BVwG W161 2126935-1

BVwGW161 2126935-131.5.2016

AsylG 2005 §5 Abs1
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61
AsylG 2005 §5 Abs1
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:W161.2126935.1.00

 

Spruch:

W161 2126935-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika

LASSMAN über die Beschwerde der XXXX, geboren: XXXX,

Staatsangehörigkeit: Nigeria alias XXXX, geb. XXXX in Ghana alias

XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit: Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.04.2016, Zahl:

1107584308-160356999, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG idgF stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG idgF nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Beschwerdeführerin, deren Identität nicht feststeht, reiste spätestens am 09.03.2016 von Italien kommend illegal in das Bundesgebiet ein und brachte am selben Tag beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Eine EURODAC-Abfrage ergab einen Treffer der Kategorie 1 mit Italien vom 07.07.2011.

I.2. Im Rahmen der Erstbefragung am 09.03.2016 gab die Beschwerdeführerin an, sie könne der Einvernahme ohne Probleme folgen. Sie sei im sechsten Monat schwanger. Sie habe vor etwa drei Monaten den Entschluss gefasst, Italien zu verlassen. Sie hätte nach Deutschland gewollt, dort sei ihr gesagt worden, dass sie nach Österreich gehen müsse. Sie habe Nigeria über Libyen verlassen und zwei Jahre in Italien gelebt. In Italien sei es nicht gut zu leben. Als sie schwanger gewesen wäre, habe man sich im Krankenhaus nicht um sie gekümmert. Sie möchte nicht nach Italien zurück. Sie habe nach zwei Jahren noch immer keine Dokumente in Italien erhalten.

Die Beschwerdeführerin legte dem BFA einen Mutter-Kind-Pass vor, wonach sie schwanger sei. Der errechnete Geburtstermin ist der 15.07.2016.

I.3. Das BFA richtete an Italien am 21.03.2016 ein auf Art. 18 Abs.1 lit. b der Verordnung (EU)

Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO), gestütztes Aufnahmeersuchen betreffend die Beschwerdeführerin. Deren Schwangerschaft wurde Italien nicht mitgeteilt.

I.4. Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 29 Abs. 3 AsylG vom 10.03.2016 wurde der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, und dass ein Konsultationsverfahren mit Italien eingeleitet worden wäre.

I.5. Mit Schreiben vom 30.03.2016 (eingelangt am selben Tag), stimmten die italienischen Behörden der Aufnahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 18 lit. d Dublin III-VO ausdrücklich zu.

I.6. Anlässlich der Einvernahme vor dem BFA am 25.04.2016 gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, sie fühle sich psychisch und physisch in der Lage, die an sie gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Sie habe Körperschmerzen. Sie habe Diabetes. Sie sei schon bei ihrer Einreise nach Österreich krank gewesen. Sie sei ins Spital gebracht worden, zu diesem Zeitpunkt sei sie schwanger gewesen. Weitere gesundheitliche Beschwerden habe sie nicht. Sie nehme derzeit Insulin. Sie gehe auch immer zur Blutkontrolle in Österreich. Sie habe bei der Erstbefragung der Wahrheit entsprechende Angaben getätigt. Sie habe keine Verwandten in Österreich bzw. im Gebiet der Europäischen Union. Sie habe keine identitätsbezeugenden Dokumente. Sie wolle nicht nach Italien zurück. Sie hätte dort keine Probleme mit der Polizei gehabt und auch keine gesundheitlichen Probleme. Sie habe in Italien davon gelebt, Haare für Kundinnen zu frisieren.

Die Beschwerdeführerin legte einen Arztbrief der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des XXXX vom 21.03.2016 vor. Aus diesem ergibt sich ein stationärer Aufenthalt der Beschwerdeführerin vom 15.03.2016 bis 21.03.2016. Als Diagnose bei der Entlassung ist angeführt: "Insulinpflichtige Gestationsdiabetes; Grav. I/0/0, 23/3. SSW. bei Entlassung".

I.7. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 09.03.2016 ohne in die Sache einzutreten gem. § 5 Abs. 1 Asyl 2005, BGBL I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, als unzulässig zurückgewiesen. Für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz sei gem. Art. DB III: WAN Art. 18 (1) (d) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates Italien zuständig. In Spruchpunkt II. wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung der Antragstellerin angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gem. § 61 Abs. 2 FPG deren Abschiebung nach Italien zulässig sei.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf in diesem Bescheid, basierend auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation Feststellungen zum italienischen Asylverfahren, zur Praxis des Non-Refoulment-Schutzes zu Dublin-Rückkehrern und zur Versorgung von Asylwerbern in Italien.

Begründend wurde hervorgehoben, dass im Verfahren kein im besonderen Maße substantiiertes glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr der Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen, hervorgekommen sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe daher zu. Die Beschwerdeführerin wäre in Italien keiner Verfolgung oder Misshandlung ausgesetzt. Ein zu beachtender Familienbezug zu einem dauernd Aufenthaltsberechtigten in Österreich oder österreichischen Staatsbürger läge nicht vor. Die Beschwerdeführerin sei schwanger. Der errechnete Geburtstermin sei mit dem 15.07.2016 terminisiert. Sie habe Diabetes und nehme derzeit diesbezügliche Medikamente. Die Schwangerschaft sei bis dato problemfrei verlaufen.

I.8. Am 26.04.2016 stellte das BFA der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 84/2015 (BFA-VG) einen Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge: BVwG) amtswegig zur Seite.

I.9. Mit Schreiben vom 24.05.2016 brachte die Beschwerdeführerin fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein, mit dem der Bescheid gesamtinhaltlich wegen Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten wird.

Die Beschwerdeführerin sei hochschwanger, der voraussichtliche Geburtstermin sei am 15.07.2016. Sie leide an Diabetes. Sie gehöre daher einer vulnerablen Gruppe an, weshalb die Behörde richtigerweise eine Einzelfallzusicherung seitens Italiens hätte anfordern müssen, was die Behörde jedoch unterlassen habe. Bei einer Rückkehr nach Italien bestehe die reale Gefahr, dass sie aufgrund ihrer Schwangerschaft und ihres Gesundheitszustandes in eine, ihr Leib und Leben und das ihres ungeborenen Kindes bedrohende Lage geraten würde. In ganz Italien gebe es laut Schreiben vom italienischen Innenministerium vom 15.02.2016 leidglich 85 Plätze für vulnerable Personen.

I.10. Die Beschwerdevorlage an die zuständige Gerichtsabteilung des BVwG iSd § 16 Abs. 4 BFA-VG erfolgte am 30.05.2016.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

II.1. Mit 1.1.2014 sind das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) sowie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - Verfahrensgesetz (BFA-VG) in Kraft getreten.

Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 144/2013 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet:

"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung lauten:

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen eines Mitgliedstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung normiert, dass sich für den Fall, dass sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen lässt, der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde für dessen Prüfung zuständig ist.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass die Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedsstaat oder an den ersten Mitgliedsstaats, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

Gemäß Art 3 Abs. 3 der Dublin-III-Verordnung behält jeder Mitgliedstaat das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

In Kapitel 3 bzw. den Artikeln 7 ff der Dublin-III-VO werden die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats sowie deren Rangfolge aufgezählt.

Art. 13 Abs. 1 Dublin-Verordnung lautet: "Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 22 Abs. 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts."

Gemäß Art. 18 Abs. 1 ist der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Art. 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrages in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

Gemäß Art. 18 Abs. 2 der Dublin-III-VO prüft der zuständige Mitgliedstaat in allen dem Anwendungsbereich des Abs. 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Abs. 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrages abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.

In den in den Anwendungsbereich des Abs. 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

Zur Frage der Unzuständigkeit Österreichs für die Durchführung des gegenständlichen Asylverfahrens pflichtet das Bundesverwaltungsgericht der erstinstanzlichen Behörde bei, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt zunächst die Zuständigkeit Italiens ergibt.

II.2. Dennoch geht das BVwG davon aus, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine Überstellung der BF nach Italien nicht zulässig ist. Dies aus folgenden Erwägungen:

Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine hochschwangere Frau, die an Diabetes leidet.

Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 4.11.2014, Case of TARAKHEL v SWITZERLAND, festgestellt hat, stellt es eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte dar, wenn der ersuchende Mitgliedstaat vor einer Rücküberstellung einer Familie mit minderjährigen Kindern nach Italien keine Einzelfallzusicherung eingeholt hat, die Familie bei Rückkehr nicht zu trennen und für eine dem Alter der Kinder entsprechende Unterbringung zu sorgen.

Dies wird aus Überlegungen betreffend die Behandlung von vulnerablen Personen im allgemeinen auch für eine alleinstehende Frau gelten, deren Kind kurz vor der Geburt steht und die an Diabetes leidet, da auch in diesem Fall die im Hinblick auf das zu erwartende Kind Mutter und Neugeborenes entsprechend untergebracht werden müssen beziehungsweise für eine möglichst rasche medizinische Betreuung von Mutter und Kind Vorsorge zu treffen sein wird.

Gegenständlich wurde es von der Behörde unterlassen, eine - den Anforderungen des Urteils TARAKHEL entsprechende - Einzelfallzusicherung Italiens zu erwirken, wonach die Antragstellerin bei ihrer Rückkehr nach Italien (auch nicht vorübergehend) entsprechend untergebracht, ärztlich versorgt wird und die Unterbringung dem Alter des neugeborenen Kindes entspricht.

Dazu ist festzuhalten, dass das italienische Innenministerium mit Schreiben vom 08.06.2015 generell zugesichert hat, dass vulnerable Personen, insbesondere Familien mit minderjährigen Kindern, jedenfalls entsprechend untergebracht und versorgt würden. Eine Zusicherung im Einzelfall sei daher nicht mehr notwendig. Abweichende Erfahrungen sind derzeit auch nicht amtsbekannt. Dieses Schreiben wurde jedoch nicht in die Beurteilungen miteinbezogen und findet sich auch nicht in dem gegenständlichen Akt. In einem vorhergehenden Schreiben (Februar 2015) wurde seitens des italienischen Innenministeriums darauf hingewiesen, dass diesbezüglichen Anfragen mindestens 15 Tage vor der Überstellung stattzufinden hätten, um die Unterbringung der Familien mit minderjährigen Kinder zu garantieren.

Den italienischen Behörden wurde bis dato nicht mitgeteilt, dass die BF im achten Monat schwanger ist. Da dies jedoch mindestens 15 Tage im Voraus mitzuteilen wäre, um die erforderliche Unterbringung zu ermöglichen, würde sich die Überstellung um diese Zeit jedenfalls verzögern. Die Beschwerdeführerin genießt bereits Mutterschutz und wird eine Überstellung erst nach Ablauf von 8 Wochen nach der Geburt ihres Kindes möglich sein.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z. B. VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des Verwaltungsgerichtshofes (z. B. VwGH 23.01.2007, 2006/01/0949; 25.04.2006, 2006/19/0673; 08.09.2015, Ra 2015/18/0113-0120) ist in diesen Verfahren aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang eine prognostische Beurteilung der Verhältnisse im Aufnahmestaat, die auf der Grundlage einer Gesamtbeurteilung der aktuellen Berichtslage unter Bedachtnahme auf die individuelle Lage der betroffenen Beschwerdeführer zu erfolgen hat.

Bereits der Asylgerichtshof und daran anschließend auch das BVwG haben unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Durchführung einer Ausweisung (beziehungsweise Rückkehrentscheidung oder Anordnung einer Außerlandesbringung) im Falle einer vorliegenden Schwangerschaft folgendes ausgeführt:

In den §§ 3 und 5 Mutterschutzgesetz (MSchG), BGBl. Nr. 221/1979 idgF, wird für Frauen ein absolutes Beschäftigungsverbot von acht Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung bis acht Wochen nach der Entbindung normiert (Mutterschutz). Die hinter dieser Bestimmung liegende generelle Wertung, dass Frauen in diesem Zeitraum vor und nach der Geburt einer körperlichen Schonung bedürfen, ist nach Ansicht des Gerichts auch auf Rückkehrentscheidungen im Asylrecht übertragbar (z.B. AsylG 23.02.2010, S13 306.762-4/2010/2E; BVwG 28.04.2014, W212 2006959-1; 30.04.2014, L518 2006411-1; 30.06.2015, W212 2107993-1).

Bei der Beschwerdeführerin wurde als voraussichtlicher Geburtstermin für ihr ungeborenes Kind im - insofern unbedenklichen - Mutter-Kind-Pass der 15.07.2016 errechnet. Dieser Termin liegt zum Zeitpunkt einer möglichen Überstellung unter Einhaltung aller notwendigen Fristen bei vulnerablen Personen innerhalb des oben angeführten 8-wöchigen Zeitraums eines absoluten Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz. Im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung, von der abzugehen im Beschwerdefall kein Anlass besteht, ist daher bei der Beschwerdeführerin und dem ungeborenen Kind jedenfalls von einem besonderen Schonungsbedarf auszugehen, der der Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs entgegensteht.

Das BFA wird daher im fortgesetzten Verfahren nach Ablauf der Mutterschutzfrist nach der Geburt jedenfalls die Frage noch offener Überstellungsfristen, der Zuständigkeit Italiens auch für das Kind, weiters den dann aktuellen Gesundheitszustand von Mutter und Kind, beziehungsweise die Frage der gesicherten Übernahme der Beschwerdeführerin und ihres neugeborenen Kindes als Familie prüfen müssen, wobei auch die von der Beschwerdeführerin in der Beschwerde aufgeworfene Behauptung, sie würde im Falle einer Rückkehr nach Italien keine adäquate Versorgung erhalten, einer Klärung zugeführt werden müsste.

II.3. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

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