VwGH 2010/22/0073

VwGH2010/22/007326.2.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des I, vertreten durch Dr. Markus Bernhauser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 15. April 2010, Zl. 130.300/5-III/4/09, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3 Z8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §21 Abs3 idF 2009/I/029;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3 Z8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §21 Abs3 idF 2009/I/029;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des aus Bangladesch stammenden Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 21 Abs. 1 und 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 20. September 1995 mit einem bis 14. März 1996 gültigen Sichtvermerk in Österreich eingereist und habe zunächst über Aufenthaltstitel als Schüler (Hotelfachschule) sowie bis 31. Jänner 1999 als Student verfügt. Auf Grund der am 16. Juni 1998 mit einer Österreicherin geschlossenen Ehe sei dem Beschwerdeführer eine Niederlassungsbewilligung "Familiengemeinschaft mit Österreicher" erteilt worden und in weiterer Folge seien ihm Niederlassungsbewilligungen für jeglichen Aufenthaltszweck ausgestellt worden. Diese Ehe habe aber das Bezirksgericht D mit Urteil vom 8. Juni 2001 für nichtig erklärt, weshalb von der Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 17. Juni 2002 ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden sei. Dies habe am 22. August 2003 gemäß § 15 Fremdengesetz 1997 zur Einstellung des Verfahrens über einen am 22. Juli 2003 gestellten Verlängerungsantrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels geführt. Trotz Vorliegens eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes sei der Beschwerdeführer im Bundesgebiet verblieben.

Der Beschwerdeführer habe jahrelang in Österreich eine Lebensgemeinschaft mit einer Staatsangehörigen von Bangladesch geführt und diese am 15. August 2007 geheiratet. Den gegenständlichen Antrag vom 17. September 2007 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung habe er am 2. Oktober 2009 als einen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" modifiziert. Zum ursprünglichen Begehren, ihm aus humanitären Gründen die Antragstellung im Inland zu bewilligen habe der Beschwerdeführer am 6. August 2009 den Antrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG auf Zulassung zur Inlandsantragstellung mit der Begründung eingebracht, dass ihm eine Auslandsantragstellung nicht zumutbar sei.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe durch seinen langen Aufenthalt in Österreich von rund 14 Jahren, wovon er sich rund acht Jahre illegal in Österreich aufgehalten habe, und durch seine Erwerbstätigkeit einen nicht unbeachtlichen Grad der Integration erreicht. Allerdings habe er den Zugang zum Arbeitsmarkt allein durch die Aufenthaltsehe mit einer Österreicherin erreicht. Das Familienleben mit seiner nunmehrigen Ehefrau und den gemeinsamen, am 23. November 2009 geborenen Söhnen sei in Zeiten entstanden, in denen er sich seines "unsicheren Aufenthaltsstatus" hätte bewusst sein müssen. Eine Gesamtbetrachtung ergebe, dass die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der Einwanderungsbestimmungen höher zu werten seien, als das private Interesse des Beschwerdeführers an der Zulassung der Inlandsantragstellung, weshalb dem dahingehenden Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG nicht stattzugeben und der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abzuweisen gewesen sei. Soweit sich der Beschwerdeführer darauf berief, dass auch sein Bruder in Österreich lebe, stellte die belangte Behörde fest, dass er diesbezüglich "keine nachvollziehbaren Angaben" bekanntgegeben habe, weshalb darauf nicht eingegangen werden könne.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles nach der Rechtslage des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 135/2009 richtet.

Der Beschwerdeführer wendet sich nicht gegen die Ansicht der belangten Behörde, es liege ein Erstantrag vor und dieser sei entgegen § 21 Abs. 1 NAG im Inland gestellt worden. Allerdings sieht sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Zulassung der Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 3 Z. 2 NAG verletzt. Dazu bringt er vor, die belangte Behörde hätte seinem in der Berufung gestellten Antrag auf Beischaffung eines Aktes der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien nachkommen und daraus feststellen müssen, dass die familiären Beziehungen des Beschwerdeführers zu seinem hier lebenden Bruder, welcher bereits Österreicher sei, seit der Einreise des Beschwerdeführers in Österreich im Jahr 1995 bestünden. Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich habe die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass seiner Beschwerde gegen das im Jahr 2002 erlassene Aufenthaltsverbot aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei, weshalb sein Verbleib in Österreich bis zum Vorliegen des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. März 2006, mit dem der Beschwerde "keine Folge" gegeben worden sei, nicht als illegal zu qualifizieren sei. Danach habe er sich durch Stellung des gegenständlichen Antrages um Legalisierung seines Aufenthaltes bemüht. Bei richtiger Würdigung dieser Umstände sowie des festgestellten Sachverhaltes betreffend das Absolvieren einer Hotelfachschule in Österreich, Anmieten einer Genossenschaftswohnung und des Aufenthaltes seiner Ehefrau und seiner beiden Kinder in Österreich ergäbe sich, dass die Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK nicht möglich oder nicht zumutbar sei.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Gemäß § 21 Abs. 3 NAG kann die Behörde auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich (u.a.) zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3 NAG) nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

Schon der Ansicht der belangten Behörde, dass das Familienleben eines Fremden "nur dann" einen erhöhten Schutz genieße, wenn die familiären Beziehungen im Zeitpunkt der rechtmäßigen Niederlassung im Bundesgebiet begründet worden seien, kann nicht beigepflichtet werden. Es ist zwar gemäß § 11 Abs. 3 Z. 8 NAG zu berücksichtigen, ob sich die Beteiligten bei Entstehung des Privat- und Familienlebens in Österreich des unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren; daraus darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass ein während eines unsicheren Aufenthaltsstatus begründetes Familienleben keine Bedeutung hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2012, Zl. 2009/22/0257 bis 0259).

Hinzu kommt, dass im vorliegenden Fall der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 16. Oktober 2012, Zl. 2012/18/0062, den Berufungsbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 6. April 2012, mit dem im Instanzenzug gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot gemäß § 52 Abs. 1 und § 53 Abs. 2 Z. 7 Fremdenpolizeigesetz 2005 erlassen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben hat. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird hinsichtlich der im Sinn des Art. 8 EMRK erfolgten Interessenabwägung, bei der die dort belangte Behörde wie im vorliegenden angefochtenen Bescheid dem während der langen Dauer des Aufenthaltes in Österreich vom Beschwerdeführer aufgebauten Familien- und Privatleben nicht das ausreichende Gewicht beimaß, auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

Nicht ersichtlich ist, welche "nachvollziehbaren Daten" die belangte Behörde über den Bruder des Beschwerdeführers benötigt hätte, um dazu Erhebungen durchführen zu können, wurde doch schon in der Berufung zum Vorbringen betreffend den Bruder des Beschwerdeführers ein mit der Aktenzahl bestimmter Akt der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien als Beweisanbot genannt. Darüber hinaus ergibt sich schon aus den vorgelegten Verwaltungsakten, dass der Beschwerdeführer bereits in seinem Erstantrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz seinen Bruder namentlich nannte und dazu auch eine eidesstättige Erklärung vorlegte, welche auch die Anschrift des Bruders des Beschwerdeführers enthält.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im Pauschalbetrag bereits enthalten ist.

Wien, am 26. Februar 2013

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