VwGH 2011/23/0516

VwGH2011/23/051621.2.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des IB in W, vertreten durch Mag. Catherine Schleinzer-Fritz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Führichgasse 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 3. Februar 2009, Zl. E1/532.891/2008, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13a;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §41 Abs1;
AVG §13a;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 3. Februar 2009 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Die belangte Behörde hielt zunächst fest, dass der Beschwerdeführer, ein (angeblicher) Staatsangehöriger von Sierra Leone, dessen Identität mangels Vorliegens von Ausweisdokumenten nicht geklärt sei, am 24. Mai 1998 illegal nach Österreich eingereist sei und kurz darauf einen Asylantrag gestellt habe. Dieser Antrag sei - nach Aufhebung einer ersten negativen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof im Jahr 2000 - mit dem im fortgesetzten Verfahren ergangenen Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 5. September 2008 rechtskräftig abgewiesen worden. Der Beschwerdeführer verfüge über keine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz mehr, er halte sich somit unrechtmäßig im Bundesgebiet auf und könne gemäß § 53 Abs. 1 FPG ausgewiesen werden.

Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG ging die belangte Behörde auf Grund des langjährigen Inlandsaufenthalts des Beschwerdeführers von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in sein "Privat- und Familienleben" aus. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 EMRK genannten Ziele (hier zur Wahrung eines geordneten Fremdenwesens und zum Schutz der Gesundheit) dringend geboten und somit iSd § 66 FPG zulässig. Der Beschwerdeführer habe zwar - so die belangte Behörde - in seiner Berufung (vom 17. Dezember 2008) "erstmalig" vorgebracht, Vater einer minderjährigen Tochter zu sein, mit der er auch nach "Zerbrechen der Beziehung zur Mutter" stets intensiven Kontakt gepflogen habe. In Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführer "in seiner Stellungnahme vom 24.11.2008 dies mit keinem Wort" erwähnt und bei seiner Einvernahme am 3. April 2007 ausdrücklich angegeben habe, keine Sorgepflichten zu haben, erachtete die belangte Behörde dieses Vorbringen hinsichtlich des Bestehens eines intensiven Kontakts zur Tochter als nicht glaubwürdig. Zudem sei diese familiäre Bindung zu relativieren, weil sie zu einem Zeitpunkt entstanden sei, zu dem der Beschwerdeführer nicht mit einem dauerhaften Aufenthalt im Inland habe rechnen dürfen. Der Beschwerdeführer sei - so die belangte Behörde weiter - lediglich im Jahr 2005 für ca. zwei Monate geringfügig beschäftigt gewesen und er habe einige Deutschkurse erfolgreich absolviert.

Darüber hinaus wies die belangte Behörde darauf hin, dass der Beschwerdeführer "strafgerichtlich in Erscheinung getreten" sei. Am 30. August 2000 sei er dabei betreten worden, Heroin missbräuchlich verwendet zu haben, wobei er im Zuge dieser Amtshandlung zugegeben habe, seit mehreren Monaten diverse Suchtgifte zu konsumieren. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. April 2007 sei der Beschwerdeführer wegen der Vergehen nach § 27 Abs. 1 und 2 Z 2 erster Fall, Abs. 1 sechster Fall und Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten rechtskräftig verurteilt worden, weil er im Zeitraum von November 2006 bis März 2007 gewerbsmäßig neun Gramm Heroin an Dritte verkauft, 32 Gramm Heroin nicht gewinnbringend Dritten im Austausch gegen Kokain überlassen bzw. seit dem Jahr 2006 Heroin, Kokain und Cannabis zum Eigenkonsum erworben und besessen habe. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, eine (Suchtgift-)Therapie absolviert zu haben, hielt die belangte Behörde entgegen, dass der dazu vorgelegte Befund aus dem Jahr 2005 datiere.

Zur Angabe des Beschwerdeführers, auf Grund von Depressionen in ärztlicher Behandlung zu stehen, merkte die belangte Behörde an, aus dem diesbezüglich vorgelegten Befundbericht gehe lediglich hervor, dass er Medikamente wegen Schlafstörungen erhalte. Es sei aber nicht ersichtlich, dass er diese Medikation ausschließlich in Österreich erhalten könne.

Zusammenfassend vertrat die belangte Behörde daher die Auffassung, dass Art. 8 EMRK der Ausweisung nicht entgegenstehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Februar 2009 geltende Fassung.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer über keine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz mehr verfügt. Die belangte Behörde ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.

Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die Ausweisung darf nach dem - auch bei Ausweisungen gemäß § 53 Abs. 1 FPG zu beachtenden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348, Punkt 2.3.2.) - § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.

Die Beschwerde wendet sich gegen die von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung.

Diesbezüglich verweist der Beschwerdeführer zum einen auf den "intensiven Kontakt" zu seiner (die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden) sechsjährigen Tochter. Dazu ist zunächst anzumerken, dass der Beschwerdeführer - entgegen der diesbezüglichen behördlichen Feststellung - bereits in seiner Stellungnahme vom 24. November 2008 darauf hingewiesen hat, dass seine minderjährige Tochter in Österreich lebe. Dessen ungeachtet kann der belangten Behörde aber im Ergebnis nicht entgegengetreten werden, wenn sie das Vorbringen des Beschwerdeführers zum Bestehen eines intensiven Kontakts zu dieser als nicht glaubwürdig erachtete. Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers blieb nämlich völlig unsubstantiiert. Er machte weder geltend, mit seiner Tochter im gemeinsamen Haushalt zu leben, noch legte er näher dar, in welcher Weise ungeachtet des "Zerbrechens der Beziehung zur Mutter" enge persönliche Bindungen zu dem offenbar bei der Mutter lebenden Kind bestünden. Er brachte insbesondere nicht vor, dass ihm die Obsorge für seine Tochter zukomme, er sonst Betreuungsaufgaben wahrnehme bzw. in ihre Erziehung eingebunden sei oder seine Tochter zumindest regelmäßig besuche. Vor diesem Hintergrund musste die belangte Behörde der ins Treffen geführten Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Tochter keine entscheidungserhebliche Bedeutung für sein Interesse an einem Verbleib in Österreich beimessen. Soweit der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit seinen familiären Bindungen (ohne nähere Präzisierung) darauf hinweist, "wiederum in einer Beziehung mit einer Österreicherin" zu leben, handelt es sich dabei um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung (§ 41 Abs. 1 VwGG).

Zum anderen verweist der Beschwerdeführer auf seinen elfjährigen Inlandsaufenthalt. Dazu ist Folgendes festzuhalten:

Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass ein über zehnjähriger, überwiegend rechtmäßiger inländischer Aufenthalt den persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet ein großes Gewicht verleihen bzw. eine Ausweisung als unverhältnismäßig erscheinen lassen kann (vgl. etwa das Erkenntnis vom 20. März 2012, Zl. 2011/18/0256, mwN, bzw. das Erkenntnis vom 10. Mai 2011, Zl. 2011/18/0100). Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden ausnahmsweise Ausweisungen auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (siehe die soeben zitierten Erkenntnisse). Im vorliegenden Fall ist das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung - trotz des bereits elfjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet - aber aus folgenden Erwägungen nicht zu beanstanden:

Zunächst konnte die belangte Behörde einbeziehen, dass der Beschwerdeführer während seines gesamten Aufenthaltes lediglich im Jahr 2005 zwei Monate hindurch geringfügig beschäftigt war und somit nicht von einer Integration in den österreichischen Arbeitsmarkt auszugehen war. Vor allem durfte sie aber die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers vom April 2007 berücksichtigen, die wegen des Vergehens des (Heroin betreffenden) Suchtgifthandels erfolgte - und somit wegen eines besonders verpönten Verhaltens, an dessen Verhinderung ein großes öffentliches Interesse besteht. Die Erlassung der Ausweisung war daher nicht nur zur Wahrung eines geordneten Fremdenwesens, sondern auch zur Verhinderung weiterer Straftaten der vorliegenden Art und zum Schutz der Gesundheit Dritter dringend geboten. Wenn der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit seiner Verurteilung ins Treffen führt, ihm sei vorrangig "Eigenkonsum von Drogen im Sinne einer ‚Selbsttherapie'" vorzuwerfen, ist auf die im angefochtenen Bescheid dargestellten Entscheidungsgründe des Strafgerichtes zu verweisen. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, seine Drogenabhängigkeit mit Hilfe einer Therapie in Österreich in den Griff bekommen zu haben, hielt bereits die belangte Behörde zutreffend entgegen, dass der diesbezüglich vorgelegte Befund aus dem Jahr 2005 datierte (und somit aus der Zeit vor Begehung der dargestellten Suchtgiftdelikte stammte). Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Zeit des Wohlverhaltens seit der Verurteilung (von ca. 21 Monaten) ist jedenfalls noch zu kurz, um als entscheidungserheblich angesehen werden zu können.

Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde im Ergebnis kein Überwiegen der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem (im vorliegenden Fall) hoch zu veranschlagenden Interesse an der Beendigung seines Aufenthaltes im Inland annahm und die Ausweisung somit als iSd § 66 FPG zulässig erachtete. Daran vermag auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf seine sehr guten Deutschkenntnisse, die fehlenden Bindungen zu seinem Heimatstaat und den - allerdings nicht näher dargestellten - Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich nichts zu ändern. Gleiches gilt im Ergebnis auch für das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen gesundheitlichen Problemen, zu dem Folgendes anzumerken ist:

Nach der - vom Verwaltungsgerichtshof übernommenen - Rechtsprechung des EGMR hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gibt. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch schon ausgesprochen, dass es einem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könnte. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse iSd Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zlen. 2010/21/0310 bis 0314, mwN).

Der Beschwerdeführer brachte unter diesem Gesichtspunkt im Verwaltungsverfahren lediglich vor, an Hepatitis B sowie an schweren Depressionen und Schlafstörungen zu leiden, er legte aber nicht dar, dass die für seine Erkrankung notwendigen Medikamente in seinem Heimatstaat nicht erhältlich wären. Ein den dargestellten Anforderungen entsprechendes Vorbringen ist damit nicht erfolgt. Schließlich zeigt er auch keine Umstände auf, welche die belangte Behörde dazu hätten veranlassen müssen, im Rahmen des Ermessens von der Ausweisung Abstand zu nehmen.

Der Beschwerdeführer rügt schließlich als Verfahrensmangel, die belangte Behörde habe die Sachverhaltsermittlungen unterlassen, die zur zweifelsfreien Feststellung seiner Identität erforderlich gewesen wären. Damit zeigt er aber schon deshalb keine Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels auf, weil die belangte Behörde den Umstand der (von ihr) als ungeklärt angesehenen Identität des Beschwerdeführers ihrer Entscheidung jedenfalls nicht tragend zugrunde gelegt hat und weil der Beschwerdeführer auch nicht darlegt, inwieweit zusätzliche Sachverhaltsermittlungen hinsichtlich seiner Identität zu einem für ihn günstigeren Ergebnis der Interessenabwägung hätten führen können. Entgegen der Beschwerdeansicht ist der angefochtene Bescheid auch als ausreichend begründet anzusehen. Soweit der Beschwerdeführer schließlich noch eine Verletzung der Manuduktionspflicht gemäß § 13a AVG rügt, ist darauf hinzuweisen, dass diese Anleitungspflicht nur gegenüber Personen besteht, die nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertreten sind, der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde jedoch anwaltlich vertreten war.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. Februar 2013

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