OGH 6Ob148/98b; 1Ob109/02i; 4Ob208/02w; 2Ob98/08p; 3Ob28/11f; 3Ob72/15g; 6Ob153/15s; 8Ob29/19a; 6Ob162/21y; 3Ob221/23f (RS0110043)

OGH6Ob148/98b; 1Ob109/02i; 4Ob208/02w; 2Ob98/08p; 3Ob28/11f; 3Ob72/15g; 6Ob153/15s; 8Ob29/19a; 6Ob162/21y; 3Ob221/23f31.1.2024

Rechtssatz

Das durch Art 6 MRK geschützte Grundrecht des fair trial macht für die am Verfahren Beteiligten eine generelle Verweigerung des Rechtes auf Akteneinsicht und Entnahme von Aktenabschriften, die für die wirksame Rechtsdurchsetzung, insbesondere für die Erhebung von Rechtsmitteln unerlässlich sind, unzulässig. Beschränkungen dieses Rechtes sind daher nur in sehr geringem Umfang möglich und bedürfen einer besonderen gesetzlichen Regelung. Die in § 219 ZPO normierten Ausnahmen sind daher, soweit nicht sondergesetzliche Regelungen bestehen, wie durch das Datenschutzgesetz oder bei der Inkognitoadoption, als taxative Aufzählung zu verstehen.

Normen

AußStrG §2 F1
ABGB §176 B
ZPO §219

6 Ob 148/98bOGH10.06.1998
1 Ob 109/02iOGH25.06.2002

Auch; Beisatz: § 2 Abs 3 Z 10 AußStrG macht es dem Gericht nicht nur zur Pflicht, alle zur Wahrung der körperlichen Integrität der Verfahrensparteien erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, sondern auch, den ihnen zukommenden Grundrechtsschutz zu gewährleisten. Unter diesen Schutz können auch Daten des Privatlebens (hier: Adresse und Name des Arbeitgebers) fallen. (T1) Beisatz: Im Spannungsverhältnis zu dem durch Art 6 MRK geschützten Grundrecht des "fair trial" bedarf es - wie dies auch in dem ebenfalls auf Art 8 MRK bezugnehmenden § 1 DSG normiert ist - einer Interessensabwägung, die gewiss im Allgemeinen nur zu einer Beschränkung der Akteneinsicht in sehr geringem Umfang führen kann. (T2)

4 Ob 208/02wOGH15.10.2002

Vgl auch; Beis wie T1; Beisatz: Hier: Sachwalterschaftsverfahren. (T3)

2 Ob 98/08pOGH29.05.2008
3 Ob 28/11fOGH11.05.2011

Vgl; Beisatz: Die in § 298 Abs 2 ZPO vorgesehene Einschränkung der Einsichtnahme in bestimmte Urkunden ist als sondergesetzliche Regelung anzusehen, die die grundsätzlich als taxative Aufzählung zu verstehenden Beschränkungen der Akteneinsicht nach § 219 Abs 1 ZPO auch unter Bedachtnahme auf Art 6 MRK zulässig erweitert. (T4)<br/>Beisatz: Wenn das Erstgericht spruchmäßig a) die nicht geschwärzten Teile einer von der einen Prozesspartei vorgelegten Urkunde als entscheidungswesentlich feststellt, b) nur diese Teile an die andere Prozesspartei weiterleitet und c) die ungeschwärzte vollständige Urkunde zum Akt nimmt, diese Urkunde aber von der Akteneinsicht ausschließt, handelt es sich um eine einheitliche Anordnung iSd § 298 Abs 2 ZPO, die gemäß § 319 Abs 1 ZPO unanfechtbar ist. (T5)

3 Ob 72/15gOGH20.05.2015

Auch

6 Ob 153/15sOGH04.01.2016

Auch; nur: Die in § 219 ZPO normierten Ausnahmen sind daher, soweit nicht sondergesetzliche Regelungen bestehen, wie durch das Datenschutzgesetz oder bei der Inkognitoadoption, als taxative Aufzählung zu verstehen. (T6)<br/>Beisatz: Für Akten des OGH gilt zudem § 20 OGHG. (T7)

8 Ob 29/19aOGH29.04.2019

Auch; Beisatz: Gegenstand der Akteneinsicht ist der Gerichtsakt. Die in Verwahrung genommenen bzw. hinterlegten Gegenstände sind nicht Bestandteil des Gerichtsaktes, sondern vielmehr Leistungsobjekt des Hinterlegungsverfahrens. Es ist zwischen der Einsicht in den Akt und der Inaugenscheinnahme der verwahrten bzw hinterlegten Gegenstände zu differenzieren. (T8)

6 Ob 162/21yOGH02.02.2022

Beisatz: Hier: Zum Recht auf Akteneinsicht in den Handakt der Familiengerichtshilfe. (T9)

3 Ob 221/23fOGH31.01.2024

Beisatz: Die Bestimmung des § 89i Abs 1 GOG, wonach die Parteien (nur) „nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten Anspruch darauf [haben], Ablichtungen der ihre Sache betreffenden Akten und Aktenteile zu erhalten“ normiert lediglich die technische Machbarkeit. Vorausgesetzt ist sohin nur, dass das Gericht einen funktionstüchtigen Kopierer besitzt. (T10)<br/>Beisatz: Eine personell angespannte Lage innerhalb der Gerichte ist keine Rechtfertigung dafür, einer Partei ihren nach dem klaren Wortlaut des § 219 ZPO zustehenden Anspruch auf eine Aktenkopie zu verweigern. Es ist Aufgabe der Justizverwaltung, die Gerichte personell so auszustatten, dass sie ihren gesetzlichen Pflichten – hier: Anfertigung und Übermittlung einer Aktenkopie – entsprechen können. (T11)<br/>Beisatz: Abseits der in § 219 Abs 1 ZPO genannten Ausnahmen bietet das Gesetz keine Grundlage dafür, dass hinsichtlich bestimmter Aktenteile, zB Zustellverfügungen, kein Recht auf Aktenkopie besteht. (T12)

Dokumentnummer

JJR_19980610_OGH0002_0060OB00148_98B0000_001

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