OGH 2Ob549/93(2Ob550/93, 2Ob551/93, 2Ob552/93, 2Ob553/93, 2Ob554/93, 2Ob555/93)

OGH2Ob549/93(2Ob550/93, 2Ob551/93, 2Ob552/93, 2Ob553/93, 2Ob554/93, 2Ob555/93)8.7.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Nicole

S*****, geboren am ***** Natascha S*****, geboren am ***** Richard

S*****, geboren am ***** Jasmin S*****, geboren am ***** Roland S*****, geboren am ***** sowie Stefanie und Ronald S*****, geboren je am ***** infolge Revisionsrekurses des Vaters Richard S*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 30.März 1993, GZ 44 R 151 bis 157/93-14, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Favoriten vom 2.Februar 1993, GZ 6 P 57/93-2 bis 8, abgeändert wurden, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die genannten Minderjährigen sind eheliche Kinder des Richard S***** und der Dana S*****, die sich seit 22.1.1993 in Untersuchungshaft befindet. Am 29.1.1993 beantragte der Vater die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 3 UVG.

Mit Beschlüssen vom 2.Februar 1993 (ON 2 bis 8 dA) gewährte das Erstgericht den mj. Kindern für die Zeit vom 1.1.1993 bis 31.12.1995 Richtsatzvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG, weil die Mutter als Unterhaltsschuldner seit 22.1.1993 mit unbekanntem Haftende eine "Freiheitsstrafe verbüße".

Das Gericht zweiter Instanz gab dem von der Mutter der Minderjährigen gegen diese Beschlüsse erhobenen Rekurs Folge und änderte die Beschlüsse des Erstgerichtes im Sinne der Abweisung der Unterhaltsvorschußanträge des Vaters ab, wobei es aussprach, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Das Rekursgericht erachtete die im Rekurs wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs der Mutter geltend gemachte Nichtigkeit bzw. Mangelhaftigkeit des Verfahrens als nicht gegeben, weil der Unterhaltsschuldner gemäß § 12 UVG nur zu hören sei, wenn dadurch Zweifel über das Vorliegen der Voraussetzungen geklärt werden könnten und das Verfahren nicht verzögert werde; das rechtliche Gehör werde durch die Zulässigkeit der Geltendmachung von Neuerungen im Rahmen des § 10 AußStrG gewahrt, wovon die Rekurswerberin auch Gebrauch mache. Sie führe aus, daß sie als haushaltsführende Mutter die Kinder betreut habe und daher nicht geldunterhaltspflichtig sei. Dem § 4 Z 3 UVG liege nicht die Voraussetzung zugrunde, daß für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch ein im Inland vollstreckbarer Unterhaltstitel bestehe oder überhaupt eine Geldunterhaltsverpflichtung vorliege, da es ohne Zweifel zulässig sei, Unterhaltsvorschüsse zu gewähren, wenn der bisher Naturalunterhalt gewährende Vater in Haft genommen und ihm damit die Möglichkeit genommen werde, für das Familieneinkommen zu sorgen. Der Gesetzeswortlaut allein stehe daher der Vorschußgewährung nicht entgegen. Dem Unterhaltsvorschußgesetz liege aber der Gedanke zugrunde, daß der Staat einspringen solle, wenn dem Kind (direkt oder indirekt) keine Geldmittel mehr zuflössen, nicht aber dann, wenn das Familieneinkommen weiterfließe, aber die Betreuungsleistungen der Mutter durch deren Inhaftierung wegfielen (Knoll, Kommentar zum UVG, Rz 8 zu § 1 UVG). Auch bei Haftvorschuß biete die an sich mögliche Leistungsfähigkeit die Basis der Bevorschussung (Knoll aaO, Rz 21, 24). Der letzte Halbsatz des § 4 Z 3 UVG "...und er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann", sei daher so zu verstehen, daß die Haft kausal für die Nichterfüllung der Unterhaltsansprüche sein müsse; das hieße, daß der Vorschuß die Folgen der haftbedingten Leistungsunfähigkeit substituiere, wobei der Gesetzgeber davon ausgehe, daß die Arbeitskraft der Deckungsfonds für die Unterhaltsansprüche sei (Knoll, aaO, Rz 27 zu § 4 UVG). Im vorliegenden Fall sei die Mutter durch den Antritt der Untersuchungshaft daran gehindert worden, ihre 7 Kinder weiter zu betreuen, wogegen der Deckungsfonds für ihre übrigen Bedürfnisse, das Arbeitseinkommen des Vaters, dadurch nicht berührt werde. Die Unterhaltsvorschüsse substituierten daher im vorliegenden Fall nicht die Mittel, die der Deckung der Unterhaltsbedürfnisse der Kinder dienten, sondern die Betreuung und Erziehung der Kinder durch die Mutter, was durch das UVG nicht beabsichtigt sei. Es seien daher nach dem eindeutigen Zweck des UVG keine Unterhaltsvorschüsse zu gewähren und komme es daher auch nicht darauf an, ob die Kinder vom Vater tatsächlich betreut würden, was im Antrag auch gar nicht behauptet worden sei. Die im Rekurs ebenfalls aufgestellte Behauptung, die Mutter habe auch zum Geldunterhalt beigetragen, beziehe sich auf die frühere Vergangenheit und nicht auf den Sachverhalt im Zeitpunkt vor Antritt der Untersuchungshaft. Eine Anspannung auf eine außerhäusliche Erwerbstätigkeit sei im Hinblick auf die Betreuungsverpflichtung für 7 Kinder im Alter von 2 bis 11 Jahren völlig unzumutbar. Obwohl demnach keine Unterhaltsvorschüsse zu gewähren seien, sei der Vollständigkeit halber erwähnt, daß sich die Höhe der Richtsatzvorschüsse ohnedies aus § 6 UVG und den dort zitierten Bestimmungen des ASVG ergäben, sodaß sie in den Unterhaltsgewährungsbeschlüssen nicht genannt werden müßten. Die angefochtenen Beschlüsse seien daher im Sinne einer Abweisung der Vorschußanträge abzuändern gewesen.

Den Ausspruch über die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses begründete das Rekursgericht mit dem Fehlen einer Judikatur zu einem vergleichbaren Fall.

Gegen diesen Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Revisionsrekurs des ehelichen Vaters der Minderjährigen mit dem Antrag, die Entscheidung des Rekursgerichtes im Sinne der erstinstanzlichen Zuerkennung der Unterhaltsvorschüsse abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist im Sinne des in dem gestellten Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof billigt die vom Rekursgericht unter Berufung auf Knoll, Kommentar zum UVG, Rz 8 zu § 1 UVG vertretene Ansicht, daß dem UVG der Gedanke zugrundeliegt, der Staat solle dann einspringen, wenn dem Kind (direkt oder indirekt) keine Geldmittel mehr zufließen, nicht aber dann, wenn die Betreuungsleistungen des den Haushalt führenden Elternteiles durch dessen Inhaftierung weggefallen sind, daß also andere aus dem Unterhaltsbegriff ableitbare Ansprüche als Geldunterhalt, etwa auf Betreuung oder Erziehung im Rahmen des UVG einer Bevorschussung nicht zugänglich sind. Der Revisionswerber bekämpft diese Ansicht auch gar nicht, er wendet sich bloß gegen die - seiner Ansicht nach - der Entscheidung des Rekursgerichtes zugrundeliegende Annahme, seine Frau habe nie Unterhalt in Geld geleistet. Er führt aus, sie habe die Kinder seit seinem Krankenstand (3.8.1992) zur Gänze aus ihrem Einkommen erhalten, weil er nur die Arbeitslosenunterstützung, und zwar ein Taggeld von 119,-- S erhalten habe. Seine Frau habe vom 22.4.1992 bis 8.9.1992 Arbeitslosenunterstützung (Taggeld von 66,40 S) und dazwischen wiederholt Krankengeld bezogen. Sie habe auch Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit bezogen und Geldleistungen vom Sozialreferat erhalten, die auch als Familieneinkommen verwendet worden seien. Dazu ist wie folgt Stellung zu nehmen:

Nach § 11 Abs 2 UVG hat der Antragsteller, soweit er die Voraussetzungen für die Gewährung von Vorschüssen nicht auf Grund der Aktenlage, durch Urkunden oder sonst auf einfache Weise nachzuweisen vermag, diese Voraussetzungen durch eine der Wahrheit entsprechende Erklärung des Vertreters glaubhaft zu machen. Wenngleich damit das Antragsprinzip festgelegt ist, so wird der Richter dadurch im Hinblick auf den im Außerstreitverfahren herrschenden Untersuchungsgrundsatz doch nicht von der Verpflichtung entbunden, auf die Substanziierung des Vorbringens hinsichtlich aller Anspruchsvoraussetzungen hinzuwirken. Die vom Vater der Minderjährigen in seinem Antrag allein aufgestellte Behauptung, die Mutter der Kinder befände sich in Untersuchungshaft, reicht für die Gewährung von Haftvorschüssen nicht aus.

Auszugehen ist nämlich davon, daß nach dem UVG der gesetzliche Unterhalt minderjähriger Kinder zu bevorschussen ist (§ 1 UVG) und die Gewährung der nach § 4 Z 3 UVG gebührenden Vorschüsse zur Voraussetzung hat, daß der Unterhaltsschuldner infolge eines strafgerichtlichen Freiheitsentzuges in der Dauer von mehr als einem Monat seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann. Nach § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des (ehelichen) Kindes nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem das Kind betreut wird, leistet grundsätzlich dadurch seinen Beitrag (§ 140 Abs 2 Satz 1 ABGB). Die Haushaltsführung und Kinderbetreuung befreit allerdings ua dann nicht gänzlich von der Unterhaltspflicht, wenn der andere Elternteil nicht alle (übrigen) Bedürfnisse des Kindes decken kann (§ 140 Abs 2 Satz 2 ABGB). Unter diesen Umständen kann somit der den Haushalt führende und das Kind betreuende Elternteil zu einer weiteren Unterhaltsleistung in Form eines Geldunterhaltes in Anspruch genommen werden. Ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind, ist dem Antrag nicht zu entnehmen. Obwohl die Mutter der Kinder in ihrem Rekurs gegen den Beschluß des Erstgerichtes behauptet hat, über die Führung des Haushaltes und die Erziehung der Kinder hinaus, zu gewissen Zeiten daneben noch berufstätig gewesen zu sein und zum Kindesunterhalt dazuverdient zu haben, hat es das Rekursgericht unterlassen, auf diese gemäß § 10 AußStrG durchaus zulässigen Behauptungen näher einzugehen. Der Hinweis auf die Unzumutbarkeit einer Anspannung auf eine außerhäusliche Erwerbstätigkeit im Hinblick auf die Betreuungsverpflichtung für 7 Kinder ginge jedenfalls dann ins Leere, wenn die Mutter tatsächlich berufstätig gewesen wäre, zum Kinderunterhalt "dazuverdient" hätte, und der Vater zur vollen Deckung der Bedürfnisse der Kinder nicht imstande wäre. Da auch der Annahme des Rekursgerichtes, die von der Mutter dazu aufgestellten Behauptungen bezögen sich auf die "frühere Vergangenheit" und nicht auf den Sachverhalt im Zeitpunkt vor Antritt der Untersuchungshaft, keine verläßlichen Verfahrensergebnisse zugrundeliegen, reicht der Sachverhalt, der dem Rekursgericht bei seiner Entscheidung zur Verfügung stand, für eine verläßliche Beurteilung der Frage nicht aus, ob die Mutter der Kinder neben ihrer Haushaltsführung und Kinderbetreuung noch zur Leistung von Geldunterhalt verpflichtet war, also eine gesetzliche Unterhaltspflicht gegeben war, die sie zufolge des strafgerichtlichen Freiheitsentzuges nicht erfüllen kann.

Die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen ist daher unumgänglich.

Das Erstgericht wird somit im fortgesetzten Verfahren zu klären haben, ob die Mutter der Kinder unter den gegebenen Umständen nicht bloß zur Zeit ihrer Inhaftierung, sondern schon durch einen geraumen, doch beachtlichen Zeitraum davor tatsächlich Erwerbseinkommen bezogen und damit im Hinblick darauf zum Unterhalt der Kinder beigetragen hat, daß durch das Einkommen des Vaters nicht alle (übrigen) Bedürfnisse der Kinder gedeckt werden konnten. Sollte sich sodann ergeben, daß die Mutter auf diese Weise eine gesetzliche Unterhaltspflicht in Form zusätzlicher Geldleistungen traf, so wären die Voraussetzungen für die Gewährung der begehrten Richtsatzvorschüsse unabhängig von der Höhe ihrer Unterhaltspflicht efüllt und die Rechtssache iS der Stattgebung des Antrages spruchreif.

Es mußte daher dem Revisionsrekurs Folge gegeben und dem Erstgericht nach Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen werden.

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