VwGH 2011/21/0125

VwGH2011/21/012524.1.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des IFF in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid des Unabhängigen

Verwaltungssenates Wien vom 23. Dezember 2010, Zl. UVS- 02/11/6670/2010-15, betreffend § 67a Z 2 AVG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §67a Z2;
AVG §67c Abs3;
AVG §67c;
AVG §79a Abs1;
AVG §79a Abs7;
AVG §79a;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
B-VG Art129a;
FrPolG 2005 §74 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §75;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §47;
VwGG §52 Abs1;
VwGG §53 Abs1;
AVG §67a Z2;
AVG §67c Abs3;
AVG §67c;
AVG §79a Abs1;
AVG §79a Abs7;
AVG §79a;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
B-VG Art129a;
FrPolG 2005 §74 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §75;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §47;
VwGG §52 Abs1;
VwGG §53 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Kostenausspruch (Bestimmung des dem Beschwerdeführer zu ersetzenden Aufwandersatzes) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im übrigen Umfang der Anfechtung (Spruchpunkte 1. und 2. des bekämpften Bescheides) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, wurde für den 10. Juni 2010 von der Bundespolizeidirektion Wien (BPD) vorgeladen. Er leistete dieser Ladung keine Folge, woraufhin ein Festnahmeauftrag nach § 74 Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG und ein Durchsuchungsauftrag nach § 75 FPG ergingen.

In Vollzug des Festnahmeauftrages wurde der Beschwerdeführer dann - gemäß seinen späteren Behauptungen am 16. Juni 2010 gegen 15.00 Uhr - in seiner Wohnung festgenommen. Er wurde in das PAZ verbracht, am 17. Juni 2010 niederschriftlich einvernommen und in weiterer Folge nach erkennungsdienstlicher Behandlung und Sicherstellung seines Reisepasses noch am 17. Juni 2010 wieder entlassen.

Der Beschwerdeführer erhob gegen das behördliche Einschreiten Beschwerde "gem Art 129a B-VG, § 88 Abs. 1 und 2 SPG, sowie § 67a AVG" und beantragte auszusprechen, dass er (sprachliche Fehler im Original)

"1. dadurch, dass gegen mich ein Festnahmeauftrag erlassen und durchgeführt worden ist;

2. dadurch, dass ein Durchsuchungsauftrag erlassen worden ist, und ich von den Organen der (BPD) aufgesucht worden bin;

3. dadurch, dass ich nicht nach meinen Rechten gem. § 47 SPG belehrt worden bin, und die Kontaktaufnahme zu meinem Rechtsbeistand verweigert wurde;

4. dadurch, dass ich am 16.06.2010 um ungefähr 15:00 Uhr rechtswidrig festgenommen, und rechtswidrig bis 17.06.2010 um

12.30 Uhr angehalten worden bin;

5. dadurch, dass ich zum Unterschreiben eines Schreibens, ohne dieses vorher durchlesen zu lassen, gedrängt worden bin;

6. dadurch, dass ich am 16.06.2010 meine Bekleidung ausziehen und ca. zehnminütige Nacktdastehen musste;

7. dadurch, dass ich am 17.06.2010 rechtswidrig erkennungsdienstlich behandelt worden bin;

8. dadurch, dass mein Reisepass abgenommen worden ist;" in näher genannten Rechten verletzt worden sei.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 23. Dezember 2012 entschied der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung über diese Beschwerde wie folgt:

"1) Gemäß § 67c Abs. 3 AVG wird der Vollzug des nach § 74 Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz ergangenen Festnahmeauftrages, sowie die daran anschließende Anhaltung sowie die damit korrelierenden Umstände und Modalitäten (Aufsuchen des Bf an der Wohnadresse, Befassung eines Rechtsbeistandes, Visitierung des Angehaltenen) für rechtswidrig erklärt.

2) Gemäß § 67c Abs. 3 AVG wird die Beschwerde, soweit sie die Erlassung eines Durchsuchungsauftrages nach § 75 FPG bekämpft, als unzulässig zurückgewiesen.

3) Gemäß § 67c Abs. 3 AVG wird die Sicherstellung des Reisepasses für rechtswidrig erklärt."

Außerdem erkannte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer im Hinblick auf die Aussprüche zu Punkt 1. und 3. zweimal Schriftsatzaufwand sowie einmal Verhandlungsaufwand nach der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 zu; der BPD hingegen wurde angesichts Spruchpunkt 2. je einmal Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand nach der genannten Verordnung zugesprochen.

In der Begründung des bekämpften Bescheides findet sich schließlich noch der "Hinweis", dass die Beschwerde, soweit sie sich gegen die erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers richte, gemäß § 6 AVG an die Datenschutzkommission weitergeleitet werde.

Über die gegen die Spruchpunkt 1. und 2. sowie gegen die Kostenentscheidung (erkennbar insoweit, als dem Beschwerdeführer nur zweimal Schriftsatzaufwand und nur einmal Verhandlungsaufwand zugesprochen wurde) erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

1. In der behördlichen Gegenschrift wird eingangs angeregt, der Verwaltungsgerichtshof möge die Vollmacht des Vertreters des Beschwerdeführers überprüfen. Es sei (nämlich) untypisch, dass eine beschwerdeführende Partei, welche im Verfahren durchdringe und "in der Sache" nicht mehr beschwert sei, "allein wegen der seinem Anwalt angelegenen Kosten vor das Höchstgericht zieht".

Dem ist zunächst zu erwidern, dass die belangte Behörde mit dem auch angefochtenen Spruchpunkt 2. ihres Bescheides die zugrunde liegende Administrativbeschwerde zurückgewiesen und insofern eine - aus Sicht des Beschwerdeführers - negative Entscheidung auch "in der Sache" getroffen hat. Vor allem übersieht die belangte Behörde aber, dass der Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgerichtshof von einem ihm - auf Basis eines eigenhändig gefertigten Vermögensbekenntnisses - beigegebenen Verfahrenshelfer vertreten wird. Die Frage nach einer Vollmacht kann sich daher gar nicht stellen.

2. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen Spruchpunkt 1. des bekämpften Bescheides wendet, trifft es allerdings zu, dass dieser Spruchpunkt nur einen stattgebenden Ausspruch enthält. Dieser bezieht sich auf den Festnahmeauftrag, die daran anschließende Anhaltung "sowie die damit korrelierenden Umstände und Modalitäten", wobei das Aufsuchen des Beschwerdeführers an seiner Wohnadresse, die (gemeint: unterbliebene) "Befassung" eines Rechtsbeistandes sowie die Visitierung des Beschwerdeführers genannt werden. All das (aber auch nicht mehr) wurde für rechtswidrig erklärt, während es lediglich unter Spruchpunkt 2., in Bezug auf die Erlassung eines Durchsuchungsauftrages nach § 75 FPG, zu einer der Administrativbeschwerde nicht stattgebenden Entscheidung gekommen ist. Von daher können die - unter Bezugnahme auf die einzelnen Punkte seiner Administrativbeschwerde erstatteten - Ausführungen des Beschwerdeführers, soweit sie sich nicht auf den erwähnten Durchsuchungsauftrag und auf die Kostenentscheidung beziehen, von vornherein nicht zielführend sein. Dass die belangte Behörde unter Spruchpunkt 1. einen summarischen Abspruch vornahm, begründet keine Rechtswidrigkeit (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2000/01/0389). Soweit das Vorliegen gesonderter Verwaltungsakte behauptet wird, kann dies nur im Rahmen der Kostenentscheidung von Bedeutung sein (siehe dazu unten Punkt 4.).

3. Was die schon mehrfach erwähnte Zurückweisung der Administrativbeschwerde in Bezug auf den Durchsuchungsauftrag nach § 75 FPG unter Spruchpunkt 2. des bekämpften Bescheides anlangt, so liegt dem sachverhaltsmäßig zugrunde, dass der Durchsuchungsauftrag nur "aktenintern erlassen" worden und nach außen nicht in Erscheinung getreten sei. Er sei "faktisch nicht ausgeführt" worden, weil der Beschwerdeführer nach Öffnung seiner Wohnungstüre der Aufforderung der einschreitenden Beamten, mitzukommen, Folge geleistet habe.

Dem tritt der Beschwerdeführer mit der Behauptung entgegen, dass die einschreitenden Polizeibeamten laut an seine Wohnungstüre geklopft und geschrien hätten, dass er die Türe zu öffnen habe; es sei nicht die Wohnungsklingel benutzt und laut "Polizei" gerufen worden, was dem Durchsuchungsauftrag insgesamt, weil die einschreitenden Beamten in der beschriebenen Weise seine Wohnung aufgesucht hätten, "Außenwirksamkeit" verliehen habe.

Dem kann nicht beigepflichtet werden. Einerseits ist das Aufsuchen der Wohnung des Beschwerdeführers als solches nämlich bereits seiner Festnahme zuzurechnen und demgemäß von der belangten Behörde auch in dem über diese Festnahme absprechenden Spruchpunkt 1. des bekämpften Bescheides als Modalität derselben für rechtswidrig erklärt worden. Andererseits aber lässt sich den Behauptungen des Beschwerdeführers kein Hinweis darauf entnehmen, dass es zu einem Betreten oder gar zu einer Untersuchung von Räumlichkeiten gekommen wäre. Allein darauf bezieht sich jedoch ein Durchsuchungsauftrag nach § 75 FPG, weshalb die Ansicht der belangten Behörde, der gegenständliche Durchsuchungsauftrag sei "faktisch nicht ausgeführt" worden, nicht zu beanstanden ist. Im Hinblick darauf, dass mit der Festnahme des Beschwerdeführers ein "faktisches Ausführen" des Durchsuchungsauftrages überdies auch für die Zukunft nicht mehr in Betracht kam, ist darüber hinaus nicht zu sehen, dass durch seine bloße Erlassung (sonstige) Rechtspositionen des Beschwerdeführers beeinträchtigt worden wären. Jedenfalls angesichts dessen erweist sich die Zurückweisung der Administrativbeschwerde in puncto Durchsuchungsauftrag insgesamt nicht als rechtswidrig.

4. Bei der Bemessung des dem Beschwerdeführer zuzuerkennenden Aufwandersatzes legte die belangte Behörde zugrunde, dass dieser mit seiner Administrativbeschwerde in Bezug auf zwei Verwaltungsakte, umschrieben in den Spruchpunkten 1. und 3. des bekämpften Bescheides, obsiegt habe. Sie vertrat dabei insbesondere die Ansicht, dass hinsichtlich Festnahme und Anhaltung "samt den damit korrelierenden Modalitäten" (Spruchpunkt 1. des bekämpften Bescheides) in einer Gesamtschau lediglich von einem Verwaltungsakt auszugehen sei.

In der Beschwerde wird demgegenüber im Ergebnis erkennbar die Ansicht vertreten, dass insgesamt - unter Außerachtlassung des nicht erfolgreich bekämpften Durchsuchungsauftrages - von sieben Verwaltungsakten auszugehen gewesen wäre. Insoweit folgt der Beschwerdeführer im Wesentlichen der von ihm in der Administrativbeschwerde vorgenommenen Aufgliederung seiner Anträge.

Dabei lässt der Beschwerdeführer aber zunächst außer Acht, dass die belangte Behörde nicht über alle seine Anträge abgesprochen hat. Insbesondere der zu 7. in der Administrativbeschwerde angesprochene Punkt "erkennungsdienstliche Behandlung" blieb ausdrücklich unerledigt, weil die belangte Behörde insoweit eine Weiterverweisung an die Datenschutzkommission vornahm.

Im Übrigen ist bei der Ermittlung der Anzahl der angefochtenen Verwaltungsakte nicht allein darauf abzustellen, wie die zugrunde liegende Beschwerde strukturiert ist und wie viele Einzelakte sie im Rahmen des bekämpften Amtshandelns zu erkennen vermeint. Es kommt vielmehr darauf an, wie viele sachlich und zeitlich trenn- und unterscheidbare Akte, die einer isolierten Betrachtung zugänglich sind, ausgehend von den behördlichen Feststellungen über das angefochtene Verwaltungsgeschehen vorliegen, wobei für diese Beurteilung auch der jeweils verfolgte Zweck der Amtshandlung(en) sowie die in Frage kommenden Rechtsverletzungen eine Rolle spielen (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis vom 12. April 2005, Zl. 2004/01/0277). Dabei trifft es im Sinn der Überlegungen der belangten Behörde zu, dass in Beschwerde gezogene Modalitäten einer Amtshandlung neben dieser kostenmäßig nicht als gesonderte Verwaltungsakte zu betrachten sind (vgl. zuletzt unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2005, Zl. 2004/01/0489, das hg. Erkenntnis vom 19. September 2012, Zl. 2012/01/0017).

Als bloße Modalität iS des eben Gesagten ist insbesondere auch die in der Administrativbeschwerde angegriffene Visitierung des Beschwerdeführers zu betrachten, und zwar ungeachtet dessen, dass damit nach den im bekämpften Bescheid nicht in Abrede gestellten Behauptungen des Beschwerdeführers eine komplette Entkleidung für die Dauer von ungefähr zehn Minuten verbunden war. Allerdings erfolgte diese Visitierung im Zusammenhang mit der dann daran anschließenden Verbringung des Beschwerdeführers in den Arrest, wo er gemäß seinen von der belangten Behörde offenbar übernommenen Behauptungen in der Administrativbeschwerde die ganze Nacht vom 16. auf den 17. Juni 2010 über verbleiben musste. Jedenfalls vor diesem Hintergrund geht die Anhaltung des Beschwerdeführers nicht in seiner davor erfolgten Festnahme auf, weshalb sie - insofern im Sinn der Beschwerdeargumentation - anders als die sonstigen für rechtswidrig erklärten "Modalitäten" der Festnahme als gesonderter Verwaltungsakt zu betrachten gewesen wäre (vgl. in diesem Sinn auch das schon genannte hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2005).

Nach dem Gesagten wäre von einem Erfolg der Administrativbeschwerde in Bezug auf drei Verwaltungsakte auszugehen gewesen. Das hätte neben dem Zuspruch von dreifachem Schriftsatzaufwand auch zur Zuerkennung von dreifachem Verhandlungsaufwand gemäß § 79a AVG iVm der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 führen müssen, weil es auch bezüglich des Verhandlungsaufwandes, anders als die belangte Behörde meint, auf die Anzahl der (erfolgreich) angefochtenen Verwaltungsakte ankommt (vgl. auch dazu das Erkenntnis vom 24. Mai 2005 und zuletzt das ebenfalls schon genannte Erkenntnis vom 19. September 2012).

Der Ausspruch der belangten Behörde betreffend die dem Beschwerdeführer zu ersetzenden Kosten war daher wegen Verkennung der Rechtslage gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Im Übrigen war die Beschwerde jedoch aus den oben zu den Punkten 2. und 3. dargestellten Erwägungen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das auf den Ersatz von mehrfachem Schriftsatzaufwand gerichtete Mehrbegehren war schon deshalb abzuweisen, weil der Beschwerdeführer nur in einem Punkt obsiegt hat. Davon abgesehen kommt bei erfolgreicher Anfechtung eines Bescheides, mag er auch mehrere Spruchpunkte umfassen, immer nur einmaliger Schriftsatzaufwand in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. September 2011, Zl. 2008/21/0516).

Wien, am 24. Jänner 2013

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