11.6.1 Anwendungsvoraussetzungen (§§ 1 und 5 der Verordnung)
§ 1 Für die Ermittlung des Gewinnes und des Abzugs von Vorsteuern bei Betrieben von Lebensmitteleinzel- oder Gemischtwarenhändlern, deren Inhaber hinsichtlich dieser Betriebe weder zur Buchführung verpflichtet sind noch freiwillig Bücher führen, gelten die folgenden Bestimmungen.§ 5 Die Anwendung der Pauschalierung ist nur zulässig, wenn aus einer der Abgabenbehörde vorgelegten Beilage hervorgeht, dass der Steuerpflichtige von dieser Pauschalierung Gebrauch macht. Der Steuerpflichtige hat in der Beilage die Berechnungsgrundlagen darzustellen. Ab Veranlagung 2003 entfällt diese Verpflichtung (Verordnung BGBl. II Nr. 633/2003).
Siehe dazu Rz 4259 ff.
11.6.2 Lebensmitteleinzel- und Gemischtwarenhändler (§ 2 der Verordnung)
§ 2 (1) Lebensmitteleinzel- oder Gemischtwarenhändler sind Gewerbetreibende, die einen Handel mit Waren des täglichen Bedarfs weitaus überwiegend in Form eines Kleinhandels unter folgenden Voraussetzungen ausüben:1. Andere Waren als Lebensmittel dürfen im Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre in einem Ausmaß von höchstens 50% der gesamten Betriebseinnahmen (einschließlich Umsatzsteuer) veräußert worden sein.
2. Be- und/oder verarbeitete Lebensmittel dürfen im Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre in einem Ausmaß von höchstens 25% der Betriebseinnahmen (einschließlich Umsatzsteuer) aus Lebensmitteln veräußert worden sein.
(2) Zu den Betrieben des Lebensmitteleinzel- oder Gemischtwarenhandels gehören keinesfalls gastronomische Betriebe.
Lebensmitteleinzelhändler oder Gemischtwarenhändler sind Gewerbetreibende, die mit Waren des täglichen Bedarfs handeln und auf die die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 der Verordnung zutreffen. Die Qualifikation als Lebensmitteleinzelhändler oder Gemischtwarenhändler hat auf Grundlage der Definition des § 2 Abs. 1 der Verordnung nach der allgemeinen Verkehrsauffassung zu erfolgen. Waren des täglichen Bedarfs sind Verbrauchsgegenstände, die im täglichen Leben benötigt und in kürzeren Zeitabständen regelmäßig nachbeschafft werden, wie etwa Lebensmittel, Rauchwaren, Kurzwaren, Bekleidung, Hygieneartikel, Geschirr und Ähnliches.
Lebensmitteleinzelhändler oder Gemischtwarenhändler im Sinne der Verordnung sind solche die ihre Geschäftstätigkeit "überwiegend in Form eines Kleinhandels" betreiben. "Kleinhandel" im Sinne der Verordnung ist der Handel mit Abnehmern, die Letztverbraucher sind. Der Handel mit Wiederverkäufern (Großhandel) stellt keinen "Kleinhandel" im Sinne der Verordnung dar.Wird ein Lebensmittel- oder Gemischtwarenhandel im Rahmen eines Betriebes sowohl in Form des Kleinhandels als auch in Form des Großhandels betrieben, muss der Kleinhandel "weitaus überwiegen", was solange zutrifft, als der Großhandelsumsatz des jeweiligen Jahres 25% des gesamten Handelsumsatzes des jeweiligen Jahres nicht übersteigt. Wird diese Grenze in jenem Jahr, für das die pauschale Gewinnermittlung in Aussicht genommen ist, nicht überschritten, ist die Anwendung der Pauschalierung zulässig. Es bestehen jedoch im Interesse eines schon bei Jahresbeginn gesicherten Vorliegens dieser Anwendungsvoraussetzung keine Bedenken, die Pauschalierung auch in Fällen anzuwenden, in denen die 25%-Grenze im Jahr der geplanten Inanspruchnahme der pauschalen Gewinnermittlung überschritten wird, soferne diese Grenze im Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre nicht überschritten worden ist.Beispiel 1:
In den Jahren 1,2 und 3 betrugen die Großhandelsumsätze 28% (Jahr 1), 24% (Jahr 2) und 17% (Jahr 3). Der Durchschnitt der Großhandelsumsätze der Jahre 1 bis 3 beträgt 23%. Im Jahr 4 ist die Verordnung jedenfalls anwendbar, selbst wenn die Großhandelsumsätze dieses Jahres 25% übersteigen sollten.
Beispiel 2:
In den Jahren 1,2 und 3 betrugen die Großhandelsumsätze 23% (Jahr 1), 24% (Jahr 2) und 34% (Jahr 3). Der Durchschnitt der Großhandelsumsätze der Jahre 1 bis 3 beträgt 27%. Im Jahr 4 ist die Verordnung unter der Voraussetzung anwendbar, dass die Großhandelsumsätze dieses Jahres 25% nicht übersteigen.
Beispiel 3:
Der Betrieb wurde im Jahr 1 eröffnet. In den Jahren 1 und 2 betrugen die Großhandelsumsätze 26% (Jahr 1) und 22% (Jahr 2). Der Durchschnitt der Großhandelsumsätze der Jahre 1 und 2 beträgt 24%. Im Jahr 3 ist die Verordnung jedenfalls anwendbar, selbst wenn die Großhandelsumsätze dieses Jahres 25% übersteigen sollten.
Eine im Rahmen eines Betriebes eines Lebensmitteleinzel- oder Gemischtwarenhändlers betriebene Tätigkeit, die zu Provisionseinnahmen führt (zB aus dem Betrieb einer Lotto/Toto-Annahmestelle), hat auf die Anwendung der Pauschalierung keine Auswirkung. Die Provisionseinnahmen sind durch die Pauschalierung nicht erfasst, sondern in voller Höhe (ohne Abzug von Betriebsausgaben) neben dem pauschal ermittelten Gewinn gesondert anzusetzen. Den Provisionserlösen stehen nämlich keine nennenswerten (nicht schon durch die Pauschalierung abgegoltene) Betriebsausgaben gegenüber, sodass deren Besteuerung nach der Verordnung zu einem völlig verzerrten Ergebnis führen würde.
Als "Lebensmittel" gelten Stoffe, die dazu bestimmt sind, zum Zwecke der Ernährung oder Ernährungsergänzung in rohem, zubereitetem, be- oder verarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen zu werden. Lebensmittel sind insbesondere Speisen und Getränke einschließlich Spirituosen. Keine Lebensmittel sind insbesondere Rauchwaren. Be- und Verarbeitung iSd § 2 Abs. 1 der VO BGBl. II Nr. 228/1999 liegt vor, wenn aus typischen Erzeugungsprodukten (bei einem Fleischhauer zB Fleisch, Wurst- und Selchwaren) Produkte anderer Marktgängigkeit hergestellt werden (bei einem Fleischhauer zB Wurstsemmeln und panierte Schnitzel).Ein "Gemischtwarenhändler" ist ein Händler, der sowohl mit Lebensmitteln als auch mit anderen Waren des täglichen Bedarfs handelt.Die Verordnung ist nicht anwendbar, wenn in einem Gesamtbetrieb neben einem in Form eines Teilbetriebes geführten Lebensmitteleinzelhandelsbetrieb (Gemischtwarenhandelsbetrieb) ein oder mehrere "branchenfremde" Teilbetriebe, auf die - isoliert betrachtet - die Anwendungsvoraussetzungen der Verordnung nicht zutreffen, geführt werden. Dies gilt auch dann, wenn das wirtschaftliche Gewicht des Teilbetriebes im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels überwiegt.Beispiel:
B betreibt einen Lebensmitteleinzelhandelsbetrieb und eine Trafik als selbstständige Teilbetriebe eines Gesamtbetriebes. Der Teilbetrieb Trafik erfüllt nicht die Anwendungsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 der Verordnung. Die Verordnung ist für den Gesamtbetrieb nicht anwendbar.
Beispiel 1:
C betreibt einen Obst- und Gemüsehandel, in dem auch Obstsäfte, die aus frischen Früchten zubereitet werden, angeboten werden. Im Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre wurden sämtliche Umsätze aus dem Lebensmittelhandel erzielt. Die Umsätze aus dem Verkauf der zubereiteten Obstsäfte haben im Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre stets nicht mehr als 20% der (Brutto-)Betriebseinnahmen des Betriebes (das sind somit weniger als ein Viertel der [Brutto-]Betriebseinnahmen aus Lebensmitteln) ausgemacht.
Der Betrieb stellt einen Lebensmittelhandel dar, der die Anwendungsvoraussetzungen der Verordnung erfüllt.
Beispiel 2:
D betreibt im Rahmen eines einzigen Betriebes - ohne Teilbetriebsfunktion der einzelnen Sparten - einen Handel mit Lebensmitteln sowie Tabakwaren und Zeitungen (Trafik). Im Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre haben die Umsätze aus dem Lebensmittelhandel stets mindestens 70% der (Brutto-)Betriebseinnahmen des Betriebes ausgemacht. Be- oder verarbeitete Lebensmittel wurden nicht veräußert.
Der Betrieb stellt einen Gemischtwarenhandel dar, der die Anwendungsvoraussetzungen der Verordnung erfüllt.
Beispiel 3:
E betreibt im Rahmen eines einzigen Betriebes - ohne Teilbetriebsfunktion der einzelnen Sparten - einen Gemischtwarenhandel und eine Imbiss-Stube, in der warme Speisen zum Verzehr im Lokal oder über die Gasse angeboten werden. Im Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre haben die Umsätze aus dem Lebensmittelhandel einschließlich der Umsätze aus der Abgabe be- und verarbeiteter Speisen stets mindestens 60% der (Brutto-)Betriebseinnahmen des gesamten Betriebes ausgemacht. Die Umsätze aus zubereiteten Speisen haben im Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre stets nicht mehr als 15% der (Brutto-)Betriebseinnahmen des gesamten Betriebes (das sind somit nicht mehr als ein Viertel der (Brutto-)Betriebseinnahmen aus Lebensmitteln) ausgemacht.
Der Betrieb stellt einen Gemischtwarenhandel (und auf Grund der im Gesamtbild des Betriebes nicht im Vordergrund stehenden Bedeutung der gastronomischen Leistungen keinen gastronomischen Betrieb) dar. Die Anwendungsvoraussetzungen der Verordnung sind erfüllt.
Beispiel 4:
F betreibt eine Tankstelle, an der neben diversem Zubehör für Kraftfahrzeuge auch Lebensmittel und Zeitungen angeboten werden. Kleinere Speisen und warme und kalte Getränke können im Tankstellengebäude konsumiert werden. Im Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre haben die Umsätze aus dem Handel mit Lebensmitteln einschließlich der Umsätze aus der Abgabe be- und verarbeiteter Speisen stets mindestens 75% der gesamten (Brutto-)Betriebseinnahmen des Betriebes ausgemacht. Die Umsätze aus zubereiteten Speisen haben im Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre stets mehr als 25% der (Brutto)Betriebseinnahmen des gesamten Betriebes (das sind somit mehr als ein Viertel der [Brutto-]Betriebseinnahmen aus Lebensmitteln) ausgemacht.
Der Betrieb stellt zwar (im Sinne der Verkehrsauffassung) einen Gemischtwarenhandel (und auf Grund der im Gesamtbild des Betriebes nicht im Vordergrund stehenden Bedeutung der gastronomischen Leistungen keinen gastronomischen Betrieb) dar. Die Anwendungsvoraussetzungen der Verordnung sind jedoch nicht erfüllt, da die Umsätze aus zubereiteten Speisen im Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre stets mehr als ein Viertel der (Brutto-)Betriebseinnahmen aus Lebensmitteln ausgemacht haben. Der Betrieb ist somit kein Gemischtwarenhandel im Sinne der Verordnung.
11.6.3 Pauschale Gewinnermittlung (§ 3 Abs. 1 der Verordnung)
§ 3 (1) Der Gewinn aus dem Betrieb eines Lebensmitteleinzel- oder Gemischtwarenhändlers kann wie folgt ermittelt werden: Der Gewinn ist im Rahmen einer Einnahmen-Ausgaben-Rechnung mit einem Durchschnittssatz von 3.630 Euro zuzüglich 2% der Betriebseinnahmen (einschließlich Umsatzsteuer) anzusetzen. Von dem mittels dieses Durchschnittssatzes berechneten Gewinn dürfen keine Betriebsausgaben abgezogen werden.Der Gewinn wird über den Sockelbetrag von 3.630 Euro hinaus mit 2% aus den Betriebseinnahmen (einschließlich Umsatzsteuer) abgeleitet. Zum Betriebseinnahmenbegriff siehe Rz 4280 ff.
Zur Abfertigungsrückstellung (§ 14 Abs. 1 bis 6 EStG 1988) siehe Rz 4304 ff, der entsprechend gilt. Zur Antragsveranlagung endbesteuerungsfähiger Kapitalerträge siehe Rz 4303.
11.6.4 Vereinfachte Führung des Wareneingangsbuches (§ 3 Abs. 2 der Verordnung)
§ 3 (2) Das Wareneingangsbuch (§ 127 Bundesabgabenordnung) kann in der Weise vereinfacht geführt werden, dass- die Belege sämtlicher Wareneingänge jeweils getrennt nach ihrer Bezeichnung (branchenüblichen Sammelbezeichnung) in richtiger zeitlicher Reihenfolge mit einer fortlaufenden Nummer versehen werden,
- die Beträge jährlich für das abgelaufene Wirtschaftsjahr jeweils getrennt nach der Bezeichnung (branchenüblichen Sammelbezeichnung) des Wareneingangs zusammengerechnet werden und die zusammengerechneten Beträge in das Wareneingangsbuch eingetragen werden,
- die Berechnungsunterlagen zu den Summenbildungen (Rechenstreifen) aufbewahrt werden.
Während des Jahres sind die Eingangsrechnungen getrennt nach Warengruppen gemäß ihrer branchenüblichen Sammelbezeichnung - in richtiger zeitlicher Reihenfolge und mit einer fortlaufenden Nummer versehen - abzulegen. Für sämtliche Eingangsrechnungen der jeweiligen Warengruppen sind Jahressummen zu bilden und diese in das Wareneingangsbuch einzutragen. Die Berechnungsunterlagen zu den Summenbildungen (Rechenstreifen) sind aufzubewahren (§ 132 BAO).
Als Warengruppen kommen insb. folgende in Betracht:- Waren, die einem 10-prozentigen Umsatzsteuersatz unterliegen,
- Waren, die einem 20-prozentigen Umsatzsteuersatz unterliegen, ausgenommen Getränke,
- Getränke, die einem 10-prozentigen Umsatzsteuersatz unterliegen (Milch, Kakao),
- Getränke, die einem 20-prozentigen Umsatzsteuersatz unterliegen.
Belege, die Grundlage für Eintragungen in das Wareneingangsbuch sind, sind gemäß § 132 BAO sieben Jahre aufzubewahren.
11.6.5 Inkrafttreten
§ 6 Die Verordnung ist erstmals bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 2000 anzuwenden.Die Anwendung der Verordnungen kommt erstmalig bei der Ermittlung des Gewinns des Wirtschaftsjahres 2000 bzw. hinsichtlich der Vorsteuerpauschalierung ab dem Kalenderjahr 2000 in Betracht.