VwGH Ra 2019/04/0076

VwGHRa 2019/04/007623.6.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, den Hofrat Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz‑Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der V Gesellschaft m.b.H in I, vertreten durch die Schiefer Rechtsanwälte GmbH in 1090 Wien, Rooseveltplatz 4‑5/5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 15. April 2019, Zl. LVwG‑2018/S1/1600‑16, betreffend vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. Ö GmbH in W, vertreten durch die Schramm Öhler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Bartensteingasse 2‑4, und 2. S AG in B, vertreten durch MMag. Dr. Philipp Götzl, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 58),

Normen

BVergG 2006 §2 Z10
BVergG 2006 §2 Z16
BVergG 2006 §312
BVergG 2006 §320
BVergG 2006 §321
BVergG 2006 §325

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019040076.L00

 

Spruch:

I. den Beschluss gefasst:

Die Revisionsbeantwortung der Erstmitbeteiligten wird zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1. Die Revisionswerberin (im Folgenden: Auftraggeberin) ist eine Verkehrsverbundorganisationsgesellschaft und führte als Auftraggeberin ein Verhandlungsverfahren gemäß § 25 Abs. 5 BVergG 2006 im Oberschwellenbereich zur Vergabe von Personenbeförderungsdienstleistungen gemäß § 23 Kraftfahrliniengesetz. Die Vergabe sollte nach dem Bestbieterprinzip erfolgen. Der geschätzte Auftragswert des verfahrensgegenständlichen Loses 2 belief sich auf rund 1,5 Millionen Euro pro Jahr. Die Vertragslaufzeit sollte 120 Monate betragen.

2 Die Zweitmitbeteiligte beteiligte sich am Vergabeverfahren und gab fristgerecht einen Teilnahmeantrag für das Los 2 ab. Mit Schreiben vom 13. Juli 2018 wurde der Zweitmitbeteiligten mitgeteilt, dass sie nicht zur zweiten Verhandlungsrunde betreffend Los 2 zugelassen werde. Gegenstand des vorliegenden Nachprüfungsverfahrens ist die Anfechtung dieser Entscheidung der Auftraggeberin durch die Zweitmitbeteiligte.

3 2. Mit der angefochtenen Entscheidung vom 15. April 2019 gab das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) dem Nachprüfungsantrag der Zweitmitbeteiligten Folge und erklärte die angefochtene Entscheidung der Revisionswerberin auf Nichtzulassung der Zweitmitbeteiligten zur zweiten Verhandlungsrunde betreffend das Los 2 für nichtig. Unter einem verpflichtete das Verwaltungsgericht die Revisionswerberin zum Ersatz der von der Zweitmitbeteiligten entrichteten Pauschalgebühren und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

4 Das Verwaltungsgericht traf in seiner Begründung zusammengefasst folgende Feststellungen: Laut Ausschreibungsunterlagen sei beabsichtigt gewesen, entsprechend der Reihung der Angebote durch die Auftraggeberin anhand sämtlicher Zuschlagskriterien zunächst die Einengung des Bieterkreises auf drei Bieter durchzuführen (short‑listing).

5 In der Ausschreibung seien folgende Zuschlagskriterien für Los 2 definiert gewesen:

„1. Gesamtangebotspreis

erreichbare Punkte 600

2. Qualität

 

a) Ersatzgestellung

erreichbare Punkte 200

  

b) Konzept ‚Maßnahmen zur Wahrung regionaler Verantwortung bei der Leistungserbringung‘

Das Zuschlagskriterium ‚Konzept‘ Maßnahmen zur Wahrnehmung regionaler Verantwortung bei der Leistungserbringung ist wiederum unterteilt in

zwei Subkriterien und zwar ‚Personal‘

erreichbare Punkte 100

Wertschöpfung in der Region

erreichbare Punkte 100

Summe

200

insgesamt ergeben sich somit

erreichbare Punkte 1000“

   

Für das Zuschlagskriterium Ersatzgestellung sei eine maximal erreichbare Punktezahl von 200 vorgesehen gewesen. Abhängig von der zugesicherten Ersatzgestellungszeit im Angebot des jeweiligen Bieters sollten laut einer Tabelle in den Ausschreibungsunterlagen folgende Punkte vergeben werden:

„Los 2

Ersatzgestellungszeit in Minuten

erreichbare Punkte

ab 76 bis 90

0

ab 71 bis weniger als 76

50

ab 65 bis weniger als 71

100

weniger als 65

200“

  

6 Die Auftraggeberin habe im Rahmen der Angebotsprüfung lediglich die im Anbot der Antragstellerin (im Revisionsverfahren die Zweitmitbeteiligte) angeführten Ersatzgestellungszeiten überprüft, indem eine Probefahrung im Einsatzgebiet durchgeführt worden sei. Es sei nicht ersichtlich, weshalb lediglich hinsichtlich des Angebots der Antragstellerin eine Probefahrung durchgeführt worden sei.

7 Ferner traf das Verwaltungsgericht die „Feststellung“, in der Ausschreibungsunterlage würden Angaben über die punktemäßige Bewertung der Ersatzgestellungszeit fehlen. Es sei zwar der Ausschreibungsunterlage zu entnehmen, dass sich für die angegebenen Ersatzgestellungszeiten in festgelegten Sprüngen null, fünfzig, hundert bzw. zweihundert erreichbare Punkte ergeben würden. Es sei jedoch nicht ersichtlich, wie diese Punktevergabe im Einzelnen erfolgen solle. Diesbezüglich würden sich keine Angaben in der Ausschreibungsunterlage finden. Zudem ergebe sich aus der Ausschreibungsunterlage, dass das Ersatzgestellungskonzept im Falle der Auftragserteilung überarbeitet werden könne. Daher sei das dem Angebot in der ersten Verhandlungsrunde zugrundeliegende Ersatzgestellungskonzept nur als ein Vorläufiges anzusehen.

8 Hinsichtlich des Konzepts „Maßnahmen zur Wahrnehmung regionaler Verantwortung bei der Leistungserbringung“ werde in der Ausschreibungsunterlage eine Beurteilung durch eine Bewertungskommission angekündigt. Diese solle nicht alle im Konzept der jeweiligen Bieter angegebenen Tätigkeiten bzw. Maßnahmen bewerten, sondern nur jene, welche überprüfbar und vom Bieter ausreichend konkretisiert und beschrieben worden seien. Laut Ausschreibungsunterlage habe die Bewertungskommission vor Beginn des Vergabeverfahrens einen Katalog an möglichen Maßnahmen/Tätigkeiten pro Aspekt erstellt. Die Punktevergabe solle anhand dieses Kataloges vom 16. Februar 2018, der bei einem Notar hinterlegt worden sei, erfolgen. Für Maßnahmen, die in diesem Katalog nicht festgehalten seien, sollten keine Punkte vergeben werden. Festzustellen sei daher, dass dem jeweiligen Bieter im Zeitpunkt der Angebotserstellung nicht bekannt gewesen sei, für welche Maßnahmen/Tätigkeiten pro Aspekt in seinem „Konzept über Maßnahmen zur Wahrung regionaler Verantwortung bei der Leistungserbringung“ überhaupt Punkte vergeben würden.

9 Dem beim Notar hinterlegten Bewertungskatalog sei zu entnehmen, dass hinsichtlich der „Wertschöpfung in der Region“ neun Maßnahmen‑Tätigkeiten taxativ aufgezählt seien, die einer Bewertung zugrunde gelegt werden könnten. Festgehalten sei in diesem Bewertungskonzept weiters, dass im Angebot betreffend die „Wertschöpfung in der Region“ mindestens fünf Maßnahmen bzw. Tätigkeiten genannt werden müssten, wobei diese Tätigkeiten nur dann gewertet würden, wenn sie in der taxativen Aufzählung der neun genannten Maßnahmen enthalten seien. Diese neun Punkte seien den Bietern bei der Angebotserstellung nicht bekannt gewesen. Für die Bewertung des Konzepts „Personal“ würden in dieser hinterlegten Urkunde zehn Maßnahmen‑Tätigkeiten aufgezählt, wovon ein Bieter mindestens drei Maßnahmen bzw. Tätigkeiten nennen müsse, wobei es dem Bieter auch in diesem Fall nicht bekannt sei, welche Maßnahmen dies seien. Festzustellen sei somit, dass es einem Bieter daher nicht möglich gewesen wäre, sein Angebot entsprechend den Anforderungen in der Ausschreibung zu gestalten.

10 Die Ausschreibungsunterlagen seien von keinem Bieter vor Angebotslegung angefochten worden.

11 Nach einer mit den Bietern ‑ so auch mit der Antragstellerin ‑ durchgeführten Verhandlungsrunde sei der Antragstellerin mit Schreiben vom 13. Juli 2018 mitgeteilt worden, dass sie für eine zweite Verhandlungsrunde und somit auch zur Abgabe eines Letztangebotes nicht eingeladen werden könne. Ihr Angebot habe hinsichtlich des Angebotspreises das Maximum von 600 Punkten erreicht ‑ und sei somit offensichtlich das billigste Angebot gewesen ‑, hinsichtlich der Ersatzgestellung und dem „Konzept betreffend Maßnahmen zur Wahrnehmung regionaler Verantwortung bei der Leistungserbringung“ seien lediglich 130 Punkte vergeben worden. Damit liege das Angebot der Antragstellerin mit 830 Punkten hinter dem Angebot der drittgereihten Bieterin mit 914,72 Punkten. Eine abschließende Beurteilung, ob das Angebot der Antragstellerin gemäß § 129 Abs. 1 Z 7 BVergG 2006 als den Ausschreibungsunterlagen widersprechend auszuscheiden sei, habe wegen des eindeutigen Ergebnisses unterbleiben können. Aufgrund der fehlenden Dienstzeiten der Disponenten im Ersatzgestellungskonzept und der unschlüssigen Angaben zu den Übergangsfahrzeugen im Fuhrparkmanagementkonzept habe eine Bewertung nicht erfolgen können.

12 Dienstzeiten der Disponenten und Angaben zu den Übergangsfahrzeugen im Fuhrparkmanagementkonzept sei ein Teil des vom Bieter zu stellenden Ersatzgestellungskonzepts, das nach der Ausschreibungsunterlage im Falle der Auftragserteilung abänderbar sei. Somit sei das Ersatzgestellungskonzept in der ersten Verhandlungsrunde nur als vorläufiges Konzept anzusehen. Die dort getroffenen oder auch unterlassenen Ausführungen könnten nicht zu einem Ausscheiden des Angebotes führen.

13 In seiner rechtlichen Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, Ausschreibungsunterlagen seien so auszuarbeiten, dass die Vergleichbarkeit der Angebote sichergestellt sei. Insbesondere sei dabei auf die Gleichbehandlung aller Bewerber und Bieter zu achten. Die einzelnen Zuschlagskriterien müssten so formuliert sein, dass es jedem Bieter möglich sein müsse, sein Angebot bestmöglich auf die Anforderungen in der Ausschreibung hin zu formulieren. Es seien in der Ausschreibung genaue Festlegungen dahingehend zu treffen, wie Angebote im Hinblick auf die formulierten Zuschlagskriterien bewertet würden. Im vorliegenden Fall sei die Punktevergabe für die Ersatzgestellungszeiten in Minuten in der Ausschreibungsunterlage nicht nachvollziehbar, weil eine entsprechende Bewertungsmatrix fehle. Die Auftraggeberin habe alle Möglichkeiten offengelassen, in dem sie selbst festgehalten habe, dass ein solches Konzept im Auftragsfall überarbeitet werden könne.

14 Hinsichtlich des Zuschlagskriteriums „Maßnahmen zur Wahrung regionaler Verantwortung bei der Leistungserbringung“ entspreche die in den Ausschreibungsunterlagen vorgegebene Bewertung der Angebote in keiner Weise dem Gleichheits‑ und Nichtdiskriminierungsgebot des Bundesvergabegesetzes. In nicht nachvollziehbarer Weise habe es die Auftraggeberin unternommen, in einer dem Bieter nicht bekannten Urkunde, welche beim Notar hinterlegt worden sei, Subkriterien zu definieren, die einer Angebotsbewertung zugrunde gelegt werden sollten. Die Bewertungskommission habe somit bei der Konzeptbewertung betreffend die „Maßnahmen zur Wahrung regionaler Verantwortung bei der Leistungserbringung“ Maßstäbe angelegt, welche dem Bieter nicht bekannt gegeben worden seien. Die Angebotsbewertung sei daher intransparent und gleichheitswidrig und damit auch gesetzwidrig. Den Bietern sei durch die Vorgehensweise die Möglichkeit genommen worden, ausschreibungskonforme Angebote zu legen. Die Festlegungen der Bewertungskommission, welche beim Notar hinterlegt worden seien, könnten nach Ansicht des Gerichtes nicht Bestandteil der Ausschreibungsunterlagen sein, weil diese geheim und nicht transparent formuliert worden seien.

15 Die Bestandsfestigkeit der nichtangefochtenen Zuschlagskriterien und deren Bewertung infolge Nichtanfechtung der Ausschreibung finde ihre Grenze dort, wo infolge der rechtswidrigen Formulierung der Zuschlagskriterien und der rechtswidrigen Bewertung eine Bestbieterermittlung nicht mehr möglich sei. Bei der Überprüfung der gegenständlich angefochtenen Entscheidung falle auf, dass weder für die Bewertung der Ersatzgestellungszeiten noch für die Bewertung des Konzepts über Maßnahmen zur Wahrung regionaler Verantwortung bei Leistungserbringung entsprechende Bewertungen aufgezeigt seien. Hinsichtlich der Bewertung der Ersatzgestellungszeit in Minuten seien maximal erreichbare Punkte in willkürlich gewählten Minutensprüngen definiert, es fänden sich jedoch in der Ausschreibung keine Angaben über die vorzunehmende Bewertung für die Punktezwischenräume. Dies gelte auch für die Bewertung des Maßnahmenkonzepts, weil diesbezüglich die Bewertung einem Geheimpapier vorbehalten geblieben sei. Die Ausschreibung sei zwar bestandfest geworden, jedoch seien immer dann, wenn auf Grund der gesetzwidrigen Formulierung der Ausschreibungsunterlagen eine Vergleichbarkeit der Angebote nicht gegeben bzw. eine gesetzeskonforme Bewertung der Angebote nicht möglich sei, die Fehler in der Ausschreibung als sogenannte Wurzelmängel auch dann von Relevanz, wenn die Ausschreibung nicht angefochten worden sei. Dies dann, wenn eine gesetzeskonforme Angebotslegung und Angebotsbewertung nicht sichergestellt sei. Gegenständlich sei das Gericht der Ansicht, dass auf Grund der vorliegenden Ausschreibung eine gesetzeskonforme Bestbieterermittlung nicht möglich sei, weshalb die nunmehr angefochtene Entscheidung der Auftraggeberin auf Nichtzulassung der Antragstellerin zur zweiten Verhandlungsrunde für nichtig zu erklären gewesen sei.

16 3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Auftraggeberin.

17 Die Erstmitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in welcher sie die Zulassung der Revision beantragte und sich den Anträgen der Revisionswerberin anschloss.

18 Die Zweitmitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, mit welcher sie die Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision beantragte.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

19 Zu I.:

20 Soweit sich die erstmitbeteiligte Partei (als Partei des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht) in ihrer Revisionsbeantwortung den Anträgen der Revision anschloss und die Abweisung des verfahrensgegenständlichen Nachprüfungsantrages bzw. die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragte, ist festzuhalten, dass dieser Schriftsatz dem ausdrücklichen Ziel der darin gestellten Anträge zufolge als eine gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gerichtete Revision der erstmitbeteiligten Partei zu verstehen ist. Das angefochtene Erkenntnis wurde der erstmitbeteiligten Partei am 25. April 2019 zugestellt, weshalb sich die in der Revisionsbeantwortung vom 19. November 2020 gestellten Anträge als verspätet erweisen und gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen waren (vgl. VwGH 13.9.2016, Ro 2016/03/0016, Rn. 24, mwN).

21 Zu II.:

22 Die Revision bringt zur Zulässigkeit unter anderem vor, das Verwaltungsgericht habe sich insofern über die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs hinweggesetzt, als es seine Entscheidung mit der Ansicht begründete, dass „Fehler in der Ausschreibung als sogenannte Wurzelmängel auch dann von Relevanz seien, wenn die Ausschreibung nicht angefochten wurde“. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs würden jedoch allfällige Einwände gegen die Festlegungen ins Leere gehen, wenn diese nicht innerhalb der dafür vorgesehenen Frist bekämpft worden seien. Andernfalls seien diese infolge Bestandsfestigkeit präkludiert und für den Auftraggeber als auch für die Bieter bindend. Auch die Vergabekontrollbehörde sei in der Folge nicht befugt, allfällige Rechtswidrigkeiten im Rahmen der Nachprüfung von Amts wegen aufzugreifen.

23 Zudem liege eine krasse Fehlbeurteilung durch das Verwaltungsgericht bei der Auslegung der Ausschreibungsbestimmungen vor. Das Verwaltungsgericht komme in seiner rechtlichen Beurteilung zu Schlüssen, die in diametralem Widerspruch zu den Festlegungen in der Angebotsunterlage stünden, die nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nach dem objektiven Erklärungswert auszulegen seien. Unter anderem gelange das Verwaltungsgericht zu der Schlussfolgerung, dass sich aus der Angebotsunterlage keine Bewertungsmatrix zum Zuschlagskriterium „Konzeptmaßnahmen zur Wahrung regionaler Verantwortung bei der Leistungserbringung“ ableiten lasse, obwohl unter dem Punkt „Bewertung des Konzepts“ eine mathematische Formel zur Punktevergabe angeführt sei. Auch folgere das Verwaltungsgericht, dass die Punktevergabe für das Zuschlagskriterium „Ersatzgestellung“ nicht nachvollziehbar sei, obwohl die exakten Punkte in einer Tabelle in der Angebotsunterlage festgelegt worden seien.

24 4.1. Die Revision ist aufgrund der ins Treffen geführten Zulässigkeitsbegründung zulässig und berechtigt.

25 4.2. Voranzustellen ist Folgendes: Nach ständiger Rechtsprechung kann eine unanfechtbar gewordene (bestandfeste) Entscheidung des Auftraggebers im Rahmen der Nachprüfung von auf dieser Entscheidung aufbauenden Entscheidungen des Auftraggebers nicht mehr überprüft werden. Ist eine Ausschreibungsbestimmung mangels rechtzeitiger Anfechtung der Ausschreibung bestandfest geworden, ist sie ‑ unabhängig davon, ob sie bei rechtzeitiger Anfechtung für nichtig zu erklären gewesen wäre ‑ der gegenständlichen Auftragsvergabe zugrunde zu legen (vgl. zuletzt VwGH 22.12.2020, Ra 2019/04/0091, mwN). Die Fristgebundenheit von Nachprüfungsanträgen wäre nämlich sinnlos, könnte die Vergabekontrollbehörde eine unanfechtbar gewordene (bestandfeste) Entscheidung des Auftraggebers im Rahmen der Nachprüfung von auf dieser Entscheidung aufbauenden Entscheidungen des Auftraggebers überprüfen (vgl. VwGH 7.11.2005, 2003/04/0135, sowie die dortigen Nachweise auf Rechtsprechung des EuGH; vgl. zur ständigen Rechtsprechung zur Bestandskraft auch VwGH 7.9.2009, 2007/04/0090).

26 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass Festlegungen nur in äußerst seltenen Fällen nicht präklusionsfähig sind, so etwa, wenn die Anwendbarkeit des Gesetzes an sich und die Zuständigkeit der Vergabekontrollbehörden betroffen sind. So hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass die Frage der Anwendbarkeit des BVergG 2006 an sich sowie die Regelung der Zuständigkeiten der Vergabekontrollbehörden einer gestaltenden Festlegung durch die Auftraggeberin entzogen sind. Eine solche kann daher auch nicht bestandfest werden (vgl. VwGH 14.10.2015, 2013/04/0097, mwN).

27 Zu ergänzen ist, dass der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zufolge Ausschreibungsbestimmungen nach dem objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlichen fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt auszulegen sind. Im Zweifel sind Festlegungen in der Ausschreibung gesetzeskonform und sohin in Übereinstimmung mit den maßgeblichen Bestimmungen zu lesen (vgl. zu allem etwa VwGH 11.9.2020, Ra 2018/04/0157, Rn. 46, mwN).

28 4.3. Von der eben dargestellten Rechtsprechung geht auch das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall grundsätzlich aus.

29 Es begründet die Nichtigerklärung der angefochtenen Auftraggeberentscheidung jedoch ‑ zusammengefasst ‑ damit, dass die von der Auftraggeberin in den Ausschreibungsunterlagen, die unstrittig bestandfest geworden sind, gesetzwidrig seien, weil diese eine Bestbieterermittlung nicht ermöglichen würden. Insbesondere sei weder für die Bewertung der Ersatzgestellungszeiten noch für die Bewertung des Konzepts über Maßnahmen zur Wahrung regionaler Verantwortung bei Leistungserbringung entsprechende Bewertungskriterien festgelegt worden.

30 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass die in vertretbarer Weise vorgenommene fallbezogene Auslegung von Parteierklärungen oder Ausschreibungsunterlagen nicht revisibel ist, weil der fallbezogenen Auslegung grundsätzlich keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. wiederum VwGH Ra 2018/04/0157, Rn. 46, mwN).

31 Insofern das Verwaltungsgericht festhält, dass weder für die Bewertung der Ersatzgestellungszeiten noch für die Bewertung des „Konzepts über die Maßnahmen zur Wahrung regionaler Verantwortung der Leistungserbringung“ entsprechende Bewertungen aufgezeigt seien, nimmt es eine ‑ die Zulässigkeit der Revision begründende ‑ unvertretbare Auslegung der bestandfesten Ausschreibungsunterlagen vor:

32 In diesem Sinne ist nicht nachvollziehbar, inwiefern die zu vergebenden Punkte für die Ersatzgestellungszeiten angesichts der gestaffelten Zuordnung von Punkten zu einer jeweils in Minuten vom Bieter anzugebenden zugesicherten Ersatzgestellungszeit eine Bewertung der Angebote unmöglich machen sollte. Es ist völlig unzweideutig, wenn jeweils bestimmten Zeitintervallen, die lückenlos aneinander anschließen, von vornherein bestimmte zu vergebende Punkteanzahlen zugeordnet werden.

33 Ebenso ist in den Feststellungen des Verwaltungsgerichts die Tabelle der Ausschreibungsunterlagen wiedergegeben, der die erreichbaren Punkte für die vorzulegenden Konzepte entnommen werden konnten. Sowohl die Bewertung des Konzepts (inklusive Punkteberechnung) als auch die zu bewertenden Subkriterien sowie die Gewichtung dieses Zuschlagskriteriums waren den Ausschreibungsunterlagen zu entnehmen. Inwiefern es den Bietern angesichts dieser tabellarischen Bewertungsskala nicht möglich gewesen sein sollte, ein konkurrenzfähiges Angebot zu legen, ist nicht nachvollziehbar. Die Hinterlegung der Aufzählung von möglichen Maßnahmen, die zugunsten der jeweiligen Angebote positiv bepunktet würden, führt ‑ auch wenn diese Aufzählung den Bietern gegenüber nicht vorab offengelegt wurde ‑ zu keiner Intransparenz des Bewertungsschemas bzw. der Angebotsbewertung selbst.

34 Vorliegend ist daher entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht anzunehmen, dass die in der Ausschreibung festgelegten Zuschlagskriterien eine Bestbieterermittlung unmöglich machen würden, weshalb fallbezogen der vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführten Argumentation für die Nichtigerklärung der angefochtenen Auftraggeberentscheidung der Boden entzogen ist.

35 Der Revision ist aus diesen Gründen Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

36 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 23. Juni 2022

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