16.2.1. Allgemeines
Die Einleitung des Insolvenzverfahrens berührt nicht die Unternehmereigenschaft des (Insolvenz)Schuldners. Der (Insolvenz)Schuldner bleibt Zurechnungssubjekt der von der bzw. an die Masse ausgeführten Leistungen und Steuerschuldner (VwGH 27.5.1998, 93/13/0052).Der im Sanierungsverfahren bestellte Treuhänder wird als gesetzlicher Vertreter für den Unternehmer tätig; Umsätze sind weiterhin diesem zuzurechnen.
Der Voranmeldungs- bzw. Veranlagungszeitraum wird durch die Insolvenzeröffnung weder unterbrochen noch beendet. Ein laufendes Veranlagungsverfahren wird ebenfalls nicht unterbrochen. Die Insolvenzeröffnung ist aber entscheidende Zäsur für die insolvenzrechtliche Qualifikation der Umsatzsteuer-Forderungen.Maßgeblich für das Vorliegen einer privilegierten Forderung (Masseforderung) ist, dass es sich um Steuern handelt, die die Masse bzw. das unter Eigenverwaltung stehende Vermögen treffen und dass der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Insolvenzverfahrens (Sanierungsverfahrens) verwirklicht wird (§ 46 Z 2 IO, § 174 IO).16.2.2. Berichtigung des Vorsteuerabzuges gemäß § 16 UStG 1994
Werden im Insolvenzverfahren Verbindlichkeiten für Leistungen an das Unternehmen, für die der Vorsteuerabzug in Anspruch genommen worden ist, uneinbringlich, ergibt sich die Verpflichtung zur Vorsteuerberichtigung (VwGH 29.1.2015, 2012/15/0012). Den Rückforderungsanspruch hat das Finanzamt als Gläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen.Um einen Anspruch auf Erstattung von zu Unrecht als Mehrwertsteuer bezahlten Beträgen durchzusetzen, muss der Leistungsempfänger grundsätzlich eine Klage gegen den Leistungserbringer erheben. Ist jedoch eine solche Klage unmöglich oder übermäßig erschwert, insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Leistungserbringers, kann der Leistungsempfänger seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Abgabenbehörde richten. Ein unmittelbarer Anspruch des Leistungsempfängers gegenüber den Abgabenbehörden ist jedoch nicht in jenen Fällen gegeben, in denen die Mehrwertsteuer nicht an die Abgabenbehörde abgeführt worden ist. Der Steuerverwaltung darf kein Steuerausfall entstehen. In allen Fällen, in denen die Mehrwertsteuer nicht an die Abgabenbehörde abgeführt wurde, ist ein Rückzahlungsanspruch somit von vornherein ausgeschlossen (vgl. VwGH 8.9.2022, Ra 2020/15/0102).
Für die insolvenzrechtliche Einordnung der Umsatzsteuerforderung ist davon auszugehen, dass die Uneinbringlichkeit im Sinne des § 16 Abs. 3 UStG 1994 in der Regel vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintritt und dieser Rückforderungsanspruch somit eine Insolvenzforderung darstellt. Die Vorsteuerberichtigung ist daher als Steuer des letzten Voranmeldungszeitraumes vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durchzuführen bzw. festzusetzen.Wenn für den UVA-Zeitraum des letzten Voranmeldungszeitraumes vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Veranlagung im laufenden Insolvenzverfahren durchzuführen ist, so hat der Umsatzsteuerjahresbescheid vorläufig iSd § 200 BAO zu ergehen, wenn die Quotenhöhe und somit der Vorsteuerberichtigungsbetrag bis dahin noch ungewiss ist. Sollte sich die ursprüngliche Vorsteuerberichtigung der Höhe nach als nicht richtig erweisen, ist diese nach Ermittlung der Quote im Gerichtsverfahren neuerlich und umgehend zu berichtigen. Allfällige Differenzen sind als Mehr- oder Minderbetrag hinsichtlich der angemeldeten Insolvenzforderung des Finanzamtes geltend zu machen.
Sollte die Quote nicht oder nicht zur Gänze entrichtet werden, wäre unter Umständen die berichtigte Vorsteuerberichtigung ein weiteres Mal zu berichtigen.
16.2.3. Vorsteuerrückforderung gemäß § 12 Abs. 10 und 11 UStG 1994
Wird im Zuge eines Insolvenzverfahrens Masse verwertet, so kann eine steuerfreie Veräußerung (zB ein steuerfreier Grundstücksumsatz) eine Vorsteuerberichtigung gemäß § 12 Abs. 10 UStG 1994 auslösen. Die Vorsteuerberichtigung nach § 12 Abs. 10 UStG 1994 führt im Insolvenzverfahren (OGH 25.02.2000, 8 Ob 144/99f) zu einer Insolvenzforderung (anders VwGH 19.10.1999, 98/14/0143) und im Sanierungsverfahren nicht zu einer bevorrechteten Forderung.16.2.4. Halbfertige Bauten - Rücktritt vom Vertrag
Ist ein Vertrag von dem (Insolvenz)Schuldner und dem anderen Teil zur Zeit der Insolvenzeröffnung noch nicht oder nicht vollständig erfüllt worden, so kann der Insolvenzverwalter gemäß § 21 Abs. 1 IO entweder an Stelle des Schuldners den Vertrag erfüllen und vom anderen Teil Erfüllung verlangen oder vom Vertrag zurücktreten.Tritt der Insolvenzverwalter vom Vertrag zurück, so ist die Verfügungsmacht am tatsächlich erbrachten Teil der Werklieferung bereits mit der Insolvenzeröffnung verschafft worden. Die für die Lieferung geschuldete Umsatzsteuer ist daher Insolvenzforderung (EvBl 1988, 86).
16.2.5. Halbfertige Bauten - Erfüllung des Vertrages
Erfüllt der Insolvenzverwalter (Unternehmer) den Vertrag, gelten die allgemeinen Vorschriften betreffend den Zeitpunkt der Lieferung, wobei der Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht maßgeblich ist. Eine Zweiteilung der Lieferung (vor und nach der Insolvenzeröffnung) ist nicht zulässig. Es handelt sich um ein einheitliches Ganzes und die Umsatzsteuer stellt zur Gänze eine Masseforderung dar.16.2.6. Eigentumsvorbehalt im Insolvenzverfahren
Macht der Vorbehaltseigentümer vom Rücktritt Gebrauch, kommt es zur Rückgängigmachung der ursprünglichen Lieferung. Die nicht steuerbare Rückgabe des Liefergegenstandes führt zur Berichtigung des seinerzeit vom (Insolvenz)Schuldner geltend gemachten Vorsteuerabzuges. Diese Vorsteuerrückforderung ist eine Insolvenzforderung.Erfolgt der Rücktritt durch den Vorbehaltskäufer (durch den Insolvenzverwalter gemäß § 21 IO), ist der wirtschaftliche Erfolg kein anderer als bei Geltendmachung des Eigentumsvorbehaltes durch den Gläubiger. Die Vorsteuerrückforderung stellt ebenfalls eine Insolvenzforderung dar.Im Falle des abgetretenen Eigentumsvorbehaltes liegt bei der Geltendmachung des Eigentumsvorbehaltes eine Lieferung des Abnehmers [(Insolvenz)Schuldners] an den Vorbehaltseigentümer vor (vgl. VwGH 27.06.2000, 97/14/0147).16.2.7. Verwertung der Konkursmasse insbesondere von Sicherungsgut im Konkurs
Die Veräußerung des Massevermögens durch den Insolvenzverwalter führt zu steuerpflichtigen Umsätzen, die dem (Insolvenz)Schuldner zuzurechnen sind (vgl. VwGH 27.05.1998, 93/13/0052).Keine Rolle spielt, ob einzelne Wirtschaftsgüter aus der Insolvenzmasse durch freihändigen Verkauf, gerichtliche Versteigerung auf Antrag des Insolvenzverwalters veräußert werden oder ob das gesamtschuldnerische Unternehmen im Ganzen veräußert wird. Die aus diesen Umsätzen resultierende Steuerschuld ist insolvenzrechtlich eine Masseforderung.
Bezüglich des Sicherungsgutes (Sicherungseigentum, Pfandrechte, Zurückbehaltungsrechte), das Teil der Insolvenzmasse ist, hat der Gläubiger im Insolvenzverfahren so genannte Absonderungsrechte, dh. Rechte auf abgesonderte Befriedigung aus bestimmten Sachen (Rechten) des Schuldners. Bei der Veräußerung von Gegenständen, die zu einer Sondermasse gehören, ist zu unterscheiden:Bei Veräußerung des Sicherungsgutes durch den Insolvenzverwalter sind die Umsatzsteuerforderungen gemäß § 49 Abs. 1 IO Sondermassekosten, die vor Befriedigung der Absonderungsgläubiger zu entrichten sind (vgl. OGH 27.04.1989, 8 Ob 29/88, SZ 62/81).Veräußert der Sicherungsnehmer (Gläubiger) das Sicherungsgut, fallen zwei Lieferungen an.Der (Insolvenz)Schuldner liefert an den Gläubiger und dieser an den Dritten. Bei der Lieferung des Sicherungsguts durch den (Insolvenz)Schuldner (Sicherungsgeber) an den Gläubiger (Sicherungsnehmer) geht die Steuerschuld auf den Leistungsempfänger über, wenn es sich bei diesem um einen Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts handelt (§ 19 Abs. 1b lit. a UStG 1994).
16.2.8. Istbesteuerung und Vorsteuerabzug bei Anzahlungen im Insolvenzverfahren
16.2.8.1. Istbesteuerung (Mindest-Istbesteuerung) des leistenden (nachmaligen) Gemeinschuldners
Die Leistung wird erbracht:Maßgeblich für die insolvenzrechtliche Beurteilung ist stets der Zeitpunkt der Leistung. Das bedeutet:
- Vor Insolvenzeröffnung wurde geleistet, nach Insolvenzeröffnung erfolgt die Vereinnahmung: Die Umsatzsteuer ist eine Insolvenzforderung.
- Vereinnahmung vor Insolvenzeröffnung (wurde nicht versteuert), Leistung nach Insolvenzeröffnung (Insolvenzverwalter tritt nicht zurück): Die Umsatzsteuer ist eine Masseforderung.
- Vereinnahmung vor Insolvenzeröffnung: Die Steuerschuld fällt weg.
- Vereinnahmung vor Insolvenzeröffnung, der (Insolvenz)Schuldner hat die Zahlung versteuert.
Die Umsatzsteuerschuld fällt weg. Die Versteuerung ist rückgängig zu machen (im Voranmeldungszeitraum der Änderung).
Der Rückforderungsanspruch aus der Umsatzsteuerberichtigung ist mit den Insolvenzforderungen des Finanzamtes aufrechenbar.
16.2.8.2. Vorsteuerabzug des zahlenden (nachmaligen) Gemeinschuldners
Der Insolvenzverwalter tritt vom Vertrag nicht zurück [die Leistung wird an den (Insolvenz)Schuldner erbracht], vor Insolvenzeröffnung hat der [nachmalige (Insolvenz)Schuldner] bezahlt, aber vor Insolvenzeröffnung keinen Vorsteuerabzug vorgenommen.Die Vorsteuer aus der Anzahlungsrechnung wird mit Insolvenzforderungen aufrechenbar sein, sofern sie nicht schon geltend gemacht wurde (auch wenn die Anzahlungsrechnung durch den Vertragspartner erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgestellt wird). Die Vorsteuer aus der Schlussrechnung (oder aus weiteren Anzahlungen nach Insolvenzeröffnung) ist hingegen nur mit Masseforderungen des Finanzamtes verrechenbar.
Der Insolvenzverwalter tritt vom Vertrag zurück, der (Insolvenz)Schuldner hat vor Insolvenzeröffnung eine Anzahlung geleistet und den Vorsteuerabzug vorgenommen.Es kommt zu einer Rückgängigmachung des geltend gemachten Vorsteuerabzuges. Die Vorsteuerrückforderung stellt eine Insolvenzforderung des Fiskus dar.