OGH 10Ob68/18z

OGH10Ob68/18z13.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. J* geboren * 2001,2. R*, geboren * 2002, 3. E*, geboren * 2004, und 4. S*, geboren * 2006, alle vertreten durch das Land Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Wiener Kinder‑ und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirk 22, 1220 Wien, Simone‑de‑Beauvoir‑Platz 6), wegen Unterhaltsvorschuss, über die Revisionsrekurse des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, sowie der mj S* gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. April 2018, GZ 44 R 133/18m, 44 R 134/18h, 44 R 135/18f, 44 R 136/18b‑42, mit dem die Beschlüsse des Bezirksgerichts Liesing vom 5. Februar 2018, GZ 5 Pu 75/17a‑26–28, bestätigt wurden und der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 5. Februar 2018, GZ 5 Pu 75/17a‑29, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123485

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs des Bundes wird zurückgewiesen.

Dem Revisionsrekurs des Kindes wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Rekursgerichts wird in Ansehung des Kindes S* aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

 

Begründung:

Die in den USA geborenen Kinder zogen mit ihrer Mutter etwa 2010 nach Österreich, wo sie seither gemeinsam leben. Der Vater mit US‑amerikanischer Staatsangehörigkeit lebt in den USA. Alle Kinder sind ebenfalls Staatsangehörige der USA. Strittig ist, ob das jüngste Kind – so wie seine älteren Geschwister – zusätzlich noch über die ungarische Staatsangehörigkeit verfügt.

Den Kindern wurde mit Beschlüssen des Erstgerichts vom 2. 4. 2013 (ON 5–8) monatliche Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG gewährt. Dem lag zugrunde, dass sich der Vater und Unterhaltsschuldner mit unbekannter Anschrift in den USA aufhalte und nicht erreichbar sei und die Kinder Staatsangehörige der USA und Ungarns seien.

Mit Beschlüssen vom 5. 2. 2018 wurden allen Kindern die Richtsatzvorschüsse weiter gewährt (ON 26–29).

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes teilweise Folge. Es wies den Antrag des jüngsten Kindes auf Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse ab. In dem Weitergewährungsantrag werde – im Gegensatz zu jenen der drei anderen Kinder – die Staatsangehörigkeit nur mit „USA“ angeführt. In Ansehung der drei anderen Kinder bestätigte es die Weitergewährung. Nach § 11 Abs 2 UVG seien die Voraussetzungen der Gewährung von Vorschüssen bloß glaubhaft zu machen. Die von einem Kind dargestellte Kommunikation mit dem Vater über Facebook ließe zwar zu, direkt oder indirekt Informationen über den Vater und seine derzeitigen Lebensverhältnisse (damit über die für Unterhaltsbemessungen und ‑vorschussgewährung maßgeblichen Umstände) zu erhalten. Die Abklärung dieser Frage erfordere jedoch die Überprüfung der Aussage anhand vorzulegender Chatprotokolle, was innerhalb eines angemessenen und abschätzbaren Zeitraums nicht möglich erscheine. Der Revisionsrekurs wurde zur Klärung der inhaltlichen Anforderungen an eine Erklärung iSd § 11 Abs 2 UVG bei Kontakten eines Familienmitglieds zum sonst unbekannt aufhältigen Unterhaltsschuldner über soziale Netzwerke bei einer beantragten Weitergewährung von Vorschüssen des § 4 Z 2 UVG zugelassen.

Rechtliche Beurteilung

Der von den Kindern beantwortete Revisionsrekurs des Bundes, der die Weitergewährung der Vorschüsse an die drei älteren Kinder bekämpft, ist entgegen dem nach § 71 Abs 1 AußStrG nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Der vom Bund beantwortete Revisionsrekurs des jüngsten Kindes ist hingegen zulässig und im Sinn einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung berechtigt.

1. Das Gericht ist nicht berechtigt, im Zusammenhang mit der Weitergewährung den ursprünglichen Gewährungsbeschluss zu überprüfen. Es hat, abgesehen vom –– hier nicht vorliegenden – Fall des § 18 Abs 2 UVG, vielmehr nur zu prüfen, ob die früheren Gewährungsgrundlagen noch gegeben sind (10 Ob 2/13m, RIS‑Justiz RS0122248 [T4 und T5]). Der Antrag auf Weitergewährung ist damit an weniger strenge Voraussetzungen geknüpft als die Erstgewährung. Das Kind hat im Wesentlichen bloß zu behaupten, dass die Voraussetzungen, die bei der Erstgewährung angenommen wurden, weiterhin gegeben sind (10 Ob 22/18k, RIS‑Justiz RS0122248 [T7]).

2. Den Kindern wurde wegen Aussichtslosigkeit der Schaffung eines Titels gegen den in den USA mit unbekanntem Aufenthalt lebenden Vater Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2 UVG gewährt. Laut der im Obsorgeakt erliegenden Mitteilung des Vertreters der Kinder vom 1. 6. 2007 kommuniziert zumindest das älteste Kind mit seinem Vater „lose über Facebook“. Eine Aufforderung des Erstgerichts zur Bekanntgabe des derzeitigen Aufenthalts und einer Adresse des Vaters ließ die Mutter unbeantwortet. Der Bund sieht darin erhebliche Bedenken begründet, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Vorschüssen nach § 4 Abs 2 UVG nach wie vor vorliegen. Seiner Auffassung nach müsse der Vertreter der Kinder zumutbare weitere Nachforschungen über eine zustellfähige Adresse des Unterhaltsschuldners anstellen, zumal eine Kommunikation in sozialen Netzwerken regelmäßig einen (mehr oder weniger tiefen) Einblick in die persönlichen Verhältnisse des jeweiligen Mitglieds ermögliche.

3. Nach der Rechtsprechung wäre das Unterlassen zumutbarer Bemühungen um die Schaffung eines Exekutionstitels gegen den Unterhaltsschuldner im Zusammenhang mit einem Weitergewährungsantrag von Amts wegen aufzugreifen; ein solches Verhalten würde die Weitergewährung hindern (RIS‑Justiz RS0076105). Praktisch aussichtslose Versuche einer Unterhaltsfestsetzung sind vom Kind jedoch nicht zu fordern (RIS‑Justiz RS0076105 [T3]).

Aus dem Akt ergibt sich kein konkreter Anhaltspunkt auf den tatsächlichen Aufenthaltsort des Vaters in den USA. Nach den Angaben des KJHT sowie der Mutter gibt es – mit Ausnahme der losen Kommunikation via Facebook – seit Jahren keinen Kontakt zum Vater. Auch das kommunizierende Kind kennt die Anschrift nicht. Zu 10 Ob 1/11m hat der Oberste Gerichtshof im Fall einer Erstgewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 2 UVG die Einschaltung eines Detektivs zur Ausforschung des Aufenthaltsorts des Unterhaltsschuldners im Vereinigten Königreich als dem unterhaltsberechtigten Kind nicht zumutbare Maßnahme angesehen. Ähnliche Überlegungen bieten sich in diesem Weitergewährungsverfahren mit eingeschränkter Überprüfungspflicht an. Im Revisionsrekurs wird auch nicht aufgezeigt, welche Maßnahmen möglich sind, um auf die im Unterhaltsvorschussverfahren generell gebotene rasche und einfache Weise (vgl Neumayr in Schwimann/Kodek 4 § 11 UVG Rz 9 f) die Anschrift eines in den USA lebenden Unterhaltsschuldners (nur) über dessen Registrierung bei Facebook festzustellen.

4. Die vom Rekursgericht gestellte Frage lässt sich somit anhand der bestehenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Sinn der zweitinstanzlichen Entscheidung beantworten. Eine erhebliche Rechtsfrage stellt sich nicht.

5. Es ist nicht strittig, dass das ebenfalls in Österreich lebende jüngste Kind zufolge § 2 Abs 1 Satz 1 UVG iVm Art 18 Abs 1 AEUV nur dann Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse hat, wenn es nicht nur Staatsangehörige der USA, sondern auch Ungarns als Mitgliedstaat der Union ist (Neumayr in Schwimann/Kodek 4 § 1 UVG Rz 37; 10 Ob 19/13m; RIS‑Justiz RS0124262).

6. Während im Antrag auf erstmalige Gewährung von Unterhaltsvorschüssen alle vier Kinder als Staatsbürger Ungarns und der USA bezeichnet wurden, wird in den Anträgen auf Weitergewährung (AS 91 bis 97) zwischen dem jüngsten Kind und seinen Geschwistern differenziert. Bei letzteren findet sich zur Staatsangehörigkeit die Bezeichnung „H“, beim jüngsten Kind hingegen „USA“. Die älteren Kinder tragen den Familiennamen der Mutter, das jüngste jenen des Vaters. In den vom KJHT vorgelegten Auszügen aus dem Zentralen Melderegister vom 15. 3. 2007 (ON 17) werden alle vier Kinder als in den Vereinigten Staaten geborene Staatsangehörige Ungarns und der Vereinigten Staaten bezeichnet. Nach der ZMR‑Auskunft vom 5. 2. 2018 sind die älteren Kinder Staatsangehörige Ungarns, das jüngste Kind Staatsangehörige der Vereinigten Staaten.

7. Das Gericht hat vor Antragsabweisung zu versuchen, Unklarheiten durch rasch durchführbare Erhebungen aufzuklären und auf eine Substantiierung des Vorbringens zu den Anspruchsvoraussetzungen hinzuwirken (Neumayr in Schwimann/Kodek 4 § 11 UVG Rz 11 mwN). Diese Aufklärungs‑ und Anleitungspflicht trifft auch das Rechtsmittelgericht (vgl 2 Ob 549/93). Sie besteht auch gegenüber dem KJHT (10 Ob 40/10w).

8. Aufgrund der Diskrepanzen und Ungereimtheiten zum Fortbestand der Doppelstaatsbürgerschaft macht das jüngste Kind in seinem Revisionsrekurs zu Recht eine Verletzung dieser Aufklärungs‑ und Anleitungspflicht durch das Rekursgericht geltend. Die Aktenlage erklärt nicht eindeutig, warum nur das jüngste Kind, das nach der Sachlage, die der Gewährung zugrunde lag, auch ungarische Staatsangehörige war, diese Eigenschaft verloren haben sollte. Die Tatsache der nach wie vor aufrechten ungarischen Staatsangehörigkeit lässt sich auf relativ einfache Weise wie beispielsweise durch Vorlage von Urkunden nachweisen. Der Oberste Gerichtshof ist aber auch im außerstreitigen Verfahren nicht Tatsacheninstanz (RIS‑Justiz RS0007236), weshalb die Erörterung und Klärung dieser Frage dem Rekursgericht obliegt.

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