Normen
FrPolG 2005 §46;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §80 Abs4 Z2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §80 idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
FrPolG 2005 §46;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §80 Abs4 Z2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §80 idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste im November 2009 in das Bundesgebiet ein und beantragte die Gewährung von internationalem Schutz. Die mit einer Ausweisung nach Indien verbundene Abweisung dieses Antrages erwuchs mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 17. August 2010 in Rechtskraft.
Erstmals am 15. November 2010 wurde im Wege der (die Eingabe am 25. November 2010 weiterleitenden) Bundesministerin für Inneres bei der Botschaft Indiens um Ausstellung eines Heimreisezertifikates angesucht, weil der Beschwerdeführer weder über einen Reisepass noch über ein anderes Ausweisdokument verfügte. Hierauf ist nach der Aktenlage keine Reaktion der genannten Botschaft erfolgt.
Am 29. Juli 2012 wurde der (unangemeldet) im Bundesgebiet verbliebene Beschwerdeführer polizeilich angehalten und gemäß § 39 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG festgenommen.
Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 30. Juli 2012 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung (kurz: BH) gegen den Beschwerdeführer "gemäß § 76 Abs. 2 Abs. 1 FPG" die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung (§ 46 FPG). Begründend verwies sie auf die Beendigung des Asylverfahrens und die Rechtskraft der gegenüber dem Beschwerdeführer erlassenen Ausweisung. Der Sicherungsbedarf ergebe sich daraus, dass der mittellose und über "keinen ordentlichen Wohnsitz" verfügende Beschwerdeführer keine Angehörigen im Bundesgebiet habe und eine Ausreise mangels gültigen Reisedokumentes aus eigenem Entschluss und auf legalem Weg nicht möglich sei. Durch Anwendung gelinderer Mittel könnte der Zweck der Schubhaft nicht erreicht werden.
Noch am 30. Juli 2012 beantragte die BH neuerlich im Wege der Bundesministerin für Inneres, welche die Eingabe unter Hinweis auf frühere in dieser Angelegenheit ergangene Noten vom 25. November 2010, 17. Jänner 2011, 29. März 2011, 27. Juni 2011, 9. August 2011 und 25. Oktober 2011 dann am 7. August 2012 weiterleitete, bei der Botschaft Indiens die Ausstellung eines Heimreisezertifikates. Dieses wurde am 2. November 2012 urgiert. Eine Reaktion der indischen Botschaft ist dennoch unterblieben.
Am 3. Oktober 2012 äußerte sich der niederschriftlich befragte Beschwerdeführer dahin, dass die indische Botschaft, wie dies auch die Fremdenpolizei wisse, "keinen Reisepass ausstellen wird", obgleich er stets richtige Angaben zu seiner Identität gemacht habe.
Am 8. November 2012 nahm der Beschwerdeführer niederschriftlich zur Kenntnis, dass noch kein Heimreisezertifikat eingelangt sei und "dass die Dauer der Schubhaft gemäß § 80 Abs. 6 FPG weiterhin aufrecht erhalten wird, bis ein Heimreisezertifikat … eingelangt ist und (die) Abschiebung durchgeführt werden kann".
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. November 2012 stellte die belangte Behörde nach amtswegiger Überprüfung der Schubhaft gemäß § 80 Abs. 7 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei.
Begründend führte sie nach Wiedergabe des Verfahrensganges und Darstellung der Rechtslage aus, aus dem e-mail Verkehr mit der Bundesministerin für Inneres ergebe sich unter anderem, der Antrag auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates vom 15. November 2010 befinde sich "nach wie vor im offenen Verfahrensstand". Es seien regelmäßig Nachfragen erfolgt, die zu Mitteilungen der Bundesministerin für Inneres geführt hätten, dass "seitens der indischen Behörden" keine Informationen übermittelt worden seien. Die Voraussetzungen des § 80 Abs. 4 Z 2 FPG (Fehlen der die Abschiebung ermöglichenden für die Ein- oder Durchreise erforderlichen Bewilligung eines anderen Staates) seien demnach erfüllt. Die Schubhaft könne somit über den Zeitraum von vier Monaten hinaus andauern. Auf Basis des im Bescheid vom 30. Juli 2012 angenommenen Sachverhalts (insbesondere des Fehlens einer sozialen Verankerung) könne der Fremdenpolizei auch nicht entgegengetreten werden, wenn sie kein gelinderes Mittel in Betracht gezogen und die Schubhaft für notwendig erachtet habe, um zu verhindern, dass sich der Beschwerdeführer dem behördlichen Zugriff entziehe.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage seitens der belangten Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 80 FPG regelt die Dauer der Schubhaft. Diese Vorschrift lautet in der Fassung des FrÄG 2011 auszugsweise wie folgt:
"Dauer der Schubhaft
§ 80. (1) Die Behörde ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf grundsätzlich
1. zwei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen verhängt wird;
2. vier Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, verhängt wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.
(3) ...
(4) Kann oder darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden,
1. weil die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit nicht möglich ist oder
2. weil die für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt oder
3. weil er die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von einem Jahr nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden, es sei denn, die Nichtvornahme der Abschiebung ist dem Verhalten des Fremden zuzurechnen. In diesen Fällen darf der Fremde wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von 18 Monate nicht länger als 10 Monate in Schubhaft angehalten werden. Gleiches gilt, wenn die Abschiebung dadurch gefährdet erscheint, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen hat. Ebenso kann die Schubhaft, die gemäß § 76 Abs. 2 verhängt wurde, länger als sechs Monate in einem Jahr, aber nicht länger als 10 Monate in 18 Monaten aufrechterhalten werden.
(5) …
(6) Die Behörde hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 82 Abs. 1 Z 3 anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.
(7) Soll der Fremde länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom örtlich zuständigen unabhängigen Verwaltungssenat von Amts wegen zu überprüfen. Die Behörde hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass den unabhängigen Verwaltungssenaten eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Dabei hat sie darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Der unabhängige Verwaltungssenat hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
(8) Die Behörde hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen."
Die ErläutRV (952 BlgNR 22. GP 105 f) halten bereits zur Stammfassung der zitierten Bestimmung, in der noch eine grundsätzliche Höchstdauer von 2 Monaten normiert war, auszugsweise Folgendes fest:
"In Abs. 1 wird den Fremdenpolizeibehörden auferlegt, auf eine Minimierung der Schubhaftdauer hinzuwirken und sodann die maximale Haftdauer auf grundsätzlich zwei Monate beschränkt. Jedenfalls ist die Schubhaft unabhängig von ihrer bisherigen Dauer aufzuheben, wenn sie für die Erreichung des Haftzweckes nutzlos geworden ist. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn - bereits nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung - eine Abschiebung aus faktischen oder rechtlichen Gründen auf Dauer oder auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist. …
In den Fällen des Abs. 4 wird eine Schubhaft länger als zwei Monate - grundsätzlich längstens sechs Monate - dauern. Die Voraussetzungen hiefür sind, dass eine Abschiebung nicht möglich ist, weil die Identität des Fremden nicht feststeht, die Einreise- oder Durchreisebewilligungen anderer Staaten nicht vorliegen oder der Fremde die Abschiebung durch Widerstand vereitelt. Ist der Grund für die bisherige Unmöglichkeit der Abschiebung dem Fremden - und nicht etwa der mangelnden Kooperationsbereitschaft einer ausländischen Botschaft - zuzurechnen, so kann die Schubhaft darüber hinaus zehn Monate in zwei Jahren aufrechterhalten werden. …"
Beim Beschwerdeführer lag der Tatbestand des Abs. 4 Z 2 der eben zitierten Vorschrift vor. Allerdings kann eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Anderenfalls erwiese sich die Schubhaft nämlich - auch im Sinne der wiedergegebenen Regierungsvorlage - als für die Erreichung des Haftzweckes (der Abschiebung) "nutzlos".
Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FPG ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Den erwähnten Verlängerungstatbeständen liegt freilich zu Grunde, dass die in Frage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0253, vom 23. Oktober 2008, Zl. 2006/21/0128, und vom 19. April 2012, Zl. 2009/21/0047, mwN).
Dass sich die belangte Behörde mit dieser Frage ausreichend auseinander gesetzt hätte, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Sie hat nämlich außer Acht gelassen, dass seit November 2010 zahlreiche Urgenzen durch die Bundesministerin für Inneres aktenkundig sind, die Vertretungsbehörde Indiens aber dessen ungeachtet untätig geblieben ist und sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass die baldige Ausstellung eines Heimreisezertifikates zu erwarten gewesen wäre. Dies bezog die belangte Behörde allerdings nicht in ihre Entscheidung mit ein, weil sie unzutreffend davon ausging, allein die regelmäßig von den Fremdenpolizeibehörden veranlassten Urgenzen böten - auch ohne Prognosebeurteilung im aufgezeigten Sinn - eine ausreichende Grundlage, um die (weitere) Anhaltung zu rechtfertigen. Daher traf die belangte Behörde auch keine Feststellungen zur möglichen Realisierbarkeit der Abschiebung innerhalb der zulässig verbleibenden Schubhaftdauer.
Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt, weshalb der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 11. Juni 2013
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