1. Einleitung
Im Folgenden werden zwei Themenbereiche erörtert: Zum einen wurde durch das 2. COVID-19-Gesetz die Pflicht zur Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf 120 Tage verlängert. Zum anderen sind bereits Eröffnungsverfahren anhängig bzw bleiben Eröffnungsanträge weiter möglich (und notwendig). Dabei ist insb zu klären, ob weiterhin "sofort" zu eröffnen ist und wie die Einvernahme des Schuldners iSd § 70 IO zu erfolgen hat.
2. Verlängerung der Antragsfrist gem § 69 Abs 2a IO
2.1. Allgemeines
Bei Eintritt der materiellen Insolvenz trifft den Schuldner die (haftungsbewehrte) Pflicht, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber 60 Tage nach Eintritt der materiellen Insolvenz die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Durch das 2. COVID-19-Gesetz wurde § 69 Abs 2a IO dahin geändert, dass die Verlängerung der Frist auf 120 Tage auch für den Fall der Pandemie oder Epidemie gilt.
Hintergrund der Verlängerung der Antragsfrist ist, dass der Schuldner zwar unmittelbar in massive Liquiditätsschwierigkeiten gerät, aber aufgrund zu erwartender Entschädigungszahlungen damit rechnen kann, seinen Zahlungspflichten wieder nachzukommen.1 Diese Situation trifft zahlreiche Unternehmen aktuell: Die Bundesregierung hat ua einen Härtefallfonds eingerichtet, die Kurzarbeit erleichtert, Zahlungserleichterungen hinsichtlich Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträgen eingeräumt, Haftungen für Überbrückungskredite ermöglicht udgl.2
Eine Auszahlung wurde "rasch und unbürokratisch" zugesagt, doch reicht uU die 60-Tage-Frist nicht aus, um die notwendige Liquidität wiederherzustellen. Daher wurde die Frist ausdrücklich auf 120 Tage verlängert und gilt neben den bereits gesetzlich verankerten Naturkatastrophen nunmehr auch im Fall der Pandemie oder Epidemie.
2.2. Zeitlicher Anwendungsbereich
Die Änderung des § 69 Abs 2a IO ist am 22. 3. 2020 in Kraft getreten. Die Betriebsbeschränkungen haben Unternehmen jedoch schon vor Inkrafttreten der Norm getroffen und Liquiditätsengpässe ausgelöst.
Grundsätzlich ist erforderlich, dass sich der rechtlich relevante Sachverhalt im zeitlichen Bedingungsbereich3 verwirklicht haben muss, also (aufgrund des grundsätzlichen Rückwirkungsverbots)4 nach Inkrafttreten der Norm. Mitunter treten die Rechtsfolgen eines Gesetzes zwar erst nach Verkündung ein, erfassen aber Sachverhalte, die bereits vor der Verkündung "ins Werk" gesetzt wurden.5 Kodek erwähnt als Beispiel einer "unechten Rückwirkung" die Regelungen der KO-Nov 1993, die eine Restschuldbefreiung für davor eingegangene Schulden ermöglicht hat.6
Eine vergleichbare Situation ist mE aufgrund der Coronaviruspandemie gegeben: Auch wenn die Frist des § 69 IO schon vor dem 2. COVID-19-Gesetz ausgelöst wurde, gilt die Verlängerung der Frist für die betroffenen Unternehmen. Das folgt insb aus dem Sinn und Zweck der Änderung, die gerade für die aktuell betroffenen Unternehmen geschaffen wurde.
Auch wenn daher eine Anwendung für diese Unternehmen zu befürworten ist, bedeutet das mE nicht, dass die Frist nunmehr neu zu laufen begonnen hat, sondern sich die bereits ausgelöste Frist auf insgesamt maximal 120 Tage verlängert hat.
2.3. Voraussetzungen für die Fristverlängerung
Eine Pandemie liegt aufgrund der Einordnung der WHO vor. Die Pandemie muss zudem die Insolvenz des Schuldners ausgelöst haben.7 Diese kann zum einen durch die unmittelbare Betroffenheit von einer Betriebsbeschränkung herbeigeführt werden.8 Zum anderen ist die Voraussetzung erfüllt, wenn der Schuldner eine Forderung deshalb nicht einbringt, weil sein Schuldner von der Pandemie betroffen ist.9 Das kann etwa ein Vermieter sein, der durch Mietausfälle materiell insolvent wird. Zu denken ist aber auch an Lieferanten in der Gastronomie, die durch den Wegfall der Lieferungen einen Liquiditätsengpass zu verzeichnen haben.
Jene Schuldner, die im Zeitpunkt des Auftretens der Pandemie daher schon materiell insolvent waren, dürfen die 120-Tage-Frist nicht ausnützen. Dass ihre Sanierungsbemühungen uU auch die geplanten Hilfen der Bundesregierung umfassen - soweit das Unternehmen dafür in Betracht kommt -, ändert mE nichts an der Frist von 60 Tagen, weil die Krise nicht durch die Pandemie ausgelöst wurde.
2.4. Beginn der Frist
Zu klären ist zunächst, ob die Frist des § 69 Abs 2a IO durch § 1 oder § 2 BG betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz unterbrochen ist. Das ist mE zu verneinen. Es handelt sich bei der Frist zur Stellung eines Eröffnungsantrags nicht um eine verfahrensrechtliche Frist iSd § 1. Verfahrensrechtliche Fristen sind dadurch gekennzeichnet, dass bis zu deren Ablauf die Partei bestimmte Verfahrenshandlungen (bei sonstiger Präklusion) vornehmen kann oder muss.10 Das trifft auf die Frist des § 69 Abs 2a IO nicht zu, denn ein Eröffnungsantrag bleibt zu einem späteren Zeitpunkt möglich.
§ 2 regelt zwar Fristen für das Anhängigmachen von Verfahren. Doch geht es bei § 69 IO weniger um einen drohenden Rechtsverlust, vielmehr ist die Frist eine Verhaltensanordnung an den Schuldner, deren Verletzung eine Haftung auslöst. Insofern ist der Zweck des § 2 ein anderer und die Frist des § 69 Abs 2a IO lässt sich nicht darunter subsumieren.
Die Frist zur Prüfung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung beginnt in der aktuellen Situation, wenn Umstände eintreten, die den Bestand des Unternehmens unmittelbar gefährden. 11 Alle von der Coronaviruspandemie betroffenen Unternehmen haben daher aufgrund der eingetretenen Liquiditätsschwierigkeiten eine Prüfung einer Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung durchzuführen.
2.5. Pflichten während der Frist12
Ziel ist, innerhalb der Frist den Insolvenzgrund zu beseitigen.13 Bei (allfälliger) Überschuldung darf die Frist dazu benutzt werden, um eine Fortbestehensprognose zu erstellen.14 Ausreichend ist, wenn am Ende der Frist eine positive Fortbestehensprognose oder ein positiver Überschuldungsstatus vorliegt.15 Bei Zahlungsunfähigkeit muss am Ende der Frist zumindest nur mehr Zahlungsstockung gegeben sein.16 Andernfalls ist ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen.
Die Frist des § 69 Abs 2a IO darf nicht ungenutzt verstreichen, sondern es müssen aussichtsreiche Sanierungsbemühungen unternommen werden.17 In diesem Zusammenhang spielt vor allem auch der Hintergrund der Fristverlängerung eine Rolle.18 Wie erwähnt kann die materielle Insolvenz uU abgewendet werden, indem die verschiedenen Maßnahmen zur Förderung von Unternehmen in Anspruch genommen werden.19
Der Schuldner muss daher - um dem Vorwurf des schuldhaften Zögerns zu entgehen - die für ihn in Betracht kommenden Maßnahmen tatsächlich beantragen. Durch die Zuerkennung etwa von Leistungen aus dem angekündigten Härtefallfonds oder aus der Stundung von Abgaben, Dienstgeberbeiträgen oder Sozialversicherungsbeiträgen kann die materielle Insolvenz abgewendet werden, und die Pflicht zur Stellung eines Eröffnungsantrags entfällt. Reichen die (zuerkannten) Maßnahmen hingegen nicht aus, ist der Schuldner nach Erkennen dieses Umstandes, spätestens nach 120 Tagen zur Antragstellung verpflichtet.
2.6. Zahlungsunfähigkeit - Überschuldung
§ 69 Abs 2a IO stellt nur auf die Zahlungsunfähigkeit ab, während die Antragspflicht - und auch die 60-Tage-Frist - bei materieller Insolvenz greift. Grundsätzlich sind beide Fälle mE gleich zu behandeln, sodass die 120-Tage-Frist auch bei Überschuldung zur Anwendung kommt.20
2.6.1. Zahlungsunfähigkeit
Nach dem OGH21 liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn die Deckungslücke der fälligen Forderungen mehr als 5 % beträgt und innerhalb eines Zeitraums von rund zwei bis drei Monaten nicht zur (pünktlichen) Zahlung aller fälligen Verbindlichkeiten zurückgekehrt wird. Ist die Zahlungsunfähigkeit daher durch die Coronaviruspandemie eingetreten, hat der Schuldner 120 Tage Zeit für Sanierungsbemühungen.
An der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit ändert sich durch das 2. COVID-19-Gesetz nichts.22 Allerdings können sich durch die verabschiedeten Maßnahmen Besonderheiten dahin ergeben, welche Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sind.
Nach hM sind Stundungen und Ratenvereinbarungen zu berücksichtigen.23 Diese sind aufgrund der Coronaviruspandemie derzeit hinsichtlich Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen vorgesehen. Nach § 733 Abs 1 ASVG sind die vom Dienstgeber zu bezahlenden ASVG-Beiträge24 für jene Unternehmen für die Beitragszeiträume Februar bis April 2020 verzugszinsenfrei gestundet, die von den Beschränkungen bzw Schließungen unmittelbar betroffen sind. Säumniszuschläge werden für diesen Zeitraum nicht verrechnet. Aufgrund der gesetzlichen Stundung sind die Beiträge bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit daher nicht zu berücksichtigen. Es ist jedoch nicht geregelt, für welchen Zeitraum die gesetzliche Stundung greift.
Auch Unternehmen, die nicht unter die Betriebsbeschränkungen fallen, können eine verzugszinsenfreie Stundung für Beiträge nach dem ASVG beantragen, sofern sie die Betroffenheit durch die Coronaviruspandemie glaubhaft machen. Eine ähnliche Regelung ist für ESt- und KÖSt-(Voraus-)Zahlungen vorgesehen. Dort kann eine Herabsetzung oder Nichtfestsetzung teilweise angeregt, teilweise beantragt werden. Auch Stundungs- und Ratenanträge sind möglich. Gefordert wird ebenfalls die Glaubhaftmachung der konkreten Betroffenheit. Da in diesen Fällen die Stundung, Herabsetzung udgl von einer Entscheidung der Behörde abhängt, können die Beträge erst nach einer stattgebenden Entscheidung berücksichtigt werden.
Grundsätzlich sind weiters fällige Bestandzinse zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob ein Wegfall der Zahlungspflicht gem §§ 1104, 1105 ABGB anzunehmen ist.25
Zum Vermögen zählt auf der anderen Seite aktueller Kredit.26 In diesem Zusammenhang sind die Möglichkeiten eines Überbrückungskredits und die entsprechende Überbrückungsgarantie zu prüfen.27 Als liquide Mittel können Kredite erst nach einer verbindlichen Zusage angesetzt werden.
2.6.2. Überschuldung28
Die Überschuldungsprüfung ist im Vergleich zur Zahlungsunfähigkeit aufwendiger. Es ist jedenfalls eine Überschuldungsprüfung iSd zweistufigen Prüfung29 durchzuführen. Sofern Sanierungsmaßnahmen erforderlich sind, ist die notwendige Fortbestehensprognose jedenfalls zu dokumentieren.30 Die besonderen Herausforderungen einer Überschuldungsprüfung liegen aktuell wohl darin, dass der "Blick in die Zukunft" von besonderen Unsicherheitsfaktoren begleitet ist. Eine laufende Überprüfung ist daher in jedem Fall unbedingt notwendig.
Gesetzliche oder vertragliche Stundungen können den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit verhindern, sodass sie im Rahmen der Fortbestehensprognose berücksichtigt werden können.31 Dazu ist auf die Ausführungen zur Zahlungsunfähigkeit zu verweisen.
Grundsätzlich können auch in Aussicht gestellte Finanzierungen berücksichtigt werden.32 Dabei ist jedoch grundsätzlich erforderlich, dass bereits eine verbindliche Zusage vorliegt.33 Daher können mE - trotz der Ankündigung einer raschen und unbürokratischen staatlichen Hilfe - zu erwartende Beiträge bei der Liquiditätsprüfung nicht berücksichtigt werden.
3. Eröffnungsverfahren über Antrag des Schuldners
Liegt beim Schuldner materielle Insolvenz vor, hat er (bei sonstiger Haftung) einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen.34 Das Insolvenzgericht hat das Insolvenzverfahren sofort (sofern kostendeckendes Vermögen vorhanden ist) zu eröffnen. Daran hat sich nichts geändert.
Zur Beurteilung der Kostendeckung ist die Einvernahme des Schuldners eine wichtige Erkenntnisquelle.35 Die tatsächliche Einvernahme des Schuldners ist jedoch nicht erforderlich.36 Grundsätzlich hat der Schuldner bei seiner Einvernahme ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und bei Gericht zu unterfertigen. Zur Beurteilung der Kostendeckung reicht es mE aus, wenn der Schuldner - sofern das nicht bereits mit seinem Eröffnungsantrag erfolgt ist - das Vermögensverzeichnis schriftlich vorlegt. 37 Notwendige Ergänzungen oder Erläuterungen können gleichfalls schriftlich vom Schuldner verlangt werden.
Auch beim Vermögensverzeichnis durch organschaftliche Vertreter oder den Mehrheitsgesellschafter ist die schriftliche Vorlage ausreichend. Die Unterfertigung vor Gericht bedarf einer besonderen Anordnung.38 Davon wird das Gericht derzeit Abstand zu nehmen haben.
Grundsätzlich kann das Insolvenzgericht zur Prüfung der Kostendeckung Aufträge an Gläubigerschutzverbände erteilen.39 Diese Stellungnahmen können schriftlich an das Insolvenzgericht erteilt werden. Insofern bestehen keine Besonderheiten.
Zu beachten ist jedoch, dass Erledigungen durch das Gericht derzeit gem § 3 BG betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz nur unter sehr engen Grenzen abgefertigt werden. Notwendige Ergänzungen zum kostendeckenden Vermögen werden daher nicht abgefertigt.
Das Insolvenzgericht kann zudem Ermittlungsaufträge an Vollstreckungsorgane erteilen.40 Die Erteilung und Durchführung von Vollzugsaufträgen41 hat nach § 3 iVm § 1 Abs 3 BG betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz nur zu erfolgen, wenn "nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände die Fortsetzung des Verfahrens zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben, Sicherheit und Freiheit oder zur Abwehr eines erheblichen und unwiederbringlichen Schadens einer Verfahrenspartei dringend geboten ist und nicht das Interesse der Allgemeinheit an der Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 sowie der Schutz der Aufrechterhaltung eines geordneten Gerichtsbetriebes die Einzelinteressen überwiegen". Da diese Voraussetzungen zur Beurteilung der Kostendeckung nicht vorliegen, hat das Insolvenzgericht von Ermittlungsaufträgen an Gerichtsvollzieher Abstand zu nehmen.
4. Eröffnungsverfahren über Antrag eines Gläubigers
Erbringt der Gläubiger in seinem Eröffnungsantrag die erste Bescheinigung,42 ist der Schuldner zum Antrag zu vernehmen (§ 70 Abs 2 IO).43 Diese Anordnung stellt die Wahrung des rechtlichen Gehörs des Schuldners sicher.44 Eine mündliche Einvernahme ist nicht erforderlich, sondern kann grundsätzlich schriftlich erfolgen.45
Nach § 3 BG betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz sind jedoch Erledigungen nur in eingeschränktem Ausmaß abzufertigen. Eine Ausnahme liegt wohl für die "Einvernahme" des Schuldners zu einem Gläubigerantrag nicht vor. Das bedeutet, dass die Grundlagen für eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht festgestellt werden können. Von der Einvernahme kann zwar gem § 70 IO abgesehen werden, wenn diese nicht rechtzeitig möglich ist. Diese Ausnahme liegt mE in der konkreten Situation nicht vor. Das bedeutet, dass Eröffnungen nur bei Schuldneranträgen, die keine Ergänzungen erfordern, in Betracht kommen.