Zusatzinformationen | |
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Materie: | Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 48a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Amtshilfe, Steuergeheimnis, Vollmacht, Telefax, Verjährung, Mängelbehebung, Wiederaufnahme, Lohnzettel, Ermessen, Umsatzsteuervorauszahlungen, Bilanzbuchhalter, Feststellungsverfahren, Vertreterhaftung |
Verweise: | Art. 18 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 |
11. Haftung eines vom GmbH-Geschäftsführer bevollmächtigten Vertreters (§§ 9, 80, 83 BAO)
11.1. Sachverhalt
Bei Prüfungen von Umsatzsteuerbetrugsfällen (insbesondere bei sog. "missing traders") kommt es regelmäßig vor, dass als Geschäftsführer der GmbH, die die Umsatzsteuer nicht abführt, vermögenslose, teilweise inhaftierte oder unbekannten Aufenthalts sich befindende Personen im Firmenbuch eingetragen sind. Bei Einvernahmen stellt sich regelmäßig heraus, dass diese Personen von den Geschäften keine Ahnung haben und selbst nicht tätig wurden (maximal gelegentliche Unterschriftsleistungen). Aus den erhobenen Indizien lässt sich meistens nachweisen, wer tatsächlich die Geschäfte tätigt und letztlich das Geld kassiert hat.
Wenn aus den Einvernahmen eine Vollmachtserteilung nur durch konkludente Willenserklärung des eingetragenen Geschäftsführers nachweisbar wäre, kann dann diese tatsächlich handelnde Person (quasi der "de facto Geschäftsführer") neben dem eingetragen Geschäftsführer zur Haftung herangezogen werden?
11.2. Fragestellung
Abgrenzung zwischen de facto Geschäftsführer (siehe UFS vom 03.08.2005, RV-1238-W/04) vom gewillkürten Vertreter einer GmbH (§ 83 BAO, siehe Stoll, BAO, Bd I, § 9, Seite 116).
Sollte eine konkludente Bevollmächtigung des tatsächlich tätigen "Geschäftsführers" nachweisbar sein, bestünde auch dieser Person gegenüber die Möglichkeit der Haftungsinanspruchnahme gemäß § 9 BAO.
11.3. Lösung
Ein "faktischer" Geschäftsführer ist nach dem GmbHG nicht zur Vertretung der Gesellschaft "berufen" und somit nicht als Vertreter im Sinn des § 80 BAO anzusehen, weshalb er nach § 9 Abs. 1 BAO auch nicht zur Haftung herangezogen werden könnte. Der zur Haftung herangezogene vertretungsbefugte (eingetragene handelsrechtliche bzw. "formelle") Geschäftsführer wird dadurch nicht von seiner Verantwortung frei, dass er seine abgabenrechtlichen Pflichten auf eine andere Person überträgt oder die Geschäftsführung faktisch anderen Personen zusteht. Für Abgabenschuldigkeiten einer GmbH sind somit zur Haftung nach § 9 Abs. 1 BAO die in § 80 BAO angesprochenen Vertreter einer GmbH heranzuziehen. Gemäß § 18 GmbHG vertreten die Geschäftsführer die GmbH. Nicht zum Geschäftsführer bestellte oder dazu bevollmächtigte "faktische" Geschäftsführer werden durch das bloße Ausüben von Geschäftsführungstätigkeiten allein noch nicht zu Vertretern im Sinn des § 80 BAO (vgl. VwGH 27.02.2008, 2005/13/0084; VwGH 27.02.2008, 2005/13/0074).
Die Haftungsbestimmung des § 9 BAO erfasst die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter, somit grundsätzlich auch (rechtsgeschäftlich) bevollmächtigte Vertreter im Sinn des § 83 BAO. Der Geschäftsführer als gesetzlicher (organschaftlicher) Vertreter der Gesellschaft kann einem Dritten Prokura oder Handlungsvollmacht gemäß den §§ 48 ff UGB erteilen und diesen damit zu allen Geschäften und Rechtshandlungen ermächtigen, die der Betrieb des Unternehmens oder die Vornahme derartiger Geschäfte, auf die sich die Handlungsvollmacht erstreckt, gewöhnlich mit sich bringt. Zum Unterschied von der Prokura muss eine Handlungsvollmacht auch nicht im Firmenbuch eingetragen sein. Nach zivilrechtlichen Bestimmungen (§§ 1002 ff ABGB) kann eine Bevollmächtigung schriftlich, mündlich oder auch schlüssig erteilt werden. Der auf eine solche Art und Weise durch den formell bestellten (und in dieser Eigenschaft vorrangig zur Haftung heranzuziehenden) Geschäftsführer tatsächlich und rechtlich Bevollmächtigte wäre ein nach § 83 BAO potenziell haftungspflichtiger Vertreter der Gesellschaft.
Der Oberste Gerichtshof hat in seine Entscheidung des OGH 17.12.2007, 8 Ob 124/07d, ausgesprochen, dass auch ein de-facto-Geschäftsführer verpflichtet ist, auf eine Konkursantragstellung gemäß § 69 Abs. 2 und 3 KO hinzuwirken. Unterlässt er dies, so führt dies zu seiner (Mit-)Haftung gegenüber den Gläubigern (Anm.: Der gesetzliche Wortlaut würde hier - zum Unterschied von § 9 BAO - nur die organschaftlichen Vertreter juristischer Personen ansprechen). Die insolvenzrechtliche Zielsetzung ist mit der abgabenrechtlichen Situation durchaus vergleichbar: § 69 Abs. 2 und 3 KO verpflichtet Vertreter juristischer Personen zur Antragstellung auf Konkurseröffnung bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 66, 67 KO) spätestens 60 Tage nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Bei Verletzung dieser Verpflichtung können die Konkursgläubiger gemäß § 69 Abs. 5 KO Schadenersatzansprüche geltend machen. Auch die Haftungsbestimmungen der BAO sind ihrem Wesen nach schadenersatzähnlich ausgerichtet auf durch Haftende verursachte Abgabenausfälle.
Ist eine konkludente Bevollmächtigung des tatsächlich tätigen "Geschäftsführers" nachweisbar, so besteht die Möglichkeit der Haftungsinanspruchnahme gemäß § 9 BAO gegenüber einem solcherart Bevollmächtigten.
Bundesministerium für Finanzen, 28. Oktober 2008
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Materie: | Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 48a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Amtshilfe, Steuergeheimnis, Vollmacht, Telefax, Verjährung, Mängelbehebung, Wiederaufnahme, Lohnzettel, Ermessen, Umsatzsteuervorauszahlungen, Bilanzbuchhalter, Feststellungsverfahren, Vertreterhaftung |
Verweise: | Art. 18 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 |