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Qualifikationskonflikte auf Grund des Artikels 3 Abs. 2 DBA

BMFBMF-010221/1607-IV/4/201021.6.20102010

EAS 3167

EAS 2900 befasste sich mit einem Fall, in dem Abgabepflichtige aus Deutschland nach Österreich zuzogen und Beteiligungen an deutschen Kapitalgesellschaften zur Aufrechterhaltung der steuerlichen "Verstrickung" in Deutschland in eine deutsche GmbH&Co KG eingebracht haben. EAS 2900 bringt zum Ausdruck, dass nach österreichischem innerstaatlichem Recht durch die Beteiligung an dieser deutschen vermögensverwaltenden KG für die Abgabepflichtigen keine deutsche Betriebstätte gegeben ist. Folglich sind die Einkünfte aus der deutschen Kapitalbeteiligung gemäß Art. 10 DBA-Deutschland steuerlich den in Österreich ansässig gewordenen Abgabepflichtigen zuzurechnen. Wenn allerdings nach der im deutschen innerstaatlichen Recht verwurzelten "Geprägetheorie" die deutsche GmbH der KG ein gewerbliches Gepräge gibt und damit das Entstehen einer die Beteiligung haltenden deutschen Betriebstätte für den KG-Gesellschafter verbunden ist, dann kann Deutschland nicht entgegengetreten werden, wenn es auf der Grundlage von Artikel 3 Abs. 2 DBA-Deutschland nach Artikel 7 das Besteuerungsrecht an den Dividendenausschüttungen und am Wertzuwachs in Anspruch nimmt. Denn das Abkommen selbst enthält keine Anweisungen, unter welchen Gegebenheiten die Beteiligung an einer Personengesellschaft zu einer anteiligen Betriebstätte führt, sodass - soweit dies zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung erforderlich ist - diese "Lücke" zutreffenderweise durch innerstaatliches deutsches Recht gefüllt werden darf.

Nimmt aber Deutschland solcherart in Übereinstimmung mit dem Abkommen ein Besteuerungsrecht in Anspruch, dann verpflichtet dies Österreich gemäß Artikel 23 Abs. 2 des Abkommens zur Steuerfreistellung (EAS 2900 vom 29.10.2007; siehe auch EAS 1441, EAS 2062, EAS 2571, EAS 2185, EAS 2646 zur Lösung derartiger Qualifikationskonflikte).

Diese in EAS 2900 in Bezug auf die Einbringung einer deutschen Kapitalbeteiligung angestellten Überlegungen müssen zwangsläufig in gleicher Weise gelten, wenn in die deutsche KG eine Beteiligung an einer österreichischen Kapitalgesellschaft eingebracht wurde. Wohl liegt in einem solchen Fall - anders als im Fall einer eingebrachten deutschen Kapitalbeteiligung - in Anwendung des österreichischen Rechts kein grenzüberschreitender Dividendenfluss mehr vor, weil nach österreichischem Recht die Gewinnausschüttungen der österreichischen Kapitalgesellschaft im Wege der vermögensverwaltenden deutschen KG dem in Österreich ansässig gewordenen Abgabepflichtigen zugerechnet werden. Aus österreichischer Sicht geht es daher um einen rein innerösterreichischen Dividendenfluss, der nicht von Artikel 10 erfasst sein kann. Allerdings trifft Österreich auch in diesem Fall eine Entlastungsverpflichtung, die sich unmittelbar aus Artikel 23 Abs. 2 lit. a des Abkommens herleitet. Denn nach dieser Vorschrift ist Österreich zur Steuerfreistellung verpflichtet, wenn

1. die Kapitalerträge nach diesem Abkommen in der Bundesrepublik Deutschland besteuert werden dürfen und wenn

2. kein Anwendungsfall der lit. b oder c vorliegt.

Das Vorliegen von Anwendungsfällen der lit. b und c scheidet im gegenständlichen Fall begrifflich aus. Wenn aber Deutschland - trotz des Qualifikationskonfliktes - die Gewinne einer auf deutschem Gebiet bestehenden Personengesellschaftsbetriebstätte besteuert, so kann darin - wie oben dargelegt - keine Verletzung des Abkommens gesehen werden; folglich ist die für die Steuerfreistellung in Österreich geforderte Voraussetzung erfüllt, dass Deutschland "nach diesem Abkommen die Einkünfte besteuern darf". Dies folgt aus den vorzitierten EAS und beruht zudem auf den Regelungen zur Lösung von Qualifikationskonflikten in Z 32.1 ff des OECD-Kommentars zu Artikel 23 OECD-MA. Hierbei kann es keinen Unterschied machen, ob die deutschen Betriebstättengewinne aus deutschen, drittstaatlichen oder österreichischen Quellen stammen.

Die hier besprochene und von Artikel 23 getragene Konfliktlösung gilt aber nur für einen Qualifikationskonflikt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass er sich aus der Anwendung von Artikel 3 Abs. 2 des Abkommens und der darin enthaltenen Verweisung auf innerstaatliches Recht ergibt. Ein solcher Qualifikationskonflikt ist eine geradezu zwangsläufige Folge, wenn das innerstaatliche Recht in den beiden Staaten unterschiedlich ist (hier: Betrieblichkeit der KG nach deutschem Recht; Vermögensverwaltungscharakter der KG nach österreichischem Recht). Ein solcher Konflikt wird sonach nicht durch eine unterschiedliche Abkommensinterpretation, sondern durch unterschiedliches und nicht im Auslegungsweg harmonisierbares nationales Recht verursacht. Die Abkommensinterpretation selbst weist keine Divergenz auf, denn beide Staaten sehen einvernehmlich die Anwendbarkeit von Artikel 3 Abs. 2 für gegeben an.

Von dieser Art eines Qualifikationskonfliktes ist jene zu unterscheiden, die Qualifikationskonflikte betrifft, deren Ursache nicht in unterschiedlichem nationalem Recht, sondern in einer unterschiedlichen Abkommensinterpretation liegt. Solche Qualifikationskonflikte sind nicht durch Artikel 3 Abs. 2 verursacht und führen daher nicht zu einer automatischen Freistellungsverpflichtung im Ansässigkeitsstaat. Vielmehr muss - erforderlichenfalls im Wege eines Verständigungsverfahrens - eine übereinstimmende Abkommensauslegung gefunden werden. Die Frage der Wirtschaftsgutzurechnung zu Betriebstätten ist seit Veröffentlichung des OECD Reports on the Attribution of Profits to Permanent Establishments (AOA, Authorized OECD Approach) zu einer Frage geworden, die vorrangig auf der Grundlage dieses Reports und damit auf der Grundlage des Abkommens und nicht mehr auf der Grundlage des innerstaatlichen Rechts zu lösen ist. Unterschiedliche Auffassungen über den Inhalt dieses Reports führen zu einer divergierenden Abkommensauslegung (hier: von Artikel 7) und bedürfen daher einer Harmonisierung; fehlender Gleichklang bei der Abkommensauslegung und ein dadurch verursachter Qualifikationskonflikt kann nicht dazu führen, dass der Ansässigkeitsstaat gleichsam automatisch nach Artikel 23 zu einem Besteuerungsverzicht verpflichtet wird.

Sollte daher eine österreichische Abgabenbehörde zu der Auffassung gelangen, dass Deutschland die Beteiligung an der österreichischen Kapitalgesellschaft nicht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des AOA und daher nicht in Übereinstimmung mit Artikel 7 (hier: fehlender funktionaler Zusammenhang mit den unternehmerischen Funktionen der KG) der deutschen KG zurechnen darf und sollte aus diesem Grund die Steuerberechtigung Deutschlands infolge einer unterschiedlichen Auslegung des AOA und damit von Artikel 7 bestritten werden, dann bestünde nach Artikel 23 Abs. 2 lit. a DBA-Deutschland keine Verpflichtung auf österreichischer Seite, die Gewinnausschüttung von der Kapitalertragsteuer freizustellen. Gegebenenfalls könnte zur Lösung eines solchen Qualifikationskonflikts ein Verständigungsverfahren mit Deutschland geführt werden.

Liegt allerdings ein deutscher Besteuerungsnachweis und damit eine eindeutige Bestätigung darüber vor, dass auf deutscher Seite eine Zurechnung der Kapitalbeteiligung zu der - nach deutschem Steuerrecht bestehenden - deutschen Personengesellschaftsbetriebstätte vorgenommen wird, dann spräche dies dafür, dass auf österreichischer Seite korrespondierend dazu vorgegangen werden sollte. Denn andernfalls würde auf österreichischer Seite eine internationale Doppelbesteuerung ausgelöst werden, die nicht zu rechtfertigen wäre, wenn keine triftigen Gründe vorliegen, die deutsche Beurteilung auf der Grundlage des AOA ernstlich in Zweifel zu ziehen.

Die erwähnte korrespondierende Vorgangsweise auf österreichischer Seite bedeutet allerdings nur, dass die AOA-Konformität der im deutschen Rechtsbereich erfolgten Zuordnung der Kapitalbeteiligung an die nach deutschem Recht bestehende deutsche Betriebstätte auch von Österreich anerkannt wird; sie bedeutet nicht, dass nun auch nach österreichischem Recht eine deutsche Betriebstätte anzunehmen wäre. Vielmehr ist damit lediglich der Weg wieder offen, den besonderen durch innerstaatliches Recht verursachten Qualifikationskonflikt nach dem Lösungsmechanismus des Artikels 23 zu beseitigen und daher angesichts der Besteuerung in Deutschland Freistellung vom Kapitalertragsteuerabzug in Österreich zu gewähren und damit eine internationale Doppelbesteuerung zu vermeiden; ein Ergebnis das jedenfalls dem Ziel und Zweck des Abkommens gerecht wird.

Bundesministerium für Finanzen, 21. Juni 2010

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

Art. 3 Abs. 2 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
Art. 10 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
Art. 7 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
Art. 23 Abs. 2 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
Art. 23 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002

Schlagworte:

Qualifikationskonflikte, Geprägetheorie, Verstrickung, AOA, Kapitalbeteiligungen, vermögensverwaltende KG

Verweise:

EAS 2900
EAS 1441
EAS 2062
EAS 2571
EAS 2185
EAS 2646

Stichworte