OGH 10Ob19/19w

OGH10Ob19/19w26.3.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Mag. Christian Grasl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R*, vertreten durch Dr. Thomas Hofer-Zeni, Rechtsanwalt in Wien, als bestellter Erwachsenenvertreter, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 12. Dezember 2018, GZ 39 R 281/18i‑27, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124507

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Vorinstanzen haben die von der Klägerin wegen unleidlichen Verhaltens gemäß § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG ausgesprochene Kündigung für rechtswirksam erklärt.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Rechtsprechung setzt der hier in Rede stehende Kündigungsgrund kein Verschulden des gekündigten Mieters voraus, sondern es kommt darauf an, ob das objektiv in Erscheinung tretende Verhalten als grob ungehörig und das Zusammenwohnen verleidend angesehen werden muss, auch wenn es etwa auf eine (geistige) Erkrankung zurückgeführt werden kann (RIS-Justiz RS0067733, RS0070243). Bei krankheitsbedingtem Verhalten ist eine Interessenabwägung aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die als typische Einzelfallbeurteilung in der Regel nicht revisibel ist (RIS‑Justiz RS0020957 [T4]).

2. Stellte der gekündigte Mieter nach Zustellung der Aufkündigung sein unleidliches Verhalten ein, ist die Verhaltensänderung bei der Beurteilung des Gesamtverhaltens mitzuberücksichtigen (RIS-Justiz RS0067519 [T3], RS0067534 [T2]) und kann bei Vorliegen einer positiven Zukunftsprognose zur Klageabweisung führen, sofern die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeiten ausgeschlossen werden kann (RIS-Justiz RS0070378 [T2]). Auch die Frage, ob bei einer Verhaltensänderung nach Einbringung der Aufkündigung der Schluss zulässig ist, dass die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeiten auszuschließen ist, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (RIS-Justiz RS0042790).

3.1 Eine dennoch zu korrigierende Fehlbeurteilung vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

Nach den Feststellungen hat die Beklagte andere Bewohner der Wohnhausanlage regelmäßig und ohne Anlass derart beschimpft, beleidigt und verfolgt, dass einige Bewohner sogar ausziehen wollten. Einen Nachbarn zeigte die Beklagte polizeilich wegen sexueller Belästigung an, ohne dass es dafür irgendeinen Grund gab. Sie entfernte mehrmals die Stromsicherungen der unmittelbar benachbarten Wohnung und verursachte immer wieder Wasserschäden an der unterhalb gelegenen Wohnung (allein zwischen Juni und September 2017 fünf bis sechsmal). In ihrer eigenen Wohnung schraubte sie die außerhalb des Wandverputzes liegenden Gasleitungen ab, sodass Gas austreten konnte, worauf die Gaszufuhr zu ihrer Wohnung abgedreht wurde. Außerdem sperrte die Beklagte die Zufahrt zur Liegenschaft und beschädigte absichtlich das Auto eines Hausbewohners. Am 1. 9. 2017 wurde sie in eine Klinik eingewiesen und dort stationär sechs Monate lang psychiatrisch behandelt. Wie sich ihr Gesundheitszustand entwickeln wird, kann nicht vorhergesehen werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das festgestellte Verhalten wieder auftritt.

3.2 Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen bei der Interessenabwägung nach der erforderlichen Gesamtschau (RIS-Justiz RS0070321, RS0067669) zu dem Ergebnis kommt, dass das Verhalten der Beklagten objektiv grob ungehörig ist und das Zusammenwohnen verleidet, entspricht dieses Ergebnis den Grundsätzen der Rechtsprechung und bewegt sich im Rahmen des den Gerichten eingeräumten Beurteilungsspielraums. Mit dem Vorbringen, das nunmehr dichte Betreuungsnetz lasse eine günstige Prognose zu, entfernt sich die Revision vom festgestellten Sachverhalt. Auch dass bei entsprechend (schweren) psychiatrischen Erkrankungen eine positive Zukunftsprognose generell faktisch unmöglich sei, steht so nicht fest. Entgegen den Revisionsausführungen haben die Vorinstanzen die der Beklagten durch die Kündigung entstehenden Nachteile mit den Interessen der klagenden Partei in Relation gesetzt und mit den für die Mieter entstandenen bzw allenfalls weiterhin bestehenden Gefahren und Nachteilen abgewogen.

Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

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