OGH 1Ob163/09s (RS0125368)

OGH1Ob163/09s24.9.2009

Rechtssatz

Bei einer „Kindesentführung" im Verhältnis zwischen zwei EU-Mitgliedstaaten sind die Bestimmungen der EuEheVO anzuwenden, deren Art 11 Abs 4 den in Art 13 Abs 1 lit b HKÜ vorgesehenen Grund der Verweigerung der Rückgabe wegen einer schwerwiegenden Gefährdung des Kindeswohls beschränkt. Eine Rückgabe kann nicht abgelehnt werden, wenn nachgewiesen wird, dass im Rückkehrstaat angemessene Vorkehrungen getroffen wurden, um den Schutz des Kindes zu gewährleisten und ihm dabei insbesondere den Kontakt zu allen Sorge- und Umgangsberechtigten zu ermöglichen. Ob diese Maßnahmen ausreichen, haben die Gerichte des derzeitigen Aufenthaltsstaats zu beurteilen.

Normen

Brüssel IIa-VO Art11 Abs4
Übk über die zivilrechtlichen Aspekte int Kindesentführung - HKÜ Art13 Abs1 litb

1 Ob 163/09sOGH24.09.2009
1 Ob 176/09bOGH13.10.2009

Vgl auch; Beisatz: Nach Art 11 Abs4 EuEheVO kann die Rückführung aus dem Grunde der schwerwiegenden Gefahr für das Kind oder einer sonst unzumutbaren Lage nicht verweigert werden, wenn feststeht, dass angemessene Maßnahmen ergriffen wurden, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr zu gewährleisten. (T1)<br/>Beisatz: Aus dieser Bestimmung folgt, dass der Richter die Anordnung der Rückgabe an zuvor zu erfüllende Bedingungen knüpfen und etwa den Antragsteller zu bestimmten Handlungen verpflichten oder selbst den Versuch unternehmen kann, durch Kontaktaufnahme mit den ausländischen Behörden die Rahmenbedingungen günstig zu beeinflussen. Er kann darauf hinwirken, dass das Rückgabehindernis entfällt. (T2)<br/>Beisatz: Als Schutzmaßnahmen im Sinne des Art11 Abs4 EuEheVO kommen etwa Verpflichtungen des Antragstellers gegenüber dem zuständigen Gericht in Frage (sogenannte „undertakings"), oder das Gericht bemüht sich selbst aktiv um die Beseitigung von im Herkunftsstaat drohenden Gefahren (sogenannte „safe harbour orders"). (T3)<br/>Beisatz: Solche Schutzmaßnahmen sind jedoch ausschließlich dann zu treffen, wenn sie wegen des Bestehens einer schwerwiegenden Gefahr für das körperliche oder psychische Wohl eines Kindes notwendig erscheinen. (T4)

6 Ob 150/12wOGH13.09.2012

Beisatz: Wenn aber bereits das Vorliegen des Verweigerungsgrundes des Art 13 Abs 1 lit b HKÜ nicht vorliegt, stellt sich die Frage nach dessen Einschränkung durch entsprechende Vorkehrungen nicht. (T5)

6 Ob 86/13kOGH08.05.2013

Vgl; Beisatz: Unter den Vorkehrungen nach Art 11 Abs 4 Brüssel IIa-VO sind Maßnahmen, mit denen die Rückgabe an zuvor zu erfüllende Bedingungen geknüpft beziehungsweise der Antragsteller zu bestimmten Handlungen verpflichtet wird, oder eine Kontaktaufnahme des Gerichts des Zufluchtsstaats mit den ausländischen Behörden zu verstehen, um die Rahmenbedingungen günstig zu beeinflussen. Die Vorbereitung der Rückführung durch Anbahnung eines Kontakts zwischen Antragsteller und entführtem Kind im Zufluchtsstaat gehört nicht dazu. (T6)

6 Ob 134/13vOGH28.08.2013

Beisatz: Beabsichtigt daher das Gericht des Zufluchtsstaats, den Rückführungsantrag abzuweisen oder eine Rückführungsanordnung nicht durchzusetzen, weil es eine Gefährdung des Kindeswohls im Sinne des Art 13 lit b HKÜ befürchtet, muss es vorher sichergehen, dass keine geeigneten Vorkehrungen getroffen werden können. Dabei haben die Gerichte von Amts wegen vorzugehen. (T7)<br/>Beis wie T6

6 Ob 67/15vOGH27.04.2015

Auch; Beisatz: Es ist nicht ausreichend, wenn die Behörden des Rückkehrstaats lediglich die allgemeine Rechtslage und denkbare Vorgehensweisen darstellen, nicht aber den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr konkret gewährleisten. (T8)

6 Ob 103/17sOGH07.07.2017

Auch; nur T1; Beis ähnlich wie T8; Beisatz: Beisatz: Art 11 Abs 4 Brüssel IIa‑VO ist primär auf Fälle zugeschnitten, in denen die Kindeswohlgefährdung unmittelbare Folge der Rückführung des Kindes ist, etwa weil dem antragstellenden Elternteil zwischenzeitig im Ursprungsstaat die alleinige Obsorge für das Kind zuerkannt wurde und dieser Elternteil beispielsweise gewalttätig oder erheblich geistig beeinträchtigt ist. (T9)<br/>Beisatz: Hier: Das Rekursgericht erteilte dem Antragsteller die Auflage, ein Gutachten zu seinem psychischen Zustand durch französische Gerichte einholen zu lassen. Mit dieser Anordnung hat das Rekursgericht aber letztlich in die nach Art 10 Brüssel IIa‑VO weiterhin gegebene internationale Zuständigkeit der französischen Gerichte eingegriffen. (T10)

Dokumentnummer

JJR_20090924_OGH0002_0010OB00163_09S0000_001

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)