VwGH 2007/18/0479

VwGH2007/18/04793.11.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des A D in W, geboren am 3. Dezember 1982, vertreten durch Dr. Gunther Gahleithner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 21. Juni 2007, Zl. E1/261.677/2007, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §63 Abs1;
EMRK Art8;
SMG 1997 §27 Abs1;
SMG 1997 §27 Abs2 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §63 Abs1;
EMRK Art8;
SMG 1997 §27 Abs1;
SMG 1997 §27 Abs2 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 21. Juni 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei erstmals mit einem vom 5. Juli 2003 bis 25. Juli 2003 gültigen Visum C in Österreich eingereist und habe im Anschluss daran Niederlassungsbewilligungen, zuletzt bis am 8. Mai 2007, erhalten.

Am 15. Dezember 2006 sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien gemäß § 27 Abs. 1 und 2 Z. 2 Suchtmittelgesetz - SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten rechtskräftig verurteilt worden, weil er von Sommer 2005 bis Anfang Dezember 2005 gewerbsmäßig insgesamt ca. 15 Gramm Speed (Amphetamin) in drei Angriffen an einen bekannten Suchtgiftabnehmer sowie ca. 10 Gramm Marihuana (THC), ca. 10 Gramm Kokain, ca. 20 Gramm Marihuana (THC) und ca. 14 Gramm Marihuana (THC) in wiederholten Angriffen an verschiedene Suchtgiftkonsumenten verkauft habe. Ferner habe er von einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt an bis Anfang Dezember 2005 nicht mehr feststellbare Mengen Kokain, Speed, Amphetamin und Cannabisprodukte zum Eigenkonsum zu wiederholten Malen erworben und besessen.

Der in § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierte Tatbestand sei verwirklicht. Das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit - hier: das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität - in erheblichem Ausmaß, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes (auch) im Grunde des § 60 Abs. 1 leg. cit. erfüllt seien.

Der Beschwerdeführer sei seit ca. vier Jahren im Bundesgebiet aufhältig und verfüge im Inland über familiäre Bindungen zu seiner Mutter, seinem Stiefvater und seiner Schwester. Es sei daher von einem mit der vorliegenden Maßnahme verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens - dringend geboten und sohin im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zulässig. Das wiederkehrende (gleichgelagerte) strafbare Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche sehr augenfällig, dass er nicht gewillt sei, die für ihn maßgebenden Rechtsvorschriften seines Gastlandes einzuhalten. Eine Verhaltensprognose könne für ihn bereits in Ansehung der gewerbsmäßigen Tatbegehungen und der Suchtgiftdelikten zugrunde liegenden immanenten Wiederholungsgefahr jedenfalls nicht positiv ausfallen.

Im Rahmen der nach § 66 Abs. 2 FPG vorzunehmenden Interessenabwägung sei darauf Bedacht zu nehmen, dass sich der Beschwerdeführer seit vier Jahren im Bundesgebiet aufhalte. Ungeachtet dessen könne er sich jedoch nicht mit Erfolg auf eine daraus ableitbare relevante Integration berufen. Diese erfahre bereits durch den Umstand, dass die dafür erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich gemindert werde, eine wesentliche Relativierung. Auch dass er vom 2. August 2004 bis 27. Dezember 2006 - somit über einen Zeitraum von ca. 2 1/2 Jahren - einer Beschäftigung nachgegangen sei, sei vor dem Hintergrund seines deliktischen Verhaltens nach dem SMG zu relativieren.

Diesen - solcherart geschmälerten - privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers stünden die genannten - hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessenlagen wögen die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers (und seiner Familie) keinesfalls schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Art und Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten könne sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet auch unter Berücksichtigung seiner familiären Situation im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens nicht in Kauf genommen werden.

Zutreffend habe die erstinstanzliche Behörde das Aufenthaltsverbot auf unbestimmte Zeit (unbefristet) ausgesprochen. Im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität und die damit verbundene Wiederholungsgefahr könne derzeit nicht vorhergesehen werden - noch dazu, wo der Beschwerdeführer bereits kurze Zeit nach seiner Einreise in das Bundesgebiet dem Suchtgifthandel nachgegangen sei und sich insgesamt erst seit etwa vier Jahren in Österreich aufhalte -, wann der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Grund, nämlich die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet, weggefallen sein werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Auf Grund der unstrittig feststehenden rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

1.2. Nach den im angefochtenen Bescheid getroffenen, insoweit unbestrittenen Feststellungen hat der Beschwerdeführer - wie oben (I. 1.) dargestellt - über mehrere Monate hindurch in zahlreichen Angriffen Marihuana und Kokain an verschiedene Suchtgiftabnehmer verkauft, wobei er gewerbsmäßig vorging, das heißt, in der Absicht handelte, sich durch die wiederkehrende Begehung der Straftaten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. In Anbetracht dieses Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinem Einwand, besteht doch ein großes öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität.

Dass das Landesgericht für Strafsachen Wien die verhängte Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen hat, ist für den Beschwerdefall nicht entscheidungswesentlich, haben doch die Fremdenpolizeibehörden das Fehlverhalten des Fremden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen betreffend die Strafbemessung oder die Gewährung einer bedingten Strafnachsicht zu beurteilen (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa das Erkenntnis vom 4. Juni 2009, Zl. 2009/18/0183, mwN). Auch mit dem Beschwerdevorbringen, der Beschwerdeführer unterziehe sich bereits seit längerer Zeit einer Therapie und sei seit seiner Verurteilung nicht mehr rückfällig geworden, ist für den Beschwerdestandpunkt nichts gewonnen, weil eine laufende Suchttherapie noch keine Gewähr dafür bietet, dass der zu Therapierende nicht mehr mit verbotenen Substanzen handeln werde, und im Übrigen der seit der Begehung der Straftaten verstrichene Zeitraum noch zu kurz ist, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr ausgehen zu können.

Wenn der Beschwerdeführer in der Beschwerde rügt, dass die belangte Behörde die strafgerichtlichen Akten nicht beigeschafft und den Beschwerdeführer nicht vernommen habe, um sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, so zeigt er mit diesem Vorbringen keinen Verfahrensmangel auf. So führt der Beschwerdeführer nicht aus, welche konkreten Sachverhaltsfeststellungen über die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zu den Straftaten des Beschwerdeführers getroffenen Feststellungen hinaus auf Grund der Einsichtnahme in die Strafakten noch zu treffen gewesen wären. Darüber hinaus bestand für die belangte Behörde entgegen der Beschwerdeansicht keine Verpflichtung, den Beschwerdeführer zu vernehmen, zumal der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren ausreichend Gelegenheit zu einem Vorbringen hatte und seinen Standpunkt darlegen konnte (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 7. Juli 2009, Zl. 2009/18/0203, mwN).

2. Bei der Interessenabwägung nach § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG hat die belangte Behörde die Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers seit dem Jahr 2003 und seine Bindungen zu seiner Mutter, seinem Stiefvater und seiner Schwester sowie den Umstand, dass er einer Beschäftigung nachgegangen ist, berücksichtigt und zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG angenommen. Diesen persönlichen Interessen steht jedoch die aus den genannten Straftaten resultierende beträchtliche Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung strafbarer Handlungen, insbesondere der Suchtgiftkriminalität, gegenüber. Bei Würdigung dieser Interessen kann die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation und die seiner Familie jedenfalls nicht schwerer wögen als das in seinem Fehlverhalten gegründete große öffentliche Interesse an seinem Verlassen des Bundesgebietes (§ 66 Abs. 2 FPG), auch dann nicht als rechtswidrig beurteilt werden, wenn man dieser Beurteilung den von der Beschwerde behaupteten Umstand zugrunde legte, dass der Beschwerdeführer weiterhin berufstätig sei und zur vollsten Zufriedenheit seines Arbeitgebers einer geregelten Beschäftigung nachgehe.

3. Soweit allerdings die Beschwerde die festgesetzte Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes bekämpft, ist ihr Erfolg beschieden.

Nach ständiger hg. Judikatur ist ein Aufenthaltsverbot - unter Bedachtnahme auf § 63 Abs. 1 FPG - für jenen Zeitraum zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und auf unbestimmte Zeit (unbefristet) zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden kann (vgl. etwa das Erkenntnis vom 31. März 2008, Zl. 2008/18/0209, mwN). Die Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, das auch über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren aufrecht erhalten werden kann, stellt gegenüber der Verhängung eines - auf höchstens zehn Jahre - befristeten Aufenthaltsverbotes die schwerer wiegende Beeinträchtigung der persönlichen Interessen des Fremden dar.

Wiewohl die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Straftaten des Beschwerdeführers, wie dargestellt, eine erhebliche Beeinträchtigung des maßgeblichen öffentlichen Interesses darstellen, handelt es sich dabei in Ansehung der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes noch nicht um ein derart eklatantes Fehlverhalten, dass dieses - unter Einbeziehung der genannten familiären Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet - die unbefristete Verhängung des Aufenthaltsverbotes rechtfertigen würde. Insofern hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.

4. Demzufolge und im Hinblick darauf, dass es sich bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes um einen vom übrigen Inhalt des angefochtenen Bescheides nicht trennbaren Abspruch handelt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2009, Zl. 2008/22/0589, mwN), war der angefochtene Bescheid zur Gänze nach § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 3. November 2010

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