BVwG W187 2246496-1

BVwGW187 2246496-127.9.2021

BVergG 2018 §327
BVergG 2018 §328 Abs1
BVergG 2018 §342 Abs1
BVergG 2018 §350 Abs1
BVergG 2018 §350 Abs2
BVergG 2018 §351 Abs1
BVergG 2018 §351 Abs3
BVergG 2018 §351 Abs4
B-VG Art133 Abs4
KartG 2005 §1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W187.2246496.1.00

 

Spruch:

 

W187 2246496-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER über den Antrag Bietergemeinschaft bestehend aus 1. AAAA , und 2. BBBB , vertreten durch HULE|BACHMAYR-HEYDA|NORDBERG Rechtsanwälte GmbH, Franz-Josefs-Kai 47, 1010 Wien, auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend das Vergabeverfahren „Koralmbahn Baulos 50.6, Errichtung Feste Fahrbahn Granitztaltunnel ID-Nr.: 58782“ der Auftraggeberin ÖBB-Infrastruktur AG, Praterstern 3,1020 Wien, vertreten durch die Schramm Öhler Rechtsanwälte GmbH, Bartensteingasse 2, 1010 Wien, vom 17. September 2021 beschlossen:

A)

Das Bundesverwaltungsgericht gibt dem Antrag der Bietergemeinschaft bestehend aus 1. AAAA und 2. BBBB „das Bundesverwaltungsgericht möge folgende einstweilige Verfügung erlassen: ‚Es wird der Antragsgegnerin ab sofort bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Nachprüfungsantrag untersagt, im antragsgegenständlichen Vergabeverfahren ‚ Koralmbahn Baulos 50.6, Errichtung Feste Fahrbahn Granitztaltunnel‘ den Zuschlag zu erteilen“, gemäß §§ 350 Abs 1, 351 Abs 1, 3 und 4 BVergG 2018 statt.

Das Bundesverwaltungsgericht untersagt der Auftraggeberin ÖBB-Infrastruktur AG für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens im Vergabeverfahren „Koralmbahn Baulos 50.6, Errichtung Feste Fahrbahn Granitztaltunnel ID-Nr.: 58782“, den Zuschlag zu erteilen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

 

BEGRÜNDUNG

I. Verfahrensgang

1. Mit Schriftsatz vom 17. September beantragte die Bietergemeinschaft bestehend aus 1. AAAA , und 2. BBBB , vertreten durch HULE|BACHMAYR-HEYDA|NORDBERG Rechtsanwälte GmbH, Franz-Josefs-Kai 47, 1010 Wien, in der Folge Antragstellerin, die Verpflichtung der Auftraggeberin zur Vorlage des gesamten Vergabeaktes, die Akteneinsicht, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, die Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung der Auftraggeberin vom 13. September 2021 und den Ersatz der Pauschalgebühr sowie die Erlassung einer einstweiligen Verfügung wie im Spruch unter A) wiedergegeben. Die Anträge betreffen das Vergabeverfahren „Koralmbahn Baulos 50.6, Errichtung Feste Fahrbahn Granitztaltunnel ID-Nr.: 58782“ der Auftraggeberin ÖBB-Infrastruktur AG, Praterstern 3,1020 Wien, vertreten durch die Schramm Öhler Rechtsanwälte GmbH, Bartensteingasse 2, 1010 Wien.

1.1 Nach der Bezeichnung und Darstellung des Ablaufs des Vergabeverfahrens, der Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung, der Auftraggeberin und Ausführungen zur Zulässigkeit des Antrags führt die Antragstellerin zum Interesse am Vertragsabschluss und dem drohenden Schaden aus. Sie erachtet sich in dem Recht auf Durchführung eines gesetzmäßigen, den Bestimmungen des BVergG 2018 entsprechenden Vergabeverfahrens, dem Recht auf Einhaltung der Grundsätze der Transparenz, des freien und lauteren Wettbewerbs, der Verhältnismäßigkeit sowie der Gleichbehandlung aller Bieter, dem Recht auf vergabekonforme Prüfung der Angebote aller Bieter, dem Recht auf Ausscheiden eines Angebots, das nicht der Ausschreibung entspricht, dem Recht auf Ausscheiden eines Bieters, der einen Ausscheidensgrund verwirklicht, dem Recht auf Erteilung des Zuschlags und dem Gebot der Vergabe zu angemessenen, nicht-spekulativen Preisen verletzt. Zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Zuschlagsentscheidung führt sie im Wesentlichen wie folgt aus.

1.2 Sie in Aussicht genommene Zuschlagsempfängerin habe eine wettbewerbswidrige Bietergemeinschaft gebildet. In der Ausschreibung sei festgelegt, dass sich der Bieter verpflichte, nicht gegen kartellrechtliche oder andere Vorschriften zu verstoßen und sich nicht an Absprachen über die Abgabe oder Nicht-Abgabe von Angeboten zu beteiligen. Sie habe durch die Bildung der Bietergemeinschaft dagegen und gegen § 1 KartG und §§ 193 und 249 Abs 3 Z 3 BVergG 2018 verstoßen. Es gebe keine sachliche Rechtfertigung für die Bildung der Bietergemeinschaft, weil es sich um einen kleineren Auftrag handle und jeder der beiden an der Bietergemeinschaft beteiligten Unternehmer diesen Auftrag mühelos alleine ausführen könne. Sie seien auch unmittelbare Wettbewerber. Im Gleisbau seien in Österreich nur wenige Unternehmen tätig. Die Auftraggeberin sei de facto der einzige Auftraggeber für relevante Gleisbauaufträge. Bietergemeinschaften, für die es keine sachliche Rechtfertigung gebe, beschränkten den Wettbewerb. Es sei zu vermuten, dass die Bildung der Bietergemeinschaft abhängig von der Größe des Unternehmens und dem relevanten Marktanteil gegen § 1 KartG und Art 101 Abs 1 AEUV verstoße. Abreden, die gegen den Grundsatz des Wettbewerbs verstießen, seien nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs per se für den Auftraggeber nachteilig. Die Kartellrechtswidrigkeit einer Bietergemeinschaft setze nicht voraus, dass die Bietergemeinschaft der einzige Anbieter im Vergabeverfahren sei. Die Auftraggeberin wäre verpflichtet gewesen, die verdichteten Indizien für die Wettbewerbswidrigkeit der Bietergemeinschaft zu prüfen und das Angebot der Bietergemeinschaft auszuscheiden.

1.3 Die Antragstellerin gehe davon aus, dass die in Aussicht genommene Zuschlagsempfängerin in wesentlichen Positionen unangemessene oder spekulative Einheitspreise angeboten habe. Ein Beispiel sei die Position 0301310201 über insgesamt 677 Tonnen Betonstahl. Die Antragstellerin gehe davon aus, dass die in Aussicht genommene Zuschlagsempfängerin in dieser Position einen spekulativen Unterpreis angeboten habe. Der Einkaufspreis für Stahl sei zum Zeitpunkt der Angebotslegung € 738 pro Tonne gewesen. Die Position sei relevant, weil sie rund 7,2 % des Angebotspreises ausmache. Das Angebot sei schon deshalb auszuscheiden. Die Antragstellerin gehe auch davon aus, dass die in Aussicht genommene Zuschlagsempfängerin ihre Kalkulation nicht nach der ÖNORM B 2061 nachgewiesen habe, sodass ihr Angebot schon aus diesem Grund auszuscheiden sei. Die Auftraggeberin habe offenkundig die Durchführung einer vertieften Angebotsprüfung unterlassen.

1.4 Die Bieter seien verpflichtet, die in Österreich geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften einzuhalten, wozu auch Kollektivverträge gehörten. Mit dem Angebot seien K3-Blätter vorzulegen gewesen. Für die Mitarbeiter, die bei dem ausgeschriebenen Bauvorhaben eingesetzt würden, gelte der Bau-Kollektivvertrag. Dieser lege in seinem § 8 Z 1c fest, dass auch die Zeiten des Ein- und Ausfahrens in einen Tunnel mit dem kollektivvertraglichen Stundenlohn vergütet würden. Diese Zeiten seien bei dem Anspruch auf Taggeld zu berücksichtigen. Dies sei auch im K3-Blatt auszuweisen. Bei einem Bauvorhaben mit zwei Tunnelröhren zu je 6 km Länge fielen diese Lohnkosten besonders in Gewicht. Die Antragstellerin gehe davon aus, dass die in Aussicht genommene Zuschlagsempfängerin diese Wegzeiten nicht kalkuliert habe. Damit sei das Angebot der in Aussicht genommenen Zuschlagsempfängerin wegen eines Verstoßes gegen arbeits- und sozialrechtliche Vorschriften auszuscheiden sei.

1.5 Die Antragstellerin erhebt ihr Vorbringen zum Nachprüfungsantrag zum Vorbringen für den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Die einstweilige Verfügung sei zwingend erforderlich, weil die Auftraggeberin durch die Erteilung des Zuschlags an einen anderen Bieter unumkehrbare Tatsachen schaffen würde. Von der Erlassung einer einstweiligen Verfügung sei nur abzusehen, wenn deren nachteilige Folgen die damit verbundenen Vorteile überwiegen könnten. Daraus folge, dass in der Regel eine einstweilige Verfügung zu erlassen sei. Das Interesse der Antragstellerin am Erlass der einstweiligen Verfügung gründe sich insbesondere darauf, dass sie das besten Angebot gelegt habe und ihr nach den Ausschreibungsbedingungen somit der Zuschlag zu erteilen sei. Damit drohe der Antragstellerin der Eintritt de geltend gemachten Schadens. Es sei auf den Vorrang des vorläufigen Rechtsschutzes zu verweisen. Im Rahmen der Interessenabwägung sei darauf zu verweisen, dass die plausible Geltendmachung des drohenden Schadens genüge. Weiters sei zu berücksichtigen, dass die Auftraggeberin bei der zeitlichen Planung des Vergabeverfahrens die Dauer eines Nachprüfungsverfahrens berücksichtigen müsse, das öffentliche Interesse an der Zuschlagserteilung an den tatsächlichen Bestbieter zur berücksichtigen sei und von der Erlassung einer einstweiligen Verfügung nur abzusehen sei, wenn die Interessenabwägung das Überwiegen nachteiliger Folgen ergebe. Eine einstweilige Verfügung müsse den Anspruch der Antragstellerin auf Zuschlagserteilung sicherstellen und das Vergabeverfahren in einem Stand halten, der das ermögliche. Das Interesse der Antragstellerin an der Erlassung der einstweiligen Verfügung überwiege die Interessen der Auftraggeberin und der übrigen Bieter an deren Unterbleigen.

2. Mit Schriftsatz vom 22. September 2021 erteilte die Auftraggeberin allgemeine Auskünfte zum Vergabeverfahren und nahm zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung Stellung. Darin führt sie im Wesentlichen aus, dass der Nachprüfungsantrag unberechtigt sei und im Fall der Erlassung einer einstweiligen Verfügung ausschließlich eine Verzögerung des Leistungsbeginns bewirke. Es entstünde der Auftraggeberin ein Schaden, der sich auch auf die öffentlichen Interessen auswirke. Die einstweilige Verfügung sei auf die notwendigen, gerade noch zum Ziel führenden Maßnahmen zu beschränken. Dabei sei auch zu beachten, dass die Verzögerungen durch das Nachprüfungsverfahren so gering wie möglich ausfallen sollten. Die Koralmbahn sei das größte in Ausführung befindliche Projekt zum Ausbaues österreichischen Eisenbahnnetzes und solle die Fahrzeit von Graz nach Klagenfurt von drei Stunden auf eine Stunde bzw 45 Minuten verkürzen. Das vorliegende Projekt sei die Errichtung der festen Fahrbahn im Baulos 50.6 des Neubauprojekts Koralmbahn, das dem Granitztaltunnel entspreche. Das Bauvorhaben sei Teil des Gesamtprojekts. Verzögerungen bei dem Teilprojekt führten zu Verzögerungen bei den nachfolgenden Projekten und somit dem Gesamtprojekt. Sämtliche Arbeiten hätten in einem engen zeitlichen Korsett zu erfolgen, weil eine Verzögerung des Projekts insbesondere unmittelbare Auswirkungen auf den Personen- und Güterverkehr und deshalb volkswirtschaftliche Auswirkungen habe. Darüber hinaus betreffe das vorliegende Projekt eine kritische Verkehrsinfrastruktur, weshalb die Interessenabwägung zugunsten der Auftraggeberin ausgehen müsse. Gerade in der gegenständlichen durch die COVID-19-Pandemie ausgelösten angespannten Situation sei die Verfügbarkeit kritischer (Schienen)Infrastruktur bzw des gegenständlichen Personen- und Güterverkehrskorridors essentiell. Solche Zeitverzögerungen hätten nicht von bei der Ablaufplanung einkalkuliert bzw berücksichtigt werden können. Vielmehr könnten die genannten Verzögerungen bei kontextbezogenen Projekten nicht eingeplant werden bzw würde dadurch eine projektübergreifende Planung verunmöglicht. Der damit einhergehende Schaden und die resultierenden Folgekosten müssten im Rahmen einer umfassenden Analyse innerhalb der Auftraggeberin tiefgreifend analysiert und beziffert werden. Vor dem Hintergrund der mit der Erlassung einer einstweiligen Verfügung entstehenden Verzögerung und dem damit verbundenen bei der Auftraggeberin und der Allgemeinheit entstehenden Schäden bestehe ein besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens. Dem gegenüber drohe der Antragstellerin – wenn überhaupt – lediglich ein geringer Schaden in Form des entgangenen Gewinns, der jedenfalls in Geld ausgleichbar wäre. Darüber hinaus sei vorab festzuhalten, dass der Nachprüfungsantrag unberechtigt sei. Vor diesem Hintergrund werde die einstweilige Verfügung nicht zu erlassen sein. Die Auftraggeberin beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung und den Nachprüfungsantrag zurück-, in eventu abzuweisen.

3. Mit Schriftsatz vom 27. September 2021 erhob die Bietergemeinschaft bestehend aus 1. CCCC , 2. DDDD , vertreten durch die WOLF THEISS Rechtsanwälte GmbH & Co KG, Schubertring 6, 1010 Wien, die in Aussicht genommene Zuschlagsempfängerin, begründete Einwendungen.

3.1 Darin führt sie nach Darstellung des Sachverhalts im Wesentlichen aus, dass die Bildung einer Bietergemeinschaft eine grundsätzlich zulässige Vorgangsweise sei. Dass die Mitglieder einer Bietergemeinschaft Konkurrenten seien, stünde der Bildung einer Bietergemeinschaft nicht entgegen. Es hätten sich gerade im gegenständlichen Vergabeverfahren auch andere Unternehmen, die miteinander in Konkurrenz stünden, zu Bietergemeinschafen zusammengeschlossen. Auch die Antragstellerin führe Projekte in Bietergemeinschaft auf ihrer Website als Referenzen an. Auch bei großen Unternehmen sei bei Angebotsabgabe auf die „freien“ Kapazitäten abzustellen. Die Darstellung des relevanten Bietermarkts sei verengt. Der Auftraggeberin stünden auch im gegenständlichen Vergabeverfahren drei Angebote zur Verfügung, sodass der Wettbewerb gewahrt sei. Bei der Bildung einer Bietergemeinschaft von nur zwei Unternehmen sei nicht von einer Wettbewerbsbeeinträchtigung auszugehen. Der Ausschlussgrund des § 249 Abs 2 Z 3 BVergG 2018 liege nicht vor. Die Auftraggeberin habe keinen Anlass gehabt, weitergehend zu prüfen. Es sei der in Aussicht genommenen Zuschlagsempfängerin auch kein Verstoß gegen § 1 KartG anzulasten. Die Mitglieder der Bietergemeinschaft seien alleine im Projekt Koralmtunnel in zwei unmittelbar an das gegenständliche Projekt angrenzenden Projekten mit mehreren hundert Millionen Euro Auftragsvolumen engagiert. Alleine deshalb seien einschlägige Ressourcen gebunden. Darüber hinaus gebe es weitere laufende Projekte im Ausland. Mit den tatsächlich vorhandenen Ressourcen sei es keinem der beiden Mitglieder möglich, den Auftrag auszuführen. Daher hätten sich die beiden Mitglieder zulässigerweise entschieden, eine Bietergemeinschaft zu bilden. Aus den angrenzenden Großprojekten mit gemeinsamer Infrastruktur ergäben sich Synergien. Eine gemeinsame Beteiligung sei aussichtsreicher, weil ein günstigeres Angebot abgegeben werden könne. Schon deshalb wäre die Bildung einer Bietergemeinschaft zulässig. Sie sei zulässig, weil sie ökonomisch günstiger sei.

3.2 Die in Aussicht genommene Zuschlagsempfängerin habe ausschreibungskonform 677 Tonnen Betonstahl ausgepreist und angeboten. Der Einheitspreis liege in der von der Antragstellerin angegebenen Größenordnung. Der Preis für Betonstahl sei derzeit wegen der Pandemie äußerst volatil. Der Preis sei daher plausibel kalkuliert und angeboten. Es liege aus diesem Grund kein Ausscheidensgrund vor. Die Auftraggeberin habe eine vertiefte Angebotsprüfung vorgenommen. Bei der genannten Position handle es sich um eine Bagatellposition und schon deshalb nicht geeignet, die Plausibilität des Gesamtpreises in Frage zu stellen.

3.3 Die in Aussicht genommene Zuschlagsempfängerin habe die geforderten Kalkulationsformblätter vorgelegt. Die von der mitbeteiligten Partei durchgeführte Kalkulation entspreche sämtlichen geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Rechtsvorschriften einschließlich aller aktuellen kollektivvertraglichen Bestimmungen. Die Antragstellerin vermöge auch keinerlei nachvollziehbare Anhaltspunkte gegen die Richtigkeit und Gesetzeskonformität der Kalkulation darzulegen. Die Zeiten für die Tunneleinfahrt und Tunnelausfahrt seien in diesem Sinn ebenfalls in der Kalkulation berücksichtigt worden, die insbesondere in den K3-Blättern abgebildet sei. Es liege kein Ausscheidenstatbestand vor. Die in Aussicht genommene Zuschlagsempfängerin beantragt, sämtliche Anträge zurück-, in eventu abzuweisen, sowie sämtliche Teile des Vergabeaktes (insbesondere das gesamte Angebot der mitbeteiligten Partei) sowie sämtliche Teile und Beilagen der Schriftsätze im gegenständlichen Nachprüfungsverfahren, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der mitbeteiligten Partei betreffen, insbesondere Unterlagen, die sich auf das Angebot der mitbeteiligten Partei beziehen, von der Akteneinsicht auszunehmen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1 Die ÖBB-Infrastruktur AG schreibt unter der Bezeichnung „Koralmbahn Baulos 50.6, Errichtung Feste Fahrbahn Granitztaltunnel ID-Nr.: 58782“ einen Bauaftrag mit dem CPV-Code 45220000-9 – Ingenieur- und Hochbauarbeiten in einem offenen Verfahren nach dem Bestangebotsprinzip aus. Der geschätzte Auftragswert liegt über dem Schwellenwert gemäß § 185 Abs 1 Z 3 BVergG 2018. Vergebende Stelle ist die ÖBB-Infrastruktur AG. Die Bekanntmachung der Ausschreibung erfolgte in Österreich am 5. Februar 2021 zur Zahl 58782 und unionsweit am 5. Februar 2021 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union zur Zahl 2021/S 025-062324. Die Verlängerung der Angebotsfrist wurde unionsweit am 20. April 2021 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union zur Zahl 2021/S 076-195482 veröffentlicht. (Angaben der Auftraggeberin)

1.2 Das Vergabeverfahren befindet sich im Stadium nach Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung. Die Auftraggeberin hat eine vertiefte Angebotsprüfung durchgeführt. (Angaben der Auftraggeberin)

1.3 Die Auftraggeberin öffnete am 17. Mai 2021, 12.15 Uhr, ohne Anwesenheit von Vertretern von Bieter folgende Angebote.

 Bietergemeinschaft bestehend aus CCCC und DDDD € 10.957.791,10

 Bietergemeinschaft bestehend aus AAAA und BBBB € 11.799.680,02

 Bietergemeinschaft bestehend aus EEEE und FFFF € 12.303.573,62

(Angaben der Auftraggeberin)

1.4 Am 13. September 2021 teilte die Auftraggeberin die Zuschlagsentscheidung zugunsten der in Aussicht genommenen Zuschlagsempfängerin im Wege der Vergabeplattform mit. (Angaben der Auftraggeberin; Zuschlagsentscheidung in den Unterlagen des Vergabeverfahrens)

1.5 Die Auftraggeberin hat weder das Vergabeverfahren widerrufen noch den Zuschlag erteilt. (Angaben der Auftraggeberin)

1.6 Die Antragstellerin bezahlte Pauschalgebühren in der Höhe von € 97230. (Verfahrensakt)

2. Beweiswürdigung

2. Dieser Sachverhalt ergibt sich schlüssig aus den jeweils in Klammern genannten Quellen. Diese sind Veröffentlichungen und die Unterlagen des Vergabeverfahrens, sowie Auskünfte, die nur die Auftraggeberin erteilen kann. Auskünfte und Unterlagen der Antragstellerin betreffen ebenso ausschließlich mit der Auftraggeberin gemeinsame Dokumente. Die Echtheit und Richtigkeit von in den Schriftsätzen herangezogenen Unterlagen hat keine der Verfahrensparteien bestritten. Die herangezogenen Beweismittel sind daher echt. Ihre inhaltliche Richtigkeit steht außer Zweifel. Widersprüche traten nicht auf.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1 Anzuwendendes Recht

3.1.1 Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes – BVwGG, BGBl I 2013/10, idF BGBl I 2019/44 lauten:

„Einzelrichter

§ 6. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.“

3.1.2 Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes – VwGVG, BGBl I 2013/33 idF BGBl I 2021/119, lauten:

„Anwendungsbereich

§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) …

Beschlüsse

§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.

(2) An seine Beschlüsse ist das Verwaltungsgericht insoweit gebunden, als sie nicht nur verfahrensleitend sind.

(3) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

…“

3.1.3 Die einschlägigen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz 2018 – BVergG 2018), BGBl I 2018/65 idF BGBl II 2019/91, lauten:

„Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes

§ 327. Das Bundesverwaltungsgericht ist zuständig zur Entscheidung über Anträge wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens eines Auftraggebers in den Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens, soweit es sich um Auftraggeber handelt, die gemäß Art. 14b Abs. 2 Z 1 B-VG in den Vollziehungsbereich des Bundes fallen.

Senatszuständigkeit und -zusammensetzung

§ 328. (1) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in den Angelegenheiten des § 327, soweit es sich nicht um die Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe für die Einbringung eines Feststellungsantrags, über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, die Entscheidung über den Gebührenersatz oder die Entscheidung über eine Verfahrenseinstellung nach Zurückziehung eines Nachprüfungs- oder Feststellungsantrages handelt, in Senaten.

(2) …

Anzuwendendes Verfahrensrecht

§ 333. Soweit in diesem Bundesgesetz und im Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, nichts anderes bestimmt ist, sind die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles in den Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nach diesem Bundesgesetz sinngemäß anzuwenden.

Zuständigkeit

§ 334. (1) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes über Anträge zur Durchführung von Nachprüfungsverfahren (2. Abschnitt), zur Erlassung einstweiliger Verfügungen (3. Abschnitt) und zur Durchführung von Feststellungsverfahren (4. Abschnitt). Derartige Anträge sind unmittelbar beim Bundesverwaltungsgericht einzubringen.

(2) Bis zur Zuschlagserteilung bzw. bis zum Widerruf eines Vergabeverfahrens ist das Bundesverwaltungsgericht zum Zwecke der Beseitigung von Verstößen gegen dieses Bundesgesetz und die hierzu ergangenen Verordnungen oder von Verstößen gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht zuständig1. zur Erlassung einstweiliger Verfügungen, sowie2. zur Nichtigerklärung gesondert anfechtbarer Entscheidungen des Auftraggebers im Rahmen der vom Antragsteller geltend gemachten Beschwerdepunkte.

(3) …

Einleitung des Verfahrens

§ 342. (1) Ein Unternehmer kann bis zur Zuschlagserteilung bzw. bis zur Widerrufserklärung die Nachprüfung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung des Auftraggebers im Vergabeverfahren wegen Rechtswidrigkeit beantragen, sofern1. er ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes unterliegenden Vertrages behauptet, und2. ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

(2) …

Antragstellung

§ 350. (1) Das Bundesverwaltungsgericht hat auf Antrag eines Unternehmers, dem die Antragsvoraussetzungen nach § 342 Abs. 1 nicht offensichtlich fehlen, durch einstweilige Verfügung unverzüglich vorläufige Maßnahmen anzuordnen, die nötig und geeignet erscheinen, um eine durch die behauptete Rechtswidrigkeit einer gesondert anfechtbaren Entscheidung entstandene oder unmittelbar drohende Schädigung von Interessen des Antragstellers zu beseitigen oder zu verhindern.

(2) Der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung hat zu enthalten:1. die genaue Bezeichnung des betreffenden Vergabeverfahrens, der gesondert anfechtbaren Entscheidung sowie des Auftraggebers, des Antragstellers und gegebenenfalls der vergebenden Stelle einschließlich deren elektronischer Adresse,2. eine Darstellung des maßgeblichen Sachverhaltes sowie des Vorliegens der in § 342 Abs. 1 genannten Voraussetzungen,3. die genaue Bezeichnung der behaupteten Rechtswidrigkeit,4. die genaue Darlegung der unmittelbar drohenden Schädigung der Interessen des Antragstellers und eine Glaubhaftmachung der maßgeblichen Tatsachen,5. die genaue Bezeichnung der begehrten vorläufigen Maßnahme und6. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob der Antrag rechtzeitig eingebracht wurde.

(3) …

Erlassung der einstweiligen Verfügung

§ 351. (1) Vor der Erlassung einer einstweiligen Verfügung hat das Bundesverwaltungsgericht die voraussehbaren Folgen der zu treffenden Maßnahme für alle möglicherweise geschädigten Interessen des Antragstellers, der sonstigen Bewerber oder Bieter und des Auftraggebers sowie ein allfälliges besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens gegeneinander abzuwägen. Ergibt diese Abwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung, ist der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung abzuweisen.

(2) Ein entgegen einer Anordnung in einer einstweiligen Verfügung erteilter Zuschlag, erfolgter Abschluss einer Rahmenvereinbarung bzw. erklärter Widerruf des Vergabeverfahrens ist absolut nichtig bzw. unwirksam.

(3) Mit einer einstweiligen Verfügung können das gesamte Vergabeverfahren oder einzelne Entscheidungen des Auftraggebers bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über eine allfällige Nichtigerklärung vorübergehend ausgesetzt oder sonstige geeignete Maßnahmen angeordnet werden. Dabei ist die jeweils gelindeste noch zum Ziel führende vorläufige Maßnahme zu verfügen.

(4) In einer einstweiligen Verfügung ist die Zeit, für welche diese Verfügung getroffen wird, zu bestimmen. Die einstweilige Verfügung tritt nach Ablauf der bestimmten Zeit, spätestens jedoch mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über den Antrag auf Nichtigerklärung außer Kraft, in dem die betreffende Rechtswidrigkeit geltend gemacht wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat die einstweilige Verfügung unverzüglich auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, sobald die Voraussetzungen, die zu ihrer Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat die einstweilige Verfügung unverzüglich auf Antrag oder von Amts wegen zu erstrecken, wenn die Voraussetzungen, die zu ihrer Erlassung geführt haben, nach Ablauf der bestimmten Zeit fortbestehen.

(5) Einstweilige Verfügungen sind sofort vollstreckbar.

Verfahrensrechtliche Bestimmungen

§ 352. (1) Parteien des Verfahrens zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung sind der Antragsteller und der Auftraggeber. Soweit eine zentrale Beschaffungsstelle ein Vergabeverfahren oder Teile eines Vergabeverfahrens als vergebende Stelle durchführt, tritt sie als Partei des Verfahrens zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung an die Stelle des Auftraggebers. Der Auftraggeber kann, soweit die zentrale Beschaffungsstelle an seine Stelle tritt, dem Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung als Nebenintervenient beitreten; §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 und 19 Abs. 1 ZPO sind sinngemäß anzuwenden. Wird ein Vergabeverfahren von mehreren Auftraggebern gemeinsam durchgeführt, so bilden die in der Ausschreibung genannten Auftraggeber eine Streitgenossenschaft im Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Die Bestimmungen der §§ 14 und 15 ZPO sind sinngemäß anzuwenden.

(2) Über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist unverzüglich, längstens jedoch binnen 10 Tagen nach Einlangen des Antrages zu entscheiden. Musste der Antrag zur Verbesserung zurückgestellt werden, ist über ihn längstens binnen 15 Tagen zu entscheiden. Die Frist ist gewahrt, wenn die Erledigung an alle Parteien nachweislich vor ihrem Ablauf abgesendet wurde.

(3) …“

3.2 Zu Spruchpunkt A) –Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung

3.2.1 Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und Zulässigkeit des Antrages

3.2.1.1 Auftraggeberin im Sinne des § 2 Z 5 BVergG 2018 ist die ÖBB-Infrastruktur AG. Es handelt es sich um eine öffentliche Auftraggeberin gemäß § 4 Abs 1 Z 2 BVergG 2018. Da sie die Sektorentätigkeit der Bereitstellung eines Netzes zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Eisenbahn gemäß § 172 Abs 1 BVergG 2018 ausübt, handelt es sich um eine öffentliche Sektorenauftraggeberin gemäß § 167 BVergG 2018. (zB BVwG 30. 5. 2016, W187 2121663-2/41E; 1. 7. 2020, W187 2231549-2/21E; 14. 10. 2020, W139 2233092-1/25E). Bei der gegenständlichen Ausschreibung handelt es sich um einen Bauauftrag gemäß §§ 5 iVm 177 BVergG 2018. Der geschätzte Auftragswert des Gesamtvorhabens liegt über dem relevanten Schwellenwert des § 185 Abs 1 Z 3 BVergG 2018, sodass gemäß § 185 Abs 1 BVergG 2018 ein Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich vorliegt.

3.2.1.2 Der gegenständliche Beschaffungsvorgang liegt somit im sachlichen und persönlichen Geltungsbereich und damit im Vollanwendungsbereich des BVergG. Die allgemeine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Überprüfung des Vergabeverfahrens und zur Durchführung von Nachprüfungsverfahren entsprechend § 327 BVergG 2018 iVm Art 14b Abs 2 Z 1 lit c B-VG ist sohin gegeben.

3.2.1.3 Da darüber hinaus laut Stellungnahme der Auftraggeberin das Vergabeverfahren nicht widerrufen und der Zuschlag noch nicht erteilt wurde, ist das Bundesverwaltungsgericht damit gemäß § 334 Abs 2 BVergG 2018 zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen des Auftraggebers und zur Erlassung einstweiliger Verfügungen zuständig.

3.2.1.4 Schließlich geht das Bundesverwaltungsgericht vorläufig davon aus, dass der Antragstellerin die Antragsvoraussetzungen nach § 342 Abs 1 BVergG 2018 nicht offensichtlich fehlen. Der Nachprüfungsantrag wurde rechtzeitig eingebracht. Er enthält alle in § 344 Abs 1 BVergG 2018 geforderten Inhalte.

3.2.1.5 Im Ergebnis ist daher vorläufig davon auszugehen, dass der Antrag auf Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügung gemäß § 350 Abs 1 BVergG 2018 zulässig ist, wobei auch die Voraussetzungen des § 350 Abs 2 BVergG 2018 vorliegen.

3.2.2 Inhaltliche Beurteilung des Antrages

3.2.2.1 Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 351 Abs 1 BVergG 2018 sowie auch im Hinblick auf die zu verfügende einstweilige Maßnahme ist zunächst darauf Bedacht zu nehmen, dass von Seiten der Auftraggeberin die Zuschlagserteilung beabsichtigt ist. Es kann aus der Sicht des Provisorialverfahrens nicht ausgeschlossen werden, dass die von der Antragstellerin relevierten Rechtswidrigkeiten zutreffen und sie daher an einem sodann rechtmäßigen Verfahren erfolgreich teilnehmen wird können, wodurch ihr auf Grund der behaupteten Rechtswidrigkeiten der Entgang des Auftrages mit allen daraus erwachsenden Nachteilen droht. Mit der vorliegenden einstweiligen Verfügung müssen daher – bei Nichtüberwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung gemäß § 351 Abs 1 BVergG 2018 – Maßnahmen getroffen werden, die eine spätere den Grundprinzipien des Vergaberechts entsprechende Teilnahme am Vergabeverfahren über die ausgeschriebenen Leistungen und eine Zuschlagserteilung ermöglicht. Zur wirksamen Sicherung dieser möglicherweise bestehenden Ansprüche muss daher das Verfahren bis zur Entscheidung in der Hauptsache durch das Bundesvergabeamt in einem Stand gehalten werden, der eine allfällige spätere Zuschlagserteilung an die Antragstellerin ermöglicht (BVwG 29. 1. 2015, W187 2017416-1/3E).

3.2.2.2 Die Interessen der Antragstellerin bestehen im Wesentlichen in der Abwendung des drohenden Schadens und der Zuschlagserteilung.

3.3.2.3 Die Auftraggeberin spricht sich gegen eine einstweilige Verfügung aus und macht dagegen – zusammengefasst – insbesondere öffentliche Interessen an der Fertigstellung des Bauvorhabens und die Unmöglichkeit der Berücksichtigung der Dauer eines Nachprüfungsverfahrens in ihrer zeitlichen Planung des Vorhabens gelten.

3.2.2.4 Bei der Interessenabwägung ist schließlich auf die allgemeinen Interessen und Grundsätze Rücksicht zu nehmen, dass der Auftraggeber bei seiner zeitlichen Planung des Beschaffungsvorganges die Dauer eines allfälligen Rechtsschutzverfahrens mit einzukalkulieren hat (siehe zB BVwG 22. 8. 2014, W187 2010665-1/11E; 11. 7. 2017, W187 2163208-1/3E), dass das öffentliche Interesse an der Sicherstellung der Auftragserteilung an den tatsächlichen Bestbieter zu berücksichtigen ist (grundlegend VfGH 1. 8. 2002, B 1194/02) und schließlich dass gemäß § 329 Abs 1 BVergG von der Erlassung einer einstweiligen Verfügung nur dann abzusehen ist, wenn die Interessenabwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen ergibt (zB BVwG 2. 3. 2015, W187 2101270-1/6E; 19. 1. 2017, W187 2144680-1/2E). Es besteht ein Primat des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes (EuGH 9. 4. 2003, C-424/01, CS Austria, Rn 30, Slg 2003, I-3249).

3.2.2.5 Öffentliche Interessen, die eine sofortige Fortsetzung des Vergabeverfahrens erforderlich machen würden, machte die Auftraggeberin insofern geltend, als sie ein Interesse an der Herstellung der Infrastruktur und insbesondere des vorliegenden Bauvorhabens behauptet. Unbestritten liegt in dem Ausbau von Bahninfrastruktur ein öffentliches Interesse. Bei der Dauer der Durchführung dieses Projekts von mehr als 15 Jahren ist jedoch nicht erkennbar, welches öffentliche Interesse der Dauer eines Nachprüfungsverfahrens von sechs Wochen entgegenstehen könnte. Einen Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, die durch die Verlagerung von Arbeit auf Heimarbeitsplätze ohnehin eine eingeschränkte Mobilität nach sich gezogen hat, ist dem Bundesverwaltungericht nicht erkennbar. Dem Bundesverwaltungsgericht sind auch keine anderen öffentlichen Interessen ersichtlich.

3.2.2.6 Stellt man daher im vorliegenden Fall die Interessen der Antragstellerin den öffentlichen Interessen sowie den Interessen des Auftraggebers gegenüber, ergibt sich, dass im gegenständlichen Fall vom grundsätzlichen Überwiegen der für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung sprechenden Interessen auszugehen ist. Dem Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes, nämlich der Ermöglichung der Teilnahme an einem rechtskonformen Vergabeverfahren und die Zuschlagserteilung an die allenfalls obsiegende Antragstellerin, ist durch eine entsprechende Maßnahme Genüge zu leisten. Ungeachtet eines gesetzlichen Auftrags ist die Auftraggeberin verpflichtet, die Dauer eines Nachprüfungsverfahrens bei ihrer Zeitplanung zu berücksichtigen. Das Vorbringen der Auftraggeberin, dass die Berücksichtigung der Dauer eines Nachprüfungsverfahrens wegen der Abstimmung der einzelnen Bauphasen nicht möglich sei, kann vergaberechtlich nicht durchschlagen. Einerseits hat die Auftraggeberin dieses Vorbringen durch nichts belegt, sondern lediglich behauptet. Andererseits würde eine derartige Sichtweise den vergaberechtlichen Primärrechtsschutz nach Art 1 Abs 1 iVm Art 2 Abs 1 lit a und b RL 92/13/EG gänzlich beseitigen, sodass in dieser Pauschalität ein unionsrechtswidriges Ergebnis erzielt würde. Die Erfolgsaussichten des Hauptantrags sind im Provisorialverfahren nicht prüfen (zB VwGH 4. 11. 2013, AW 2013/04/0045). Sie gehören nicht zu den Kriterien, die die für Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge zuständige Instanz berücksichtigen muss oder kann, wenn sie über einen Antrag auf vorläufige Maßnahmen gemäß Art 2 Abs 1 lit a RL 89/665/EWG entscheidet; die Rechtsmittelrichtlinie untersagt eine solche Berücksichtigung jedoch auch nicht (EuGH 9. 4. 2003, C-424/01, CS Austria, Rn 29). Sie sind nach dem zitierten Urteil des Europäischen Gerichtshofs nach Maßgabe der innerstaatlichen Vorschriften unter Beachtung des Äquivalenzgrundsatzes und des Effektivitätsgrundsatzes zu berücksichtigen. Erfasst sind jedenfalls Fälle, in denen der Nachprüfungsantrag formal unzulässig ist. Dieser Umstand liegt gegenständlich nicht vor. Die Rechtmäßigkeit der Prüfung und Bewertung der Angebote sowie der Durchführung des Vergabeverfahrens kann angesichts der kurzen Entscheidungsfrist im Provisorialverfahren nicht abschließen geklärt werden, vielmehr ist sie Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens (zB BVA 14. 11. 2012, N/0103-BVA/10/2012-EV12; 18. 3. 2013, N/0020-BVA-07/2013-EV8).

3.2.2.7 Zweck einer einstweiligen Verfügung ist es demnach, die dem Antragsteller bei Zutreffen seines Vorbringens drohenden Schäden und Nachteile abzuwenden, indem der denkmögliche Anspruch auf Zuschlagserteilung dadurch wirksam gesichert wird, dass das Verfahren bis zur Entscheidung in der Hauptsache in einem Stand gehalten wird, der eine allfällige Teilnahme der Antragstellerin am Vergabeverfahren ermöglicht. Dabei ist gemäß § 351 Abs 3 BVergG 2018 die jeweils gelindeste zum Ziel führende Maßnahme anzuordnen.

3.2.2.8 Bei der bevorstehenden Zuschlagserteilung ist das nötige und gelindeste Mittel gemäß § 351 Abs 3 BVergG 2018 die vorläufige Untersagung der Zuschlagserteilung (zB BVwG 12. 11. 2018, W187 2208747-1/4E; 23. 1. 2019, W123 2213111-1/3E; 28. 9. 2020, W120 2235161-1/2E). Es soll somit (lediglich) der Rechtsgestaltungsanspruch dahingehend gesichert werden, dass durch die einstweilige Verfügung verhindert werde, dass eine nachfolgende im Hauptverfahren erfolgte Nichtigerklärung unmöglich oder sonst absolut sinnlos wird (zB BVwG 10. 1. 2014, W187 2000170-1/11; 7. 8. 2017, W187 2165912-1/2E; 27. 2. 2018, W187 2186439-1/2E).

3.2.2.9 Durch die Begrenzung der einstweiligen Verfügung mit der Dauer des abzusichernden Nachprüfungsverfahrens wird die Dauer der einstweiligen Verfügung bestimmbar gemacht (Kodek in Angst/Oberhammer, Kommentar zur Exekutionsordnung³ [2015], § 391 Rz 2). Die Zeit bemisst sich nach der Dauer des Nachprüfungsverfahrens. § 351 Abs 4 BVergG 2018 verlangt lediglich die Festsetzung einer Zeit, legt im Gegensatz zu den Vorgängergesetzen keine Höchstfrist fest. Aus dem Zweck der einstweiligen Verfügung, der Absicherung eines effektiven Nachprüfungsverfahrens, ergibt sich, dass die einstweilige Verfügung für die gesamte Dauer des Nachprüfungsverfahrens erlassen werden soll und mit dieser Dauer durch das Gesetz überdies begrenzt ist. Der Auftraggeber ist durch eine derartige Bestimmung der Zeit nicht belastet, da die Entscheidungsfrist des Bundesverwaltungsgerichts davon nicht verlängert wird, sie jederzeit bei Wegfall der Voraussetzungen für die Erlassung der einstweiligen Verfügung deren Aufhebung beantragen kann und die einstweilige Verfügung mit der Entscheidung über den Nachprüfungsantrag außer Kraft tritt. Wenn die Auftraggeberin nun eine Befristung von sechs Wochen ab der Erlassung der einstweiligen Verfügung begehrt, ist dem zu entgegnen, dass zu erwarten ist, dass das Bundesverwaltungsgericht innerhalb dieser Frist entscheiden wird, und das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 351 Abs 4 BVergG 2018 jederzeit über Antrag oder von Amts wegen über die Dauer der einstweiligen Verfügung neu entscheiden kann. Von der Bestimmung einer nach einem bestimmten Datum fest gesetzten Frist konnte daher abgesehen werden (zB BVwG 10. 1. 2014, W187 2000170-1/11; 4. 5. 2015, W187 2106525-1/2E; siehe auch VwGH 10. 12. 2007, AW 2007/04/0054).

3.2.2.10 Über den Antrag auf Ersatz der Pauschalgebühr wird gesondert entschieden werden.

3.3 Zu Spruchpunkt B) – Nichtzulassung der Revision

3.3.1 Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.3.2 Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl dazu VwGH 6. 11. 2002, 2002/04/0138; 30. 6. 2004, 2004/04/0028; 1. 2. 2005, 2005/04/0004; 29. 6. 2005, 2005/04/0024; 1. 3. 2007, 2005/04/0239; 27. 6. 2007, 2005/04/0254; 29. 2. 2008, 2008/04/0019; 14. 1. 2009, 2008/04/0143; 14. 4. 2011, 2008/04/0065; 29. 9. 2011, 2011/04/0153) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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