Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 205a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Beschwerdezinsen, Beschwerde, Mängelbehebungsauftrag, Formgebrechen, Antrag, Bemessungsverjährung, Entrichtung, Abgabenschuldigkeit, Entscheidungspflicht, Abgabenbescheid, Nebenanspruch, Zuständigkeit |
Verweise: | BMF 21.03.2012, BMF-010103/0071-VI/2012, AÖF Nr. 84/2012 |
Die folgenden Ausführungen zu § 205a BAO in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2022, BGBl. I Nr. 108/2022, stellen die Rechtsansicht des Bundesministeriums für Finanzen dar, die im Interesse einer bundeseinheitlichen Vorgangsweise mitgeteilt wird. Über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Rechte und Pflichten werden dadurch weder begründet noch können solche aus diesem Erlass abgeleitet werden.
Der Erlass vom 21. März 2012, BMF-010103/0071-VI/2012, AÖF Nr. 84/2012, wird aufgehoben.
1. Bedeutung der Beschwerdezinsen
Beschwerdezinsen sollen dem Zinsenrisiko entgegentreten, das ein Abgabepflichtiger trägt, wenn er strittige Abgabenbeträge entrichtet und die Abgabennachforderung im Zuge eines Beschwerdeverfahrens herabgesetzt wird. Ein Abgabepflichtiger, der Abgabenschuldigkeiten während eines anhängigen Verfahrens über die Berechtigung dieser Abgaben entrichtet, soll im Hinblick auf das Zinsenrisiko gleichbehandelt werden, wie ein Abgabepflichtiger, der eine Aussetzung der Einhebung dieser Abgabenschuldigkeiten beantragt hat. Die Beschwerdezinsen dienen nur dem Ausgleich des Zinsenrisikos betreffend strittige Abgaben im Verhältnis zwischen Abgabenbehörde und Abgabepflichtigen. Die Verhältnisse gegenüber Dritten (etwa gegenüber Vertragspartnern bei indirekten Abgaben) werden in diesen Risikoausgleich nicht einbezogen (vgl. VwGH 31.3.2017, Ra 2016/13/0034).
2. Voraussetzungen
2.1. Allgemeines
Die Festsetzung von Beschwerdezinsen setzt voraus:
- eine entrichtete Abgabenschuldigkeit,
- deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt,
- die Herabsetzung der Abgabenschuldigkeit als Folge einer Bescheidbeschwerde,
- einen (rechtzeitigen) Antrag des Abgabepflichtigen.
Beschwerdezinsen sind nur insoweit festzusetzen,
- als ein Bescheid in Punkten angefochten wird, in denen er vom zugrundeliegenden Anbringen (zB Abgabenerklärung) abweicht oder
- als ein Bescheid angefochten wird, dem kein Anbringen zugrunde liegt (zB bei amtswegiger Erlassung eines Haftungsbescheides);
- als für denselben Zeitraum nicht zugleich Anspruchszinsen (§ 205 BAO) oder Umsatzsteuerzinsen (§ 205c BAO) anfallen.
2.2. Entrichtung einer Abgabenschuldigkeit
2.2.1. Abgabenschuldigkeit
Abgabenschuldigkeiten, soweit sie für Beschwerdezinsen von Relevanz sind, sind Abgabenbeträge, die aufgrund von Abgaben- oder Haftungsbescheiden zu entrichten sind. Abgesehen von einer Festsetzung oder Selbstberechnung können sie sich auch aus dem Widerruf einer Löschung, Nachsicht oder Entlassung aus der Gesamtschuld sowie aus der Aufhebung von Löschungs- oder Nachsichtsbescheiden bzw. Bescheiden betreffend die Entlassung aus der Gesamtschuld ergeben. Auch die Aufhebung eines Bescheides, aus dem sich Gutschriften ergeben haben, kann zu einer Nachforderung (somit zu einer Abgabenschuldigkeit) führen (vgl. VwGH 31.3.2017, Ra 2016/13/0034).
Ist keine Abgabenschuldigkeit gegeben, sind Beschwerdezinsen nicht zu gewähren (BFG 9.5.2018, RV/7100674/2018).
Beschwerdezinsen stehen nur für bereits entrichtete Abgaben zu, nicht aber für die verspätete Auszahlung von Beihilfen (UFS 13.5.2013, RV/1332-L/12; BFG 24.8.2018, RS/7100081/2018; BFG 22.09.2014, RV/7102895/2013).
2.2.2. Entrichtung
Aus § 211 Abs. 1 BAO ergibt sich, wann eine Abgabenschuldigkeit als entrichtet gilt.
Für die Beschwerdezinsen ist der Zeitpunkt der tatsächlichen Entrichtung maßgebend. Daher sind diesbezüglich die Bestimmungen über Respirofristen (§ 211 Abs. 2 BAO) nicht relevant.
Die Entrichtung einer Abgabenschuldigkeit führt nur dann zur Entstehung eines Anspruchs auf Beschwerdezinsen dem Grunde nach, wenn sie entweder vor der Bekanntgabe der Beschwerdeerledigung (im Fall unmittelbarer Abhängigkeit von der Beschwerdeerledigung) oder vor der Bekanntgabe des die Herabsetzung der Abgabenschuldigkeit bewirkenden Bescheides bzw. Erkenntnisses (im Fall mittelbarer Abhängigkeit) erfolgt ist.
Eine Abgabenschuldigkeit gilt nur solange als entrichtet, als die Entrichtung nicht rückgängig gemacht wird.
Die Rückgängigmachung (Beendigung) einer Entrichtung ist vor allem möglich:
- bei Bewilligung einer Aussetzung der Einhebung einer getilgten Abgabenschuldigkeit nach § 212a Abs. 6 BAO,
- bei Rückzahlung zu Unrecht zwangsweise eingebrachter Abgaben (§ 241 Abs. 1 BAO),
- als Folge von Anträgen nach § 214 Abs. 5 BAO (Verrechnungsweisungen betreffende Irrtümer),
- bei (erfolgreicher) Anfechtung gemäß §§ 27 ff IO,
- bei Berichtigung einer Verbuchung der Gebarung als Folge eines Abrechnungsbescheides (§ 216 BAO).
Aufgrund der Anknüpfung des § 205a BAO an die tatsächliche Entrichtung der Abgabe ist für die Entstehung des Anspruchs auf Beschwerdezinsen nicht relevant:
- ob die Entrichtung vor Fälligkeit, am Fälligkeitstag oder danach erfolgte,
- ob die nicht zeitgerechte Entrichtung Säumnisfolgen (insbesondere Säumniszuschläge) ausgelöst hat,
- ob die Entrichtung im Wege einer Zwangsvollstreckung erfolgte,
- ob die Entrichtung einen Abgabenbetrag betraf, dessen Einhebung gemäß § 212a BAO ausgesetzt war (§ 212a Abs. 8 BAO),
- ob die Abgabenschuld von einer Zahlungserleichterung (§ 212 BAO) umfasst war.
Im Fall einer im Rechtsmittelweg zuerkannten Steuergutschrift liegt keine Entrichtung der Abgabenschuldigkeit vor, weshalb Beschwerdezinsen nicht festzusetzen sind (VwGH 31.3.2017, Ra 2016/13/0034).
2.3. Abhängigkeit der Höhe der Abgabenschuldigkeit von der Erledigung einer Beschwerde
2.3.1. Allgemeines
§ 205a Abs. 1 BAO setzt voraus, dass die Herabsetzung der Abgabenschuldigkeit unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung des Rechtsmittels "abhängt". Das bedeutet, dass die Herabsetzung der Abgabenschuldigkeit "als Folge" der Beschwerde erfolgt sein muss, sodass nur jenes Ausmaß der Herabsetzung der Abgabenschuldigkeit maßgeblich ist, für das das Rechtsmittel (unmittelbar oder mittelbar) kausal war. Die rechtspolitische Zielsetzung des § 205a BAO liegt also darin, dem Abgabepflichtigen eine wirtschaftlich adäquate Alternative zur Beantragung einer Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO zu bieten. Daher kann zur Auslegung des Begriffes des "Abhängens" auf die zu § 212a Abs. 1 BAO entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden (VwGH 22.12.2016, Ro 2016/16/0020).
Die Herabsetzung der Abgabenschuldigkeit ist nicht Folge der Bescheidbeschwerde, wenn die entrichtete Abgabenschuldigkeit vorläufig festgesetzt war und erst später - außerhalb des Beschwerdeverfahrens gegen den vorläufigen Bescheid - in anderer Höhe endgültig festgesetzt wird. Wird daher eine Abgabenschuldigkeit aufgrund eines gemäß § 200 BAO vorläufig erlassenen Abgabenbescheides entrichtet und diese infolge einer Beschwerde herabgesetzt, dann ist nur die durch die Beschwerde bewirkte Herabsetzung für die Bemessung der Beschwerdezinsen heranzuziehen, weil die spätere Herabsetzung mit der endgültigen Festsetzung in keinem Zusammenhang mit der Erledigung der Beschwerde gegen den vorläufigen Bescheid steht (VwGH 22.12.2016, Ro 2016/16/0020). Dies gilt gleichermaßen für sonstige, nach Erledigung der Beschwerde durchgeführte Verminderungen der ursprünglich entrichteten Abgabenschuld.
2.3.2. Unmittelbare Abhängigkeit
Die Höhe einer Abgabenschuldigkeit hängt insbesondere bei einer Beschwerde gegen
- einen Abgabenbescheid,
- einen Haftungsbescheid,
- einen Widerrufsbescheid betreffend Nachsicht, Löschung oder Entlassung aus der Gesamtschuld
unmittelbar von der Erledigung der Bescheidbeschwerde ab.
2.3.3. Mittelbare Abhängigkeit
Beispielsfälle:
- Abhängigkeit von einem Verfahrensbescheid, auch wenn der Sachbescheid nicht angefochten ist
- Die Beschwerde richtet sich gegen die Verfügung der Wiederaufnahme eines Abgabenverfahrens.
- Die Beschwerde richtet sich gegen einen aufhebenden Bescheid gemäß § 299 Abs. 1 BAO.
- Abhängigkeit von einem Grundlagenbescheid
- Die Beschwerde richtet sich gegen einen Grundlagenbescheid. Zum Beispiel, wenn von der Erledigung einer gegen einen Bescheid über die Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO gerichteten Beschwerde die Höhe von Einkommensteuerschuldigkeiten eines an der gemeinsamen Einkunftsquelle Beteiligten abhängt.
- Die Beschwerde richtet sich gegen die Verfügung der Wiederaufnahme des Feststellungsverfahrens gemäß § 303 Abs. 1 BAO oder gegen die Aufhebung des Feststellungsbescheides gemäß § 299 Abs. 1 BAO.
- Die Beschwerde richtet sich gegen einen Einheitswertbescheid: Ist der Einheitswert (oder ein Mehrfaches des Einheitswertes) Bemessungsgrundlage für eine Abgabe (zB § 6 GrEStG 1987), so ist die Höhe einer solchen Abgabenschuldigkeit mittelbar abhängig von der Erledigung einer gegen den Einheitswertbescheid gerichteten Beschwerde.
- Abhängigkeit von einer Stammabgabe
- Die Bescheidbeschwerde richtet sich gegen einen Bescheid über die Stammabgabe: Die mittelbare Abhängigkeit der Höhe der Abgabenschuldigkeit eines akzessorisch abgeleiteten Nebenanspruchs liegt vor, weil im Fall einer Herabsetzung der Stammabgabe der Nebenanspruch entsprechend anzupassen ist. Das betrifft zB Verspätungszuschläge gemäß § 295 Abs. 2 BAO, Säumniszuschläge gemäß § 217 Abs. 8 BAO, Stundungszinsen gemäß § 212 Abs. 2 BAO und Aussetzungszinsen gemäß § 212a Abs. 9 BAO.
- Die Bescheidbeschwerde richtet sich gegen eine Gebührenfestsetzung: Die mittelbare Abhängigkeit der Höhe der Abgabenschuldigkeit besteht im Hinblick auf Abgabenerhöhungen gemäß § 9 Abs. 2 GebG.
2.4. Herabsetzung der Abgabenschuldigkeit als Folge einer Bescheidbeschwerde
Erledigungen über Herabsetzungen einer Abgabenschuldigkeit "als Folge" einer Bescheidbeschwerde sind
- Beschwerdevorentscheidungen (§ 262 Abs. 1 BAO),
- über Beschwerden absprechende Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte (§ 279 Abs. 1 BAO) und
- auf § 278 Abs. 1 BAO gestützte Beschlüsse der Verwaltungsgerichte über die Aufhebung unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde.
§ 205a BAO ist auch anwendbar, wenn die stattgebende Beschwerdeerledigung erfolgte:
- nach Aufhebung durch den VwGH (VwGH 20.3.2018, Ro 2017/16/0024) oder VfGH (auch wegen Aufhebung von Gesetzen oder Verordnungen),
- wegen einer rückwirkenden Änderung einer Abgabenvorschrift,
- als Folge der Bewilligung der Wiedereinsetzung (§ 308 BAO) der versäumten Beschwerdefrist,
- nach Aufhebung des ursprünglichen Erkenntnisses oder Beschlusses gemäß § 289 Abs. 1 BAO.
Auch eine Sachentscheidung des VwGH gemäß § 42 Abs. 4 VwGG erledigt die Bescheidbeschwerde. Die Abgabenschuldigkeit hängt von dieser Erledigung ab (VwGH 20.3.2018, Ro 2017/16/0024). Eine dadurch bewirkte Herabsetzung der Abgabenschuldigkeit ergeht somit als Folge einer Bescheidbeschwerde.
"Als Folge" einer Bescheidbeschwerde eine Abgabenschuldigkeit herabsetzende Bescheide sind auch Bescheide, die innerhalb des Beschwerdeverfahrens ergehen und dem Beschwerdebegehren im Ergebnis Rechnung tragen; wie beispielsweise bei:
- Änderung des Abgabenbescheides gemäß § 295 Abs. 1 BAO,
- Erlassung eines neuen Sachbescheides gemäß § 299 Abs. 2 BAO in Verbindung mit einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides gemäß § 299 Abs. 1 BAO,
- Erlassung eines gemäß § 307 Abs. 1 BAO an die Stelle des angefochtenen Bescheides tretenden neuen Sachbescheides in Verbindung mit einer Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO,
- Abänderung des angefochtenen Bescheides gemäß § 295a BAO
- Berichtigung des angefochtenen Bescheides gemäß § 293 BAO oder gemäß § 293b BAO,
- Herabsetzung oder Aufhebung eines angefochtenen Säumniszuschlagsbescheides gemäß § 217 Abs. 8 BAO,
- einem auf § 300 Abs. 3 BAO gestützten neuen Sachbescheid.
2.5. Voraussetzungen des § 205a Abs. 3 Satz 1 BAO
Die Bescheidbeschwerde muss
- Punkte betreffen, in denen der Bescheid von einem ihm zugrundeliegenden Anbringen abgewichen ist oder
- sich gegen einen Bescheid richten, dem kein Anbringen zugrunde liegt.
2.5.1. Abweichen von einem Anbringen
Unter Anbringen im Sinn des § 205a Abs. 3 BAO sind insbesondere Abgabenerklärungen und Erklärungen zur Feststellung von Einkünften (§ 188 BAO), weiters Selbstberechnungen von Abgaben (§ 201 BAO) und sonstige, der Entscheidungspflicht gemäß § 85a BAO unterliegende Anbringen zu verstehen.
2.5.2. Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt
Bescheide, welchen kein Anbringen zugrunde liegt sind von Amts wegen erlassene Bescheide. Bei von Amts wegen erlassenen Bescheiden (etwa Erlassung eines Haftungsbescheides gemäß § 9 BAO) sind die Voraussetzungen des § 205a Abs. 3 BAO Satz 1 zweiter Fall BAO erfüllt.
Nach Ansicht des VwGH ist auch in einem Fall, in dem eine Verpflichtung zur Selbstberechnung der Rechtsgeschäftsgebühr nicht vorlag und sich die Gebührenanzeige (§ 31 GebG) auf die bloße Anzeige des gebührenpflichtigen Bestandvertrages ohne weiteres Vorbringen insbesondere zur Frage der Höhe der Bemessungsgrundlage beschränkte, kein Anbringen der abgabepflichtigen Partei im Sinn des § 205a Abs. 3 Satz 1 erster Fall BAO. Die Pflicht, aus der vorgelegten Urkunde die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, traf in diesem Fall die Abgabenbehörde und mangels jeglicher Festlegung der Abgabepflichtigen zur strittigen Frage der Bemessungsgrundlage auch das "Zinsenrisiko" einer abweichenden Beurteilung im Rechtsmittelverfahren (VwGH 22.12.2016, Ro 2016/16/0020).
2.6. Antrag des Abgabepflichtigen
2.6.1. Befugnis zur Antragstellung
Antragsbefugt ist jener Abgabepflichtige, dem gegenüber der Bescheid über die Herabsetzung der Abgabenschuldigkeit wirkt. Dies muss nicht der Beschwerdeführer sein (zB bei einer Beschwerde der Personengesellschaft gegen den Bescheid über die Feststellung der Einkünfte).
2.6.2. Form des Antrages
Der Antrag auf Festsetzung von Beschwerdezinsen ist ein Anbringen zur Geltendmachung von Rechten im Sinn des § 85 Abs. 1 BAO. Er ist daher im Allgemeinen schriftlich zu stellen (zulässig ist auch die Einbringung im Wege von Telefax oder FinanzOnline).
Bei Formgebrechen (zB Nichtverwendung einer für den Einschreiter zugelassenen Amtssprache) ist ebenso wie bei Fehlen einer Unterschrift mit Mängelbehebungsauftrag (§ 85 Abs. 2 BAO) vorzugehen.
Wenn die Antragstellung betreffend Festsetzung von Beschwerdezinsen unmittelbar mit Einbringung der Beschwerde gegen einen Festsetzungsbescheid erfolgt, ist der Antrag bescheidmäßig als unzulässig zurückzuweisen, weil noch keine Herabsetzung der Abgabenschuldigkeit als Folge einer Beschwerde erfolgt ist. Die Zurückweisung steht einer neuerlichen Antragstellung nach Herabsetzung der Abgabenschuldigkeit als Folge der Beschwerde nicht entgegen. Ein Mängelbehebungsauftrag wegen des Fehlens der Inhaltserfordernisse des § 205a BAO ist in diesem Fall nicht zu erlassen.
Die Mängelbehebungsfrist ist zwar erstreckbar, doch kommt einem Fristverlängerungsantrag keine fristhemmende Wirkung zu.
Mängelbehebungsaufträge sind verfahrensleitende Verfügungen im Sinn des § 94 BAO und § 244 BAO; solche Bescheide sind daher nicht gesondert anfechtbar.
Der Antrag kann bis zur Rechtskraft des über ihn absprechenden Bescheides zurückgenommen werden.
Ein Verzicht auf einen solchen Antrag ist gesetzlich nicht vorgesehen; er ist somit rechtsunwirksam.
2.6.3. Frist zur Antragstellung
Eine ausdrückliche Befristung des Antragsrechtes ist nicht vorgesehen.
Mittelbar ergibt sich eine Antragsfrist jedoch aus der Bemessungsverjährung, weil nach Eintritt der die Beschwerdezinsen betreffenden Verjährung einem solchen Antrag nur dann entsprochen werden darf, wenn der Antrag vor Verjährungseintritt gestellt wurde.
Zur Verjährung des Rechts zur Festsetzung der Beschwerdezinsen siehe Abschnitt 7.
2.6.4. Inhalt des Antrages
Der Antrag auf Festsetzung von Beschwerdezinsen hat gemäß § 205a Abs. 2 BAO zu enthalten
- die Bezeichnung der Bescheidbeschwerde, von deren Erledigung die Abgabenhöhe unmittelbar oder mittelbar abhängt,
- die Bezeichnung des die Abgabenschuldigkeit herabsetzenden Bescheides bzw. Erkenntnisses, wobei der Begriff des "Erkenntnisses" in § 205a BAO auch Sachentscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes erfasst (VwGH 20.3.2018, Ro 2017/16/0024),
die für die Höhe der Bemessungsgrundlage der Beschwerdezinsen maßgebenden Angaben.
Maßgebende Angaben im Sinn des § 205a Abs. 2 lit. c BAO sind insbesondere:
- Angaben über den Tag (die Tage) der Entrichtung (zB Tag der Überweisung),
- Angaben über den Tag der Bekanntgabe (Zustellung) des die Abgabe herabsetzenden Bescheides oder Erkenntnisses,
- Angaben darüber, ob die Beschwerde gegen einen amtswegigen Bescheid bzw. gegen eine Abweichung vom zu Grunde liegenden Anbringen gerichtet war.
Fehlende Angaben im Sinn des § 205a Abs. 2 BAO sind inhaltliche Mängel im Sinn des § 85 Abs. 2 BAO. Daher ist mit Mängelbehebungsauftrag vorzugehen.
Ist der Antrag von vornherein offenkundig aussichtslos (weil unzulässig, etwa bei Einbringung von einem hierzu nicht Befugten oder wegen entschiedener Sache), so ist kein Mängelbehebungsauftrag zu erlassen, sondern der Antrag mit Bescheid zurückzuweisen.
3. Bescheidmäßige Erledigungen des Antrages
3.1. Entscheidungspflicht
Der Antrag auf Festsetzung von Beschwerdezinsen unterliegt der Entscheidungspflicht (§ 85a BAO). Er ist daher stets mit Bescheid zu erledigen.
3.2. Formalerledigungen
Anträge sind zurückzuweisen, wenn sie
- nicht rechtzeitig gestellt werden (bei Einbringung des Antrages nach Eintritt der Bemessungsverjährung der Beschwerdezinsen),
- nicht zulässig sind (zB bei mangelnder Befugnis des Einschreiters).
Als Formalerledigungen kommt auch ein Zurücknahmebescheid in Betracht, wenn einem (rechtmäßigen) Mängelbehebungsauftrag (§ 85 Abs. 2 BAO; siehe Abschnitt 2.6.2. und 2.6.4.) nicht, nicht zeitgerecht oder unzureichend entsprochen wurde.
3.3. Festsetzung der Beschwerdezinsen
3.3.1. Allgemeines
Liegen die Voraussetzungen vor, sind Beschwerdezinsen mit Bescheid festzusetzen. Die Festsetzung liegt nicht im Ermessen der Abgabenbehörden.
Wird in einer Beschwerdevorentscheidung zwar dem Beschwerdebegehren entsprochen, aber zB aufgrund der Berücksichtigung neuer Tatsachen dennoch eine höhere Abgabenfestsetzung vorgenommen, so kommt die Festsetzung von Beschwerdezinsen nicht in Betracht. Die Berücksichtigung vom Beschwerdeverfahren unabhängiger Umstände kann auch zur Verminderung des Ausmaßes der Herabsetzung der Abgabenschuld und damit zur Verminderung der Bemessungsgrundlage der Beschwerdezinsen führen.
Führt die Festsetzung von Beschwerdezinsen auf dem Abgabenkonto zu einem Guthaben oder zu der Erhöhung eines solchen und hat bezüglich der Abgaben, durch deren Herabsetzung der Anspruch auf Beschwerdezinsen ausgelöst wurde, ein Gesamtschuldverhältnis bestanden, so ist bei der Verwendung des Guthabens (§ 215 BAO) oder bei dessen Rückzahlung (§ 239 BAO) gegebenenfalls darauf Bedacht zu nehmen, von welchem der Gesamtschuldner die als Folge einer Beschwerde herabgesetzte Abgabenschuldigkeit entrichtet worden ist.
Beschwerdezinsenbescheide sind von einem Abgabenbescheid abgeleitete Bescheide im Sinne des § 295 Abs. 2 BAO. Im Fall der nachträglichen Abänderung oder Aufhebung des Abgabenbescheides, wie zB
- Aufhebung einer Beschwerdevorentscheidung nach § 299 BAO,
- Rückgängigmachung einer in der Beschwerdevorentscheidung erfolgten Herabsetzung einer Abgabenschuldigkeit durch ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts,
- Wiederaufnahme eines Beschwerdevorentscheidungsverfahrens gemäß § 303 BAO,
- Aufhebung eines Feststellungsbescheides gemäß § 48 Abs. 4 BAO,
ist der Beschwerdezinsenbescheid gemäß § 295 Abs. 2 BAO anzupassen.
3.3.2. Höhe der Beschwerdezinsen
Beschwerdezinsen sind für den Zeitraum
- ab Entrichtung der Abgabenschuldigkeit
- bis zur Bekanntgabe des die Abgabe herabsetzenden Bescheides bzw. Erkenntnisses festzusetzen.
Zinsen sind (nach § 205a Abs. 3 BAO) nur insoweit festzusetzen, als
- ein Bescheid in Punkten angefochten wird, in denen er von dem ihm zugrundeliegenden Anbringen abweicht oder
- ein Bescheid angefochten wird, dem kein Anbringen zugrunde liegt;
- für denselben Zeitraum weder Anspruchszinsen (§ 205 BAO) noch Umsatzsteuerzinsen (§ 205c BAO) angefallen sind.
Die Beschwerdezinsen betragen (nach § 205a Abs. 4 BAO) pro Jahr 2% über dem Basiszinssatz. Sie sind nicht festzusetzen, wenn sie den Betrag von 50 Euro nicht erreichen.
Die Beschwerdezinsen sind gemäß § 204 Abs. 4 BAO mit einem Tageszinssatz zu berechnen.
Aufgrund der Antragsgebundenheit dürfen Beschwerdezinsen nicht über den beantragten Betrag hinaus festgesetzt werden, auch wenn diese in einem höheren Betrag zustehen würden.
3.3.3. Abgabenbescheid
Beschwerdezinsen sind mit Abgabenbescheid (§ 198 BAO) festzusetzen.
3.3.4. Nebenanspruch
Beschwerdezinsen gehören nach § 3 Abs. 2 lit. b BAO zu den Nebenansprüchen. Sie sind somit (nach § 213 Abs. 1 BAO bzw. § 213 Abs. 2 BAO) auf jenem Abgabenkonto zu verbuchen, auf dem auch die Herabsetzung der Abgabenschuldigkeit zu verbuchen ist.
3.3.5. Subsidiarität
Soweit für denselben Zeitraum Anspruchszinsen gemäß § 205 BAO oder Umsatzsteuerzinsen gemäß § 205c BAO anfallen, sind Beschwerdezinsen nicht festzusetzen.
4. Aufhebung bzw. Abänderung eines Bescheides gemäß § 295 Abs. 2a BAO
Mit BGBl. I Nr. 62/2019 wurde in § 205a BAO ein Abs. 2a eingefügt. § 205a BAO ist demnach auch im Fall von gemäß § 295 Abs. 2a BAO auf Grund eines Bescheides nach § 48 Abs. 2 BAO oder § 48 Abs. 4 BAO herabgesetzten Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen für den Zeitraum ab Entrichtung bis zur Bekanntgabe des die Abgabe herabsetzenden Bescheides anzuwenden. In den meisten Fällen wird jedoch bei der Anwendung des § 48 Abs. 4 BAO eine Herabsetzung der Abgabenschuldigkeit und damit die Festsetzung von Beschwerdezinsen nicht in Frage kommen.
Durch die Einführung des § 295 Abs. 2a BAO soll nach Beendigung eines Verständigungs- oder Schiedsverfahrens, wenn die strittige Abgabenschuld bezahlt wurde, eine entsprechende Verzinsung des nachträglich aufgrund dieses Verfahrens herabgesetzten Abgabenbetrags gewährt werden.
5. Beispiele
1. Beispiel
Einkommensteuervorauszahlungen | 80.000 € |
Steuer laut Erklärung | 90.000 € |
Steuer laut Bescheid | 120.000 € (daher Nachforderung 40.000 €; |
Entrichtung der Nachforderung zur Gänze
- Beschwerde (strittig ist gesamte Nachforderung)
- Beschwerdevorentscheidung 100.000 € (Gutschrift daher 20.000 €) Beschwerdezinsen für 20.000 € (ab Entrichtungstag bis zur Zustellung der Beschwerdevorentscheidung)
- Beschwerdezinsen für 30.000 € (ab Entrichtungstag bis zur Zustellung der Beschwerdevorentscheidung)
- Beschwerdevorentscheidung 80.000 € (Gutschrift daher 40.000 €)
- Beschwerdezinsen für 30.000 € (Abweichung von Erklärung als Obergrenze)
2. Beispiel
Körperschaftsteuervorauszahlungen | 80.000 € |
Steuer laut Erklärung | 70.000 € |
Steuer laut Bescheid | 120.000 € (Nachforderung daher 40.000 €; |
Entrichtung der Nachforderung: nur 30.000 €; restlicher Rückstand wird gestundet
- Beschwerde (strittig ist die Nachforderung)
- Beschwerdevorentscheidung 100.000 € (Gutschrift daher 20.000 €) Beschwerdezinsen von 20.000 € (ab Entrichtung bis zur Zustellung der Beschwerdevorentscheidung)
- Beschwerdevorentscheidung 80.000 € (Gutschrift daher 40.000 €)
- Beschwerdezinsen von 30.000 € (nur vom entrichteten Betrag)
- Beschwerdevorentscheidung 70.000 € (Gutschrift daher 50.000 €)
- Beschwerdezinsen von 30.000 € (nur vom entrichteten Betrag)
3. Beispiel
Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2020: 80.000 €
Nachforderung wird zur Gänze entrichtet
- Beschwerde (vom nachgeforderten Betrag sind 10.000 € strittig)
- Beschwerdevorentscheidung mindert die Einkommenssteuer auf 76.000 € Beschwerdezinsen von 4.000 € (ab Entrichtung bis zur Zustellung der Beschwerdevorentscheidung)
- Vorlageantrag
- Beschwerdeentscheidung mindert die Einkommenssteuer auf 73.000 € (zusätzliche) Beschwerdezinsen von 3.000 € (ab Entrichtung bis zur Zustellung der Beschwerdeentscheidung)
- VwGH hebt Beschwerdeentscheidung auf
- nunmehrige Beschwerdeentscheidung: 65.000 €
- (zusätzliche) Beschwerdezinsen von 3.000 € (ab Entrichtung bis zur Zustellung der nunmehrigen Beschwerdeentscheidung), weil der strittige Betrag (10.000 €) die Obergrenze für die Beschwerdezinsen ist
6. Zuständigkeit
Für die Erhebung der Beschwerdezinsen (zB Erledigung des Antrages, Zinsenfestsetzung, Verbuchung der Gebarung) ist jene Abgabenbehörde zuständig, die zum Zeitpunkt der Erledigung des Antrages für die herabgesetzte Abgabenschuldigkeit zuständig ist.
Die Erhebung der Beschwerdezinsen obliegt auch dann der Abgabenbehörde,
- wenn die Beschwerdeerledigung (bei mittelbarer Abhängigkeit der Abgabenhöhe von der Erledigung der Beschwerde) durch das Bundesfinanzgericht erfolgte,
- wenn die Herabsetzung der Abgabenschuldigkeit durch das Bundesfinanzgericht erfolgte.
7. Bemessungsverjährung
Die Frist für die Verjährung der Festsetzung von Beschwerdezinsen beträgt fünf Jahre (die Beschwerdezinsen sind "übrige Abgaben" im Sinn des § 207 Abs. 2 erster Satz BAO)
Die Entstehung des Abgabenanspruches für die Beschwerdezinsen richtet sich nach § 4 Abs. 1 BAO. Daher beginnt die Verjährungsfrist nach § 208 Abs. 1 lit. a BAO mit Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist, somit mit Ablauf des Jahres, in dem der die Abgabe herabsetzende Bescheid bekanntgegeben wurde.
Wird der Antrag auf Festsetzung der Beschwerdezinsen vor Eintritt der diesbezüglichen Verjährung gestellt, so ist ihm auch nach Eintritt der Verjährung zu entsprechen. Dies ergibt sich aus § 209a Abs. 2 BAO.
8. Inkrafttreten des § 205a BAO
Die Stammfassung des § 205a BAO (BGBl. I Nr. 76/2011) ist gemäß § 323 Abs. 29 BAO mit 1. Jänner 2012 in Kraft getreten und ist erstmals für ab diesem Zeitpunkt erfolgte Abgabenherabsetzungen anwendbar. Vor dem 1. Jänner 2012 erfolgte Abgabenentrichtungen sind für die Verzinsung nur für Zeiträume ab 1. Jänner 2012 zu berücksichtigen. Gegen diese Bestimmung im Zusammenhang mit Umsatzsteuer bestehen keine Bedenken im Hinblick auf Art. 47 Abs. 2 GRC (VwGH 27.06.2017, Ra 2015/13/0005).
§ 205a BAO in der Fassung des Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012 - FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013 (sprachliche Anpassungen) ist mit 1. Jänner 2014 in Kraft getreten (§ 323 Abs. 37 BAO).
§ 205a Abs. 2a BAO in der Fassung des EU-Finanz-Anpassungsgesetz 2019 - EU-FinAnpG 2019, BGBl. I Nr. 62/2019, ist am 1. September 2019 in Kraft getreten (§ 323 Abs. 62 BAO). Diese Bestimmung ist auch für all jene Fälle anzuwenden bei denen die Herabsetzung nach dem 31. August 2019 erfolgt ist; die zu verzinsende Periode beginnt frühestens mit dem 1. Jänner 2012.
§ 205a Abs. 3 BAO in der Fassung BGBl. I Nr. 108/2022 (Subsidiarität gegenüber Anspruchs- und Umsatzsteuerzinsen) ist mit 20. Juli 2022 in Kraft getreten.
9. Landes- und Gemeindeabgaben (§ 205b)
§ 205a BAO gilt nicht für Landes- und Gemeindeabgaben (§ 205b BAO, VwGH 11.3.2020, Ra 2020/16/0006).
Bundesministerium für Finanzen, 20. Dezember 2022
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 205a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Beschwerdezinsen, Beschwerde, Mängelbehebungsauftrag, Formgebrechen, Antrag, Bemessungsverjährung, Entrichtung, Abgabenschuldigkeit, Entscheidungspflicht, Abgabenbescheid, Nebenanspruch, Zuständigkeit |
Verweise: | BMF 21.03.2012, BMF-010103/0071-VI/2012, AÖF Nr. 84/2012 |