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Artikel 22 WTO-Abkommen - Regeln und Verfahren zur Streitbeilegung

Aktuelle FassungIn Kraft seit 01.1.2008

Artikel 22

Ausgleich und Aussetzung von Zugeständnissen

  1. 1. Ausgleich und Aussetzung von Zugeständnissen und anderen Verpflichtungen sind zeitlich befristete Maßnahmen für den Fall, daß die Empfehlungen und Entschließungen nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums erfüllt werden. Weder Ausgleich noch Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen wird jedoch der vollen Erfüllung einer Empfehlung vorgezogen, um eine Maßnahme mit den erfaßten Abkommen in Übereinstimmung zu bringen. Ausgleich ist freiwillig und muß, wenn er gewährt wird, mit den erfaßten Abkommen übereinstimmen.
  2. 2. Wenn das betreffende Mitglied verabsäumt, die mit einem erfaßten Abkommen als unvereinbar befundene Maßnahme mit diesem in Einklang zu bringen oder in anderer Weise den Empfehlungen und Entschließungen innerhalb des gemäß Artikel 21 Absatz 3 festgesetzten angemessenen Zeitraums zu entsprechen, wird dieses Mitglied auf Ersuchen und nicht später als am Ende des angemessenen Zeitraums mit jeder Partei, die Streitbeilegungsverfahren angestrengt hat, in Verhandlungen eintreten, um einen beiderseits annehmbaren Ausgleich zu erzielen. Wenn innerhalb von 20 Tagen nach Ablauf des angemessenen Zeitraums kein zufrieden stellender Ausgleich erzielt worden ist, kann jede Partei, die das Streitbeilegungsverfahren angestrengt hat, vom DSB die Ermächtigung verlangen, gegenüber dem betreffenden Mitglied die Anwendung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen aus erfaßten Abkommen auszusetzen.
  3. 3. Bei der Prüfung der Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen wendet die beschwerdeführende Partei die folgenden Grundsätze und Verfahren an:
  1. a) als allgemeiner Grundsatz gilt, daß die beschwerdeführende Partei zuerst Zugeständnisse oder andere Verpflichtungen auf demselben (denselben) Gebiet(en), auf denen der Untersuchungsausschuß oder das Berufungsorgan eine Verletzung, Aufhebung oder Schädigung festgestellt hat, aussetzt;
  2. b) wenn die Partei die Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen auf demselben (denselben) Gebiet(en) für nicht durchführbar oder nicht wirksam erachtet, kann sie die Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen auf anderen Gebieten desselben Abkommens suchen;
  3. c) wenn die Partei die Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen auf demselben (denselben) Gebiet(en) desselben Abkommens für nicht durchführbar oder nicht wirksam erachtet, und die Umstände ernst genug sind, kann sie die Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen aus einem anderen erfaßten Abkommen suchen;
  4. d) bei Anwendung dieser Grundsätze zieht die Partei in Betracht:

    (i) den Handel auf dem Gebiet oder nach dem Abkommen, gemäß

    welchem der Untersuchungsausschuß oder das Berufungsorgan eine Verletzung, Zunichtemachung oder Schädigung festgestellt hat, und die Bedeutung dieses Handels für die Partei;

    (ii) die breiteren wirtschaftlichen Grundlagen in bezug auf

    die Zunichtemachung oder Schädigung und die breiteren wirtschaftlichen Folgen der Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Pflichten;

  1. e) wenn die Partei beschließt, die Ermächtigung zur Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen gemäß lit. b oder c zu beantragen, erläutert sie in ihrem Antrag die Gründe hiefür. Der Antrag wird gleichzeitig dem DSB und den einschlägigen Räten - und im Fall eines Antrags gemäß lit. b auch den einschlägigen sachlichen Organen - übermittelt;
  2. f) für die Zwecke dieses Absatzes bedeutet „Gebiet":

    (i) hinsichtlich Waren, alle Waren;

    (ii) hinsichtlich Dienstleistungen, einen Hauptzweig im

    gegenwärtigen „Verzeichnis der Dienstleistungszweige", das solche Zweige ausweist; *1)

    (iii) hinsichtlich der handelsbezogenen Aspekte der Rechte an

    geistigem Eigentum, jede der im Teil II Abschnitte 1, 2, 3, 4, 5, 6 und 7 enthaltene Gruppe der Rechte an geistigem Eigentum, oder die Verpflichtungen gemäß Teil III oder IV des Übereinkommens über TRIPS;

  1. g) für die Zwecke dieses Absatzes bedeutet „Abkommen":

    (i) hinsichtlich Waren, die im Anhang 1A des WTO-Abkommens

    enthalten sind, insgesamt, auch die Plurilateralen Handelsabkommen, sofern die betreffenden Streitparteien Parteien zu diesen Abkommen sind;

    (ii) hinsichtlich Dienstleistungen, das GATS;

    (iii) hinsichtlich Rechte an geistigem Eigentum, das Übereinkommen über TRIPS.

  1. 4. Das Ausmaß der vom DSB genehmigten Aussetzung von Zugeständnissen und anderen Verpflichtungen soll dem Ausmaß der Zunichtemachung oder Schmälerung angemessen sein.
  2. 5. Das DSB genehmigt keine Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen, wenn ein erfaßtes Abkommen dies verbietet.
  3. 6. Bei Vorliegen der im Absatz 2 beschriebenen Situation genehmigt das DSB auf Antrag die Aussetzung von Zugeständnissen und anderen Verpflichtungen innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf des angemessenen Zeitraums, es sei denn, das DSB entscheidet mit Konsens, den Antrag zurückzuweisen. Wenn jedoch das betreffende Mitglied das Ausmaß der vorgeschlagenen Aussetzung beeinsprucht oder behauptet, daß - falls eine beschwerdeführende Partei die Ermächtigung zur Aussetzung von Zugeständnissen und anderen Verpflichtungen gemäß Absatz 3 lit. b oder c beantragt hat - die im Absatz 3 festgelegten Grundsätze und Verfahren nicht eingehalten worden sind, wird die Angelegenheit dem Schiedsverfahren übertragen. Dieses Schiedsverfahren wird durch den ursprünglichen Untersuchungsausschuß, sofern die Mitglieder vorhanden sind, oder von einem vom Generaldirektor bestimmten Schiedsrichter *2) durchgeführt und innerhalb von 60 Tagen nach Ablauf der angemessenen Frist beendet. Zugeständnisse oder andere Verpflichtungen werden während des Schiedsverfahrens nicht ausgesetzt.
  4. 7. Wenn der Schiedsrichter *3) gemäß Absatz 6 handelt, prüft er nicht die Natur der auszusetzenden Zugeständnisse oder anderen Verpflichtungen, sondern stellt fest, ob der Umfang der Aussetzung dem Umfang der Zunichtemachung oder Schmälerung angemessen ist. Der Schiedsrichter kann auch feststellen, ob die vorgeschlagene Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen nach dem erfaßten Abkommen erlaubt ist. Wenn die dem Schiedsverfahren übertragene Angelegenheit jedoch die Behauptung enthält, daß die im Absatz 3 festgelegten Grundsätze und Verfahren nicht befolgt worden sind, wird der Schiedsrichter diese Behauptung prüfen. Wenn der Schiedsrichter feststellt, daß diese Grundsätze und Verfahren nicht eingehalten worden sind, wird sie die beschwerdeführende Partei in Übereinstimmung mit Absatz 3 anwenden. Die Streitparteien nehmen die Entscheidung des Schiedsrichters als endgültig an und werden kein zweites Schiedsverfahren anstreben. Das DSB wird von der Entscheidung des Schiedsrichters unverzüglich in Kenntnis gesetzt und auf Antrag die Ermächtigung erteilen, Zugeständnisse oder andere Verpflichtungen auszusetzen, wenn der Antrag mit der Entscheidung des Schiedsrichters vereinbar ist, außer das DSB entscheidet mit Konsens, den Antrag zurückzuweisen.
  5. 8. Die Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen ist zeitlich begrenzt und wird nur so lange angewandt, bis die mit einem erfaßten Abkommen unvereinbar befundene Maßnahme beseitigt worden ist, oder das Mitglied, das die Empfehlungen oder Entschließungen durchführen muß, eine Lösung für die Zunichtemachung oder Schmälerung von Vorteilen bietet, oder eine beiderseits zufriedenstellende Lösung erzielt ist. In Übereinstimmung mit Artikel 21 Absatz 6 wird das DSB die Durchführung der angenommenen Empfehlungen oder Entschließungen weiter überwachen, einschließlich jenen, die einen Ausgleich vorgesehen oder Zugeständnisse oder andere Verpflichtungen ausgesetzt haben, sowie die Empfehlungen, eine Maßnahme mit dem erfaßten Abkommen vereinbar zu machen, nicht durchgeführt wurden.
  6. 9. Die Streitbeilegungsbestimmungen der erfaßten Abkommen können in bezug auf von regionalen oder lokalen Regierungsstellen oder Stellen im Gebiet eines Mitglieds getroffenen Maßnahmen, die die Einhaltung dieser Bestimmungen beeinträchtigen, angerufen werden. Wenn das DSB entschieden hat, daß eine Bestimmung eines erfaßten Abkommens nicht eingehalten worden ist, wird das betreffende Mitglied die geeigneten, ihm verfügbaren Maßnahmen treffen, um die Einhaltung sicherzustellen. Die Bestimmungen der erfaßten Abkommen und dieser Vereinbarung betreffend Entschädigung und Aussetzung von Zugeständnissen oder anderen Verpflichtungen finden Anwendung, wenn es nicht möglich war, die Einhaltung sicherzustellen *4).

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*1) Das Verzeichnis im Dokument MTN.GNS/W/120 weist 11 Zweige aus. *2) Der Ausdruck „Schiedsrichter" bezieht sich sowohl auf eine Person als auch auf eine Gruppe.

*3) Der Ausdruck „Schiedsrichter" bezieht sich entweder auf eine Person, eine Gruppe oder die Mitglieder des ursprünglichen Untersuchungsausschusses, wenn sie in der Eigenschaft als Schiedsrichter handeln.

*4) Wenn die Bestimmungen eines erfaßten Abkommens von regionalen oder lokalen Regierungsstellen oder Stellen im Gebiet eines Mitglieds von den Bestimmungen dieses Absatzes verschiedene Bestimmungen enthalten, haben die Bestimmungen des erfaßten Abkommens Vorrang.

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