VwGH 2012/10/0174

VwGH2012/10/01749.12.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner sowie die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der S H in Salzburg, vertreten durch Dr. Christian Adam, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Sigmund-Haffner-Gasse 3, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 19. Juli 2012, Zl. 20301-SHB/251/2- 2012, betreffend Mindestsicherung, zu Recht erkannt:

Normen

AuslBG §32a Abs2;
AuslBG §32a;
MSG Slbg 2010 §4 Abs2 Z2;
NAG 2005 §51 Abs1 Z1;
NAG 2005 §52 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AuslBG §32a Abs2;
AuslBG §32a;
MSG Slbg 2010 §4 Abs2 Z2;
NAG 2005 §51 Abs1 Z1;
NAG 2005 §52 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit damit der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von bedarfsorientierter Mindestsicherung für die Monate April bis Juni 2012 abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Salzburg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 19. Juli 2012 hat die Salzburger Landesregierung u.a. den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von bedarfsorientierter Mindestsicherung für die Monate April bis Juni 2012 abgewiesen. Zur Begründung dieses Abspruches hat die belangte Behörde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführerin, eine rumänische Staatsangehörige, seit dem Jahr 2002 erlaubt in Österreich aufhalte. Es sei ihr jedoch keine Freizügigkeitsbestätigung gemäß § 32a Ausländerbeschäftigungsgesetz - AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975, bzw. Ausnahmebestätigung gemäß § 3 Abs. 8 leg. cit. ausgestellt worden. Nach der Auskunft des Arbeitsmarktservice Salzburg erfülle die Beschwerdeführerin auch nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung einer der genannten Bestätigungen. Gemäß § 4 Abs. 1 Salzburger Mindestsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 63/2010 (Sbg. MSG), hätten nur solche Personen Anspruch auf Mindestsicherungsleistungen, die zu einem dauernden Aufenthalt in Österreich berechtigt seien. Für EWR-Bürger aus Rumänien, die sich vor dem "01.0.12066" rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen hätten, sei als Nachweis eines derartigen Aufenthaltsrechts eine aufrechte Meldung und die Vorlage einer Freizügigkeitsbestätigung gemäß § 32a AuslBG bzw. einer Ausnahmebestätigung gemäß § 3 Abs. 8 leg. cit. erforderlich. Da die Beschwerdeführerin über derartige Bestätigungen nicht verfüge, sei ihr Antrag abzuweisen gewesen.

Über die nur gegen den die Mindestsicherungsleistung für die Monate April bis Juni 2012 versagenden Teil dieses Bescheides gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerdeführerin bringt insbesondere vor, über ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht als Angehörige zu verfügen, weil sie seit Juni 2002 erlaubt in Österreich lebe und seit September 2001 mit einem rumänischen Staatsbürger verheiratet sei, der im Zeitpunkt des EU-Beitritts Rumäniens am 1. Jänner 2007 im Besitz eines Niederlassungsnachweises gewesen sei und daher unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt habe. Auch ihr komme dieser unbeschränkte Zugang zum Arbeitsmarkt zu, sei sie doch bereits seit Dezember 2009 Arbeitnehmerin in Österreich, derzeit jedoch in Karenz.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

Die hier maßgeblichen Normen haben (auszugsweise) folgenden

Wortlaut:

Salzburger Mindestsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 63/2010 (Sbg. MSG), in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle LGBl. Nr. 57/2012:

"Persönliche Voraussetzungen

§ 4

(1) Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz haben vorbehaltlich Abs 3 nur Personen, die ihren Hauptwohnsitz oder mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Salzburg haben und zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind.

(2) Zum Personenkreis, die zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind, gehören:

  1. 1. österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger;
  2. 2. Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht gemäß den §§ 84 und 85 FPG 2005 oder gemäß den §§ 51 bis 54a und 57 NAG verfügen;

    3. Personen, mit einem Aufenthaltstitel

  1. a) 'Daueraufenthalt-EG' gemäß § 45 NAG,
  2. b) 'Familienangehöriger' gemäß § 47 Abs 2 NAG,
  3. c) 'Daueraufenthalt-Familienangehöriger' gemäß § 48 NAG,
  4. d) 'Daueraufenthalt-EG' eines anderen Mitgliedsstaates und einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 49 NAG;

    4. Personen, denen der Status des Asylberechtigten nach asylrechtlichen Bestimmungen zuerkannt worden ist.

    …"

    Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, idF BGBl. I Nr. 38/2011:

    "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht

    Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr

    als drei Monate

§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

  1. 1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
  2. 2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

    3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

    ...

    Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern

§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;

...

(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1."

Ausländerbeschäftigungsgesetz - AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975, in der hier maßgeblichen Fassung BGBl I Nr. 25/2011:

"Übergangsbestimmungen zur EU-Erweiterung

§ 32a. (1) Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die am 1. Jänner 2007 aufgrund des Vertrages über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (Beitrittsvertrag von Luxemburg), Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 157 vom 21. Juni 2005, Seite 11, der Europäischen Union beigetreten sind, genießen keine Arbeitnehmerfreizügigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 lit. l, es sei denn, sie sind Angehörige eines gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigten Staatsangehörigen eines anderen EWR-Mitgliedstaates gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 NAG.

(2) EU-Bürger gemäß Abs. 1 haben unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt, wenn sie

1. am Tag des Beitritts oder nach dem Beitritt rechtmäßig im Bundesgebiet beschäftigt sind und ununterbrochen mindestens zwölf Monate zum Arbeitsmarkt zugelassen waren oder

2. die Voraussetzungen für einen Befreiungsschein (§ 15) erfüllen oder

3. seit fünf Jahren im Bundesgebiet dauernd niedergelassen sind und über ein regelmäßiges Einkommen aus erlaubter Erwerbstätigkeit verfügen.

(3) Ehegatten und eingetragene Partner von EU-Bürgern gemäß Abs. 2 und deren Verwandte in gerader absteigender Linie, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und darüber hinaus, sofern ihnen von diesen Unterhalt gewährt wird, haben unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt, wenn sie mit diesen einen gemeinsamen rechtmäßigen Wohnsitz im Bundesgebiet haben.

(4) Das Recht auf unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt gemäß Abs. 2 und 3 ist von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zu bestätigen. Die Bestätigung ist vor Beginn der Beschäftigung einzuholen. Der Arbeitgeber hat eine Ausfertigung der Bestätigung im Betrieb zur Einsichtnahme bereitzuhalten. Die Bestätigung erlischt bei Ausreise aus dem Bundesgebiet aus einem nicht nur vorübergehenden Grunde.

..."

Mit der am 18. April 2013 in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 72/2013 wurde dieser Bestimmung folgender Abs. 12 angefügt:

"(12) Die Abs. 1 bis 9 sind auf Staatsangehörige der Republik Bulgarien und Rumäniens und auf Arbeitgeber mit Betriebssitz in diesen Mitgliedstaaten ab 1. Jänner 2014 nicht mehr anzuwenden. Ihnen nach diesem Bundesgesetz erteilte Berechtigungen oder Bestätigungen zur Arbeitsaufnahme verlieren mit Ablauf des 31. Dezember 2013 ihre Gültigkeit."

Die Beschwerdeführerin hat in der Berufung u.a. vorgebracht, seit Juni 2002 erlaubt in Österreich zu leben und seit September 2001 mit einem rumänischen Staatsbürger verheiratet zu sein. Aus der Ehe entstammten vier Kinder, für welche die Beschwerdeführerin nach dem Auszug ihres Mannes aus der Ehewohnung allein verantwortlich sei. Ihr Mann sei bis zum Zeitpunkt des EU-Beitritts Rumäniens am 1. Jänner 2007 im Besitz eines Niederlassungsnachweises gewesen und habe daher ab 2007 als EU-Bürger gemäß § 32a Abs. 2 AuslBG unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Dieses Recht komme auch der Beschwerdeführerin zu. Auf Grund der Kinderbetreuung und Haushaltsführung habe sie zwar nicht durchgehend einer Erwerbstätigkeit nachgehen können, dadurch werde ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht als Familienangehörige gemäß § 52 NAG aber nicht berührt.

Auf Grund dieses Vorbringens hätte sich die belangte Behörde damit auseinandersetzen müssen, ob dem Gatten der Beschwerdeführerin als rumänischen Staatsangehörigen gemäß § 32a Abs. 2 AuslBG unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt zukommt, was zur Folge hätte, dass ihm gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 NAG ein Aufenthaltsrecht auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie zukäme (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 2009, Zl. 2008/18/0763, wonach dieses Recht in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Grundfreiheit der Freizügigkeit von Arbeitnehmern steht und rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen während der Übergangsfrist von sieben Jahren ab 1. Jänner 2007 nur zukommt, wenn ihre Arbeitstätigkeit im Einklang mit § 32a AuslBG steht). Diesfalls käme gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 NAG auch der Beschwerdeführerin ein solches Recht zu, weshalb sie gemäß § 4 Abs. 2 Z 2 Sbg. MSG zum nach diesem Gesetz anspruchsberechtigten Personenkreis gehörte.

Da die belangte Behörde derartige Erhebungen unterlassen hat, war der angefochtene Bescheid in seinem Spruchpunkt 1. bereits deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das die Eingabengebühr gemäß § 24 Abs. 3 betreffende Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Beschwerdeführerin u.a. insoweit Verfahrenshilfe gewährt worden ist.

Wien, am 9. Dezember 2013

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte