OGH 8Ob29/19a

OGH8Ob29/19a29.4.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Dr. Hargassner und Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Erlagssache des Erlegers Landesgericht Innsbruck, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, gegen die Erlagsgegner 1. M*, vertreten durch Mag. Dominik Kellerer, Rechtsanwalt in Schwaz, 2. E* GmbH, *, vertreten durch Dr. Hubert Stanglechner, Rechtsanwalt in Innsbruck, 3. E*‑M* GmbH, *, vertreten durch Dr. Wilfried Plattner, Rechtsanwalt in Innsbruck, 4. E* GmbH in Liqu., *, vertreten durch Mag. Martin Corazza, Rechtsanwalt in Innsbruck, 5. G* GmbH & Co OG, *, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien und Prader, Ortner, Fuchs, Wenzel Rechtsanwälte GesbR in Innsbruck, wegen Hinterlegung nach § 1425 ABGB, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Fünfterlagsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 2. Oktober 2018, GZ 52 R 50/18m‑30, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E125075

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I. Die Bezeichnung der Fünfterlagsgegnerin wird berichtigt auf: „I* GmbH & Co OG“.

II. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

I. Aus dem von der Fünfterlagsgegnerin mit dem Rechtsmittel vorgelegten Firmenbuchauszug ergibt sich, dass sie nunmehr unter „I* GmbH & Co OG“ firmiert. Dieser Änderung war durch Berichtigung der Parteibezeichnung Rechnung zu tragen (§ 235 Abs 5 ZPO analog).

II. Der Ersterlagsgegner wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Innsbruck von einer von der Fünfterlagsgegnerin erhobenen Privatanklage wegen der Vergehen der Verletzung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen nach § 11 Abs 2 UWG und wegen der Vergehen des Eingriffs nach § 91 Abs 1 und 2a UrhG freigesprochen. Mit den in diesem Strafverfahren ergangenen Beschlüssen des Landesgerichts Innsbruck und des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 21. 3. 2017 bzw 7. 7. 2017 wurde die Sicherstellung und Beschlagnahme diverser (näher bezeichneter) Gegenstände (Urkunden und Datenträger) aufgehoben und deren Hinterlegung beim Bezirksgericht Innsbruck gemäß § 1425 ABGB angeordnet. Der Erlag wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 5. 3. 2018 angenommen.

Die Fünfterlagsgegnerin beantragte am 20. 3. 2018 die Ausfolgung der gerichtlich hinterlegten Gegenstände, Unterlagen und Datenträger sowie am 2. 5. 2018 die Einsichtnahme in diese Gegenstände, Unterlagen und Datenträger. Zur Vorbereitung des Ausfolgungsverfahrens sei die Wahrung des Parteienrechts auf Akteneinsicht unumgänglich.

Die Zweit- bis Vierterlagsgegnerin widersprachen der Ausfolgung aller bzw bestimmter Gegenstände an die Fünfterlagsgegnerin und traten deren Antrag auf Einsicht entgegen. Die Einsicht der Fünfterlagsgegnerin in jene Gegenstände, deren Ausfolgung ausdrücklich widersprochen worden sei, würde schützenswerte Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der anderen Erlagsgegner verletzen. Die Bewilligung der Akteneinsicht käme einer Ausfolgung gleich.

Das Erstgericht wies die Anträge der Fünfterlagsgegnerin ab und unterbrach über Antrag der Zweit- und der Vierterlagsgegnerin das Verfahren bis zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über den im Strafverfahren eingebrachten Erneuerungsantrag.

Das Rekursgericht bestätigte die Abweisung der beiden Anträge der Fünfterlagsgegnerin und wies den Unterbrechungsantrag ab. Mangels Zustimmung sämtlicher übriger Erlagsgegner sei der Antrag der Fünfterlagsgegnerin auf Ausfolgung vom Erstgericht zutreffend abgewiesen worden. Die Akteneinsicht in den Erlagsakt, die der Fünfterlagsgegnerin nicht verwehrt worden sei, sei von der begehrten Einsichtnahme in die hinterlegten Urkunden, Gegenstände und Datenträger zu unterscheiden, die vom Gesetz nicht vorgesehen sei. Tatsächlich würde die Gewährung einer solchen Einsichtnahme auch die Hinterlegung ad absurdum führen, da schon die bloße Einsichtnahme in Urkunden, die möglicherweise Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse (von wem auch immer) enthielten, einer Ausfolgung derselben gleichkäme.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und der ordentliche Revisionrekurs nicht zulässig ist.

Gegen die Abweisung ihres Antrags auf Einsicht in die gerichtlich hinterlegten Gegenstände richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Fünfterlagsgegnerin, mit dem sie geltend macht, das Rekursgericht habe das ihr unter sinngemäßer Anwendung des § 219 ZPO zustehende Recht auf Akteneinsicht grundlos beschnitten.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsmittelwerberin zeigt konkret keine erhebliche Rechtsfrage auf:

1. Die Verfahrensparteien haben gemäß § 22 AußStrG iVm § 219 Abs 1 ZPO ohne weitere Voraussetzungen und zur Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens – abgesehen vom Grundsatz der Vorrangigkeit der gerichtlichen Tätigkeit – jederzeit und (nahezu) uneingeschränkt ein Recht auf Akteneinsicht in die sie betreffenden Akten (Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 22 Rz 40; vgl auch RIS‑Justiz RS0110043).

§ 342 Geo bestimmt, dass dem Erleger und der Partei, für die erlegt wurde, ohne gerichtlichen Auftrag Einsicht in die Akten und Beilagen sowie Abschriftnahme zu gestatten ist.

2.1 Allein mit dem allgemeinen Recht auf Akteneinsicht kann die Fünfterlagsgegnerin ihren Antrag auf Einsichtnahme in die hinterlegten Sachen aber nicht begründen.

Gegenstand der Akteneinsicht ist der Gerichtsakt.

Gerichtsakten bestehen im Allgemeinen aus den Urschriften der Eingaben der Parteien und der anderen Verfahrensbeteiligten (Schriftsätze und Protokollaranbringen), den gerichtlichen Protokollen, Sachverständigengutachten und Aktenvermerken, den Beweisaufnahmeprotokolle eines beauftragten oder ersuchten Richters, den Beilagen (Urkunden, Beweisstücken, Vollmachten), den Beiakten, den Urschriften der Entscheidungen und Verfügungen des Gerichts, den das Verfahren betreffenden Schriftwechsel mit anderen Behörden, schließlich den Zustellnachweisen und Fehlberichten (Iby in Fasching/Konecny 3 II/3 § 218 ZPO Rz 1; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 22 Rz 21).

Im Sinn eines materiellen Aktenbegriffs ist „der behördliche Akt die eine bestimmte Rechtssache betreffende Sammlung von Aufzeichnungen behördeninterner und -externer Vorgänge einschließlich der diese Vorgänge belegenden (betreffenden) körperlichen Sachen (wie zB Bild- und Ton- sowie elektronische Datenträger)(Danzl,Geo8 § 170 Anm 7a mwN).

2.2 Die in Verwahrung genommenen bzw hinterlegten Gegenstände sind nicht Bestandteil des Gerichtsakts, sondern vielmehr Leistungsobjekt des Hinterlegungsverfahrens (vgl Stabentheiner in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 1425 Rz 24 f).

Die auf strafrechtliche Verwahrnisse anwendbare Bestimmung des § 619 Abs 1 Geo regelt die „Besichtigung der verwahrten Gegenstände“ dahin, dass diese der Staatsanwaltschaft jederzeit, anderen Behörden oder Privatpersonen aber nur mit richterlicher Bewilligung gestattet ist. Auch daran zeigt sich, dass zwischen der Einsicht in den Akt und der Inaugenscheinnahme der verwahrten bzw hinterlegten Gegenstände zu differenzieren ist (durch Hinterlegung nach § 1425 ABGB wird dann ein strafgerichtliches in ein zivilgerichtliches Verwahrnis umgewandelt: Danzl, Geo8 § 613 Anm 9a; vgl RS0059542).

Der Revisionsrekurs, der die Einsichtnahme in die hinterlegten Urkunden und Datenträger mit der Akteneinsicht gleichsetzt, geht daher von einer unrichtigen Prämisse aus.

3. Im Erlagsverfahren findet eine Untersuchung der rechtlichen Beziehungen der Beteiligten nicht statt (RS0033517 [T12, T13]; Stabentheiner aaO Rz 48). Mangels Einigung zwischen den Beteiligten sind über essenzielle Vorfragen für die Ausfolgung streitige Zivilprozesse zu führen (Stabentheiner aaO Rz 41).

Eine Klärung der (strittigen) Frage, wessen Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse die hinterlegten Urkunden und Datenträger verkörpern und ob sowie unter welchen Voraussetzungen einem der Erlagsgegner – hier der Fünfterlagsgegnerin – Zugang dazu zu gewähren ist, kommt im außerstreitigen Verfahren nicht in Betracht.

4. Insgesamt gelingt es den Ausführungen im Revisionsrekurs nicht, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG darzustellen. Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

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