OGH 10Ob32/23p

OGH10Ob32/23p24.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache I*, (hier:) wegen Ablehnung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen, vertreten durch Dr. Matthias Cernusca, Rechtsanwalt in Klosterneuburg-Kritzendorf, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 9. Mai 2023, GZ 44 R 164/23b-10, mit dem ihr Rekurs gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 13. März 2023, GZ 27 Nc 2/23y-6, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00032.23P.0724.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Erwachsenenschutzrecht, Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Beim Erstgericht ist hinsichtlichI* zu AZ 10 P 60/22x ein Erwachsenschutzverfahren anhängig, in dem ein Rechtsanwalt zum Rechtsbeistand im Verfahren (§ 119 AußStrG) und zum einstweiligen Erwachsenenvertreter mit einem näher genannten Wirkungsbereich (§ 120 AußStrG) bestellt wurde.

[2] Das Erstgericht (dessen Vorsteherin) wies sowohl den von der Betroffenen selbst als auch den durch den hier einschreitenden Rechtsanwalt als gewählten Vertreter für sie erhobenen Ablehnungsantrag (gegen den Pflegschaftsrichter) als unbegründet zurück.

[3] Das Rekursgericht wies den für die Betroffene ergriffenen Rekurs des hier einschreitenden Rechtsanwalts mangels wirksamer Bevollmächtigung zurück und sprach aus, dass der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig sei. Zwar könne sich die Betroffene auch von einem frei gewählten Rechtsanwalt vertreten lassen, wenn sie bei Erteilung der Vollmacht in der Lage gewesen sei, deren Zweck zu erkennen. Das sei nach der Aktenlage aber offenkundig nicht der Fall, sodass die Bevollmächtigung des gewählten Vertreters nicht wirksam sei.

[4] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Betroffenen ist zu behandeln, weil es um die Frage des Vorliegens von Vertretungsmacht für die Rekurserhebung geht (6 Ob 240/10b).

[5] Der außerordentliche Revisionsrekurs ist nicht jedenfalls unzulässig. Zwar ist gemäß § 24 Abs 2 JN gegen die Entscheidung der zweiten Instanz, mit der die Zurückweisung eines Ablehnungsantrags bestätigt wurde, kein weiteres Rechtsmittel mehr zulässig (RS0098751; RS0122963). Dem Rekursgericht ist ebenfalls darin beizupflichten, dass dieser Rechtsmittelausschluss auch im außerstreitigen Verfahren gilt (RS0007183; RS0098751 [T3, T12]). Er kommt allerdings nicht zur Anwendung, wenn das Rekursgericht eine meritorische Behandlung des gegen die erstgerichtliche Sachentscheidung gerichteten Rekurses ablehnt und den Rekurs aus rein formellen Gründen zurückweist (RS0044509; RS0046065; RS0122963 [T3]). Dieser Ausnahmefall liegt hier vor, sodass zwecks Prüfung dieser Gründe der Rechtszug an den Obersten Gerichtshof offen steht; dies freilich nur unter den Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG (1 Ob 32/19s; RS0044509 [T7, T8]; vgl auch RS0120974 [T2]).

[6] Ebenso wenig schadet es, dass aufgrund der zu Unrecht angenommenen Anwendbarkeit des § 24 Abs 2 JN kein Zulassungsausspruch nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG vorliegt. Da sich das Rechtsmittelverfahren in Ablehnungssachen nach den Vorschriften jenes Verfahrens richtet, in dem die Ablehnung erfolgte (RS0006000), und Gegenstand eines Verfahrens, in dem es um die Prüfung der Notwendigkeit der Bestellung eines Erwachsenenschutzvertreters geht, nicht vermögensrechtlicher Natur ist (8 Ob 52/17f; RS0007064 [T1]), konnte die Betroffene sogleich den ihr jedenfalls zustehenden außerordentlichen Revisionsrekurs ergreifen (§ 62 Abs 5 AußStrG). Sie wird dadurch auch nicht schlechter gestellt, weil der Oberste Gerichtshof bei Prüfung der Zulässigkeit des Revisionsrekurses nach § 71 Abs 1 AußStrG ohnehin nicht an den Ausspruch des Rekursgerichts gebunden wäre (vgl RS0044508 [T2]).

Rechtliche Beurteilung

[7] Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG wird im Rechtsmittel aber nicht geltend gemacht.

[8] 1. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich der Betroffene (die schutzberechtigte Person) bei Erhebung eines Rechtsmittels auch von einem frei gewählten Rechtsanwalt vertreten lassen, sofern nicht offenkundig ist, dass ihm bei der Vollmachtserteilung die Vernunft völlig gefehlt und er nicht fähig war, den Zweck der Vollmachtserteilung zu erkennen (RS0008539 [insb T5, T11]). Nur im Fall einer festgestellten oder nach der Aktenlage offenkundig fehlenden Einsichtsfähigkeit des Betroffenen in das Wesen der Vollmachtserteilung wäre die Bevollmächtigung eines gewählten Vertreters unwirksam (RS0008539 [T9]; 6 Ob 99/18d ua). Ob eine solche offenkundige Unfähigkeit vorliegt, kann ausschließlich einzelfallbezogen beurteilt werden und bildet daher keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (RS0008539 [T7]; 1 Ob 204/18h ua). Anderes gilt nur, wenn gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung bestehen (3 Ob 175/12z; 3 Ob 230/10k ua). Das ist hier nicht der Fall.

[9] 2. Nach dem Gutachten der im Erwachsenenschutzverfahren bestellten psychiatrischen Sachverständigen sind bei der Betroffenen als Folge einer Hirnatrophie bzw einer (diabetesbedingten, auch das zentrale Nervensystem betreffenden) Polyneuropathie Kritikfähigkeit, Urteilsvermögen und Überblickgewinnung sowie Reflexionsvermögen erheblich beeinträchtigt; ihre Konzentrationsleistung ist deutlich herabgesetzt. Bereits Ende August 2019 lag die Entscheidungsfähigkeit nicht mehr vor, weil sie die Konsequenzen ihres Handelns nicht mehr erfassen konnte. Dieser Zustand lag, „fraglich auch in ausgeprägterer Form“, auch zur Zeit der Vollmachtserteilung an den hier einschreitenden Rechtsanwalt (am 7. November 2022) vor, wobei die Sachverständige zum Ergebnis gelangte, dass die Betroffene nicht in der Lage ist, die Konsequenzen der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts und den Zweck dieses Unterfangens nachzuvollziehen. Diese Einschätzung wird durch die plastische Schilderung des einstweiligen Erwachsenenvertreters in seinem Aktenvermerk vom 4. Jänner (richtig:) 2023 bestätigt, wonach die Betroffene den einschreitenden Rechtsanwalt bei dessen Anruf nicht er- bzw gekannt hat. Wenn das Rekursgericht vor diesem Hintergrund sowie unter Einbeziehung des dokumentierten persönlichen Eindrucks des Pflegschaftsrichters und der Berichte und Äußerungen des einstweiligen Erwachsenenvertreters (insb der Äußerung vom 28. Dezember 2022) – auf die der Revisionsrekurs jeweils nicht eingeht – eine wirksame Vollmachtserteilung verneint, ist das vertretbar und bedarf keiner Korrektur im Einzelfall.

[10] Daran ändern auch die von der Betroffenen (im Erwachsenenschutzverfahren) vorgelegten Privatgutachten nichts. Dass diese zu einer anderen Einschätzung als die vom Gericht bestellte Sachverständige kommen, vermag die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Revisionsrekurses nicht zu begründen.

[11] 3. Auch die gerügten Mängel des Rekursverfahrens liegen nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[12] 3.1. Soweit der Revisionsrekurs geltend macht, das Rekursgericht hätte der Betroffenen vor seiner Entscheidung die Möglichkeit einräumen müssen, ihren Standpunkt darzulegen, wird nicht aufgeklärt, welches konkrete Vorbringen erstattet bzw welche konkreten Beweismittel in diesem Fall angeboten worden wären (RS0120213 [T9, T14, T21]).

[13] 3.2. Die vermeintliche Mangelhaftigkeit, die darin bestehen soll, dass das Rekursgericht die Privatgutachten bzw die darin aufgezeigten angeblichen Mängel des gerichtlichen Sachverständigengutachtens nicht berücksichtigt bzw „nicht gewürdigt“ habe, kann schon deshalb nicht vorliegen, weil sich das Rekursgericht mit den Privatgutachten – wenn auch nicht mit dem vom Revisionsrekurs angestrebten Ergebnis – befasst hat.

[14] 4. Mangels Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs daher zurückzuweisen.

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