VwGH 2010/13/0049

VwGH2010/13/004918.9.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Beschwerde des Ing. Mag. S in W, vertreten durch Dr. Herbert Eichenseder, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Auerspergstraße 2/4, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 18. Jänner 2010, Zl. RV/3264-W/08, betreffend Haftung für Kapitalertragsteuer für die Monate Juni bis Oktober sowie Dezember 1997, Jänner bis Mai 1998, Juli und August 1999 sowie Mai 2000, zu Recht erkannt:

Normen

EStG §93;
EStG §95;
EStG §93;
EStG §95;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Gefolge einer abgabenbehördlichen Prüfung erließ das Finanzamt gegenüber der X Bank u.a. "Haftungs- und Abgabenbescheid(e)" betreffend Kapitalertragsteuer für die Monate Juni bis Oktober sowie Dezember 1997, Jänner bis Mai 1998, Juli und August 1999 sowie Mai 2000. In der Niederschrift vom 6. Juni 2002, auf welche in der Begründung der Bescheide verwiesen wurde, wurde ausgeführt, die X Bank habe im Prüfungszeitraum Nullkuponanleihen für Kunden erworben und die KEST-Abrechnung auf die Stückzinsen nach der linearen Methode vorgenommen. Für die Berechnung der Stückzinsen von hochverzinslichen und langfristigen Nullkuponanleihen sei die vereinfachende Ermittlung nach dieser Methode aber nicht anwendbar, weil das Ergebnis unverhältnismäßig von dem der finanzmathematischen Ermittlung abweiche. Die von der geprüften Bank ermittelten Kapitalertragsteuergutschriften seien daher - wie näher aufgeschlüsselt wurde - entsprechend zu kürzen. Weiters habe die Bank bei der Entnahme von Wertpapieren (Nullkuponanleihen) aus Wertpapierdepots keine Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt, obwohl die Entnahme einen kapitalertragsteuerpflichtigen Vorgang darstelle.

Gegen diese Bescheide erhob die X Bank Berufung, welcher der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 13. September 2002 beitrat.

Mit Schreiben vom 6. Mai 2009 forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer - unter Vorhalt des hg. Erkenntnisses vom 1. Oktober 2008, 2005/13/0073 - auf, bekannt zu geben, ob der Berufungsbeitritt aufrechterhalten werde.

Der Beschwerdeführer teilte mit, dass er den Beitritt zur Berufung aufrechterhalte, und brachte vor, der Verwaltungsgerichtshof habe zehn einschlägige vom Beschwerdeführer angefochtene Bescheide wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben. Einen weiteren Bescheid habe der Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, weil die Behörde zu den ihr offenbar bekannten und im angefochtenen Bescheid angesprochenen "Verhandlungen mit dem BMF" keine näheren Feststellungen getroffen habe und dem Verwaltungsgerichtshof damit die Prüfung verwehrt gewesen sei, wie sich diese Verhandlungen auf das von der belangten Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides auszuübende Ermessen hätten auswirken müssen. Auch der belangten Behörde sei vollumfänglich bekannt, dass ein (namentlich genannter) Ministerialrat des BMF am 4. August 1999 bestätigt habe, dass "beide für die Nullkupon-KESt-Berechnung vorgesehenen Methoden (linear/progressiv) risikolos" angewendet werden könnten, und diese Rechtsansicht bis Herbst 2000 verschiedenen Anfragenden gegenüber aufrecht erhalten habe. Ein anderer (ebenfalls namentlich genannter) Ministerialrat habe erstmals am 7. Dezember 2000 die lineare Berechnungsmethode als "Schätzmethode" bezeichnet und bei ins Gewicht fallender Abweichung von der finanzmathematischen Methode als nicht zulässig angesehen. Der Beschwerdeführer ersuchte die belangte Behörde um Mitteilung, von welchem Sachverhalt sie im Zusammenhang mit dem Beschwerdeführer ausgehe, und beantragte gemäß § 90 Abs. 1 BAO die Übermittlung einer Abschrift der Aktenteile (insbesondere Haftungsbescheide und die Sachverhaltsdarstellung des Finanzamtes im Betriebsprüfungsbericht sowie die Berufung der X Bank gegen die Haftungsbescheide), die für den Beschwerdeführer zur Geltendmachung und Verteidigung seiner abgabenrechtlichen Interessen im anhängigen Verfahren erforderlich seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung teilweise statt und führte nach Schilderung des Verfahrensganges im Wesentlichen aus, dass für die Ermittlung der fiktiven zeitanteiligen Kapitalerträge der in Rede stehenden Nullkuponanleihen nur eine progressive finanzmathematische Methode sachgerecht und angemessen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, 2005/13/0075, festgestellt, dass § 95 Abs. 4 EStG 1988 idF vor dem BGBl. I Nr. 65/2008 keine Verpflichtung zum Kapitalertragsteuerabzug bei Depotentnahmen enthalte, weshalb der Berufung diesbezüglich stattzugeben sei. Für Zeiträume danach ergebe sich keine Änderung, weil § 95 Abs. 4 Z 3 iVm § 124b Z 144 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 65/2008 anordne, dass eine Entnahme aus dem Depot bereits rückwirkend zum 1. Jänner 1998 als Veräußerung gelte und zum Kapitalertragsteuerabzug verpflichte. Das rückwirkende Inkrafttreten erscheine verfassungsrechtlich geradezu geboten, weil es dazu geführt habe, dass die beim Erwerb von Wertpapieren erteilte Gutschrift nunmehr gesetzlich gedeckt und das im Streitzeitraum bestehende System aus Gutschriftserteilung mit nachfolgendem Kapitalertragsteuerabzug erhalten geblieben sei. Die Besteuerung der Depotentnahmen stelle auch keine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EGV nunmehr Art. 63 AEUV) dar und zeige der Beschwerdeführer in Bezug auf allfällige Verstöße gegen die Niederlassungs- (Art. 43 EGV nunmehr Art. 49 AEUV) und Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV nunmehr Art. 56 AEUV) nur hypothetische Möglichkeiten auf.

Der X Bank habe die wirtschaftliche Widersinnigkeit der linearen Berechnung von zeitanteiligen Kapitalerträgen auffallen müssen, die dazu geführt habe, dass Steuergutschriften in unverhältnismäßiger Relation zum Kaufpreis des Wertpapiers gestanden seien bzw. diesen sogar überschritten hätten. Das für die X Bank zuständige Finanzamt habe in Bezug auf die Zulässigkeit der linearen Berechnungsmethode auch keine verbindlichen Zusagen oder Auskünfte erteilt, die allein ein schutzwürdiges Vertrauen der X Bank hätten begründen können. Aufgrund der angeführten und der weiteren - im angefochtenen Bescheid näher dargestellten - Umstände erscheine es insgesamt im Rahmen des Ermessens nicht unbillig, die X Bank zur Haftung für die Differenz zwischen den linear und progressiv ermittelten Kapitalertragsteuergutschriften heranzuziehen. Dies gelte auch für die Kapitalertragsteuer, die auf Depotentnahmen zurückzuführen sei, weil in der Literatur bereits vor Änderung der Rechtslage durch das BGBl. I Nr. 65/2008 überwiegend davon ausgegangen worden sei, dass bei Depotentnahmen ein Abzug von Kapitalertragsteuer zu erfolgen habe. Betreffend die Gutschrift von Kapitalertragsteuer in den Monaten Juni bis Oktober sowie Dezember 1997 "ist in konsequenter Umsetzung der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 19.12.2007, 2005/13/0075, wonach eine Gutschriftserteilung überhaupt unterbleiben hätte müssen, die (X Bank) für die gesamte Gutschrift und nicht nur für den Unterschiedsbetrag zwischen 'linearer und finanzmathematischer Berechnung der demnach zu Unrecht geltend gemachten Kapitalertragsteuergutschrift heranzuziehen".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der vorliegende Beschwerdefall gleicht - soweit er die Haftung für Kapitalertragsteuer für die Monate Jänner bis Mai 1998, Juli und August 1999 sowie Mai 2000 betrifft - in Sachverhalt und Rechtsfrage jenem ebenfalls diesen Beschwerdeführer betreffenden Fall, der vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 25. Juli 2013, 2010/15/0012, entschieden wurde (vgl. ebenso das Erkenntnis vom 25. Juli 2013, 2010/15/0011). Aus den in jenem Erkenntnis angeführten Gründen, auf welche gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, liegt weder inhaltliche Rechtswidrigkeit vor noch kann der Beschwerdeführer darlegen, dass ein relevanter Verfahrensmangel vorliegt.

Soweit der Beschwerdeführer in der Haftung der X Bank für die gesamten Kapitalertragsteuergutschriften 1997 einen Verstoß gegen Treu und Glauben erblickt, und ausführt, der Tatbestand der Haftung für Kapitalertragsteuer nach § 95 Abs. 2 EStG 1988 stelle "nur auf die objektive Pflichtverletzung" ab, weshalb die belangte Behörde zu begründen gehabt hätte, worin sie eine objektive Pflichtverletzung der X Bank erblicke, "die ihre Pflichten übereinstimmend mit der 'auch in der Literatur als zutreffend angesehenen Verwaltungspraxis' bei der Gutschriftserteilung im Jahr 1997 erfüllte", ist er auf das bereits erwähnte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Dezember 2007, 2005/13/0075, VwSlg 8299/F, zu verweisen. Im angeführten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht erkannt, dass die Erteilung einer Kapitalertragsteuergutschrift an den Erwerber zum Zeitpunkt der Anschaffung einer Nullkuponanleihe rechtlich nicht gedeckt war (eine allenfalls später zu Unrecht einbehaltene Kapitalertragsteuer auch gemäß § 240 Abs. 3 BAO zurückgefordert werden könnte), und damit auch die von der dort belangten Behörde vertretene Meinung, die Belastung mit Kapitalertragsteuer anlässlich der Depotentnahme sei auch unter dem Aspekt der Rückverrechnung der (anlässlich des Erwerbs der Nullkuponanleihen) erteilten Gutschrift zu sehen, nicht mehr stichhältig war.

Die X Bank hat somit - ohne rechtliche Deckung - Kapitalertragsteuergutschriften für die Zuführung von Nullkuponanleihen u.a. in das Depot des Beschwerdeführers erteilt und damit eine objektive Pflichtverletzung begangen. Dass die Gutschriftserteilung in Übereinstimmung mit der "auch in der Literatur als zutreffend angesehenen Verwaltungspraxis" erfolgte, kann daher allenfalls im Rahmen der Ermessensübung mitberücksichtigt werden (vgl. in diesem Sinn das hg. Erkenntnis vom 27. November 2003, 2003/15/0087, VwSlg 7881/F, mwN, sowie das hg. Erkenntnis vom 27. August 2008, 2006/15/0057, welches ebenfalls Nullkuponanleihen betraf).

Ungeachtet der Frage, ob der Beschwerdeführer durch die Inanspruchnahme der Bank überhaupt in subjektiven Rechten verletzt sein kann, ist im Rahmen der Ermessensübung - wie bereits im Erkenntnis vom 25. Juli 2013, 2010/15/0012, ausgeführt - auch zu berücksichtigen, dass Nullkuponanleihen mit langer Restlaufzeit auf ein Depot eingekauft und diese Anleihen kurz darauf dem Depot wieder entnommen wurden. Es ist evident, dass auf die kurze Zeit, während der die Anleihen im Depot lagen, nur ein relativ kleiner Zinsertrag entfällt (und zwar - im Hinblick auf die Kürze dieses Zeitraums - unabhängig davon, ob der Zinsertrag linear oder progressiv ermittelt würde, soweit nur, was freilich zu fordern ist, beim Ankauf und der Depotentnahme nach derselben Methode vorgegangen wird), weshalb sich daraus (insgesamt) nur entweder keine oder eine bloß minimale Steuer (KESt) ergeben kann. Keine KESt fiele an, wenn der Einkauf auf ein Depot und die Entnahme aus dem Depot als von der KESt nicht erfasste Vorgänge beurteilt werden (so zur Rechtslage vor BGBl. I Nr. 65/2008 das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, 2005/13/0075). Eine in Summe nur geringe KESt fällt hingegen an, wenn mit der Verwaltungspraxis und der rückwirkenden Novelle BGBl. I Nr. 65/2008 für die Zuführung zum Depot eine KESt-Gutschrift und für die Entnahme aus dem Depot eine korrespondierende KESt-Pflicht (in Höhe der vorangegangen KESt-Gutschrift zuzüglich einer KESt auf den geringfügigen rechnerischen Zinsertrag der Tage des Depot-Aufenthaltes) anzusetzen ist. Vor diesem Hintergrund stellt die Heranziehung der X Bank für die gesamte Kapitalertragsteuergutschrift 1997 keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 18. September 2013

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