuldner seine Kinder im Normalfall an seinen, wenngleich kärglichen Einkommensverhältnissen teilhaben lassen würde.

Das Rekursgericht sprach zunächst aus, dass gegen seine Entscheidung der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Über Antrag der Mutter änderte es seinen Ausspruch dahin ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch zulässig sei.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes richtet sich der auf dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag auf gänzliche Abweisung des Unterhaltsfestsetzungsantrages der Kinder für die Zeit vom 1. 1. 2002 bis 30. 4. 2005. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der minderjährige Sascha, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, und die mittlerweile volljährige Nicole beantragten in ihren Revisionsrekursbeantwortungen sinngemäß, dem Rechtsmittel der Mutter keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.

Die Revisionsrekurswerberin verweist zunächst zutreffend darauf, dass in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes - soweit überblickbar - nur solche Zuwendungen als die Bemessungsgrundlage erhöhend angesehen wurden, auf die der Unterhaltsschuldner einen Rechtsanspruch hat. Bloß freiwillig geleistete, jederzeit widerrufliche Zuwendungen von Familienangehörigen, die ohne rechtliche Verpflichtung aus familiären Gründen erbracht werden, fallen nicht darunter. Eine ohne Rechtsanspruch unentgeltlich und gegen jederzeitigen Widerruf zur Verfügung gestellte Wohnmöglichkeit stellt daher kein regelmäßiges Einkommen des Unterhaltsschuldners dar (6 Ob 5/04k). Die bloße Feststellung des Erstgerichtes, „die Mutter müsse nach eigenen Angaben für die von ihr mitbewohnte Wohnung keine Miete bezahlen" rechtfertigt daher noch nicht die Berücksichtigung einer fiktiven Mietzinsersparnis oder eines entsprechenden Sachbezuges als unterhaltsrelevantes Einkommen der Unterhaltsschuldnerin.

Strittig ist im Revisionsrekursverfahren auch die Höhe der von der Revisionsrekurswerberin im relevanten Zeitraum ab 1. 1. 2002 bezogenen und in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehenden Sozialhilfeleistungen. Während die Revisionsrekurswerberin davon ausgeht, dass lediglich der Richtsatz für Sozialhilfe in Höhe von EUR 390, nicht jedoch darüber hinausgehende Mietzuschüsse und Heizbeihilfen als zweckgebundene Unterstützungen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen seien, vertritt der Jugendwohlfahrtsträger in seiner Revisionsrekursbeantwortung demgegenüber die Auffassung, dass auch Heizbeihilfe und Mietzuschuss als Einkünfte zu berücksichtigen seien. Die Revisionsrekurswerberin habe für den Zeitraum vom 7. 2. 2003 bis 6. 5. 2003 insgesamt EUR 2.585,70 an Sozialhilfe für sich und den bei ihr lebenden minderjährigen Alexander erhalten. Es seien ihr daher für den eigenen Lebensbedarf zumindest EUR 560 (monatlich) an Sozialhilfe zur Verfügung gestanden, sodass sie in der Lage gewesen sei, den zugesprochenen Unterhalt zu leisten.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, dass auch Sozialleistungen, die nicht dem Ausgleich eines bestimmten Mehraufwandes für einen Sonderbedarf dienen oder nach gesetzlichen Bestimmungen auf den Unterhalt nicht anrechenbar sind, als Einkommen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen werden. Daher wurden in der Rechtsprechung die Sozialhilfe nach verschiedenen Landesgesetzen, die Notstandshilfe, die Ausgleichszulage und das Karenzurlaubsgeld als Einkommen qualifiziert, Pflegegeld und Hilflosenzuschuss aber nicht, soweit damit ein Mehraufwand (Sonderbedarf) gedeckt wird (RIS-Justiz RS0047456 [T 5, T 11]; RS0047465; RS0080395). Die Sozialhilfe hat ebenso wie eine Ausgleichszulage oder Notstandshilfe subsidiären fürsorgerechtlichen Charakter und soll die Führung eines menschenwürdigen Lebens ermöglichen. Eine Sozialhilfezahlung fällt in die freie Verfügbarkeit des Beziehers und dient nicht der Abgeltung eines bestimmten Sonderbedarfs, weshalb sie ebenso wie die Notstandshilfe oder die Ausgleichszulage als Einkommen der Bemessungsgrundlage zugrundezulegen ist (1 Ob 550/94 mwN). Es ist dabei entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin nicht nur der Richtsatz, sondern es sind auch zusätzliche Beihilfen beispielsweise für Unterkunft und Heizung, deren Bedarf von den Richtsätzen nicht erfasst wird, zu berücksichtigen (vgl 3 Ob 250/97d). Übereinstimmung besteht zwischen den Parteien darin, dass nur der auf die Mutter und nicht auch der auf ihren minderjährigen Sohn entfallende Anteil an Sozialhilfeleistungen bei der Unterhaltsbemessungsgrundlage zu berücksichtigen ist (vgl ebenfalls 3 Ob 250/97d).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen keine ausreichenden Feststellungen über die genaue Höhe der von der Mutter für ihren Lebensbedarf im relevanten Zeitraum ab 1. 1. 2002 bezogenen Sozialhilfeleistungen vor. Das Erstgericht hat zwar Feststellungen über die Höhe der von der Mutter im Zeitraum vom 8. 1. 2002 bis 6. 5. 2003 insgesamt bezogenen Sozialhilfeleistungen getroffen, der Anteil der davon auf den Lebensbedarf der Mutter entfallenden Leistungen lässt sich diesen Feststellungen jedoch nicht entnehmen. Die Mutter hat dazu angegeben, sie habe in der Zeit vom 1. 12. 2001 bis 28. 1. 2003 von der Sozialabteilung der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach Sozialhilfe von EUR 526 monatlich und ab Februar 2003 von der Magistratsabteilung 12 (Wien Sozial) eine Aushilfe von EUR 624,86 monatlich für sich und den minderjährigen Alexander erhalten (vgl ON 14 und ON 25). In ihrem Vermögensbekenntnis vom 24. 6. 2003 (ON 29) gab sie an, dass die Sozialhilfe ab 1. 7. 2003 nur noch EUR 390 monatlich betrage. Aus der von ihr mit ihrem Rekurs (ON 59) vorgelegten Bestätigung vom 4. 3. 2005 ergibt sich aber wiederum, dass die Mutter zuletzt Sozialhilfe inklusive Mietzuschuss und Heizbeihilfe in Höhe von EUR 634,74 monatlich bezogen hat.

Erst nach Vorliegen entsprechender Feststellungen über die genaue Höhe der von der Mutter im verfahrensrelevanten Zeitraum ab 1. 1. 2002 für ihren Lebensbedarf bezogenen Sozialhilfeleistungen wird die weitere Frage, ob sie zumutbarerweise eine Geldunterhaltsleistung für die beiden Kinder erbringen konnte, beantwortet werden können. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes dienen die Bestimmungen der EO als Orientierungshilfe bei der Ermittlung der Belastungsgrenze im Rahmen der Unterhaltsbemessung. Die Grenze des § 291b EO kann jedoch im Hinblick auf § 292b EO nicht als Untergrenze der Belastung des Unterhaltsschuldners bei der Unterhaltsbemessung herangezogen werden. Bei Nichtzulangen des nach Abzug des nach § 291b EO verbleibenden Existenzminimums für die Befriedigung der laufenden Unterhaltsansprüche müssen sich nicht nur alle Unterhaltsberechtigten einen anteiligen Abzug gefallen lassen, sondern es haben sich der Unterhaltsschuldner und die Unterhaltsberechtigten den Fehlbetrag angemessen zu teilen. Eine genaue Berechnung scheidet jedoch aus, es ist vielmehr im Einzelfall eine nach den gegebenen Umständen noch am ehesten tragbare Regelung zu treffen. Dem Verpflichteten hat ein Betrag zu verbleiben, der zur Erhaltung seiner Körperkräfte und seiner geistigen Persönlichkeit notwendig ist (ÖA 2003, 272/U 402 mwN). Der erkennende Senat ist der Ansicht, dass ein der Mutter verbleibendes Einkommen von lediglich EUR 270 monatlich selbst unter der Annahme, dass sie sich den Wohnungsaufwand als Teil der allgemeinen Lebenshaltungskosten ersparen konnte, jedenfalls unter dieser zumutbaren Belastungsgrenze gelegen wäre (vgl 3 Ob 4/03i; 5 Ob 48/04a), wobei bei Nicole auch zu berücksichtigen ist, dass sie selbst sogar ein höheres Taschen- und Versorgungsgeld bezogen hat.

Aus den dargelegten Gründen waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen, soweit sie dem Unterhaltsfestsetzungsantrag stattgaben, aufzuheben, und es war dem Erstgericht insoweit eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

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