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22.4.3.1.3 Hauptwohnsitz

BMF2023-0.871.8196.5.2021

Rz 6638
Der Begriff des Wohnsitzes richtet sich nach § 26 BAO. Bei Vorliegen mehrerer Wohnsitze ist als Hauptwohnsitz jener Wohnsitz anzusehen, zu dem der Steuerpflichtige die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Ob ein "Hauptwohnsitz" vorliegt, ist von der Abgabenbehörde im Rahmen der Sachverhaltswürdigung eigenständig zu beurteilen (BFG 3.12.2015, RV/4100952/2015). Einer Hauptwohnsitz-Meldung nach dem Meldegesetz kommt im Rahmen der Beweiswürdigung Bedeutung zu. Ein Hauptwohnsitz kann aber unabhängig von der Meldung auch vorliegen, wenn der Steuerpflichtige an dem betreffenden Wohnsitz überhaupt nicht gemeldet ist oder dieser Wohnsitz bloß ein "weiterer Wohnsitz" im Sinne des Melderechts ist.

Verfügt ein Steuerpflichtiger über mehrere Wohnsitze, können folgende Umstände für die Beurteilung des Hauptwohnsitzes herangezogen werden (VwGH 29.07.2010, 2007/15/0235):

Ein vorübergehender Aufenthalt an einem anderen Wohnsitz ist nicht befreiungsschädlich,

Vorübergehende Abwesenheiten, die sechs Monate nicht überschreiten, unabhängig davon, ob freiwillig oder unfreiwillig, können jedenfalls als kurzfristig angesehen werden. Längere Abwesenheiten sind einzelfallbezogen zu beurteilen.

Ist eine vorübergehende Abwesenheit nicht befreiungsschädlich, ist sie in den Lauf der Mindestfrist (zwei Jahre bzw. fünf Jahre) nicht einzurechnen. Eine vorübergehende Abwesenheit bewirkt somit eine Hemmung des Fristenlaufes.

Eigentumswohnungen (Eigenheime), die lediglich als Zweitwohnsitz (etwa im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung) genutzt werden, können nicht unter diese Befreiung fallen (VwGH 29.07.2010, 2007/15/0235).

Eine bloße Nutzung als arbeitsplatznahe Wohnung im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung begründet keinen Hauptwohnsitz, dieser ist grundsätzlich am Familienwohnsitz anzunehmen.

Wird ein Steuerpflichtiger aufgrund diplomatischer, berufskonsularischer oder vergleichbarer Vorrechte als beschränkt Steuerpflichtiger behandelt (Rz 326, Rz 7779), schließt dies einen (Haupt-)Wohnsitz nicht aus.

22.4.3.1.4 Zweijahresfrist (1. Tatbestand)

Rz 6639
Die Befreiung nach dem 1. Tatbestand setzt voraus, dass

Aus der Bezugnahme auf die "Anschaffung" und "Veräußerung" ist abzuleiten, dass der Steuerpflichtige das Hauptwohnsitzerfordernis als (zumindest wirtschaftlicher) Eigentümer und persönlich (siehe dazu Rz 6644) erfüllen muss. Da eine Anschaffung jedenfalls einen entgeltlichen Erwerb (siehe Rz 6623) erfordert, ergibt sich aus der Bezugnahme auf die Anschaffung auch, dass der 1. Tatbestand niemals bei einem unentgeltlichen Erwerb zur Anwendung kommen kann. Wurde das Eigenheim (die Eigentumswohnung) teilweise angeschafft bzw. hergestellt und teilweise unentgeltlich erworben, kann der 1. Tatbestand nur anteilig in Bezug auf den angeschafften bzw. hergestellten Teil zur Anwendung kommen. Wurde bei einem vor dem 31.3.2012 unentgeltlich erworbenen Grund und Boden ein Haus nach dem 31.3.2012 errichtet, ist die Einheitstheorie von Grund und Boden und Gebäude nicht mehr anwendbar (siehe dazu Rz 6654). Da die Hauptwohnsitzbefreiung grundsätzlich eine Gebäudebefreiung darstellt, liegen die Voraussetzungen des 1. Tatbestandes für das Gebäude vor, für den Grund und Boden mangels Anschaffung allerdings nicht. Daher kann die Befreiung nur für das Gebäude, nicht aber für den Grund und Boden-Anteil angewendet werden, es sei denn der 2. Tatbestand ist erfüllt.

Eine (auch kurzfristige) Vermietung oder betriebliche Nutzung von mehr als 1/3 der Nutzfläche des Eigenheims oder der Eigentumswohnung ist im Rahmen des 1. Tatbestandes stets befreiungsschädlich; eine Vermietung oder betriebliche Nutzung innerhalb der Toleranzfrist von einem Jahr (siehe Rz 6643) ist aber unschädlich.

Im Rahmen des 2. Tatbestandes (5 aus 10-Regelung) ist eine (auch kurzfristige) Vermietung oder betriebliche Nutzung befreiungsschädlich, wenn diese während der Nutzung als Hauptwohnsitz erfolgt. Erfolgt eine Vermietung oder betriebliche Nutzung des Grundstückes vor oder nach Aufgabe des Hauptwohnsitzes, ist diese unschädlich, solange die Vermietung oder betriebliche Nutzung nicht länger als 5 Jahre innerhalb der letzten 10 Jahre vor der Veräußerung des Grundstückes dauert. Erfolgt neben einer Nutzung des Gebäudes als Hauptwohnsitz eine Vermietung oder betriebliche Nutzung des Gebäudes in einem Umfang von mehr als 1/3 der Gesamtnutzfläche, ist dies für die Hauptwohnsitzbefreiung ebenfalls unschädlich, wenn das Gebäude für mindestens 5 Jahre innerhalb der letzten 10 Jahre vor der Veräußerung zu mindestens 2/3 als Hauptwohnsitz genutzt wurde.

Rz 6640
Die zweijährige Frist beginnt (frühestens) mit der Anschaffung oder Herstellung des Eigenheims oder der Eigentumswohnung. Erfolgt die Nutzung einer Wohnung auf Grundlage eines Anwartschaftsvertrages zum Erwerb von Wohnungseigentum (Wohnungseigentumsbewerber; siehe dazu unten) bzw. war der nunmehrige Wohnungseigentümer bereits vor der Parifizierung (Begründung des Wohnungseigentums) Miteigentümer des parifizierten Grundstückes und hat die Wohnung als Hauptwohnsitz genutzt, gilt die Eigentumswohnung bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Anwartschaftsvertrages bzw. des Erwerbes des Eigentums am nicht parifizierten Grundstück als angeschafft; Zeiten der Nutzung als Hauptwohnsitz vor der Parifizierung sind daher in diesen Fällen zu berücksichtigen; dabei ist es unerheblich, ob es sich bereits vor der Parifizierung um ein Eigenheim iSd § 18 Abs. 1 Z 3 lit. b EStG 1988 gehandelt hat. Dies gilt auch für den Fall, in dem der nunmehrige Wohnungseigentümer vor der Parifizierung Alleineigentümer des parifizierten Grundstückes war, wenn die veräußerte Wohnung bereits im Rahmen des noch nicht parifizierten Grundstückes als Hauptwohnsitz gedient hat.

Wohnungseigentumsbewerber ist derjenige, dem schriftlich, sei es bedingt oder befristet, von einem Wohnungseigentumsorganisator die Einräumung von Wohnungseigentum zugesagt wurde (§ 2 Abs. 6 WEG 2002). Bei Zweifel über diesen Zeitpunkt kann auch auf den Zeitpunkt der Anmerkung der Zusage der Einräumung von Wohnungseigentum im Grundbuch nach § 40 Abs. 2 WEG 2002 abgestellt werden.

Rz 6641
Für die Frage der Nutzung seit der Anschaffung ist es nicht befreiungsschädlich, wenn das Eigenheim (die Eigentumswohnung) erst nach einem Zeitraum von höchstens einem Jahr ab der Anschaffung als Hauptwohnsitz bezogen wird. Ist das Eigenheim oder die Eigentumswohnung zum Zeitpunkt der Anschaffung (siehe dazu auch Rz 6629) noch nicht fertig gestellt, beginnt die einjährige Toleranzfrist mit der Fertigstellung des Eigenheimes bzw. des Gebäudes, in dem sich die Eigentumswohnung befindet.

Unschädlich ist auch die Aufgabe des Hauptwohnsitzes bis zu einem Jahr vor bzw. nach der Veräußerung (siehe Rz 6643). Zwischen Anschaffung und Veräußerung muss das Eigenheim (die Eigentumswohnung) jedoch stets mindestens zwei Jahre tatsächlich als Hauptwohnsitz genutzt worden sein (die Nutzung als Hauptwohnsitz nach der Veräußerung ist für die Erfüllung der Mindestfrist unbeachtlich).

Beispiel:

Ein Steuerpflichtiger kauft am 8.8.01 eine Alteigentumswohnung. Mit Fertigstellung der Renovierungsarbeiten zieht er am 10.6.02 in diese Wohnung ein und begründet dort seinen Hauptwohnsitz.

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