3.1. Begriff der Lieferung
3.1.1. Liefergegenstand
Eine Lieferung liegt vor, wenn der Unternehmer jemand anderen befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen.Gegenstände sind
- körperliche Sachen oder
- andere Wirtschaftsgüter, die nach der Verkehrsauffassung wie körperliche Sachen behandelt werden [zB Energie, Gas, elektrischer Strom (VwGH 10.11.1995, 94/17/0219), Wärme oder Kälte (vgl. Art. 15 Abs. 1 MwSt-RL 2006/112/EG idF RL 2009/162/EU ), Dampf, Wasserkraft, Tiere, Firmenwert].
Zum Ort der Lieferung von Gas oder Elektrizität siehe Rz 474a bis Rz 474e.
Zum Ort der Lieferung von Wärme oder Kälte siehe Rz 474a ff.
Auch Gesamtsachen (= Sachgesamtheiten) sind grundsätzlich als Gegenstände von Lieferungen anzusehen. Eine Gesamtsache ist eine Zusammenfassung mehrerer Sachen, die nach der Verkehrsauffassung als eine Sache anzusehen ist und mit einem gemeinschaftlichen Namen bezeichnet wird (§ 302 ABGB, zB Gestühl eines Vortragssaales, Bibliothek, Gemäldegalerie). Hinsichtlich Steuersatz siehe Rz 1169 bis Rz 1173.3.1.2. Abgrenzung zur sonstigen Leistung
Die Unterscheidung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen ist für die Beurteilung des Leistungsortes, einer allfälligen Steuerbefreiung und des Steuersatzes von Bedeutung.Es gibt einheitliche Leistungen, die sowohl Elemente einer Lieferung als auch einer sonstigen Leistung enthalten. Hierbei kommt es darauf an, ob die Leistung nach ihrer überwiegenden wirtschaftlichen Bedeutung als Erwerb eines Gegenstandes oder als ein Tun, Dulden, oder Unterlassen anzusehen ist. Dieses Überwiegen ist anhand der Verkehrsauffassung und nach der Absicht der Parteien zu ermitteln (VwGH 14.3.1980, 2045/79).
Abbauverträge: Bemisst sich das Entgelt für die Überlassung eines Grundstückes zur Gewinnung von Bodensubstanz nach der Menge des abgebauten Materials liegt eine Lieferung vor (VwGH 21.6.1977, 2420/76; VwGH 3.11.1986, 85/15/0098).Devisengeschäft: Geschäfte, bei denen die eine Partei einen vereinbarten Betrag in einer Währung kauft und als Gegenleistung an die andere Partei einen vereinbarten Betrag in einer anderen Währung verkauft, wobei diese beiden Geldbeträge am gleichen Wertstellungstag zu zahlen sind, und bei denen sich beide Parteien über die betreffenden Währungen, die zu kaufenden und zu verkaufenden Beträge sowie darüber, welche Partei welche Währung kauft, und über den Tag der Wertstellung geeinigt haben, sind sonstige Leistungen (EuGH 14.7.1998, Rs C-172/96 , "First National Bank of Chicago").
Grabpflege: Beschränkt sich die Leistung eines Gärtners darauf, Blumenschmuck auf einem Grabe auszusetzen, ohne eine weitere Betreuung des Grabes (zB Instandhaltung, Pflege) zu übernehmen, so ist seine Leistung nach ihrer überwiegenden wirtschaftlichen Bedeutung als Lieferung der Pflanzen anzusehen.
Herkunftsnachweise nach § 10 Ökostromgesetz 2012, BGBl. I Nr. 75/2011, und RECS Zertifikate: Die steuerbare Übertragung von Herkunftsnachweisen nach § 10 Ökostromgesetz 2012, BGBl. I Nr. 75/2011, und RECS Zertifikaten stellt eine sonstige Leistung dar, die unter § 3a Abs. 6 bzw. Abs. 14 UStG 1994 (bis 31.12.2009: § 3a Abs. 10 UStG 1994 - Katalogleistung) fällt. Sie ist nicht gemäß § 6 Abs. 1 Z 8 UStG 1994 steuerbefreit.
Leasing: Kommt es im Rahmen eines Leasingvertrags zur Verschaffung der Verfügungsmacht an den Leasingnehmer, liegt eine Lieferung vor. Eine Lieferung liegt bei einem Standard-Mietvertrag mit Kaufoption nur vor, wenn aufgrund der finanziellen Vertragsbedingungen davon ausgegangen werden kann, dass, wenn der Vertrag bis zum Ende seiner Laufzeit geführt wird, die Optionsausübung zum gegebenen Zeitpunkt als einzig wirtschaftlich rationale Möglichkeit für den Leasingnehmer erscheint (vgl. EuGH 4.10.2017, Rs C-164/16 , Mercedes-Benz Financial Services UK Ltd; VwGH 30.4.2019, Ra 2017/15/0071).
Erfolgte die Zurechnung bei vor dem 1.1.2021 abgeschlossenen Leasingvertragen nach einkommensteuerlichen Grundsätzen, gilt Folgendes: Ist das Leasinggut nach einkommensteuerlichen Grundsätzen (EStR 2000 Rz 135 ff) dem Leasinggeber zuzurechnen, liegt eine sonstige Leistung, ist es dem Leasingnehmer zuzurechnen, liegt eine Lieferung vor (zum Vorliegen einer missbräuchlichen Praxis siehe Rz 1802a).
Meinungsumfrage: Die Überlassung von schriftlich dargestellten Ergebnissen einer Meinungsumfrage auf dem Gebiet der Marktforschung ist eine sonstige Leistung, weil die Weitergabe von Informationen im Vordergrund steht (BStBl II 1974, 259).
Reparaturen oder Verbesserungsarbeiten in Verbindung mit Lieferungen: Wird der Liefergegenstand vor dem Liefervorgang noch repariert oder verbessert, liegt eine einheitliche Leistung vor, die als Lieferung zu qualifizieren ist (VwGH 27.2.1990, 89/14/0197; VwGH 16.4.1991, 90/14/0012; VwGH 22.4.1998, 95/13/0144).
Restaurationsumsätze: Restaurationsumsätze sind als sonstige Leistung anzusehen (EuGH 02.05.1996, Rs C-231/94 , Faaborg - Gelting Linien A/S), siehe näher Rz 641e und Art. 6 VO (EU) 282/2011 , ABl. Nr. L 77 vom 23.03.2011 S. 1.
Software-Überlassung: Beim Verkauf von Standard-Software auf Diskette oder anderen Datenträgern liegt eine Lieferung vor (siehe auch Rz 642c). Bei der Überlassung nicht standardisierter Software, die speziell nach den Anforderungen des Anwenders erstellt wird oder die eine vorhandene Software den Bedürfnissen des Anwenders individuell anpasst, liegt eine sonstige Leistung vor. Auch die Übertragung von Standard-Software auf elektronischem Weg (zB Internet) ist eine sonstige Leistung.
Vertrag über die Verwaltung von Tankkarten: Bei der Verrechnung von Treibstoff unter Verwendung von Tankkarten durch einen Mineralölunternehmer an einen Unternehmer, der im Rahmen einer Vereinbarung über die Verwaltung von Tankkarten für den unmittelbaren Verwender der Tankkarte, Tankkarten lediglich organisiert und verwaltet, kommt es einerseits zu einer Lieferung von Treibstoff des Mineralölunternehmers an den unmittelbaren Verwender der Tankkarte sowie andererseits zu einer Dienstleistung des die Verwaltung der Tankkarten ausführenden Unternehmers an den unmittelbaren Verwender der Tankkarte. Diese Dienstleistung kann unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Z 8 lit. a UStG 1994 steuerfrei sein (vgl. EuGH 15.5.2019, C-235/18 , Vega International Car Transport and Logistic).
Bei Tankkartenverträgen, die den Einkauf und Verkauf von Treibstoffen regeln, ist hingegen von einer Lieferung in der Reihe auszugehen.
Theaterkarten: Der Verkauf durch den Betreiber eines Theaters ist noch keine Leistung. Diese wird erst durch die Theateraufführung erbracht. Zu den Gutscheinen siehe Rz 4. Zur Anzahlungsbesteuerung siehe Rz 2607.
Tonträger (Compact Discs, Musikkassetten, Schallplatten): Der Verkauf eines Tonträgers im Einzelhandel an einen Letztverbraucher ist eine Lieferung. Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn die Übertragung eines Rechtes der wesentliche wirtschaftliche Gehalt des Leistungsaustausches wäre:
Beispiel:
Der Unternehmer A verkauft dem Betreiber eines Rundfunkunternehmens R Tonträger mit Musik, die A selbst aufgenommen hat. A räumt dem R das Werknutzungsrecht ein, die Musikaufnahmen bei seinen Rundfunksendungen zu verbreiten, sowie die Tonträger bei Bedarf zu vervielfältigen. Der wesentliche wirtschaftliche Gehalt der Leistungen des A besteht in der Einräumung von Werknutzungsrechten im Sinne von §§ 24, 26 und 27 Urheberrechtsgesetz, BGBl. Nr. 111/1936. A hat daher eine sonstige Leistung erbracht, die unter § 3a Abs. 6 bzw. Abs. 14 Z 1 UStG 1994 (bis 31.12.2009: § 3a Abs. 10 Z 1 UStG 1994 - Katalogleistung) fällt (VwGH 05.06.1963, 1870/61).
Treibhausgasemissionszertifikate: Die steuerbare Übertragung von Treibhausgasemissionszertifikaten iSd Richtlinie 2003/87/EG stellt eine sonstige Leistung dar, die unter § 3a Abs. 6 bzw. Abs. 14 UStG 1994 fällt (EuGH 8.12.2016, Rs C-453/15 , A und B).
Sie ist nicht gemäß § 6 Abs. 1 Z 8 UStG 1994 steuerbefreit.
Verlagsvertrag: Übergibt ein Autor dem Verleger ein Manuskript und räumt er diesem ein Werknutzungsrecht (§§ 24 und 26 Urheberrechtsgesetz, BGBl. Nr. 111/1936) daran ein, liegt im Unterschied zum Bücherverkauf eine sonstige Leistung vor, die unter § 3a Abs. 6 bzw. Abs. 14 Z 1 UStG 1994 (bis 31.12.2009: § 3a Abs. 10 Z 1 UStG 1994 - Katalogleistung) fällt, weil die Einräumung dieses Rechtes im Vordergrund steht (VwGH 29.06.1959, 2466/57; VwGH 15.09.1986, 84/15/0186, 84/15/0187).
Viehmastgeschäfte: Übernimmt ein Landwirt die Tiere eines anderen Landwirtes zur Auffütterung, so ist die Erzielung eines Masterfolges (sonstige Leistung) und nicht die Lieferung von Futter als Leistungsinhalt anzusehen.
Wildabschuss: Die dem Leistungsempfänger vom Unternehmer eingeräumte Möglichkeit, in einem dem Unternehmer gehörigen Gatterrevier Wild abzuschießen und sich die Trophäe sowie das Fleisch des Wildes zuzuwenden, ist eine einheitliche Leistung. Je nachdem, ob die Überlassung des Fleisches samt Trophäe einerseits oder das Dulden der Jagd und des Abschusses andererseits als Leistungsinhalt überwiegt, liegt eine Lieferung oder sonstige Leistung vor. Ist der Verkehrswert der Trophäen und des ebenso überlassenen Fleisches niedriger als die Hälfte des vom Jagdgast aufzuwendenden Entgeltes, liegt eine sonstige Leistung vor (VwGH 14.03.1980, 2045/79; VwGH 13.05.1982, 81/15/0013), die unter § 3a Abs. 9 UStG 1994 (Grundstücksort; bis 31.12.2009: § 3a Abs. 6 UStG 1994) fällt.
Zeitschriftenherstellung: Die Herstellung von Zeitschriften unter Bereitstellung von Text und Bildmaterial durch den Auftraggeber ist als Lieferung von Zeitschriften zu behandeln.