VwGH 2012/18/0012

VwGH2012/18/001219.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des X X in W, geboren am 3. März 1990, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 9. Jänner 2012, Zl. UVS-FRG/11/12459/2011-6, betreffend Erlassung eines unbefristeten Rückkehrverbotes (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs3 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §54 Abs3 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §54 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §63 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §59 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs3 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §54 Abs3 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §54 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §63 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen (lt. eigenen Angaben) Staatsangehörigen von Simbabwe (den Ergebnissen des erstinstanzlichen Asylverfahrens zufolge Staatsangehörigen von Nigeria), gemäß § 62 (richtig: § 54) Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein unbefristetes Rückkehrverbot.

In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, die Bundespolizeidirektion Wien habe in erster Instanz gegen den Beschwerdeführer auf Grund einer Verurteilung "wegen Suchtmitteldelikten" und der vom Beschwerdeführer gezeigten wiederholten Straffälligkeit ein unbefristetes Rückkehrverbot ausgesprochen. In der dagegen erhobenen Berufung sei ausgeführt worden, der Beschwerdeführer sei "aus der Rolle des Opfers heraus zu einem Täter geworden", weshalb gegen ihn kein Rückkehrverbot zu verhängen sei. Es werde in eventu auch die kürzere Befristung des Rückkehrverbots begehrt. Der Beschwerdeführer habe im Verfahren vorgebracht, in Österreich weder eine Schul- oder Berufsausbildung genossen noch hier Familienangehörige zu haben. Er hätte auch keine Beschäftigung und nur über ein "kleines Taschengeld" verfügt, weshalb er straffällig geworden wäre.

Nach Ausführungen zum Asylverfahren des Beschwerdeführers merkte die belangte Behörde an, sie habe eine öffentliche Verhandlung durchgeführt, zu der aber niemand gekommen sei.

In ihren rechtlichen Erwägungen führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei seiner "angelegenen Mitwirkungspflicht" nicht nachgekommen. Insbesondere habe er es dadurch unterlassen, die Berufungsausführungen ", vor allem aus rechtlicher Sicht, zu unterlegen". Demgegenüber ergebe sich aus dem kriminalpolizeilichen Akt und dem Gerichtsakt des Beschwerdeführers, "der zwar Asyl genieß(e)" (gemeint offenbar: dem der Status eines Asylwerbers zukomme), dass er wiederholt straffällig geworden sei und eine "erhebliche Gefahr gegen Rechte Dritter" darstelle. Den Feststellungen der Behörde erster Instanz zu seinen fehlenden familiären Bindungen sei er nicht entgegengetreten. Auf Grund "des massiven belastenden Materials" seien "die vom Berufungswerber geltend gemachten Schutzinteressen oder Milderungsgründe jedenfalls zu verneinen".

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt unter anderem vor, es hätte gegen ihn das Rückkehrverbot keinesfalls unbefristet erlassen werden dürfen. Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltsverbotes um einen vom Ausspruch des Aufenthaltsverbotes nicht trennbaren Inhalt handelt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 24. Februar 2009, Zl. 2008/22/0589, und vom 3. November 2010, Zl. 2007/18/0479). Dies gilt auch für die Erlassung eines Rückkehrverbotes, wobei insoweit durch die mit BGBl. I Nr. 38/2011 erfolgte Novellierung des FPG keine Änderung eingetreten ist.

§ 53 Abs. 3 Z 5 bis Z 8 und § 54 Abs. 1 bis 3 FPG (jeweils samt Überschrift) lauten:

"Einreiseverbot

§ 53.

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von

höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch

unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme

rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine

schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit

darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer

des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK

genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere

zu gelten, wenn

5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu

einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren

rechtskräftig verurteilt worden ist;

6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme

gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme

gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer

Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

...

"Rückkehrverbot gegen Asylwerber

§ 54. (1) Gegen einen Asylwerber ist ein Rückkehrverbot zu erlassen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

  1. 1. die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
  2. 2. anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Das Rückkehrverbot gilt als Entzug des Aufenthaltsrechtes. §§ 12 und 13 AsylG 2005 gelten.

(2) Bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 sind insbesondere jene des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 und Abs. 3. § 53 Abs. 5 und 6 und § 61 gelten.

(3) Ein Rückkehrverbot gemäß Abs. 1 ist in den Fällen des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre, in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 4 für höchstens zehn Jahre und in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen. Die Frist beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Fremden."

Zutreffend weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass gemäß § 54 Abs. 3 FPG das Rückkehrverbot nur in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 5 bis 8 FPG unbefristet erlassen werden darf.

Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 Z 5 FPG liegen angesichts der gegen den Beschwerdeführer ergangenen Verurteilungen, die - was im Übrigen nur den vorgelegten Verwaltungsakten entnommen werden konnte, weil die belangte Behörde dazu keine Feststellungen traf - das in dieser Vorschrift geforderte Ausmaß nicht erreichen, nicht vor. Wenn die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift (erstmals - der angefochtene Bescheid enthält zur Frage der Beurteilung nach § 54 Abs. 3 iVm § 53 Abs. 3 Z 5 bis 8 FPG überhaupt keine Begründung) davon ausgeht, der Beschwerdeführer sei allein schon wegen wiederholten "ungesetzlichen Suchtmittelhandels" als eine Person im Sinn des § 53 Abs. 3 Z 7 FPG zu bezeichnen, die durch das Verhalten die nationale Sicherheit gefährde, ist ihr entgegenzuhalten, dass eine solche Beurteilung weder im Gesetzeswortlaut Deckung findet noch die belangte Behörde Feststellungen getroffen hat, die es ermöglichen würden, den Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 7 FPG als erfüllt anzusehen. Selbst wenn sich die belangte Behörde - was fallbezogen aber gar nicht vorliegt - die Feststellungen der Behörde erster Instanz zum strafrechtlich relevanten Fehlverhalten des Beschwerdeführers - Verkauf von 2 Kugeln Heroin mit 2,3 g brutto an einen verdeckten Ermittler sowie Versuch, den Beamten durch einen Schlag mit dem Ellenbogen ins Gesicht an seiner Festnahme zu hindern - zu eigen gemacht hätte, wäre dieser Sachverhalt nicht geeignet, davon ausgehen zu können, der Beschwerdeführer habe ein Verhalten, insbesondere ein solches wie etwa die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen oder ein diesen gleich zu haltendes, gesetzt, demzufolge berechtigt davon ausgegangen werden könnte, es sei die nationale Sicherheit gefährdet. Des Weiteren enthält der angefochtene Bescheid auch nichts, wonach geschlossen werden könnte, einer der in § 53 Abs. 3 Z 6 oder 8 FPG genannten Tatbestände wäre gegeben.

Der angefochtene Bescheid war daher bereits nach dem Gesagten wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf die sonstigen Beschwerdeausführungen hätte eingegangen werden müssen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. April 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte