European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0060OB00067.15V.0427.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung
Rechtliche Beurteilung
Der Antragsteller begründet die Zulässigkeit seines außerordentlichen Revisionsrekurses mit dem Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen die Gerichte im Zufluchtsstaat im Hinblick auf Art 11 Abs 4 Brüssel IIa‑VO „davon absehen [ dürfen ], sich um weitere angemessene Vorkehrungen zu bemühen beziehungsweise wann ausgeschlossen werden kann, dass angemessene Vorkehrungen weiterhin getroffen werden können“ und mit welchem Ausmaß an Sicherheit begleitende Maßnahmen feststehen müssen, um für die Rückführung als ausreichend erachtet zu werden.
1. Nach Art 11 Abs 4 Brüssel IIa‑VO kann ein Gericht (gemeint: im Zufluchtsstaat) die Rückgabe eines Kindes aufgrund Art 13 lit b HKÜ nicht verweigern, wenn nachgewiesen ist, dass angemessene Vorkehrungen (gemeint: im Ursprungsstaat) getroffen wurden, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr zu gewährleisten. Diese Bestimmung sieht somit vor, dass die Verweigerung der Rückführung des Kindes unter Berufung auf Art 13 lit b HKÜ (Gefährdung des Kindeswohls) unzulässig ist, wenn nachgewiesen ist, dass entsprechende Vorkehrungen im Ursprungsstaat den Schutz des Kindes ausreichend sicherstellen ( Kaller‑Pröll in Fasching/Konecny , ZPO² Bd 5/2 [2010] Art 11 EuEheKindVO Rz 10; ebenso Rauscher in Rauscher , EuZPR/EuIPR 4 [2015] Art 11 Brüssel IIa‑VO Rz 22). Bleiben hingegen Zweifel dahin bestehen, dass die Rückführung des Kindes in den Ursprungsstaat mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden sein könnte, ist die Rückführung somit abzulehnen.
Der erkennende Senat ist bereits in seiner, in diesem Rückführungsverfahren ergangenen Entscheidung 6 Ob 134/13v (iFamZ 2013/202 [ Fucik ] = EvBl 2014/23 [ Garber ]) auf Tatsachenebene davon ausgegangen, dass eine Trennung der Kinder von ihrer Mutter, der Antragsgegnerin, als Hauptbindungsperson für die Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit starkes seelisches Leid und eine tiefe Erschütterung im Sinn einer weiteren schweren Traumatisierung bewirken würden; daran hat sich nach der Aktenlage auch während der seither verstrichenen Zeit nichts geändert. Da nach den Feststellungen im Hinblick auf die in Frankreich bestehende rechtskräftige Verurteilung der Antragsgegnerin zu einer einjährigen Freiheitsstrafe eine derartige Trennung im Fall einer Rückführung der Kinder nach Frankreich nicht ausgeschlossen werden kann, blieben den Vorinstanzen durchaus berechtigt Zweifel im dargestellten Sinn. Dass in Frankreich Regelungen bestehen, die möglicherweise eine derartige Trennung verhindern könnten, reicht jedenfalls nicht aus; die Behörden des Ursprungsstaats müssten im konkreten Fall konkrete Maßnahmen ergriffen haben ( Kaller‑Pröll aaO Rz 17; Rauscher aaO).
2. Die vom Antragsteller als erheblich im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG bezeichneten Fragen sind tatsächlich solche des Einzelfalls. Dem Obersten Gerichtshof ist es verwehrt, allgemein verbindlich festzulegen, wie und wie lange die Tatsacheninstanzen Bemühungen zur Feststellung konkreter Maßnahmen im Ursprungsstaat anzustellen haben. Dem Rekursgericht ist für das vorliegende Verfahren dabei durchaus darin beizupflichten, dass es vor dem Hintergrund des Art 11 Abs 4 Brüssel IIa‑VO nicht ausreichend erscheint, wenn die französischen Behörden lediglich die allgemeine Rechtslage und denkbare Vorgehensweisen in Frankreich darstellen, nicht aber den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr nach Frankreich konkret gewährleisten.
3. Lediglich der Vollständigkeit halber ist jedoch ausdrücklich festzuhalten, dass die Ablehnung einer Rückführung der Kinder nach Frankreich keine Bestätigung rechtskonformen Verhaltens der Antragsgegnerin darstellt, und zwar weder im Zeitpunkt der Entführung der Kinder nach Österreich noch während des mehr als sieben Jahre dauernden Rückführungsverfahrens mit allen negativen Begleiterscheinungen. Die Entscheidung orientiert sich vielmehr an dem sowohl aufgrund Art 13 lit b HKÜ als auch aufgrund Art 11 Brüssel IIa‑VO zu berücksichtigenden Kindeswohl, wobei dem Antragsteller ja auch die Möglichkeit offen steht, sich um eine Kontaktregelung in Österreich zu bemühen.
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