BVwG W131 2247310-1

BVwGW131 2247310-116.8.2023

BVergG 2018 §151
BVergG 2018 §155
BVergG 2018 §327
BVergG 2018 §328
BVergG 2018 §333
BVergG 2018 §334 Abs3
BVergG 2018 §342
BVergG 2018 §353
BVergG 2018 §356
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:W131.2247310.1.00

 

Spruch:

 

W131 2247310-1/55Z

 

BESCHLUSS

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag Reinhard GRASBÖCK als Vorsitzenden, sowie durch die fachkundige Laienrichterin Dr´a Ilse POHL als Beisitzerin der Auftraggeberseite und durch den fachkundigen Laienrichter Mag Matthias WOHLGEMUTH als Beisitzer der Auftragnehmerseite in Teilerledigung der Feststellungsbegehren vom 19.07.2021 der anwaltlich vertretenen Antragstellerin (= ASt) XXXX betreffend die Vergabe iZm einer Rahmenvereinbarung zu „SARS-CoV-2 (COVID-19) Antigenschnelltests mit der Referenznummer 3703.03821 durch die Auftraggeberinnen 1. Republik Österreich, vertreten durch den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung und 2. Bundesbeschaffung GmbH, beide vertreten durch die Finanzprokuratur, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen:

A)

Das am 13.10.2021 zweitvorgetragene Feststellungsbegehren,

„gemäß § 334 Abs. 3 Z 5 BVergG feststellen, dass der Zuschlag bei der Vergabe von Antigenschnelltests aufgrund der Rahmenvereinbarung „SARS-CoV2-(Covid-19)-Antigenschnelltests GZ 3703.03821“ wegen eines Verstoßes gegen § 155 Abs 5 bis 9 BVergG rechtswidrig war"

wird zurückgewiesen,

dies unter Vorbehalt der gesonderten Erledigung

sowohl des erstvorgetragenen Feststellungsbegehrens, "gemäß § 334 Abs 3 Z 1 BVergG feststellen, dass der Zuschlag vom 15. April 2021 zugunsten der Zuschlagsempfängerin XXXX wegen eines Verstoßes gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht und eines Verstoßes gegen das BVergG nicht gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem Angebot mit dem niedrigsten Preis erteilt wurde; ", als auch des Eventualbegehrens, "in eventu gemäß § 334 Abs 3 Z 4 BVergG feststellen, dass der Zuschlag rechtswidrigerweise ohne Mitteilung der Zuschlagsentscheidung erteilt wurde"

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.

 

 

Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Die ASt verfasste am 19.07.2021 einen beim BVwG zur GZ W131 2244508-1 protokollierten Feststellungsantrag mit insb folgendem hier interessierendem Inhalt und den dabei gestellten, unten nochmals wiedergegebenen Feststellungsbegehren:

 

FESTSTELLUNGSANTRAG

 

1. Sachverhalt

1.1. Mit Auftragsbekanntmachung vom 2. März 2021 wurde von der Auftraggeberin Republik Österreich (Bund), der Bundesbeschaffung GmbH sowie allen weiteren Auftraggebern gemäß der den Ausschreibungsunterlagen beiliegenden Kundenliste zur Zahl 2021/S 042-104457 die Vergabe einer Rahmenvereinbarung zu „SARS-CoV-2 (COVID-19) Antigen-schnelltests“ mit der Referenznummer 3703.03821 eingeleitet. Der geschätzte Gesamtwert der Rahmenvereinbarung wurde mit EUR XXXX ,-- beziffert. Als Schlusstermin für den Eingang der Angebote wurde nach der Durchführung eines beschleunigten offenen Verfahrens bereits der 16. März 2021 festgelegt.

 

Beweis: Auftragsbekanntmachung vom 2. März 2021 (Anlage ./A); beizuschaffender Vergabeakt.

 

1.2. In den Ausschreibungsunterlagen wurden die für die Auftragsvergabe maßgeblichen Bestimmungen insbesondere in den Allgemeinen Ausschreibungsbedingungen („AAB“) sowie in den kommerziellen Ausschreibungsbedingungen Rahmenvereinbarung („RVB“) festgelegt:

 

Bereits in den AAB wurde in Rz 106 Folgendes festgelegt:

 

„Sämtliche Artikel haben eine Medizinproduktzulassung mit einer entsprechenden CE-Zertifizierung aufzuweisen.“

 

Entsprechend wurde in Rz 110 der AAB auch Folgendes normiert:

 

[...]

 

In Rz 143 der AAB wurde schließlich festgelegt, dass die Rahmenvereinbarung mit allen nicht auszuscheidenden Bietern abgeschlossen werde, die ein gültiges Angebot gelegt haben.

 

In den Kommerziellen Ausschreibungsbedingungen Rahmenvereinbarung (RVB) wurden in Rz 18ff die Festlegungen für die Vorgangsweise bei einem Abruf konkreter Leistungen getroffen. In Rz 31 und 32 der RVB finden sich dabei folgende Festlegungen:

 

„Direktabrufe sind für alle im Preisblatt definierten Produkte zulässig, sofern die Leistungs- und Vertragsbedingungen nicht geändert werden und erfolgen nach dem „Kaskadenprinzip“ ohne erneuten Aufruf zum Wettbewerb.“

 

„Der Auftraggeber definiert für den Abruf die notwendigen Merkmale. [...]

 

1.4. In weiterer Folge wurde die verfahrensgegenständliche Rahmenvereinbarung mit 76 Par-teien abgeschlossen. Unter diesen Parteien befinden sich sowohl die Zuschlagsempfänge-rin als auch die Antragstellerin. Vor dem Abschluss der Rahmenvereinbarung war dem Vernehmen nach keine Auswahlentscheidung gemäß § 154 Abs 3 BVergG mitgeteilt worden, da keine „nicht berücksichtigten Bieter“ im Vergabeverfahren verblieben waren.

 

Beweis: Bekanntgabe der vergebenen Rahmenvereinbarung vom 21. Mai 2021 (Zahl XXXX ) (Anlage ./D);

beizuschaffender Vergabeakt.

 

1.5. Nach Abschluss der Rahmenvereinbarung hat die Erstauftraggeberin offenbar am 15. April 2021 bei der Zuschlagsempfängerin Schnelltests der Marke „ XXXX “ für den Schul-bereich mit einem Auftragswert in Höhe von EUR XXXX ,-- abgerufen. Obwohl im Rahmen des Abrufes für den Schulbereich als Merkmal „Tests zur Eigenanwendung oder Selbsttests“ seitens der Erstauftraggeberin festgelegt worden waren (Anwendbarkeit der besonderen MUSS-Anforderungen nach Rz 94 RVB), wurde der Zuschlag zugunsten des Produktes der Zuschlagsempfängerin erteilt, welches im Zeitpunkt des Abrufes über keine ausreichende und ausschreibungskonforme Medizinproduktzulassung mit einer entsprechenden CE-Zertifizierung für eine Eigenanwendung aufwies. In der Packungsbeilage zum abgerufenen Produkt wird ausdrücklich und mehrfach darauf hingewiesen, dass dieser Antigentest nur für die professionelle In-vitro-diagnostische Anwendung zugelassen ist. Außerdem findet sich sogar auf der Verpackung des „ XXXX “-Antigentests der eindeutige Hinweis: XXXX .

 

Beweis: [...]

 

1.6. Nach dem Kenntnisstand der Antragstellerin sind auf dem Markt für Antigenschnelltests zur Eigenanwendung mittlerweile mehrere Tests [...]

 

2. Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes – Zulässigkeit des Feststellungsantrages

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß § 334 Abs 3 BVergG nach Zuschlagserteilung u.a. zu den Feststellungen zuständig, ob wegen eines Verstoßes gegen dieses Bundesgesetz, die hierzu ergangenen Verordnungen oder unmittelbar anwendbares Unionsrecht der Zuschlag nicht gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem Angebot mit dem niedrigsten Preis oder dem technisch und wirtschaftlich günstigen Angebot erteilt wurde (§ 334 Abs. 3 Z 1 BVergG) sowie zur Feststellung, ob der Zuschlag bei der Vergabe einer Leis-tung aufgrund einer Rahmenvereinbarung wegen eines Verstoßes gegen § 155 Abs. 49 BVergG rechtswidrig war (§ 334 Abs. 3 Z 5 BVergG). Für den Fall, dass das Gericht die Rahmenvereinbarung als nicht zustande gekommen beurteilen sollte, ist es auch zur Feststellung zuständig, ob der Zuschlag rechtswidrigerweise ohne Mitteilung der Zuschlagsentscheidung erteilt wurde (§ 334 Abs 3 Z 4 BVergG). Da es sich gegenständlich um Auf-traggeber handelt, die gemäß Art. 14b Abs. 2 B-VG in den Vollziehungsbereich des Bundes fallen, ist somit die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes für die Durchführung des gegenständlichen Feststellungsverfahrens gegeben. Darüber hinaus wurde in der Bekanntmachung der Rahmenvereinbarung (Anlage ./A) das Bundesverwaltungsgericht als zuständige Vergabekontrollstelle angegeben.

 

2.2. Mit diesem Feststellungsantrag gemäß § 353 Abs. 1 Z 1 sowie Z 4 BVergG (sowie in eventu gemäß § 353 Abs. 1 Z 3 BVergG) bekämpft die Antragstellerin den am 15. April 2021 bekanntgegebenen Abruf aus der Rahmenvereinbarung zugunsten der Zuschlagsempfängerin vom 15. April 2021 (laut Bekanntgabe Tag des Vertragsabschlusses).

 

2.3. Die Antragstellerin macht die Verletzung

 

• in ihrem Recht, dass Abrufe aus der Rahmenvereinbarung nur nach den bestandsfesten Ausschreibungsbedingungen und auf Grundlage des unmittelbar anwendbaren Unions-rechtes erfolgen;

• in ihrem Recht, dass Abrufe nur zugunsten von Parteien erfolgen, die über eine ausrei-chende Medizinproduktzulassung für Antigentest zur Selbstanwendung mit einer ent-sprechenden CE-Kennzeichnung erfolgen;

• in ihrem Recht auf Unterbleiben der Festlegung von Merkmalen im Zuge eines Abrufes dahingehend, dass für Antigentests zur Selbstanwendung entgegen der Ausschrei-bungsbedingungen nicht auch eine entsprechende Medizinproduktzulassung sowie eine entsprechende CE-Kennzeichnung verlangt wird;

• in ihrem Recht auf Nichtberücksichtigung von Angeboten im Zuge eines Abrufes von Antigentest zur Selbstanwendung für den Schulbereich, die lediglich die Anforderungen des §323c Abs. 18 BAO (in der Fassung vom 15. April 2021) erfüllen;

• in ihrem Recht auf unionsrechtskonforme Auslegung der Ausschreibungsbedingungen und insbesondere Außerachtlassung richtlinienwidriger (bzw. dem Unionsrecht entge-genstehender) nationaler Bestimmungen im Rahmen der Auslegung von MUSS-Anforderungen;

• in ihrem Recht, dass durch Abrufe aus der Rahmenvereinbarung nicht ein Inverkehr-bringen von Antigentests entgegen der Ausschreibungsbedingungen und der Anforderungen der IVD-RL (RL 98/79/EG ) ermöglicht und damit gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht iSd. § 353 Abs. 1 Z 1 BVergG verstoßen wird;

• in ihrem Recht auf eine unionsrechtskonforme Durchführung und Beendigung von Vergabeverfahren durch Abruf von Produkten, die über eine entsprechende Medizin-produktzulassung sowie CE-Kennzeichnung verfügen;

• in ihrem Recht auf eine unionsrechtskonforme Durchführung und Beendigung von Vergabeverfahren durch eine Zuschlagserteilung, der eine Mitteilung der „Zuschlags-entscheidung“ iSv Art 2a Abs.1 RL 89/665/EG vorausgegangen ist,

• in ihrem Recht auf eine unionsrechtskonforme Durchführung und Beendigung von Vergabeverfahren durch Abrufe, denen eine rechtsgültige Rahmenvereinbarung zu Grunde liegt, sowie

• in ihrem Recht auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung im Zuge von Abrufen aus der verfahrensgegenständlichen abgeschlossenen Rahmenvereinbarung

 

geltend.

 

Weil die Antragstellerin erst nach dem erfolgten Abruf bei der mitbeteiligten Partei von der offenbar rechtswidrigen Filterung der Merkmale für Antigentests zur Eigenanwendung Kenntnis erlangt hat bzw. Kenntnis erlangen konnte, hätte sie diese Rechtsverstöße nicht bereits im Rahmen eines Nachprüfungsantrages geltend machen können (vgl. § 354 Abs. 4 BVergG).

 

2.4. Da die Antragstellerin bei ausschreibungs- und vergaberechtskonformer Bewertung ihres Angebotes und des Angebotes der Zuschlagsempfängerin den Zuschlag erhalten hätte müssen (im Zeitpunkt des Abrufes war sie die Partei der Rahmenvereinbarung mit dem niedrigsten Preis bzw. die einzige Partei am Markt, die über einen Antigentest mit Medi-zinproduktezulassung und CE-Kennzeichnung für die Eigenanwendung verfügte), ist ihr durch die behauptete Vergaberechtsverletzung insoweit ein Schaden entstanden, dass sie keinen Auftrag erhalten und keinen entsprechenden Gewinn lukrieren konnte.

 

Darüber hinaus wurden durch die vergaberechtswidrige Vorgangsweise der Erstauftragge-berin die bisherigen Kosten der Antragstellerin für Teilnahme am Vergabeverfahren und der Rahmenvereinbarung (zB Katalogpflege) frustriert.

 

Ferner will die Antragstellerin auch in Zukunft einen Abruf aus der verfahrensgegenständ-lichen Rahmenvereinbarung erhalten. Durch die nunmehr angefochtene Zuschlagserteilung zu Gunsten von Konkurrenzprodukten, für die keine ausreichende Medizinprodukte-zulassung bzw. CE-Kennzeichnung vorliegt, droht der Antragstellerin auch insoweit ein Schaden zu entstehen, als die Auftraggeberinnen mangels Feststellung der Rechtswidrigkeit der hier gerügten Vorgangsweise auch in Zukunft Abrufe zugunsten von Produkten mit einer unzureichenden Medizinproduktezulassung bzw. CE-Kennzeichnung für Selbst-tests durchführen könnte.

 

Ferner ist der Antragstellerin auch dadurch ein Schaden entstanden, da sie ein wertvolles Referenzprojekt nicht erhalten hat, dass sie bei anderen vergleichbaren Ausschreibungen im In- und Ausland vorweisen könnte. In diesem Zusammenhang liegt auch ein entstandener Schaden der Antragstellerin darin, dass die Zuschlagsempfängerin als Konkurrentin der Antragstellerin einen wertvollen Referenzauftrag erhalten hat und in Zukunft mit ei-nem Hinweis auf einen zu Unrecht erhaltenen Referenzauftrag bei vergleichbaren Aus-schreibungen mit der Antragstellerin in Wettbewerb tritt.

 

2.5. Ihr Interesse am Vertragsabschluss hat die Antragstellerin bereits durch Legung eines ordnungsgemäßen Angebotes, durch den Abschluss der Rahmenvereinbarung sowie auch durch eine nachträgliche Bekämpfung des Abrufes vom 15. April 2021 dargetan.

 

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Erstauftraggeberin im Zuge des Abrufes keinen erneuten Aufruf zum Wettbewerb vorgenommen hat. Es war der Antrag-stellerin daher nicht möglich, den behaupteten Verstoß (Abruf von Antigentest zur Selbst-anwendung ohne ausreichende Medizinproduktezulassung bzw. CE-Kennzeichnung infolge einer unzureichenden Festlegung von Merkmalen/MUSS-Anforderungen für den Ab-ruf) bereits im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens geltend zu machen. Darüber hinaus wurden auch die Parteien der Rahmenvereinbarung auch erst nach dem Abruf aus dieser mit der Bekanntgabe von 21. Mai 2021 (Anlage ./D) veröffentlicht. § 354 Abs 4 BVergG ist daher nicht anwendbar.

 

2.6. Der Feststellungsantrag gemäß § 353 Abs. 1 Z 1 und Z 4 BVergG wurde rechtzeitig binnen 6 Monaten ab dem Zeitpunkt, zu dem die Antragstellerin vom Zuschlag Kenntnis erlangt hat oder Kenntnis erlangen hätte können, eingebracht. Die verfahrensgegenständliche Be-kanntgabe über den erfolgten Abruf aus der Rahmenvereinbarung erfolgte am 15. April 2021.

 

Auch im Zusammenhang mit der Frage einer allfälligen Nichtigerklärung und Verhängung von Sanktionen ist nach wie vor die 6-Monatsfrist des § 356 Abs. 7 erster Satz BVergG anwendbar. Denn einerseits hat die Erstantragsgegnerin die erfolgte Zuschlagserteilung nicht gemäß § 144 Abs. 2 BVerG mitgeteilt (§ 356 Abs. 7 Z 1 BVergG nicht anwendbar) und andererseits wird gegenständlich kein Antrag gemäß § 353 Abs 1 Z 2 BVergG gestellt (§ 356 Abs. 7 Z 2 BVergG nicht anwendbar).

 

2.7. Die Antragstellerin hat ihren Feststellungsantrag durch Überweisung von Pauschalgebühren [...]

 

 

 

3. Zur Rechtswidrigkeit des Abrufes bzw. des Zuschlages

[...]

 

3.5. Zum Eventualantrag gemäß § 353 Abs. 1 Z 3 BVergG

 

Für den Fall, dass das Gericht die Rahmenvereinbarung als nicht rechtsgültig zustande ge-kommen beurteilen sollte, liegt mangels erfolgter Mitteilung einer Zuschlagsentscheidung vor dem Vertragsschluss nicht nur allgemein eine festzustellende Rechtswidrigkeit iSd.§ 334 Abs 3 Z 1 BVergG vor, sondern liegen insbesondere auch die spezifischen Vorausset-zungen für eine Feststellung gemäß § 334 Abs. 3 Z 4 BVergG vor. Bei einer Unwirksamkeit der Rahmenvereinbarung wäre daher insbesondere auch festzustellen, dass der Zuschlag rechtswidrigerweise ohne Mitteilung der Zuschlagsentscheidung erteilt wurde.

 

In diesem Zusammenhang normiert § 353 Abs 1 Satz 2 BVergG, dass in einem Antrag mehrere Feststellungen beantragt werden können. Der Eventualantrag gemäß § 353 Abs. 1 Z 3 BVergG kann daher parallel zu den beiden Hauptanträgen gestellt werden, diese An-träge schließen einander nicht aus.

 

 

4. Anregung einer Vorabentscheidung durch den EuGH

 

Soweit das angerufene Gericht trotz der klaren unionsrechtlichen und hinreichend deter-minierten Vorgaben für den Umfang der Zulassungspflicht für Antigenschnelltests zur Selbstanwendung bzw. zur Unionsrechtswidrigkeit von § 323c Abs. 18 BAO idF BGBl I 25/2021 (zum 15. April 2021) Zweifel haben sollte, wird angeregt, die Frage der Reich-weite der unmittelbaren Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des Art. 9 Abs. 12 der IVD-RL iZm Art. 9 Abs. 1 IVD-RL iVm Anhang III Nr. 6 IVD-RL sowie die Unions-rechtskonformität des § 323c Abs. 18 BAO idF BGBl I 25/2021 dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorzulegen.

 

Insbesondere möge durch den EuGH diesfalls die Frage geklärt werden, ob mit der restriktiven Ausnahmebestimmung des Art. 9 Abs. 12 der IVD-RL eine nationale Ausnahme von der allgemeinen Zulassungspflicht betreffend Antigenschnelltest für die Selbstanwendung vereinbar ist bzw. war, die lediglich folgende Anforderungen vorsieht bzw. vorsah:

 

„Ergänzend zu §113a Medizinproduktegesetz wird festgelegt, dass Schnelltests zum Nachweis eines Vorliegens einer Infektion mit SARS-CoV-2, die durch den Hersteller für eine Probennahme im anterior nasalen Bereich in Verkehr gebracht und mit einer CE-Kennzeichnung gemäß dem Medizinproduktegesetz oder auf der Grundlage der Richtlinie 98/79/EG ergangenen nationalen Vorschriften anderer Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum versehen sind, je-doch vom Hersteller bisher nicht zur Eigenanwendung in Verkehr gebracht wurden, im Falle einer Pandemie grundsätzlich auch zur Eigenanwendung verwendet werden können. Eine Verwendung zu diesem Zweck ist nur zulässig, wenn der Hersteller, dessen Bevollmächtigter oder ein Inverkehrbringer dieser Tests bestätigt, dass bei Eigenanwendung ein Sicherheits- und Leistungsniveau erreicht wird, das die Funktionstauglichkeit und die Einsatztauglichkeit für den geplanten Zweck gewährleistet und im Wege einer Selbstverpflichtung die Einhaltung dieser Anforderungen durch Übermittlung einer entsprechenden Bestätigung an das Bundesamt für Si-cherheit im Gesundheitswesen bestätigt. Den anterior nasalen Tests sind andere ähnlich minimal invasive Tests gleichzuhalten. Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen wird in diesen Fällen nicht von Amtswegen tätig. Diese Bestimmung tritt mit 30. Juni 2021 außer Kraft.“ (§ 323c Abs. 18 BAO idF BGBl I 25/2021)

 

 

5. Anträge

Aus den dargelegten Gründen werden gestellt die

 

ANTRÄGE,

 

das Bundesverwaltungsgericht möge

 

• nach Verständigung der Auftraggeber vom Eingang eines Feststellungsantrages ein Feststellungsverfahren einleiten und eine mündliche Verhandlung durchführen;

 

• gemäß § 334 Abs 3 Z 1 BVergG feststellen, dass der Zuschlag vom 15. April 2021 zugunsten der Zuschlagsempfängerin XXXX wegen eines Verstoßes gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht und eines Verstoßes gegen das BVergG nicht gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem Angebot mit dem niedrigsten Preis erteilt wurde;

 

• gemäß § 334 Abs 3 Z 5 BVergG feststellen, dass der Zuschlag bei der Vergabe von Antigenschnelltests aufgrund der Rahmenvereinbarung „SARS-CoV2-(Covid-19)-Antigenschnelltests GZ 3703.03821“ wegen eines Verstoßes gegen § 155 Abs. 5 bis 9 BVergG rechtswidrig war;

 

• in eventu gemäß § 334 Abs 3 Z 4 BVergG feststellen, dass der Zuschlag rechtswid-rigerweise ohne Mitteilung der Zuschlagsentscheidung erteilt wurde;

 

• die Auftraggeber gemäß § 341 Abs 1 BVergG zum Ersatz der von der Antragstellerin gemäß § 340 entrichteten Pauschalgebühr verpflichten;

 

• allenfalls gemäß Artikel 267 AEUV ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH einleiten.

2. In Behandlung des gegenständlichen Feststellungsantrags fanden umfangreiche schriftliche Erörterungen und eine teilweise gemeinsam auch für andere vergaberechtliche Feststellungsverfahren durchgeführte mündliche Verhandlung am 09.05.2023 statt, und legte die Auftraggeberseite, also der Bund und die zentrale Beschaffungsstelle und vergebende Stelle Bundesbeschaffung GmbH (= BBG) mit der Eingabe, OZ 37 des Verfahrensakts W131 2247310-1 ua auch ein Rechtsgutachten eines Universitätsprofessors vor, in welchem dieser Erörterungen va auch zur Frage der allfälligen Nichtigkeit der gegenständlich streitzentralen Rahmenvereinbarung erstattete.

2.1. In dem Rechtsgutachten gemäß OZ 37 führt der befasste Universitätsprofessor ua aus:

[...]

Als Ergebnis der vorstehenden Überlegungen lässt sich festhalten:

Die absolute Nichtigkeitssanktion des § 154 Abs 4 BVergG 2018 greift nur, wenn eine Mitteilung, mit welchem Unternehmer bzw. mit welchen Unternehmern die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll, erfolgt ist und somit der Beginn der Stillhaltefrist ausgelöst wurde.

Eine solche Mitteilung ist im vorliegenden Sachverhalt nicht erfolgt. Die Erklärung an die einzelnen Bieter, die ein gültiges Angebot gelegt haben, dass mit ihnen die Rahmenvereinbarung abgeschlossen wird, ist keine solche Mitteilung sondern äquivalent einer Zuschlagserteilung die Willenserklärung über den Abschluss der Rahmenvereinbarung.

Eine Verletzung der Mitteilungspflicht gemäß § 154 Abs 3 BVergG 2018 ist mit Nichtigkeit

bedroht, die im Feststellungsverfahren vor dem Verwaltungsgericht innerhalb der

einschlägigen Fristen geltend zu machen ist.

Ob in der konkreten Konstellation

 

alle Bieter, die ein gültiges Angebot gelegt haben, werden Partner der Rahmenvereinbarung

 

eine entsprechende Mitteilungspflicht im Sinne des § 154 Abs 3 BVergG 2018 besteht, ist diskutabel. Wortlaut und Systematik des § 154 Abs 3 BVergG 2018 sprechen dafür, dass dies nicht der Fall ist, weil eine solche Mitteilung nur gegenüber den nicht berücksichtigten Bietern zu ergehen hat. Es gibt aber auch Gegenargumente. Der EuGH hat sich bislang zu dieser Frage nicht geäußert, insbesondere auch nicht in der Rechtssache Epic, sodass eine unionsrechtliche Verpflichtung in eine bestimmte Richtung erst angenommen werden kann, wenn eine diesbezügliche Entscheidung des EuGH vorliegt. Bis dahin ist wohl davon auszugehen, dass dem innerstaatlichen Gesetzgeber hier ein gewisser Umsetzungsspielraum zukommt. [...]

2.2. Zuletzt trat insb auch die Auftraggeberseite am 09.05.2023 für die Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens ein, nachdem während des gegenständlichen Verfahrensgeschehens vom EuGH ua auch das Vorabentscheidungsverfahren des EuGH in der Rs C-274/21 ua erledigt wurde, in welchem der EuGH ua auch Aussagen iZm Rahmenvereinbarungsabschluss und Zuschlagserteilung traf.

Am 09.05.2023 erstattete die Vertretung der Auftraggeberseite auch ein Vorbingen, wonach eine Auswahlentscheidung getroffen worden wäre, dies wie folgt;

Im konkreten Fall hat der Auftraggeber selbstverständlich eine entsprechende Entscheidung getroffen und diese spätestens mit der Übermittlung der Abschlüsse der Rahmenvereinbarung am 30.03.2021 den am Verfahren beteiligten Unternehmen auch bekannt geworden ist. Da die Angebotsfrist am 16.03.2021 geendet hat, ist die Entscheidung daher nachweislich innerhalb dem in Rz 144 der Allgemeinen Ausschreibungsbedingungen festgelegten Zeitraum von 2 Monaten erfolgt. Davon getrennt zu betrachten ist die Bekanntgabe der Auswahlentscheidung gemäß § 154 Abs 3 BVergG 2018. Selbst wenn die Ansicht vertreten werden sollte, dass eine solche Bekanntgabe erforderlich gewesen sein sollte, kann es auf die Bezeichnung der Mitteilung nicht ankommen. Wesentlich wäre nur, dass dem Bieter bekannt geworden ist, mit wem der Auftraggeber die Rahmenvereinbarung abschließen möchte.

2.3. Die ASt ging hingegen dabei insb ausweislich ihren Eingaben, OZZ 19 und 27 des Verfahrensakts W131 2247310-1, jedenfalls seit Ergehen des Urteils des EuGH in der Rs C-274/21 ua davon aus, dass die streitgegenständliche Rahmenvereinbarung gemäß dem hier zurückgewiesenem Feststellungsbegehren absolut nichtig ist.

2.4. Die Auftraggeberseite hat im Verfahrensgeschehen mehrfach die Zurückweisungsnotwendigkeit der gestellten Feststellungsbegehren gemäß § 354 Abs 4 BVergG vorgebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Über den Verfahrensgang hinaus ist festzustellen:

1.1. Die BBG machte, wie von der ASt vorgetragen, gegenständlich die Vergabe der in der Feststellungseingabe konkretisierten zu vergebenden Rahmenvereinbarung bekannt und verwendete dazu folgende allgemeine Ausschreibungsbedingungen, soweit hier interessierend:

Allgemeine Ausschreibungsbedingungen

Offenes Verfahren gem. BVergG 2018

betreffend den Abschluss

der Rahmenvereinbarung:

SARS-CoV2 -(Covid-19)-Antigenschnelltests

Auftraggeber

die Republik Österreich (Bund),

die Bundesbeschaffung GmbH,

sowie alle weiteren Auftraggeber gemäß der den Ausschreibungsunterlagen beiliegenden Kundenliste.

[...]

2 Ziel und Grundlagen des Vergabeverfahrens

2.1 Gegenstand des Verfahrens

3 Ziel dieses Vergabeverfahrens ist der Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit allen geeigneten Unternehmern gemäß §§ 31Abs. 7 und 39 i. V. m. §§ 153 ff BVergG 2018 über die Lieferung von qualitativen immunologischen Antigen-(Schnell-)test inklusive Zubehör zum Nachweis von SARS-CoV-2 (Covid-19) basierend auf dem Nachweis von viralem Protein (SARS-Covid-2-Virus bzw. viralen SARS-CoV-2 Nukleokapsidprotein-Antigenen) in respiratorischen Probenmaterialien und Körperflüssigkeiten im Point-of-Care-Format, als lateral-flow-Teste (qualitativen Nachweis von Stoffen mit Antikörpern) zur unmittelbaren visuellen Auswertung gemäß dem österreichischem Medizinproduktegesetz (MPG) bzw. zu Grunde liegender EU-Rechtsnormen, insbesondere der IVD-RL 98/79/EG bzw. IVD Verordnung 2017/746 , jeweils in der geltenden Fassung in ganz Österreich für öffentliche Auftraggeber nach den Bestimmungen gemäß Punkt 2.4.

4 Der Leistungsgegenstand und die Vergabe von Einzelaufträgen auf Basis der Rahmenvereinbarung sind in den kommerziellen Ausschreibungsbedingungen (Rahmenvereinbarung) detailliert geregelt.

[...]

6.4 Bewertung und Abschluss

6.4.1 Abschluss der Rahmenvereinbarung

143 Die Rahmenvereinbarung wird mit allen nicht auszuscheidenden Bietern abgeschlossen, die ein gültiges Angebot gelegt haben.

 

6.5 Angebotsbindefrist

144 Die Frist zur Entscheidung, mit welchem Unternehmer die Rahmenvereinbarung geschlossen werden soll, endet 2 Monate nach Ende der Angebotsfrist. Die Bieter sind an ihr Angebot bis zum Ende dieser Frist gebunden.

145 Während eines allfälligen Nachprüfungsverfahrens ist diese Entscheidungsfrist gehemmt, wodurch sich der Zeitraum, in welchem die Bieter an ihr Angebot gebunden sind, verlängern kann.

 

1.2. Im Vergabegeschehen wurde von der BBG keine Auswahlentscheidung, mit welchen Unternehmern die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll, versandt, wie in den Absätzen 3 und 4 des § 154 BVergG 2018 vor dem Rahmenvereinbarungsabschluss vorgesehen, es wurde auch keine dem § 154 Abs 4 BVergG entsprechende Stillhaltefrist vor Rahmenvereinbarungsabschluss eingehalten. So erhielt insb auch die ASt vor dem Rahmenvereinbarungsabschluss keine Mitteilung, mit welchen (anderen) UnternehmerInnen die BBG die Rahmenvereinbarung abschließen möchte

1.3. Die Auftraggeberseite, also die gegenständlich jedenfalls auch für den Bund handelnde Bundesbeschaffung GmbH, teilte schließlich im gegenständlichen Vergabegeschehen den Abschluss der Rahmenvereinbarung mit 76 UnternehmerInnen mit, worunter sich sowohl die ASt als auch die XXXX , befanden, der nach einem "Abruf aus der Rahmenvereinbarung" im oben teilweise wiedergegebenen Feststellungsantrag als Zuschlagsempfänger bezeichnet wurde.

1.4. Auch die ASt erhielt entsprechend den Verhandlungsergbenissen insb am 09.05.2023 "Abrufe aus der Rahmenvereinbarung", zurückgehend auf ihre Angebotslegung zwecks Rahmenvereinbarungsabschluss.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der entscheidungserhebliche Sachverhalt ergeben sich unstrittig aus dem Parteienvortrag ua auch im Verfahren W131 2247310-1 samt den vorgelegten Vergabeunterlagen, wobei diese Tatsachen auch in den teilweise verbunden geführten Feststellungsverfahren zu W131 2244508-1 und 2264464-1 im dortigen Prozessstoff Deckung finden, insb wenn es um die fehlende Auswahlentscheidung zum Abschluss der Rahmenvereinbarung geht.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Gegenständlich ist unstrittig das BVergG 2018 = BVergG, BGBl I 2018/65 idgF, mit seinen Bestimmungen für klassische öffentliche Auftraggeber im II. Teil anzuwenden, wobei insoweit die Vergabebestimmungen für Bauaufträge und das offene Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich einschlägig sind.

Das BVwG ist gegenständlich unbestritten zur Vergabekontrolle zuständig; und hatte gegenständlich gemäß Geschäftsverteilung in der im Entscheidungskopf ersichtlichen Senatsbesetzung zu entscheiden - § 328 BVergG 2018 iVm § 6 BVwGG.

Als Verfahrensrecht waren dabei abseits der Sonderverfahrensvorschriften des BVergG das VwGVG und die in § 333 BVergG 2018 verwiesenen Teile des AVG anzuwenden. Bzw bis zum 30.06.2023 zusätzlich insb auch § 4 des Bundesverfassungsgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens (COVID-19 Begleitgesetz Vergabe) idF BGBl I 2022/107; bzw aktuell insb auch § 8 Abs 7 BVwGG idF Art 8 des Bundesgesetzes BGBl I 2023/77.

Die Teilerledigung eines einzelnen Feststellungsbegehrens unter Vorbehalt der restlichen Erledigung in einem anderen Entscheidung gründet sich dabei auf den gemäß § 333 BVergG anwendbaren § 59 Abs 1 AVG idF BGBl I 2023/88, der insoweit im dritten Satz lautet:

Lässt der Gegenstand der Verhandlung eine Trennung nach mehreren Punkten zu, so kann, wenn dies zweckmäßig erscheint, über jeden dieser Punkte, sobald er spruchreif ist, gesondert abgesprochen werden.

Mangels bisheriger Spruchreife betreffend das erstvorgetragene Feststellungsbegehren und betreffend das Eventualbegehren war daher wegen Trennbarkeit der Aussprüche gegenständlich jedenfalls einmal über das zweitvorgetragene Feststellungsbegehren abzusprechen.

3.2. Zur Teilzurückweisung in der Sache ist festzuhalten wie folgt:

3.2.1. Nach stRsp des VwGH gilt entsprechend zB Zl Ro 2021/04/0014 wie folgt:

Ausschreibungsbestimmungen sind nach dem objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt auszulegen. Im Zweifel sind Festlegungen in der Ausschreibung gesetzeskonform und sohin in Übereinstimmung mit den maßgeblichen Bestimmungen zu lesen. Auf den vermuteten Sinn und Zweck der Ausschreibungsbestimmungen kommt es nicht an. Dass der objektive Erklärungswert maßgeblich ist, gilt auch für die Auslegung der Willenserklärung des Bieters (vgl. VwGH 22.3.2019, Ra 2018/04/0176, Rn. 22, mwN). Diese ist nach dem objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlich fachkundigen Auftraggeber unter Bedachtnahme auf die Ausschreibungsbestimmungen auszulegen.

3.2.2. Zur Pflicht zur Anwendung unangefochten gebliebener Auftraggeberentscheidungen zur Beurteilung des darauf aufbauenden Vergabegeschehenes, hier iZm den oben zitierten Allgemeinen Ausschreibungsbedingungen, ist auf die stRsp des VwGH zu verweisen, die entsprechend zB VwGH Zl Ra 2019/04/0076 lautet wie folgt:

[...] Voranzustellen ist Folgendes: Nach ständiger Rechtsprechung kann eine unanfechtbar gewordene (bestandfeste) Entscheidung des Auftraggebers im Rahmen der Nachprüfung von auf dieser Entscheidung aufbauenden Entscheidungen des Auftraggebers nicht mehr überprüft werden. Ist eine Ausschreibungsbestimmung mangels rechtzeitiger Anfechtung der Ausschreibung bestandfest geworden, ist sie - unabhängig davon, ob sie bei rechtzeitiger Anfechtung für nichtig zu erklären gewesen wäre - der gegenständlichen Auftragsvergabe zugrunde zu legen (vgl. zuletzt VwGH 22.12.2020, Ra 2019/04/0091, mwN). Die Fristgebundenheit von Nachprüfungsanträgen wäre nämlich sinnlos, könnte die Vergabekontrollbehörde eine unanfechtbar gewordene (bestandfeste) Entscheidung des Auftraggebers im Rahmen der Nachprüfung von auf dieser Entscheidung aufbauenden Entscheidungen des Auftraggebers überprüfen (vgl. VwGH 7.11.2005, 2003/04/0135, sowie die dortigen Nachweise auf Rechtsprechung des EuGH; vgl. zur ständigen Rechtsprechung zur Bestandskraft auch VwGH 7.9.2009, 2007/04/0090). [...]

3.2.3. § 154 BVergG lautet in den hier interessierenden Teilen:

Abschluss von Rahmenvereinbarungen

§ 154 (1) Der öffentliche Auftraggeber hat in der Bekanntmachung oder – sofern ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung durchgeführt wird – in der Aufforderung zur Angebotsabgabe anzugeben, ob eine Rahmenvereinbarung mit einem einzigen oder mit mehreren Unternehmern abgeschlossen werden soll. Soll eine Rahmenvereinbarung für mehrere öffentliche Auftraggeber abgeschlossen werden, so sind in der Bekanntmachung oder – sofern ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung durchgeführt wird – in der Aufforderung zur Angebotsabgabe alle abrufberechtigten öffentlichen Auftraggeber eindeutig zu identifizieren. Nach Möglichkeit [...].

(2) Die Unternehmer, mit denen die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll, werden nach Durchführung eines offenen Verfahrens, eines [...] ermittelt. Eine Rahmenvereinbarung mit einem Unternehmer [...]. Eine Rahmenvereinbarung mit mehreren Unternehmern ist mit jenen Bietern abzuschließen, die die gemäß dem oder den bekannt gegebenen Zuschlagskriterien am besten bewerteten Angebote gelegt haben. Soll eine Rahmenvereinbarung mit mehreren Unternehmern abgeschlossen werden, so müssen mindestens drei Unternehmer daran beteiligt sein, sofern eine ausreichend große Zahl von Unternehmern die Eignungskriterien erfüllt hat und eine ausreichend große Zahl von zulässigen Angeboten abgegeben wurde. Die maßgeblichen Gründe für die Bewertung der Angebote sind festzuhalten.

(3) Der öffentliche Auftraggeber hat den nicht berücksichtigten Bietern den Namen des Unternehmers bzw. die Namen der Unternehmer, mit dem bzw. denen die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll, mitzuteilen. In dieser Mitteilung sind die Gründe der Nichtberücksichtigung sowie die Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebotes bzw. der erfolgreichen Angebote bekannt zu geben, sofern nicht die Bekanntgabe dieser Informationen öffentlichen Interessen oder den berechtigten Geschäftsinteressen eines Unternehmers widersprechen oder dem freien und lauteren Wettbewerb schaden würde. Eine Verpflichtung zur Mitteilung, mit welchem Unternehmer die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll, besteht nicht, wenn ein Verhandlungsverfahren gemäß den §§ 35 Abs. 1 Z 4, 36 Abs. 1 Z 4 oder 7 oder 37 Abs. 1 Z 4 zum Abschluss der Rahmenvereinbarung durchgeführt wurde.

(4) Der öffentliche Auftraggeber darf die Rahmenvereinbarung bei sonstiger absoluter Nichtigkeit nicht vor Ablauf der Stillhaltefrist abschließen. Die Stillhaltefrist beginnt mit der Übermittlung bzw Bereitstellung der Mitteilung, mit welchem Unternehmer bzw. mit welchen Unternehmern die Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll. Sie beträgt [...].

[...]

3.2.4. § 154 Abs 4 BVergG verwendet den Begriff der absoluten Nichtigkeit bei der Rahmenvereinbarung mangels Einhaltung des Prozederes mit vorangehender Auswahlentscheidung und nachfolgender Stillhaltefrist.

Wenn § 154 Abs 4 BVergG davon spricht, dass der Abschluss der Rahmenvereinbarung bei sonstiger absoluter Nichtigkeit nicht vor Ablauf der Sillhaltefrist erfolgen darf und die Stillhaltefrist nach § 154 Abs 4 Satz 2 BVergG erst mit der Mitteilung der in § 154 Abs 3 BVergG vorgesehenen Auswahlentscheidung ex lege beginnt, ist klar, dass die erst nach Auswahlentscheidungsmitteilung ex lege beginnende Stillhaltefrist bereits abgelaufen sein muss, wenn die Rahmenvereinbarung nicht absolut nichtig sein soll.

Unter absoluter Nichtigkeit, hier gemäß § 154 Abs 4 BVergG, ist nach allgemeiner Rechtslehre zu verstehen, dass - bezogen auf den streitgegenständlichen Rahmenvereinbarungssachverhalt - eine absolut nichtige Rahmenvereinbarung so zu bewerten ist, dass von deren Inexistenz auszugehen ist - siehe dazu zB Perner/Kapetanovic in Welser, Fachwörterbuch2, 423.

Dies gleichheitsgrundsatzrechtlich vor dem Hintergrund, dass eine Rahmenvereinbarung mit mehreren Unternehmern die Bedingungen für künftige entgeltliche Einzelaufträge festlegt und damit paradetypisch ein entgeltsfremdes mehrseitiges Rechtsgeschäft ist, auf das nach der Lehre dann wegen der Nähe zu konkreten entgeltlichen Austauschgeschäften die Vorschriften über entgeltliche Geschäfte Anwendung zu finden haben, siehe dazu mwN Koziol - Welser/Kletecka, Bürgerliches Recht I14, Rz 381 mwN in den dortigen FN 108 und 109.

Es ist insoweit hier von der ex tunc vorliegenden und ex offo wahrzunehmenden Unwirksamkeit und Inexistenz der Rahmenvereinbarung auszugehen, womit in einem solchen Fall auch keine in § 356 Abs 2 BVergG vorgesehene rechtsgestaltende Nichtigerklärung mehr in Betracht kommt, die nach VwGH Zl Ra 2021/04/0005 (nur) in Bezug auf - existente - Rahmenvereinbarungen möglich erscheint.

[Dass die in § 356 Abs 2 BVergG vorgesehen Nichtigerklärung rechtsgestaltend ist, ergibt sich dabei aus § 356 BVergG selbst, weil dort alternativ zur Nichtigerklärung insb in § 356 Abs 9 und Abs 10 BVergG Bußgeldsanktionen anstelle der Nichtigerklärung vorgesehen sind.]

MaW: Etwas nach § 154 Abs 4 BVergG bereits ex lege ex tunc und ex offo aufzugreifend absolut Nichtiges iSv Perner/Kapetanovic, aaO, kann nach § 356 Abs 2 BVergG nicht zusätzlich nachmalig nochmals rechtsgestaltend nichtig erklärt werden.

3.2.5. Die unionsrechtliche Richtlinie 89/665/EWG idF Rl 2014/23/EU versteht ausweislich deren Art 1 Abs 1 auch Rahmenvereinbarungen als Aufträge, womit die Auswahlentscheidung, mit welchen Unternehmern die Rahmenvereinbarung abgeschlossen wird, konsequent als "Zuschlagsentscheidung" iSd Art 2a dieser Richtlinie zu verstehen ist, die allen betroffenen und damit allen iSd Art 2a dieser RL noch nicht endgültig aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossenen/ausgeschiedenen Bietern mit dadurch ausgelöster Stillhaltefrist mitzuteilen ist.

In richtlinienkonformer Interpretation ist dabei davon auszugehen, dass ein nicht berücksichtigter Bieter synchron mit der Regelung des § 143 Abs 1 BVergG immer dann vorliegt, wenn er noch nicht endgültig mit seinem Angebot aus dem Vergabewettbewerb ausgeschieden worden ist, zumal im hier vorliegenden Anlassfall die ASt nach dem Standpunkt der Auftrageberseite nur zu einem Sechsundsiebzigstel berücksichtigt wurde und daher zu 75 Sechsundsiebzigstel eben nicht berücksichtigte Bieterin wäre; und die ASt sich daher betreffend künftige Abrufe mit 75 Konkurrenten im fortgesetzten Wettbewerb befindet bzw befände bzw befunden hätte.

Unionssekundärrechtlich sind keine speziellen Rechtsfolgen bei Verletzung dieser Mitteilungs- und Stillhaltefrist bei einer Zuschlags- sprich hier: Auswahlentscheidung normiert, womit der nationale Gesetzgeber idZ in § 154 Abs 4 BVergG die Rechtsfolge der absoluten Nichtigkeit iSd nach Unionsrecht gebotenen effektiven Primärrechtsschutzes vorsehen durfte.

Unionsrechtskonform ist dabei weiter davon auszugehen, dass wegen der unionsrechtlichen Gleichhaltung von der Auswahlentscheidung zum Abschluss der Rahmenvereinbarung mit der Zuschlagsentscheidung alle noch nicht endgültig iSv Art 2a RL 89/665/EWG idF RL 2014/23/EU ausgeschiedenen Bieter einen Anspruch auf Zumittlung/Mitteilung der Auswahlentscheidung hatten bzw haben, mit welchen (sonstigen) UnternehmerInnen die ausgeschriebene Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden soll, bevor diese dann tatsächlich abgeschlossen wird.

Diese Sichtweise scheint auch vor dem Hintergrund des grundlegenden Urteils des EuGH in der Rs C-81/98, das in Österreich letztlich Anlass für die legistische Schaffung der Zuschlagsentscheidung zwecks Primärrechtsschutz war, geboten, nachdem ausweislich dieser zuletzt zitierten Entscheidung klar ist, dass die Auswahlentscheidung, mit wem ein Vertrag und damit auch eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen wird, zwingend zuvor dem Primärrechtsschutz zugänglich sein muss, zumal auch der VwGH zB zu Zl Ra 2021/04/0005 mitunter Zuschlagserteilung und Rahmenvereinbarungsabschluss gleichhält; und nach Abschluss der Rahmenvereinbarung mit mehreren Unternehmern über insb § 155 Abs 4 Z 1 BVergG kein iSv EuGH Rs C-81/98 unionsrechtlich erforderlicher Primärrechtsschutz mehr gewährleistet ist.

3.2.6. Die vorliegend iSv VwGH Ra 2019/04/0076 bestandskräftigen Allgemeinen Ausschreibungsbedingungen sehen - wie aufgezeigt in deren Rz 144 auch gesetzeskonform iSv VwGH Ro 2021/04/0014 mit § 154 Abs 4 BVergG und va auch unionsrechtskonform - eine derartige Auswahlentscheidung iSv §§ 2 Z 15 lit a sublit jj und 154 Abs 3 und Abs 4 BVergG vor.

3.2.7. Mangels im Anlasssachverhalt vorangehender gesetzeskonformer Auswahlentscheidung samt damit mangels gemäß § 154 Abs 4 BVerG ex lege ausgelöster entsprechender Stillhaltefrist war im hier zu entscheidenden Anlasssachverhalt davon auszugehen, dass bislang keine gültige Rahmenvereinbarung, wie von der Auftraggeberseite ausgeschrieben, vorliegt, die (scil: Rahmenvereinbarung) Voraussetzung für eine positive Feststellung gemäß § 334 Abs 3 Z 5 BVergG bzw gemäß § 353 Abs 1 Z 4 BVergG ist.

Insoweit war mangels im Anlasssachverhalt existenter Rahmenvereinbarung der hier erledigte Feststellungantrag im Haupt- und Eventualbegehren zurückzuweisen, da die ASt ihr Rechtsschutzbegehren aus einer Rahmenvereinbarung ableitet, die wirksam noch gar nicht existiert.

3.2.7.1. Entgegen der mitunter vorgetragenen Auffassung der AG ersetzt dabei die Mitteilung bzw Bekanntmachung des Abschlusses der Rahmenvereinbarung nicht das iSd gebotenen effektiven Primärrechtsschutzes erforderliche Prozedere zur Gewährleistung von effektivem Primärrechtsschutz gemäß § 154 Abs 3 und Abs 4 BVergG.

3.2.7.2. Entgegen dem Standpunkt des in das Verfahren eingebrachten Gutachtens eines Universitätsprofessors ist nach hier vertretener Auffassung entsprechend den Wertungen aus EuGH Rs C-81/98 davon auszugehen, dass dann, wenn keine bestimmte Konkurrentennamen enthaltende Auswahlentscheidung samt entsprechend damit ausgelöster Stillhaltefrist versandt wird, auch keine gültige Rahmenvereinbarung zustande kommen kann,

zumal sich der noch nicht mit einer Auswahlentscheidung samt entsprechender Stillhaltefrist Anerklärte,

wie hier die ASt,

ja noch immer in der Situation befindet, in der sie (= die ASt) eben noch nicht weiß, mit welchen Konkurrenten sie sich künftig - mitunter ohne Primärrechtsschutz gemäß § 155 Abs 4 Z 1 BVergG - im Vergabewettbewerb auf "Abrufsebene" befindet.

Gerade dieser Primärrechtsschutz soll aber nach EuGH Rs C-81/98 iVm Art 1 Abs 1 RL 89/665/EWG idgF vor einem Vertragsabschluss und damit auch Rahmenvereinbarungsabschluss effektiv gewährleistet sein, zumal § 2 Z 50 BVergG den Zuschlag als klassischen Vertragsabschluss iSd §§ 861ff ABGB darstellt; und der Rahmenvereinbarungsabschluss iSv EuGH Rs C-274/21 eben auch der Vertragsabschluss ist. 3.2.8. Bei diesem Verfahrensstand konnte gemäß § 39 AVG dahinstehen, ob allenfalls auch gemäß § 354 Abs 4 BVergG oder auch deshalb zurückzuweisen wäre, weil die ASt selbst auch "Abrufe aus der Rahmenvereinbarung" zu ihren Gunsten akzeptiert hat und damit nicht mehr schutzwürdig iSv VwGH 2005/04/0200 sein könnte, insofern die ASt dann dennoch "Abrufe" bei Konkurrenten bekämpfen möchte, anstelle zuvor die AG zB auch auf die gehörige Fortsetzung des Vergabeverfahrens, ua mit entsprechenden Schritten gemäß § 353 Abs 2 BVergG zur Bewirkung einer noch nicht erfolgten Auswahl- bzw Widerrufsentscheidung zu drängen.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs fehlt.

Gegenständlich erscheint es als solche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, inwieweit eine als abgeschlossen vorgebrachte Rahmenvereinbarung mangels vorangehender Versendung einer Auswahlentscheidung gemäß § 154 Abs 3 BVergG gemäß § 154 Abs 4 BVergG absolut nichtig ist und insoweit in weiterer Folge ein Feststellungsbegehren gemäß § 334 Abs 3 Z 5 BVergG daher zurückzuweisen ist, zumal es dann an einer Rahmenvereinbarung mangelt, die in § 155 Abs 4 bis Abs 9 BVergG iVm § 334 Abs 3 Z 5 BVergG für den Rechtsschutz vorausgesetzt wird.

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