BVwG L531 2163893-2

BVwGL531 2163893-225.1.2023

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:L531.2163893.2.00

 

Spruch:

L531 2163894-2/4E

L531 2163893-2/4E

L531 2163895-2/4E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

1. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Anita MAYRHOFER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RA Mag. Julia M. Kolda, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.11.2021, ZI. XXXX , zu Recht erkannt:

 

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

2. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Anita MAYRHOFER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei/Syrien, vertreten durch ihren Vater XXXX , geb. XXXX , als gesetzlichen Vertreter, beide vertreten durch RA Mag. Julia M. Kolda, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.11.2021, ZI. XXXX , zu Recht erkannt:

 

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

3. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Anita MAYRHOFER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei/Syrien, vertreten durch ihren Vater XXXX , geb. XXXX , als gesetzlichen Vertreter, beide vertreten durch RA Mag. Julia M. Kolda, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.11.2021, ZI. XXXX , zu Recht erkannt:

 

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang:

I.1.1. Die beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden kurz: bP oder jeweils als bP1 für XXXX , bP2 für XXXX und bP3 für XXXX ), stellten nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet gemeinsam mit dem Ehegatten der bP1 bzw. Vater der bP2 und bP3, XXXX , geb. XXXX , am 14.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden kurz: BFA) mit Bescheid vom 21.06.2017 abwies. Die Behörde erteilte den bP keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erklärte ihre Abschiebung in die Türkei für zulässig und gewährte eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise.

I.1.2. Am 19.01.2018 wurde die dritte Tochter der Familie, XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren und seitens des Ehegatten der bP1 als deren gesetzlicher Vertreter ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, welchen das BFA mit Bescheid vom 21.02.2018 abwies.

I.1.3. Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 11.03.2019 wurden die Anträge der bP sowie des Ehegatten der bP1 und der drittgeborenen Tochter auf internationalen Schutz nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom Bundesverwaltungsgericht zu Zlen. L518 2163890-1/27Z, L518 2163894-1/20Z, L518 2163895-1/17Z, L518 2163893-1/17Z und L518 2191122-1/7Z abgewiesen. Das Erkenntnis wurde nach entsprechendem Antrag am 17.05.2019 schriftlich ausgefertigt und sämtlichen beschwerdeführenden Parteien am 21.05.2019 zugestellt.

I.1.4. Die Erkenntnisse in Hinblick auf die bP erwuchsen in Rechtskraft. Der Ehemann der bP1 erhob für sich und die drittgeborene Tochter Beschwerde an den Verfassunsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 23.10.2019, E1358-1359/2019-9 ab. Einer sodann erhobenen außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde von diesem mit Erkenntnis vom 03.03.2020, Ra 2019/01/0046 bis 0047-14, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes stattgegeben.

I.1.5. Im fortgesetzten Verfahren wurden die Anträge des Ehegatten der bP1 und der drittgeborenen Tochter auf Zuerkennung des Status des Aslyberechtigten, des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 15.06.2021, W256 2163890-1/67E und W256 2191122-1/44E, als unbegründet abgewiesen; im Übrigen wurde festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und wurde dem Ehegatten der bP und der Tochter eine „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt. Ferner wurden die jeweils erlassenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ersatzlos behoben.

Gegen diese Erkenntnisse wurde vom BFA Amtsrevision, soweit die Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidungen ausgesprochen, Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 55 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 2005 erteilt und rechtlich davon abhängende Aussprüche getätigt wurden, an den Verwaltungsgerichshof erhoben. Mit Erkenntnis vom 13.01.2022, Ra 2021/14/0249-11, gab der Verwaltungsgerichtshof dieser Amtsrevision statt und hob die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes auf.

Im fortgesetzten Verfahren wurden die Beschwerden des Ehegatten der bP1 und der drittgeborenen Tochter hinsichtlich der Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidungen, der Erteilung auf Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 55 Abs. 1 und 2 AsylG und der rechtlich davon abhängenden Aussprüche vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 27.06.2022, W256 2163890-1/81E und W256 2191122-1/56E, als unbegründet abgewiesen.

I.2. Die bP1 stellte für sich und der Vater der minderjährigen bP2 und bP3 stellte als deren gesetzlicher Vertreter für diese am 19.08.2021 je einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 2 AsylG. Dabei gab die bP1 zu ihrer Integration an, dass sie sich seit September 2015 in Österreich befinden würde; weitere Angaben tätigte sie nicht. Die Anträge der bP2 und bP3 enthielten keine Angaben zur Integration. Den Anträgen wurden keine Unterlagen zur etwaigen Integration der bP beigelegt.

I.3. Mit Schreiben vom 30.08.2021 wurden die bP seitens des BFA aufgefordert binnen zwei Wochen ihre originalen und gültigen Reisepässe und ihre originalen Geburtsurkunden vorzulegen; weiter wurde ihnen ein Fragenkatalog zu ihren persönlichen Verhältnissen im Bundesgebiet mit der Möglichkeit zur Stellungnahme übermittelt und abschließend Rechtsbelehrung erteilt. Nach Fristerstreckung brachte die bP1 im Wege der Caritas Grundversorgung XXXX für sich und die bP2 und bP3 mit Schreiben vom 09.09.2021 und 15.09.2021 eine Stellungnahme zu den an sie gerichteten Fragen und diverse Urkunden in Kopie in Vorlage. Unter anderem wurden diverse Unterstützungserklärungen für die gesamte Familie der bP vom März 2021 sowie eine ÖIF Integrationsprüfung, ein Lohnzettel vom August 2021 und eine Einstellungszusage vom 13.09.2021 den Ehegatten der bP1 betreffend in Vorlage gebracht. Mit Urkundenvorlage vom 08.10.2021 wurden eine ergänzende Stellungnahme der bP sowie weitere Urkunden, vornehmlich den Ehegatten der bP1 betreffend in Vorlage gebracht.

I.4.1. Mit Bescheiden des BFA (im Folgenden auch kurz: bB) je vom 12.11.2021, XXXX , wurden die Anträge der bP auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK vom 19.08.2021 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG abgewiesen.

I.4.2. Die bP stellte in Hinblick auf die bP1 Nachstehendes fest:

 

„[...] Zu Ihrem Privat- und Familienleben zum jetzigen Zeitpunkt:

Mit Bescheid des BFA vom 21.06.2017 wurde gegen Sie eine Rückkehrentscheidung erlassen. Diese Entscheidung erwuchs mit 11.03.2019 in Rechtskraft II. Instanz (Zl. L518 2163890-1/27Z, L518 2163894-1/20Z, L518 2163895-1/17Z, L518 2163893-1/17Z, L518-2191122-1/7Z (Beschwerden gegen den Bescheid des BFA im Rahmen der mündlichen Verkündung als unbegründet abgewiesen).

 

Der Sachverhalt wurde im Zuge der Erlassung dieser Rückkehrentscheidung geprüft und ein Eingriff in Ihre durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte als gerechtfertigt angesehen.

 

Seit Rechtskraft der Rückkehrentscheidung am 11.03.2019 haben sich keine maßgeblichen Änderungen in Ihrem Privat- und Familienleben ergeben. Aus den von Ihnen im Zuge der Antragstellung vorgelegten Unterlagen und Ihren Angaben im gegenständlichen Verfahren unter Berücksichtigung sämtlicher vorgelegter Beweismittel sind keine derartigen Änderungen zu Ihrem Privat- und Familienleben erkennbar, welche zu einer anderslautenden Entscheidung geführt hätten. Nach wie vor ist der Eingriff in Ihr Privat- und Familienleben gerechtfertigt und die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK somit nicht vorgesehen.“

I.4.3. Beweiswürdigend führte die bB weiter aus:

 

„[...] Betreffend die Feststellungen zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Die Feststellungen zu der gegen Sie erlassenen Rückkehrentscheidung ergeben sich aus dem Inhalt Ihres Gesamtaktes.

 

Dass sich seit der am 11.03.2019 in Rechtskraft erwachsenen Rückkehrentscheidung keine maßgeblichen Änderungen in Ihrem Privat- und Familienleben ergeben haben, geht aus den von Ihnen im Zuge der Antragstellung vorgelegten Unterlagen und Ihren Angaben im Zuge der eingereichten Stellungnahme zweifelsfrei hervor:

 

Zu Ihrer Integration in Österreich gaben Sie im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 11.03.2019 auf Befragung an, dass Sie die deutsche Sprache nicht sprechen, in Österreich nicht gearbeitet zu haben, in keinen Vereinen tätig zu sein und von Unterstützungsleistungen der Caritas (Grundversorgung) leben. Betrachtet man nun die im Zuge dieses Verfahrens von Ihnen vorgelegten Beweismittel und Ihre Stellungnahmen, ergibt sich zweifelsfrei das Bild, dass sich hinsichtlich Ihrer Integration seit der mündlichen Verhandlung im Zuge Ihres Asylverfahrens am 11.03.2019 keine Änderungen zu Ihrem Privat- und Familienleben ergeben haben. So haben Sie weder irgendwelche Zertifikate hinsichtlich einer Deutschprüfung vorgelegt, sondern zu Ihren Deutschkenntnissen ausschließlich einen Deutschpass vorgelegt. Aus diesem geht jedoch nicht hervor, dass Sie Ihre Deutschkenntnisse seit Rechtskraft des Vorverfahrens weiterentwickelt haben. Sie haben kein Zertifikat über eine abgelegte Deutschprüfung vorgelegt und haben Ihre Deutschkenntnisse somit seit Rechtskraft des Asylverfahrens nicht nachweislich verbessert.

 

Weiterhin beziehen Sie Leistungen der Grundversorgung und gehen, wie aus der durchgeführten Abfrage zu Ihren Versicherungsdaten hervorgeht, keiner Arbeit nach. Der vollständigkeitshalber ist hier anzuführen, dass es Ihnen aufgrund Ihres unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet gar nicht möglich ist, einer Arbeit nachzugehen. Eine Einstellungszusage oder einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag haben Sie nicht in Vorlage gebracht. Somit haben sich auch hinsichtlich Ihrer Berufstätigkeit seit Abschluss des Asylverfahrens keine Änderungen ergeben.

 

Bereits im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 11.03.2019 gaben Sie an, Sie hätten im Inland gute Kontakte zu Freunden und Familien. Die im gegenständlichen Verfahren vorgelegten Integrationsschreiben von Bekannten und Freunden stellen somit keinen neuen Sachverhalt dar. Zu den vorgelegten Integrationsschreiben diverser Personen, welche sich teilweise für Sie und teilweise für Ihren Gatten und Ihre Kinder ausgesprochen haben, ist anzuführen, dass eine Änderung in Ihren Sozialkontakten seit Rechtskraft des Asylverfahrens nicht eingetreten ist. Selbst wenn Sie mittlerweile neue Kontakte zur österreichischen Gesellschaft geknüpft haben, ist dazu anzuführen, dass Sie aufgrund Ihrer geringen Deutschkenntnisse nicht in der Lage sein können, tiefergehende Kontakte zur österreichischen Gesellschaft zu hegen. Aus den aktuellen Integrationsschreiben geht jedenfalls nicht hervor, dass Sie nun derartig integriert sind, dass dies eine Änderung des Sachverhaltes zur Folge hätte.

 

Bereits zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Zuge Ihres Asylverfahrens am 11.03.2019 besuchte Ihre Tochter XXXX die Schule im Bundesgebiet, mittlerweile besucht auch Ihre Tochter XXXX die Schule. Dies ist auf den Umstand zurückzuführen, dass in Österreich Schulpflicht gilt. Es handelt sich hierbei demnach nicht um durch Ihre Kinder gesetzte freiwillige Integrationsschritte, sondern ist vielmehr als Ihre Verantwortung anzusehen, dafür Sorge zu tragen, dass Ihre Kinder der Schulpflicht nachkommen. Dass Ihre Kinder dadurch ihre Deutschkenntnisse laufend verbessern, Kontakte zur österreichischen Gesellschaft herstellen und Freundschaften knüpfen, ist nachvollziehbar, jedoch haben Sie keine Beweismittel darüber vorgelegt, dass Ihre Töchter mittlerweile in besonders intensiver Art im Bundesgebiet integriert sind. Für Ihre Töchter wurden keine Beweismittel über eine maßgeblich tiefergehende Integration im Vergleich zum Zeitpunkt

der Rechtskraft des Vorverfahrens vorgelegt.

 

Dass Sie seit Rechtskraft irgendwelche Ausbildungen oder Prüfungen absolviert haben, ergibt sich aus Ihren Angaben nicht und wurden in diesem Zusammenhang keine Beweismittel vorgelegt. Nachweise zu Mitgliedschaften in Vereinen wurden von Ihnen nicht vorgelegt und haben Sie im Zuge der eingebrachten Stellungnahmen auch nicht geltend gemacht, in einem Verein aktiv zu sein, sondern lediglich angegeben, dass Sie einen Yoga-Kurs besuchen.

 

Auch aus der durch die zwei eingereichten Stellungnahmen, beide undatiert, eingegangen am 15.09.2021 und 08.10.2021, lässt sich nichts entnehmen, was auf eine Änderung des Sachverhalts seit Rechtskraft des Asylverfahrens am 11.03.2019 schließen lassen könnte. Nach wie vor sind verheiratet und halten sich mit Ihrem Gatten und Ihren Kindern im Bundesgebiet auf. Daher ist auch hinsichtlich Ihres Familienlebens keine wesentliche Änderung seit Rechtskraft des Vorverfahrens am 11.03.2019 eingetreten. Mittlerweile haben Sie in Österreich ein weiteres Kind namens XXXX geboren, jedoch stellt die Geburt dieses Kindes keine Änderung des Sachverhalts dar, da Sie nach wie vor Mutter von mehreren minderjährigen Kindern sind und es aus Sicht des BFA nicht ausschlaggebend ist, ob es sich um drei oder vier Kinder handelt. Ihrem Gatten und Ihrer Tochter XXXX wurde mittlerweile ein Aufenthaltstitel im Bundesgebiet gewährt, jedoch handelt es sich hierbei um einen auf die Dauer von einem Jahr befristeten Aufenthaltstitel, Ihrem Gatten und Ihrer Tochter XXXX steht jederzeit offen, in die Türkei zu reisen um dort zusammen mit Ihnen und Ihren weiteren Kindern ein Familienleben zu führen. Anzumerken ist, dass derzeit eine Revision gegen die Entscheidung über die Erteilung des Aufenthaltstitels beim Verwaltungsgerichtshof anhängig ist. Die vorgelegten Beweismittel zu Ihrem Gatten und dessen Integration im Bundesgebiet werden zur Kenntnis genommen, daraus lassen sich jedoch keine Hinweise ableiten, die für Ihre Integration im Bundesgebiet von Bedeutung wären.

 

Die einzige Änderung, die sich aus Sicht des BFA seit Rechtskraft Ihres Asylverfahrens ergeben hat, ist jene, dass Sie Ihrer Ausreiseverpflichtung, welche sich mit Rechtskraft des Asylverfahren am 11.03.2019 ergeben hat, nicht nachkommen. Durch Ihr Verhalten konnte festgestellt werden, dass Sie offenbar nicht gewillt sind, sich den österr. Gesetzen unterzuordnen. Dies ist negativ für Ihre Integration im Bundesgebiet zu deuten, da Sie offenbar nicht ausreisewillig sind und sich offenbar nicht verpflichtet sehen, die Gesetze der Rep. Österreich zu akzeptieren und Ihrer Ausreiseverpflichtung Folge zu leisten.

 

Für die gegenständliche Entscheidung war ausschlaggebend, ob Sie seit der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung irgendwelche Aus- oder Weiterbildungen absolviert haben oder sich sonstige Umstände ergaben, welche eine wesentliche Änderung Ihres Privat- oder Familienlebens zur Folge haben. Dies ist bei Ihnen jedoch, wie anhand der vorgelegten Beweismittel und der im Zuge dieses Verfahrens von Ihnen abgegebenen Stellungnahmen erkennbar ist, nicht der Fall.

 

In Gesamtschau ergibt sich, dass es seit Rechtskraft des im Zuge der Verhandlung mündlich ausgesprochenen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes am 11.03.2019, mit welchem Ihre Beschwerde gegen die durch das BFA erlassene Rückkehrentscheidung abgewiesen wurde, zu keiner wesentlichen Veränderung Ihres Privat- und Familienlebens gekommen ist.

 

Das BFA gelangt daher zum Schluss, dass sich seit der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung

keine wesentlichen Änderungen in Ihrem Privat- und Familienleben ergeben haben und ist Ihr Antrag daher gemäß § 58 Abs. 10 Asylgesetz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.“

 

I.4.4. Rechtlich führte die bB jeweils aus, dass Anträge gemäß § 55 AsylG als unzulässig zurückzuweisen sind, wenn sich aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänznede oder neue Abwägung gemäß Artikel 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Gegenständlich hätten sich seit der rechtskräftig erlassenen Rückkehrentscheidung vom 11.03.2019 weder die Sprachkenntnisse der bP1, noch die Umstände ihrer Lebensführung entsprechend verändert. In Hinblick auf die minderjährigen bP2 und bP3 hielt die bB fest, dass sowohl ihre Sprachkenntnisse als auch die Umstände ihrer Lebensführung unverändert wären.

I.5. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 15.11.2021 wurde den bP gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

I.6.1. In der rechtzeitig eingelangten gemeinsamen Beschwerde der bP vom 16.12.2021 werden eine unrichtige rechtliche Beurteilung und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Missachtung des Kindeswohls moniert und nebst Durchführung einer mündlichen Verhandlung begehrt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und den bP einen Aufenthaltsstatus gemäß § 55 AsylG zuzuerkennen; eventualiter wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

I.6.2. Inhaltlich wird nach Wiedergabe der bisherigen Verfahren der Familie der bP seit September 2015 im Wesentlichen ausgeführt, dass die bP infolge der Aufenthaltszuerkennung des Ehemannes und der Tochter XXXX gegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK eingebracht hätten. Die bB habe es in der Folge unterlassen sich mit dem gesamten Vorbringen der bP auseinanderzusetzen und habe sie kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Die bB habe es zudem unterlassen sich mit den umfangreichen Unterlagen zur Integration der Familie der bP auseinanderzusetzen, in Hinblick auf die Deutschkenntnisse der bP wiederum handle es sich lediglich um mangelnde zertifizierte Deutschkenntnisse und nicht faktische. Bei einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren hätte sich die bB in einer Einvernahme von den Fähigkeiten der bP1 in deutscher Sprache überzeugen können. Aufgrund der Geburt der vierten Tochter habe die bP1 zudem keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können und könne die bB dies der bP1 nicht vorwerfen, vielmehr hätte die bB übersehen, dass der Ehemann der bP1 wiederholt erwerbstätig gewesen sei. Gerade in Hinblick auf die inzwischen vier Kinder der Familie wäre die bB verpflichtet gewesen eine umfassende Prüfung des Kindeswohls und der Auswirkungen ihrer Entscheidung vorzunehmen, dies vor allem in Hinblick auf die Frage was eine mögliche Rückkehr in ein Herkunftsland, indem die Kinder weder gelebt noch sozialisiert wurden bedeuten würde.

I.7. Am 27.12.2021 wurde die Beschwerde unter Anschluss des Verfahrensaktes dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und der Abteilung L504 zur Entscheidung zugewiesen; infolge Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses wurde die Rechtssache am 03.01.2022 der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung zugewiesen.

I.8. Am 25.08.2022 stellten die bP erneut einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher seitens des BFA je mit Bescheid vom 20.12.2022 wegen entschiedener Sache in Hinblick auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zurückgewiesen und in Hinblick auf die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde. Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG wurden nicht erteilt, es wurden Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass die Abschiebungen zulässig wären. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei bP1:

Die bP1 führt den Namen XXXX , ist Staatsangehörige der Türkei und Angehörige der kurdischen Volksgruppe. Die bP ist Moslem und spricht türkisch und kurdisch-kurmanji.

Sie wurde am 29.04.1989 in XXXX geboren und ist dort aufgewachsen. Sie hat drei Jahre die Grundschule besucht. Die bP1 hat im Jahr 2009 den syrischen-türkischen Doppelstaatsbürger XXXX , geb. XXXX geheiratet. Gemeinsam haben sie vier Kinder: XXXX , geb. 31.12.2009, XXXX , geb. 28.08.2013, XXXX , geb. 19.01.2018 und XXXX , geb. 14.06.2021.

In Österreich ist ein Schwager der bP1 aufhältig. In der Türkei leben die Eltern, drei Brüder und eine Schwester der bP1.

Die bP1 ist arbeitsfähig, gesund und nimmt keine Medikamente. Sie gehört keiner Risikogruppe im Hinblick auf COVID 19 an. Sie ist strafrechtlich unbescholten.

Die bP1 erhält laufend Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Sie hat weder einen Deutschkurs abgeschlossen, noch andere Aus- oder Weiterbildungen in Österreich absolviert. Sie ist weder Mitglied in einem Verein, noch ehrenamtlich tätig.

II.1.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei bP2:

Die bP2 führt den Namen XXXX , ist Staatsangehörige der Türkei und Syrien und Angehörige der kurdischen Volksgruppe. Die bP ist Moslem und spricht türkisch und kurdisch-kurmanji.

Sie wurde am 28.08.2013 in XXXX in der Türkei geboren und ist die leibliche Tochter der bP1 und des XXXX , geb. XXXX .

II.1.3. Zur Person der beschwerdeführenden Partei bP3:

Die bP2 führt den Namen XXXX , ist Staatsangehörige der Türkei und Syrien und Angehörige der kurdischen Volksgruppe. Die bP ist Moslem und spricht türkisch und kurdisch-kurmanji.

Sie wurde am 28.09.2015 in XXXX in der Türkei geboren und ist die leibliche Tochter der bP1 und des XXXX , geb. XXXX .

II.1.4. Zur Einreise und den bisherigen Verfahren der beschwerdeführenden Parteien und ihren Familienangehörigen:

Die bP reisten gemeinsam mit dem Ehegatten der bP1 bzw. Vater der bP2 und bP3 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein wo sie am 14.09.2015 Anträge auf internationalen Schutz stellten, welche mit Bescheiden des BFA je vom 21.06.2017 abgewiesen wurden. Die Behörde erteilte den bP und dem Ehegatten der bP1 keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erklärte ihre Abschiebung in die Türkei für zulässig und gewährte eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise. Am 19.01.2018 wurde die dritte Tochter der Familie, XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren und seitens des Ehegatten der bP1 als gesetzlicher Vertreter ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, welchen das BFA mit Bescheid vom 21.02.2018 abwies.

Eine gegen die Bescheide vom 21.06.2017 und 21.01.2018 erhobene Beschwerde der bP und ihrer Familienangehörigen wurde mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.03.2019, L518 2163894-1/20Z, L518 2163890-1/27Z, L518 2163895-1/17Z, L518 2163893-1/17Z und L518 2191122-1/7Z (schriftliche Ausfertigung vom 17.05.2019) abgewiesen.

Das Erkenntnis vom Bundesverwaltungsgericht die bP betreffend wurde mit 21.05.2019 rechtskräftig. Die bP kamen ihrer Ausreiseverpflichtung in der Folge nicht nach.

Der Ehegatte der bP erhob für sich und die minderjährige Tochter XXXX Beschwerde an den Verfassunsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 23.10.2019, E1358-1359/2019-9 ab. Einer sodann erhobenen außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde von diesem mit Erkenntnis vom 03.03.2020, Ra 2019/01/0046 bis 0047-14, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes stattgegeben. Im fortgesetzten Verfahren wurden die Anträge des Ehegatten der bP und der minderjährigen Tochter XXXX auf Zuerkennung des Status des Aslyberechtigten, des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 15.06.2021, W256 2163890-1/67E und W256 2191122-1/44E, als unbegründet abgewiesen; im Übrigen wurde festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und wurde dem Ehegatten der bP1 und der Tochter eine „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt. Ferner wurden die jeweils erlassenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ersatzlos behoben.

Gegen diese Erkenntnisse wurde vom BFA Amtsrevision erhoben; diese befand sich im Zeitpunkt der Erlassung der gegenständlich angefochtenen Bescheide in Beschwerde.

Die bP haben am 25.08.2022 erneut einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, welchen das BFA jeweils mit Bescheid vom 20.12.2022 in Hinblick auf den Status eines Asylberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurück- und in Hinblick auf den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG abgewiesen hat. Zudem wurden Rückkehrentscheidungen erlassen und die Abschiebungen für zulässig erklärt.

II.1.5. Zum Antragsvorbringen der beschwerdeführenden Parteien:

Die bP1 stellte am 19.08.2021 für sich und der Vater der bP2 und bP3 als deren gesetzlicher Vertreter einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 2 AsylG. Dabei gab die bP1 zu ihrer Integration an, dass sie sich seit September 2015 in Österreich aufhalten würde. Hinsichtlich der bP2 und bP3 wurden keine Angaben zur Integration gemacht.

Mit Schreiben vom 30.08.2021 wurden die bP seitens des BFA zur Beantwortung von an sie gerichteten Fragen, zur Vorlage von Reisepass und Geburtsurkunde sowie zur Vorlage etwaiger integrationsbegründender Unterlagen aufgefordert. Mit E-Mails vom 09.09.2021, 15.09.2021 und 08.10.2021 wurden nachstehende Unterlagen jeweils als Kopie in Vorlage gebracht:

- Syrischer Staatsbürgerschaftsnachweis, Militärzeugnis, Wählerbuch, Militärbuch, Reisepass, Führerschein und Familienbuch von XXXX

- Geburtsurkunde von XXXX und XXXX

- Heiratsurkunde der bP1 mit XXXX

- Einstellungszusage der XXXX für XXXX vom 29.03.2021

- Einstellungszusage der XXXX für XXXX vom 13.09.2021

- Lohnnachweis der XXXX für XXXX vom 09.08.2021

- Anmeldebestätigung zur ÖIF Integrationsprüfung B1 von XXXX vom 25.03.2021

- Zeugnis des ÖIF über die Integrationsprüfung auf Sprachniveau A2 vom 18.09.2021 von XXXX

- Bescheinigung Grundausbildungslehrgang des Landesfeuerwehrverbandes samt Ernennungsurkunden zum Feuerwehrmann vom 03.09.2021 und 24.07.2021 für XXXX

- Diverse Unterstützungserklärungen der Gemeinde XXXX , Freiwilligen Feuerwehr XXXX , Pfarre XXXX , Haus der Senioren XXXX , Volksschule und Elternverein der Volksschule XXXX , diverser Einzelpersonen datiert zwischen 25.03.2021 und 29.03.2021

- Bestätigung des Diakons der Pfarre XXXX über die Zurfügungstellung der Wohnung vom 05.10.2021

- Zeugnisübersichten für die bP2 und bP3 je vom 26.03.2021

In ihrer Stellungnahme vom 08.10.2021 führt die bP1 wie folgt aus: „Mein Ehemann und unsere Tochter XXXX haben bereits einen Aufenthaltstitel erhalten. Ich ersuche hiermit höflich um Genehmigung meines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für mich und meine Kinder XXXX , damit wir gemeinsam unser Familienleben fortführen können.“

Mit Bescheid vom 12.11.2021 wies das BFA den Antrag der bP auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK vom 19.08.2021 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurück.

Festgestellt wird, dass sich im Hinblick auf das Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG seit der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung ein maßgeblich geänderter Sachverhalt, der eine neue Abwägung gemäß Artikel 8 EMRK erforderlich macht, ergeben hat.

2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des BFA, unter zentraler Berücksichtigung der Anträge der bP vom 19.08.2021 und den, nach erfolgtem Verbesserungsauftrag des BFA seitens der bP in Vorlage gebrachten Stellungnahmen sowie Unterlagen in ihren E-Mails vom 09.09.2021, 15.09.2021 und 08.10.2021, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie durch Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das AJ-WEB Auskunftsverfahren, durch Einholung eines Strafregisterauszuges und eines Speicherauszuges aus dem Betreuungsinformationssystem des Bundes; und durch Einsichtnahme in die Verfahrensakten die weiteren Familienangehörigen der bP betreffend sowie zuletzt in die Bescheide der bB vom 20.12.2022 bezüglich der Folgeanträge der bP.

Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensakts des belangten Bundesamtes, das ein mängelfreies und ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren – siehe jedoch unten - durchgeführt hat.

II.2.2. Zu den personenbezogenen Feststellungen:

Die Feststellungen zu ihrer Ausreise aus der Türkei, zur Einreise in Österreich, den Anträgen auf internationalen Schutz und dem Verfahrensausgang ergeben sich aus den unzweifelhaften diesbezüglichen Akten des BFA und des Bundesverwaltungsgerichtes. Zuletzt hatten die bP erneut einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und wurden seitens der bB die bezughabenden Bescheide nach Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht übermittelt. Die bP1 wurde zu ihrem Folgeantrag seitens des BFA am 25.11.2022 einvernommen und konnten – in Abgleich mit dem rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.03.2019, L518 2163894-1/20Z – die Angaben zu ihrer Herkunft, den Familienangehörigen im Herkunftsland wie auch ihrem aktuellen Gesundheitszustand und etwaigen Anknüpfungspunkten im Inland bestätigt werden.

Die Feststellungen zur Staats- und Volksgruppenzugehörigkeit, ihrem religiösen Bekenntnis und dem Familienstand, beruhen auf den rechtskräftigen Feststellungen des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.03.2019, L518 2163894-1/20Z, L518 2163895-1/17Z, L518 2163893-1/17Z (schriftliche Ausfertigung vom 17.05.2019). Wie sich den diesbezüglichen Verfahrensakten zweifelsfrei entnehmen lässt wurden den bP die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnises im Wege ihrer damaligen rechtlichen Vertretung am 21.05.2019 zugestellt und haben weder die bP1, noch wurden für die minderjährigen bP2 und bP3 Rechtsmittel ergriffen, sodass die Entscheidung über die Anträge auf internationalen Schutz rechtskräftig wurden – wie auch die darauf aufbauenden Rückkehrentscheidungen. Dass die bP ihrer Ausreiseverpflichtung in der Folge nicht nachkamen ergibt sich aus gegenständlichem Antrag bzw. Verfahren.

Dass der Ehegatte der bP1 für sich und die drittgeborene Tochter XXXX gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.03.2019 Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und nach deren Ablehnung eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhob ergibt sich aus dem weiteren Verfahrenslauf, wie auch den entsprechenden höchstgerichtlichen Entscheidungen. Ebenso unstrittig ist, dass dem Ehegatten und der drittgeborenen Tochter im fortgesetzten Verfahren durch das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 15.06.2021, W256 2163890-1/67E und W256 2191122-1/44E zwar weder der Status des Aslyberechtigten noch der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde; jedoch festgestellt wurde, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei. Dementsprechend wurde den beiden Beschwerdeführern eine „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

Es ist zwar in weiterer Folge richtig, dass gegen dieses Erkenntnis seitens der belangten Behörde Amtsrevision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben wurde – zweifelsfrei lag aber im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide noch keine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vor, wie die bB in ihrem Bescheid selbst auf Seite 3 festhält.

Dass die bP1 strafrechtlich unbescholten ist, ergibt sich aus einer vom erkennenden Gericht durchgeführten Abfrage im Strafregister. Allfällige Verwaltungsübertretungen sind nicht aktenkundig.

Im Hinblick auf ihren gesundheitlichen Zustand haben sich weder aus den bisherigen Verfahren, noch aus den zuletzt eingebrachten Stellungnahem der bP Hinweise auf gesundheitliche Beschwerden ergeben.

II.2.2. Zu den gegenständlichen Anträgen gemäß § 55 AsylG und zur Integration der bP:

Die Verfahren ob der Anträge auf internationalen Schutz wurden als Familienverfahren gemäß § 34 AsylG geführt. Die Feststellungen zur Integration der bP in Österreich resultieren aus dem vorliegenden Verfahrensakt, den Stellungnahmen der bP1, sowie den zahlreichen in Vorlage gebrachten Urkunden die Familie der bP betreffend. Ebenso ergibt sich die Feststellung, dass ein maßgeblich geänderter Sachverhalt seit der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung (21.05.2019) vorliegt, aus den in Vorlage gebrachten Unterlagen. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte bei seiner Entscheidung seinerzeitig die in Vorlage gebrachten Unterlagen der bP und ihrer Familie: ein Unterstützungschreiben der Pfarre XXXX vom 05.06.2018, der Gemeinde XXXX vom 16.06.2018 und 19.11.2018, der Volksschule XXXX vom 06.07.2018 und 16.07.2018, der Freiwilligen Feuerwehr XXXX vom August 2018 und der XXXX vom 12.07.2018. Im gegenständlichen Verfahren wurden erneut diverse Unterstützungsschreiben in Vorlage gebracht, die die weiteren Bemühungen der bP und ihrer Familie dokumentieren; dazu kommen zwei Einstellungszusagen und ein Lohnzettel den Ehegatten der bP1 betreffend, die Geburtsurkunden hinsichtlich der vierten Tochter; das ÖIF Deutschzertifikat und die Zeugnisübersichten die bP2 und bP3 betreffend.

In seiner Entscheidung W256 2163890-1/67E und W256 2191122-1/44E, über die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung den Ehegatten und die Tochter XXXX betreffend hielt das Bundesverwaltungsgericht unter anderem fest, dass für den Ehegatten der bP1 die über fünfjährige Aufenthaltsdauer, die Deutschkenntnisse samt Sprachprüfung auf Niveau A2, sowie sein umfangreiches Engagement in der Wohngemeinde samt ehrenamtlichen Tätigkeiten, welche auch in entsprechenden Einstellungszusagen mündeten für ihn sprechen würden. Hinsichtlich der bP lag aufgrund der Erteilung von Aufenthaltstitel für Familienmitglieder jedenfalls ein geänderter Sachverhalt vor.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Gesetzliche Grundlagen:

§ 55 AsylG 2005 samt Überschrift lautet:

"Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK

§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Gemäß § 58 Abs. 10 AsylG sind Anträge gemäß § 55 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

3.2. Die Zurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 ist jener wegen entschiedener Sache nachgebildet, sodass die diesbezüglichen (zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten) Grundsätze herangezogen werden können. Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann bzw. eine andere Entscheidung zumindest möglich ist. Die Behörde hat daher eine Prognose anzustellen, in deren Rahmen die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach jener Wertung zu beurteilen ist, die das geänderte Sachverhaltselement seinerzeit erfahren hat. Dabei sind die nach Art. 8 MRK relevanten Umstände einzubeziehen, indem zu beurteilen ist, ob es als ausgeschlossen gelten kann, dass im Hinblick auf früher maßgebliche Erwägungen nun eine andere Beurteilung geboten sein könnte (vgl. VwGH 3.10.2013, 2012/22/0068).

Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt ist schon dann gegeben, wenn die geltend gemachten Umstände nicht von vornherein eine neue Beurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 MRK ausgeschlossen erscheinen lassen (vgl. VwGH 23.1.2020, Ra 2019/21/0356).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der vom BFA unter dem Gesichtspunkt "entschiedene Sache" vorgenommenen Antragszurückweisung nach § 58 Abs 10 AsylG 2005 ist jener der Erlassung des behördlichen Bescheides. Es ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 58 Abs. 10 AsylG 2005, dass für das BFA maßgebliche Beurteilungsgrundlage nur das "Antragsvorbringen" ist und dass das VwG bloß die Richtigkeit der vom BFA - auf dieser Basis - ausgesprochenen Zurückweisung zu prüfen hat (vgl. VwGH 22.01.2021, Ra 2020/21/0520, mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass – wenn die Behörde in erster Instanz einen Antrag zurückgewiesen hat – das Verwaltungsgericht lediglich befugt ist, darüber zu entscheiden, ob die von der Behörde ausgesprochene Zurückweisung als rechtmäßig anzusehen ist, dies allein bildet den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens (näher VwGH 03.03.2022, Ra 2020/21/0400).

Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 58 Abs. 10 AsylG 2005 hat eine Interessenabwägung iSd Artikel 8 EMRK zu unterbleiben; das VwG hat bloß die Richtigkeit der in erster Instanz ausgesprochenen Zurückweisung zu prüfen (vgl. VwGH 26.06.2020, Ra 2017/22/0183).

Bereits in einer Änderung des Sachverhaltes, die einer Neubewertung nach Art 8 EMRK zu unterziehen ist (und nicht erst darin, dass der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste), ist eine maßgebliche Änderung zu sehen. Ein maßgeblicher geänderter Sachverhalt liegt dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufweisen, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art 8 EMRK gebietet (VwGH 22.07.2011, 2011/22/0127)

Selbst bei Vorliegen einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung lässt sich weder aus der Bestimmung des § 58 Abs. 10 AsylG, noch der dazu ergangenen Judikatur ein Zeitraum entnehmen, der seit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vergangen sein muss, um eine Neubeurteilung im Lichte des Art 8 EMRK notwendig zu machen. Vielmehr ist eine inhaltliche Beurteilung vorzunehmen, ob der Fremde seit der Rückkehrentscheidung maßgebliche Integrationsschritte gesetzt hat, wobei insbesondere auch die lange Aufenthaltsdauer im Inland zu berücksichtigen ist (zB VwGH vom 19.04.2016 Ra 2015/22/0052).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der vom BFA unter dem Gesichtspunkt "entschiedene Sache" vorgenommenen Antragszurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 ist jener der Erlassung des behördlichen Bescheides (vgl. VwGH 26.6.2020, Ra 2017/22/0183, wonach für diese Prüfung jene Umstände maßgeblich sind, die bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind). Es ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 58 Abs. 10 AsylG 2005, dass für das BFA maßgebliche Beurteilungsgrundlage nur das "Antragsvorbringen" ist und dass das VwG bloß die Richtigkeit der vom BFA - auf dieser Basis - ausgesprochenen Zurückweisung zu prüfen hat (vgl. VwGH 26.6.2020, Ra 2017/22/0183; VwGH 29.5.2013, 2011/22/0102; sowie zuletzt VwGH 28.02.2022, Ra 2021/22/0240).

3.3. Im schriftlich ausgefertigten rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes zu L518 2163894-1/24E (mündlich verkündet am 11.03.2019) wurde im Wesentlichen festgestellt, dass Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige besondere Integration der bP nicht erkennbar sind. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung bzw. der Abwägung nach Artikel 8 EMRK und § 9 BFA-VG hielt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen fest wie folgt:

 

„[...] Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR, Cruz Varas and others vs Sweden, 46/1990/237/307, 21.3.1991).

Zu den in Österreich lebenden Verwandten, insbesondere zum Bruder der bP 1 wurden keine derartigen Beziehungen vorgebracht, welche ein besonders berücksichtigungswürdiges Nachverhältnis belegen würden, sodass eine Relevanz iZm Art. 8 EMRK zu sehen wäre. Es liegt weder ein gemeinsamer Wohnsitz noch ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis vor.

II.3.4.4. Basierend auf den getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Rückkehrentscheidung keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben darstellt, jedoch einen solchen in das Recht auf Privatleben, wenngleich dieser schon alleine durch den erst –bezogen auf das Lebensalter der bP – kurzen Aufenthalt und den niedrigen Integrationsgrad in Österreich, welcher darüber hinaus nur durch die unbegründete Stellung eines Asylantrages erreicht werden konnte, relativiert wird.

[...]

- Grad der Integration

Die volljährigen beschwerdeführenden Parteien sind –in Bezug auf ihr Lebensalter- erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig, haben hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und waren im Asylverfahren nicht in der Lage, ihren Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen, wenngleich im Verfahren hervorkam, dass sie die deutsche Sprache so weit beherrschen, dass eine gewisse Verständigung im Alltag möglich ist.

Ebenso geht aus dem Akteninhalt nicht hervor, dass die volljährigen bP selbsterhaltungsfähig wären bzw. ernsthafte Bemühungen zur Herstellung der Selbsterhaltungsfähigkeit unternommen hätte. Auch kann nicht festgestellt werden, dass die Eltern der minderjährigen bP aus eigener Finanzkraft für den Unterhalt der minderjährige bP aufkommen können.

In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die –hier bei weitem nicht vorhandenen- Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

Zur vorgelegten Einstellungszusage der bP1 ist festzuhalten, dass diese lediglich eine einseitige, sichtlich nicht einklagbare Willenserklärung darstellt. Selbst wenn man davon ausginge, dass eine rechtsverbindliche Zusage bestünde, die bP im Falle es Erhalt eines Bleiberechts auf Dauer einzustellen, ist festzuhalten, dass entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einer bloßen Arbeitsplatzzusage für den hypothetischen Fall eines legalen Aufenthalts in der Zukunft keine entscheidende Bedeutung zukommen kann (vgl. VwGH 21.1.2010, 2009/18/0523; 29.6.2010, 2010/18/0195; 17.12.2010, 2010/18/0385; 22.02.2011, 2010/18/0323).

Zum Schulbesuch von bP3 ist festzuhalten, dass dies die Erfüllung einer durchsetzbaren gesetzlichen Verpflichtung darstellt, welcher im Rahmen der Interessensabwägung nur sehr untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH v. 26.9.2007 2006/21/0288 mwN). Ähnlich wenig Gewicht ist daher dem Umstand beizumessen, dass die bP 4 den Kindergarten besucht.

Die vorgelegten Empfehlungsschreiben dokumentieren, dass sich die bP im Rahmen ihres Aufenthaltes eine gewisse soziale Vernetzung im Bundesgebiet aufbauten, eine außergewöhnliche Integration ist hieraus jedoch nicht entnehmbar (vgl Beweiswürdigung oben).

Zu den minderjährigen bP ist festzustellen, dass schon aufgrund ihres geringeren Alters und der Aufenthaltsdauer in Österreich die Abwägung zwischen den Bindungen zum Herkunftsstaat und den nunmehrigen Bindungen zu Österreich anders zu bewerten sein wird, als im Hinblick auf die Eltern. Hier wird von geringeren Bindungen zum Herkunftsstaat und stärkeren Bindungen zu Österreich auszugehen sein. In die Überlegungen hat jedoch einzufließen, dass die minderjährigen bP 3 und 4 dennoch im Herkunftsstaat geboren wurden, sich dort eine zeitlang aufhielten und über ihr Umfeld bzw. ihre Eltern die Kultur und Sprache ihres Herkunftsstaates auch über den Zeitpunkt der Ausreise hinaus vermittelt bekamen. Auch kann aufgrund der Sprachkenntnisse der Eltern und Angaben in der Verhandlung davon ausgegangen werden, dass im Familienverband zumindest noch vorwiegend mit den Eltern in der Sprache des Herkunftsstaates bzw. Kurdisch kommuniziert wird und somit dieser „Vermittlungseffekt“ bis in die Gegenwart nachwirkt. Ebenso befinden sich die minderjährigen bP in einem Alter erhöhter Anpassungsfähigkeit [...]

Vor Erlassung des angefochtenen Bescheides wurden dem BFA erneut zahlreiche Unterlagen zur Integration der bP und ihrer Familie übermittelt. Das BFA stellte jedoch fest, dass sich seit der mündlichen Verhandlung vom 11.03.2019 keine Änderungen im Privat- und Familienleben der bP ergeben hätten. Es ist zwar richtig, dass die bP1 nach wie vor keine Deutschprüfung abgelegt hat, keiner Beschäftigung nachgeht und sich die guten Sozialkontakte lediglich ob des weiteren Aufenthalts der bP fortgesetzt haben. Auch die bloße Verlängerung des Aufenthaltes der bP in Österreich seit der rechtskräftigen Entscheidung stellt jedenfalls keine derartige Sachverhaltsänderung dar um von einer berücksichtigungswürdigen Integration auszugehen, zumal die bP verpflichtet gewesen wären, Österreich zu verlassen.

Allerdings lässt das BFA unter anderem die Geburt des vierten Kindes und die schulischen Leistungen der älteren Kinder der bP1 unberücksichtigt. Die Geburt der Tochter XXXX am 14.06.2021 mag zwar per se noch keine wesentliche Änderung der Sachlage mit sich bringen, da durch die Entscheidung nicht in das Familienleben eingegriffen wird – für die Frage der Integration der bP1 in das Erwerbsleben ist die Geburt jedoch sehr wohl beachtlich. Noch dazu unter Berücksichtigung der 12-, 8- und 3jährigen Geschwister der letztgeborenen Tochter. Dementsprechend verlagert sich der Anspruch auf die Selbsterhaltungsfähigkeit auch auf den Vater der Kinder und dieser brachte zwei Einstellungszusagen in Vorlage. Zwar enthält die seitens der XXXX ausgestellte Zusage nicht die von der Rechtssprechung geforderten Angaben und ist daher nur bedingt verwertbar; die Zusage der Gemeinde XXXX ist aber – in Zusammenschau mit den mehrfach in Vorlage gebrachten Unterstützungsschreiben sowie dem Lohnnachweis für August 2021 – sehr wohl beachtlich. In Hinblick auf die Kinder hätte man die Integration duch den Schulbesuch in einer Gesamtzusammenschau entsprechend würdigen müssen.

Zentral und für die vorliegende Entscheidung des erkennenden Gerichts ist aber, dass die belangte Behörde den, im Entscheidungszeitpunkt bestehenden Aufenthaltsstatus des Ehegatten der bP1 und der drittgeborenen Tochter gänzlich unbeachtet ließ. Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides am 12.11.2021 war beiden seitens des Bundesverwaltungsgerichtes mit Erkenntnis vom 15.06.2021 zu W256 2163890-1/67E und W256 2191122-1/44E eine „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten gemäß § 55 AsylG erteilt worden. An diesem Umstand ändert das, durch die Amtsrevision des BFA anhängige Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nichts.

Das Bundesverwaltungsgericht hielt in seiner Entscheidung vom 15.06.2021 unter anderem fest, dass „der durch eine Rückkehrentscheidung erfolgende Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführer in Österreich [ist] in Gesamtbetachtung aller maßgeblichen Umstände jedenfalls nicht statthaft“ ist. Dabei hob es die sprachliche und soziale Integration des Ehegatten der bP1, seine umfangreichen ehrenamtlichen Tätigkeiten, und sein Bemühen um Eingliederung in den österreichischen Arbeitsmarkt hervor. Mit Verweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hält das Bundesverwaltungsgericht zudem wie folgt fest „...stellt eine Rückkehrentscheidung, die zwangsläufig zu einer Trennung eines Kleinkindes von Mutter oder Vater (die in Lebensgemeinschaft leben) führt, in jedem Fall eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls dar (VwGH 25.09.2018, Ra 2018/21/0108 mwN)“. Sodann fallbezogen weiter: „Bei der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich um ein dreijähriges Kleinkind, das seit seiner Geburt in Österreich im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter, ihren Geschwistern und dem Erstbeschwerdeführer lebt. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin würde jedenfalls zu einer Trennung der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin von ihrem Vater führen, wobei eine Aufrechterhaltung des Familienlebens mittels moderner Kommunikationsmittel angesichts des Alters der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin nicht möglich ist. Eine Fortsetzung des Familienlebens im Herkunftsstaat ist nicht zumutbar.“ Auf Grundlage dieser Überlegungen wurde daher die Rückkehrentscheidung für den Ehegatten der bP1 und der drittgeborenen Tochter als auf Dauer unzulässig erklärt und war diese Rückkehrentscheidung im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide im Rechtsbestand.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte eine Abwägung der Interessen zweier Familienmitglieder (Elternteil und minderjähriges Kind) gemäß Artikel 8 EMRK vorgenommen. Die bB hätte diese Überlegungen auf die weiteren Familienmitglieder (Elternteil und minderjährige Kinder) übertragen müssen um zu einer gesamtheitlichen Entscheidung zu gelangen. Die bB durfte die privaten und familiären Verhältnisse der bP1 – vor allem die ihr vorgeworfene mangelnde Integration – nicht isoliert betrachten; noch dazu als Mutter von inzwischen vier Kindern, deren Ehegatte im gemeinsamen Haushalt lebt und sich – wie sich der Interessenabwägung zum Entscheidungszeitpunkt ergibt – redlich um Integration bemühte. Die bB hätte daher die Interessen sämtlicher Familienmitglieder in ihre Entscheidung einbeziehen müssen. Zudem brachte die bP1 auch selbst vor, dass die gegenständlichen Anträge im August 2021 eben aufgrund bzw. nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.06.2021 eingebracht worden waren.

Zusammenfassend hätte die bB im Entscheidungszeitpunkt daher den Umstand, dass dem Ehegatten der bP1 bzw. Vater der minderjährigen bP2 und bP3 sowie der drittgeborenen Tochter aus Erwägungen nach Artikel 8 EMRK eine „Aufenthaltsberechtigung“ erteilt worden war nicht negiert werden.

 

3.4. In Anbetracht dessen hat das BFA den Antrag der bP auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK zu Unrecht gemäß § 58 Abs 10 AsylG zurückgewiesen.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

3.5. Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine mündliche Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts-hofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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