VwGH 2012/22/0176

VwGH2012/22/017619.12.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Josef Herr, Rechtsanwalt in 5400 Hallein, Thunstraße 16, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 10. August 2012, Zl. 161.848/2-III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

AuslBG §24;
AVG §45;
NAG 2005 §41 Abs2 Z4 idF 2011/I/038;
NAG 2005 §41 Abs4 idF 2011/I/038;
NAG 2005 §41 idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AuslBG §24;
AVG §45;
NAG 2005 §41 Abs2 Z4 idF 2011/I/038;
NAG 2005 §41 Abs4 idF 2011/I/038;
NAG 2005 §41 idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines irakischen Staatsangehörigen, auf Erteilung des Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

In ihrer Begründung ging die belangte Behörde davon aus, der Beschwerdeführer erfülle nicht die an eine selbständige Schlüsselkraft zu stellenden Anforderungen. Für die Beurteilung, ob eine beabsichtigte selbständige Tätigkeit zur Stellung als Schlüsselkraft führe, sei der gesamtwirtschaftliche Nutzen der Erwerbstätigkeit maßgebend. Bei dieser Beurteilung sei insbesondere zu berücksichtigen, ob mit der selbständigen Erwerbstätigkeit ein Transfer von Investitionskapital verbunden sei und/oder die Erwerbstätigkeit der Schaffung von neuen oder der Sicherung von gefährdeten Arbeitsplätzen diene. Der Gesetzgeber stelle also darauf ab, ob ein zusätzlicher Impuls für die Wirtschaft zu erwarten sei.

Dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Businessplan sei zu entnehmen, dass bislang keine sterilen aspirationsfähigen Karpulenspritzen aus Kunststoff auf dem Markt seien. Die Lokalanästhesie in der zahnärztlichen und implantologischen Praxis erfolge fast ausschließlich mit der klassischen Karpulenspritze aus Metall. Nach der Verabreichung müsse die Karpulenspritze vor dem nächsten Gebrauch wieder aufbereitet werden. Diese Aufbereitung umfasse die Reinigung, das Sterilisieren und die Verpackung, was auch entsprechend dokumentiert werden müsse. Dem Businessplan zufolge habe sich der Beschwerdeführer entschlossen, Karpulenspritzen aus Kunststoff durch einen Lohnverarbeiter in Österreich herstellen zu lassen. Durch den Einsatz der sterilen Einweg-Karpulenspritze könnten Fehler bei der Aufbereitung und Sterilisation, durch die die Sicherheit der Anwender und der Patienten gefährdet werden könnte, vermieden werden. Weiters werde der Aufwand für die Aufbereitung der bisher genutzten Applikationssysteme vermindert und die Dokumentationspflicht entfalle. Das führe wiederum "zu einer Kostenentlastung in der zahnärztlichen Praxis".

Den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen sei zu entnehmen, dass er bei der A&H GmbH - die oben genannte Tätigkeit und dem im Akt erliegenden Businessplan zufolge auch der Vertrieb der Einweg-Karpulenspritzen soll durch diese erfolgen - zu 49,5 % (Stammeinlage von EUR 17.820,--) beteiligt sei. Der Betriebszweck dieser GmbH sei der Handel mit Waren aller Art. Weiters seien Unterlagen über eine 5 %-ige Beteiligung an einem irakischen Unternehmen vorgelegt worden. Diese Beteiligung entspreche einem Vermögenswert von umgerechnet mehr als EUR 7 Mio.

Das vom Beschwerdeführer vorgelegte Unternehmenskonzept sei nachvollziehbar und schlüssig. Jedoch könne die dem Beschwerdeführer darin zugedachte Rolle kein gesamtwirtschaftliches Interesse implizieren. Er sei zwar bemüht gewesen, die strategische Bedeutung seiner Person für Österreich darzustellen. Das sei ihm aber nicht gelungen. Ein in diesem Zusammenhang vorgelegter "Letter of Intent" - so die belangte Behörde unter Hinweis auf das ebenfalls abschlägige Gutachten der Landesgeschäftsstelle Salzburg des Arbeitsmarktservice -, aus dem ein geplantes Investment im Ausmaß von EUR 0,9 Mio. hervorgehe, reiche nicht aus. Die im Schreiben vom 30. Dezember 2011 angeführte geplante Einstellung von 30 Mitarbeitern (Handelsvertretern) sei "nicht ausreichend schlüssig belegt". Derzeit verfüge die A&H GmbH lediglich über einen Arbeitnehmer, der als Prokurist mit einem Beschäftigungsausmaß von 6 Wochenstunden fungiere. Ein "allenfalls geplantes Investment" reiche ebenfalls nicht aus, um darzulegen, dass der Beschwerdeführer im Sinn des § 24 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) als selbständige Schlüsselkraft einzustufen sei.

Da somit der beabsichtigten selbständigen Tätigkeit des Beschwerdeführers kein gesamtwirtschaftlicher Nutzen im Sinn des § 24 AuslBG beizumessen sei, sei der beantragte Aufenthaltstitel nicht zu erteilen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass im gegenständlichen Fall das NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 112/2011 Anwendung findet.

Gemäß § 41 Abs. 2 Z 4 NAG kann Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und ein Gutachten der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 24 AuslBG vorliegt. Ist das Gutachten der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice in einem Verfahren über den Antrag zur Zulassung im Fall des § 24 AuslBG negativ, ist nach § 41 Abs. 4 zweiter Satz NAG der Antrag ohne weiteres abzuweisen.

Gemäß § 24 AuslBG hat die nach der beabsichtigten Niederlassung der selbständigen Schlüsselkraft zuständige Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice binnen drei Wochen das im Rahmen des fremdenrechtlichen Zulassungsverfahrens gemäß § 41 NAG erforderliche Gutachten über den gesamtwirtschaftlichen Nutzen der Erwerbstätigkeit, insbesondere hinsichtlich des damit verbundenen Transfers von Investitionskapital und/oder der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen zu erstellen. Vor der Erstellung dieses Gutachtens ist das Landesdirektorium anzuhören.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zur gesetzlichen Anordnung, dass bei Vorliegen eines negativen Gutachtens im Sinn des § 24 AuslBG der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als selbständige Schlüsselkraft abzuweisen ist, ausgeführt, dass dies - bei verfassungskonformer Interpretation der maßgeblichen Bestimmungen - nicht bedeutet, dass das Gutachten durch den Antragsteller nicht entkräftet oder widerlegt werden könnte oder die Behörde an ein unschlüssiges Gutachten gebunden wäre. Vielmehr gilt auch in Bezug auf die Würdigung dieses Beweismittels, dass die in § 45 AVG verankerten allgemeinen Verfahrensgrundsätze der materiellen Wahrheit, der freien Beweiswürdigung und des Parteiengehörs uneingeschränkt Anwendung finden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 2011, Zlen. 2008/22/0850, 0851, mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung ergibt sich aus der Bestimmung des § 24 AuslBG, dass für die Beurteilung, ob eine beabsichtigte selbständige Tätigkeit zur Stellung als Schlüsselkraft führt, der gesamtwirtschaftliche Nutzen der Erwerbstätigkeit maßgeblich ist. Bei der Beurteilung, ob ein derartiger gesamtwirtschaftlicher Nutzen vorliegt, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob mit der selbständigen Erwerbstätigkeit ein Transfer von Investitionskapital verbunden ist und/oder ob die Erwerbstätigkeit der Schaffung von neuen oder der Sicherung von gefährdeten Arbeitsplätzen dient. Der Gesetzgeber stellt also darauf ab, ob ein zusätzlicher Impuls für die Wirtschaft zu erwarten ist (vgl. dazu ebenfalls das erwähnte Erkenntnis vom 13. Oktober 2011).

Zutreffend erkannte die belangte Behörde, dass sie im Sinn der oben wiedergegebenen Rechtsprechung nicht an das Gutachten des Arbeitsmarktservice (AMS) gebunden war. Ungeachtet dessen gelangte sie schließlich in ihrer eigenen Beurteilung zum selben Ergebnis wie im von ihr eingeholten Gutachten der Landesgeschäftsstelle Salzburg des AMS.

Bei dieser Einschätzung ist der belangten Behörde aber ein Fehler unterlaufen.

Zunächst ist für die weitere Beurteilung darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde das vom Beschwerdeführer vorgelegte Unternehmenskonzept als "nachvollziehbar und schlüssig" angesehen hat. Lediglich die dem Beschwerdeführer im Rahmen der Tätigkeit der A&H GmbH zugedachte Rolle sei nicht dergestalt, dass sie ein gesamtwirtschaftliches Interesse "impliziere". Diese Beurteilung kann aber deswegen nicht nachvollzogen werden, weil es sich beim Beschwerdeführer um einen Gesellschafter dieses Unternehmens in einem Ausmaß von 49,5 % der Gesellschaftsanteile handelt und er im genannten Unternehmen als Geschäftsführer fungieren soll. Weshalb nun die belangte Behörde im Ergebnis dem Beschwerdeführer dennoch abspricht, maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit und die Geschäftsführung der A&H GmbH ausüben zu werden, ist dem angefochtenen Bescheid aber nicht zu entnehmen. Ausgehend von dieser Position im Unternehmen kann nicht davon ausgegangen werden, es komme der Tätigkeit des Beschwerdeführers für die Entfaltung der unternehmerischen Tätigkeit der GmbH keine Bedeutung zu.

Die belangte Behörde hat, indem sie selbst davon ausging, das Unternehmenskonzept sei nachvollziehbar und schlüssig, nicht in Abrede gestellt, dass die A&H GmbH im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit in Österreich 30 unselbständig erwerbstätige Mitarbeiter beschäftigen werde. Dass demgegenüber an anderer Stelle des angefochtenen Bescheides davon gesprochen wird, die beabsichtigte Einstellung dieser Zahl an Mitarbeitern sei "nicht ausreichend schlüssig belegt", kann sohin nicht nachvollzogen werden. Darüber hinaus ist ergänzend anzumerken, dass sich den vorgelegten Unterlagen zufolge die A&H GmbH gegenüber einem ihrer Vertragspartner ausdrücklich verpflichtet hat, sämtliche Mitarbeiter - ungeachtet dessen, dass manche im Rahmen ihrer Beschäftigung auch Tätigkeiten im Ausland zu verrichten haben werden - am Unternehmenssitz in Österreich zu beschäftigen.

Vor diesem Hintergrund kann die Ansicht der belangten Behörde, mit der Tätigkeit der A&H GmbH, auf die der Beschwerdeführer maßgeblichen Einfluss ausüben kann, würden keine neuen Arbeitsplätze - in für die hier vorzunehmende Beurteilung relevantem Ausmaß - geschaffen, nicht nachvollzogen werden. Auf die Frage, ob darüber hinaus mit der Tätigkeit auch ein Transfer von Investitionskapital verbunden sein wird, musste daher nicht weiter eingegangen werden.

Sohin erweist sich der angefochtene Bescheid als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. Dezember 2012

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