VwGH 2012/18/0030

VwGH2012/18/00306.9.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofrätin Mag. Merl sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des M F in W, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof und Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 24. Oktober 2011, Zl. E1/333.838/2011, betreffend Ausstellung eines Fremdenpasses, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §88 Abs1 Z6;
FrPolG 2005 §88 Abs2 Z2 idF 2009/I/122;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z6;
FrPolG 2005 §88 Abs2 Z2 idF 2009/I/122;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des aus Bangladesch stammenden Beschwerdeführers, der in Österreich subsidiären Schutz genießt, auf Ausstellung eines Fremdenpasses gemäß § 88 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 21. April 2000 illegal nach Österreich eingereist und habe am 26. April 2000 einen Asylantrag gestellt, der bereits am 30. September 2000 rechtskräftig abgewiesen worden sei. Gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sei ihm allerdings der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 21. Juli 2012 erteilt worden.

Der Beschwerdeführer habe in seinem Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses als humanitären Grund (iSd § 88 Abs. 2 Z. 2 FPG) angegeben, lediglich seine Mutter in Bangladesch als nächste Verwandte zu haben. Er leide unter dem Umstand, diese seit elf Jahren nicht mehr gesehen zu haben und sei deshalb wegen Depression in Behandlung. Seine Mutter leide sowohl an Diabetes als auch an Bluthochdruck und habe einen Schlaganfall erlitten. Es sei ihr nicht möglich, nach Österreich zu reisen, sie könne den Beschwerdeführer jedoch in Indien treffen. Diesem Vorbringen hielt die belangte Behörde entgegen, ein bloßer Verwandtenbesuch, auch wenn es sich um die eigene Mutter handle, stelle keinen humanitären Grund im Sinne des § 88 Abs. 2 Z. 2 FPG dar.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 5. März 2012, B 1472/11-3, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Verfahren ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 88 Abs. 2 Z. 2 FPG, BGBl. Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 122/2009 (jene Fassung dieser Bestimmung, die im vorliegenden Fall maßgeblich war), können Fremdenpässe auf Antrag für Fremde, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, ausgestellt werden, wenn humanitäre Gründe deren Anwesenheit in einem anderen Staat erfordern, es sei denn, dies wäre aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht geboten.

Der Rechtsansicht der belangten Behörde, wonach ein bloßer Verwandtenbesuch, auch wenn es sich um die eigene (kranke) Mutter handle, keinen humanitären Grund im Sinne des § 88 Abs. 2 Z. 2 FPG darstelle, ist nicht zuzustimmen. So hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. Mai 2011, Zl. 2008/21/0373 (ergangen zur inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung des § 88 Abs. 1 Z. 6 FPG idF BGBl. I Nr. 100/2005) bereits ausgesprochen, dass "humanitäre Gründe" im Sinne dieser Bestimmung gegeben sein können, wenn der Besuch der erkrankten Mutter beabsichtigt ist. Auch im hg. Erkenntnis vom 13. September 2011, Zl. 2009/22/0232, wurde festgehalten, dass der Wunsch, einen erkrankten Verwandten (in jenem Fall den Vater) besuchen zu können, jedenfalls bei entsprechend intensivem Naheverhältnis einem humanitären Bedürfnis entspringen und die Ausstellung eines Fremdenpasses rechtfertigen könne (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 9. November 2011, Zl. 2010/18/0139 zum Anspruch eines nicht sorgeberechtigten Elternteiles auf Besuche und Kontakt mit seinen Kindern). Anhaltspunkte dafür, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Mutter - trotz der im Verwaltungsverfahren behaupteten, durch die lange Trennung bedingten Depressionen - kein Naheverhältnis bestehe, ergeben sich weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus den Verfahrensakten.

Dass die Ausstellung eines Fremdenpasses "aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht geboten wäre", hat die belangte Behörde nicht ins Treffen geführt und es ergeben sich dafür auch keine Anhaltspunkte aus dem Verwaltungsakt.

Soweit die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vorbringt, sie habe Zweifel am Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Krankheit seiner Mutter gehegt, ist dem entgegenzuhalten, dass dies dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen ist. Vielmehr ist sie selbst von "schweren Erkrankungen" der Mutter des Beschwerdeführers ausgegangen und hat - ohne jegliche Begründung - in Zweifel gezogen, ob die Mutter des Beschwerdeführers überhaupt nach Indien reisen könne.

Indem die belangte Behörde die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Fremdenpasses verneint hat, hat sie die Rechtslage verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die beantragte mündliche Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG unterbleiben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 6. September 2012

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