VwGH 2011/06/0006

VwGH2011/06/000627.8.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofrätin Dr. Bayjones sowie den Hofrat Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des H M in U, vertreten durch Dr. Thaddäus Schäfer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Andreas-Hofer-Straße 11, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 20. August 2010, Zl. Ve1-8-1/449-17, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Gemeinde U), zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art6 Abs1;
VwGG §39 Abs2 Z6;
MRK Art6 Abs1;
VwGG §39 Abs2 Z6;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 3. August 2009 wurde das nachträgliche Baugesuch des Beschwerdeführers (und des W.M.) vom 2. November 2007 zwecks Ausbau von Zimmern und Errichtung einer Heizzentrale auf einem näher genannten Grundstück in der mitbeteiligten Gemeinde gemäß § 26 Abs. 3 der Tiroler Bauordnung 2001 (TBO 2001) in Verbindung mit §§ 42 und 44 des Tiroler Raumordnungsgesetzes, LGBl. Nr. 27/2006, ohne weiteres Verfahren abgewiesen, weil das Bauvorhaben im Stallgebäude mit der bestehenden Widmung "Sonderfläche Hofstelle" mit einer maximalen Nutzfläche von 380 m2 nicht genehmigungsfähig sei.

Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 8. September 2009 als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, in vorausgehenden Bescheiden betreffend Baueinstellung, Abbruch und Abweisung eines nachträglichen Sanierungsgesuches, welche alle rechtskräftig seien, sei detailliert und ausreichend sachverständig dokumentiert worden, dass die für das Baugrundstück erlaubte Wohnnutzfläche von 380 m2 um ein Vielfaches überschritten sei. Außer den in der Baubewilligung vom 15. März 2007 genehmigten Wohnnutzflächen für das Wohnhaus mit Ferienwohnungen im Ausmaß von 380 m2 seien auf Grund der Flächenwidmung in der Kategorie "Sonderfläche Hofstelle" keine weiteren Wohnnutzflächen zulässig. Die im Flächenwidmungsplan festgelegte maximale Wohnnutzfläche von 380 m2 werde durch die bisher vorgenommenen Baumaßnahmen um ein Vielfaches überschritten.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die dagegen erhobene Vorstellung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass mit einer Änderung des Flächenwidmungsplanes im Jahr 2008 für die gegenständliche Liegenschaft die Widmung "Sonderfläche Hofstelle" mit einer höchstzulässigen Gesamtwohnnutzfläche von 380 m2 zuzüglich Nebenanlagen festgelegt worden sei. Sowohl im Zeitpunkt der Entscheidung der erstinstanzlichen Baubehörde als auch im Zeitpunkt der Entscheidung der Berufungsbehörde sei die höchstzulässige Gesamtwohnnutzfläche auf der Widmungsfläche bereits überschritten gewesen. Dies sei im baupolizeilichen Verfahren auf demselben Grundstück durch Sachverständige mehrmals festgestellt worden. Es sei den Behörden unbenommen, Ermittlungsergebnisse aus anderen Verfahren, soweit sie verwertbar seien, heranzuziehen. Da es sich bei einem Abbruchverfahren (Unzulässigkeit wegen Überschreitung der höchstzulässigen Wohnnutzfläche) und einem Ansuchen um eine nachträgliche Genehmigung für den Ausbau von Zimmern in einem genehmigten Rinderstall mit Fahrsilos, die der höchstzulässigen Wohnnutzfläche der rechtskräftigen Widmung widerspreche, um dieselbe Themenstellung handle, zumal die baupolizeilichen Verfahren dasselbe Grundstück beträfen, sei die Baubehörde berechtigt gewesen, die Ermittlungsergebnisse, die zum Abbruchbescheid vom 15. Oktober 2007 geführt hätten, im gegenständlichen Verfahren zu verwenden. Die Ausführungen der Berufungsbehörde seien nachvollziehbar und schlüssig, als das verfahrensgegenständliche Baugesuch der Festlegung des Flächenwidmungsplanes "Sonderfläche Hofstelle" mit einer höchstzulässigen Gesamtwohnnutzfläche von 380 m2 zuzüglich der Nebenanlagen zweifelsohne widerspreche, da bereits ein bewilligtes Gebäude konsenslos mit Überschreitung der insgesamt zulässigen Wohnnutzfläche errichtet worden sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 29. November 2010, B 1406/10, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

In der vor dem Verwaltungsgerichtshof auftragsgemäß ergänzten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer legt dar, die belangte Behörde greife zur Feststellung des für ihre Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes auf Ermittlungsergebnisse in einem Abbruchverfahren zurück, das zum Zeitpunkt der Bescheiderstellung nicht rechtskräftig abgeschlossen gewesen sei. Die bezughabenden Bescheide hätten dem Rechtsbestand nicht angehört. Nach Abschluss der dortigen Verfahren müssten die dortigen Ergebnisse zum rechtlichen Gehör dem Beschwerdeführer vorgehalten werden. Die Heranziehung von Ermittlungsergebnissen aus einem noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen anderen Verfahren sei nicht zulässig. Die belangte Behörde habe daher entscheidungswesentliche Tatsachen nicht erhoben bzw. in dem entscheidungsrelevanten Punkt, ob das verfahrensgegenständliche Baugesuch die höchstzulässige Gesamtwohnnutzfläche auf der Widmungsfläche überschreite, jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen und damit das Parteiengehör völlig vernachlässigt. Die belangte Behörde habe ferner nicht erkannt, dass der Ausgang des zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht rechtskräftig beendeten Abbruchverfahrens für das streitgegenständliche Verfahren relevant sei. Die dortigen Ergebnisse könnten im gegenständlichen Verfahren erst nach Vorhalt und der Möglichkeit einer Stellungnahme übernommen werden. Die belangte Behörde wäre daher angehalten gewesen, mit der Entscheidung im gegenständlichen Verfahren bis zur rechtskräftigen Beendigung des Abbruchverfahrens zuzuwarten, um sodann die dortigen Ergebnisse dem Beschwerdeführer vorzuhalten.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die von der belangten Behörde angenommene Sachlage zutrifft. Er sieht sich lediglich in seinem gesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens gemäß § 37 AVG verletzt.

Mit seinem Vorbringen legt der Beschwerdeführer aber die Relevanz der von ihm behaupteten Verfahrensmängel nicht dar. Er behauptet weder, dass die Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde unzutreffend seien, noch, dass die von der belangten Behörde herangezogenen Ermittlungsergebnisse aus dem Abbruchverfahren nicht vorlägen.

Gegen die rechtlichen Erwägungen der belangten Behörde wird in der Beschwerde nichts vorgebracht.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der im Beschwerdefall in Rede stehende Anspruch als "civil right" im Sinne der EMRK zu beurteilen ist, weil im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung aus folgenden Gründen jedenfalls nicht erforderlich ist: Gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige.

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne.

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist hier geklärt. In der vorliegenden Beschwerde wurden ausschließlich Rechtsfragen aufgeworfen, zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Art. 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Die Entscheidung konnte daher im Sinne des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 27. August 2013

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte