VwGH 2013/21/0033

VwGH2013/21/003311.6.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des HK in W, vertreten durch Dr. Christa Scheimpflug, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Erdberger Lände 6/27, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 13. Dezember 2012, Zl. Senat-FR-12-0123, betreffend Festnahme und Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt I. insoweit, als er die zugrunde liegende Administrativbeschwerde in den Punkten Schubhaftverhängung und Anhaltung in Schubhaft abweist und in Bezug auf den Fortsetzungsausspruch nach § 83 Abs. 4 Satz 1 FPG sowie im Spruchpunkt II. (Kostenentscheidung) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen (Abweisung der Administrativbeschwerde im Punkt Festnahme) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste im November 2009 in das Bundesgebiet ein und beantragte die Gewährung von internationalem Schutz. Die mit einer Ausweisung nach Indien verbundene Abweisung dieses Antrages erwuchs mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 17. August 2010 in Rechtskraft.

Erstmals am 15. November 2010 wurde im Wege der (die Eingabe am 25. November 2010 weiterleitenden) Bundesministerin für Inneres bei der Botschaft Indiens um Ausstellung eines Heimreisezertifikates angesucht, weil der Beschwerdeführer weder über einen Reisepass noch über ein anderes Ausweisdokument verfügte. Hierauf ist nach der Aktenlage keine Reaktion der genannten Botschaft erfolgt.

Am 29. Juli 2012 wurde der (unangemeldet) im Bundesgebiet verbliebene Beschwerdeführer polizeilich angehalten und gemäß § 39 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG festgenommen.

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 30. Juli 2012 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung (kurz: BH.) gegen den Beschwerdeführer "gemäß § 76 Abs. 2 Abs. 1 FPG" die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung (§ 46 FPG). Begründend verwies sie auf die Beendigung des Asylverfahrens und die Rechtskraft der gegenüber dem Beschwerdeführer erlassenen Ausweisung. Der Sicherungsbedarf ergebe sich daraus, dass der mittellose und über "keinen ordentlichen Wohnsitz" verfügende Beschwerdeführer keine Angehörigen im Bundesgebiet habe und eine Ausreise mangels gültigen Reisedokumentes aus eigenem Entschluss und auf legalem Weg nicht möglich sei. Durch Anwendung gelinderer Mittel könnte der Zweck der Schubhaft nicht erreicht werden.

Noch am 30. Juli 2012 beantragte die BH. neuerlich im Wege der Bundesministerin für Inneres, welche die Eingabe unter Hinweis auf frühere in dieser Angelegenheit ergangene Noten vom 25. November 2010, 17. Jänner 2011, 29. März 2011, 27. Juni 2011, 9. August 2011 und 25. Oktober 2011 dann am 7. August 2012 weiterleitete, bei der Botschaft Indiens die Ausstellung eines Heimreisezertifikates. Dieses wurde am 2. November 2012 urgiert. Eine Reaktion der indischen Botschaft ist dennoch unterblieben.

Am 3. Oktober 2012 äußerte sich der niederschriftlich befragte Beschwerdeführer dahin, dass die indische Botschaft, wie dies auch die Fremdenpolizei wisse, "keinen Reisepass ausstellen wird", obgleich er stets richtige Angaben zu seiner Identität gemacht habe.

Am 8. November 2012 nahm der Beschwerdeführer niederschriftlich zur Kenntnis, dass noch kein Heimreisezertifikat eingelangt sei und "dass die Dauer der Schubhaft gemäß § 80 Abs. 6 FPG weiterhin aufrecht erhalten wird, bis ein Heimreisezertifikat … eingelangt ist und (die) Abschiebung durchgeführt werden kann".

Mit Bescheid vom 29. November 2012 stellte die belangte Behörde nach amtswegiger Überprüfung der Schubhaft gemäß § 80 Abs. 7 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei. Begründend führte sie unter anderem aus, der Antrag auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates vom 15. November 2010 befinde sich "nach wie vor im offenen Verfahrensstand". Es seien regelmäßig Nachfragen erfolgt, die zu Mitteilungen der Bundesministerin für Inneres geführt hätten, dass "seitens der indischen Behörden" keine Informationen übermittelt worden seien.

Dieser Bescheid vom 29. November 2012 wurde mit hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2013/21/0024, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Am 10. Dezember 2012 hatte der Beschwerdeführer eine Administrativbeschwerde an die belangte Behörde erhoben, in der er - unter anderem - darauf verwies, dass das Bemühen der Behörde um Erlangung eines Heimreisezertifikates schon im Zeitpunkt seiner Festnahme (am 29. Juli 2012) seit dem Jahr 2010, also damals bereits seit eineinhalb Jahren, erfolglos gewesen sei. Auch künftig sei die Ausstellung eines solchen nicht zu erwarten, zumal erkennbare Fortschritte während seiner Anhaltung nicht ersichtlich seien, sodass sich die Schubhaft insgesamt als nicht notwendig erweise. Bereits die Anwendung gelinderer Mittel wäre ausreichend gewesen, weil er stets mit der Fremdenpolizei kooperativ zusammengearbeitet habe. Er beantrage, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen und die Festnahme sowie die Anordnung der Schubhaft und seine Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13. Dezember 2012 wies die belangte Behörde diese Beschwerde - ohne die beantragte mündliche Verhandlung durchzuführen - gemäß § 83 FPG ab und stellte fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

Begründend führte sie nach Darstellung des Verfahrens, der Rechtslage und des erwähnten Bescheides vom 29. November 2012 aus, dass der Sicherungsbedarf zu bejahen sei. Der Beschwerdeführer verfüge nämlich über keine familiären, sozialen oder - rechtmäßig -

beruflichen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Auch sei er eineinhalb Jahre hindurch, nach Scheitern seines Asylverfahrens, ohne polizeiliche Meldung in Österreich verblieben, also bereits faktisch untergetaucht. Dies rechtfertige die Prognose, dass er sich künftigen Verfahren entziehen könnte, was auch die Anwendung gelinderer Mittel ausschließe. Die Schubhaft dauere noch nicht unverhältnismäßig lange an, sodass die Voraussetzungen für ihre Fortsetzung vorlägen. "Bestrebungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikates" lägen vor. Das Beschwerdevorbringen, die Behörde bemühe sich seit 2010 erfolglos um ein solches Dokument, sei "aktenmäßig nicht nachvollziehbar", auch sei der Beschwerdeführer "in diesem Zeitraum untergetaucht." Änderungen der Sach- und Rechtslage seit der Entscheidung vom 29. November 2012 seien nicht eingetreten. Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung habe gemäß § 83 Abs. 2 Z 1 FPG unterbleiben können.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zu der bei Beurteilung der Durchführbarkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers unterlaufenen Rechtswidrigkeit wird auf die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2013/21/0024, verwiesen, denen im vorliegenden Zusammenhang ebenso Bedeutung zukommt.

Hier ist der belangten Behörde zudem, soweit sie unterstellt, es sei "aktenmäßig nicht nachvollziehbar", dass sich die Behörde seit 2010 erfolglos um die Erlangung eines Heimreisezertifikates bemüht habe, ein Irrtum unterlaufen, geht eine derartige Korrespondenz mit der Vertretungsbehörde Indiens doch bereits aus dem oben erwähnten aktenkundigen Schriftverkehr und aus den Feststellungen im genannten Bescheid der belangten Behörde vom 29. November 2012 hervor.

Unter Berücksichtigung der von den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unterschiedlich eingeschätzten administrativen Praxis der Botschaft Indiens betreffend die Ausstellung von Heimreisezertifikaten hätte die belangte Behörde zudem nicht im Sinn des § 83 Abs. 2 Z 1 FPG von einem geklärten Sachverhalt ausgehen und von der beantragten mündlichen Verhandlung absehen dürfen. Die gesetzlich gebotene mündliche Verhandlung kann auch nicht deswegen unterbleiben, weil die belangte Behörde ihre Durchführung, wie sie in ihrer Gegenschrift ausführt, innerhalb der Entscheidungsfrist für "faktisch unmöglich" hält (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. August 2012, Zl. 2010/21/0291).

Die nach § 39 Abs. 1 Z 1 FPG vorgenommene Festnahme des Beschwerdeführers, gegen die in der vorliegenden Beschwerde auch nichts vorgebracht wird, ist hingegen nicht zu beanstanden. Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung der Administrativbeschwerde im Punkt dieser Festnahme richtet, war sie daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Im Übrigen ist der angefochtene Bescheid nach dem Gesagten hingegen mit - vorrangig wahrzunehmender - inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet, weshalb er insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die verzeichnete Umsatzsteuer in der Pauschalierung der genannten Verordnung bereits enthalten ist.

Wien, am 11. Juni 2013

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