VwGH 2012/02/0198

VwGH2012/02/019816.11.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des J K in W, vertreten durch Dr. Charlotte Nusko, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Salesianergasse 1B/2/3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Mistelbach, vom 27. März 2012, Zl. Senat-KO-11-2024, betreffend Übertretung der StVO 1960 (weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §273 Abs1;
ABGB §273a Abs1;
AVG §11;
AVG §37;
AVG §9;
VVG §10 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ABGB §273 Abs1;
ABGB §273a Abs1;
AVG §11;
AVG §37;
AVG §9;
VVG §10 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde mit Straferkenntnis der BH K. vom 20. Jänner 2011 zweier Übertretungen der StVO 1960 schuldig erkannt und zur Zahlung von Geldstrafen verpflichtet.

Gegen dieses Straferkenntnis erhob der - unvertretene - Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 3. Februar 2011 Berufung.

Im Berufungsverfahren verfasste der Beschwerdeführer Schriftsätze an die belangte Behörde, während diese ihm Ergebnisse ihres Ermittlungsverfahrens bekannt und Möglichkeiten zur Stellungnahme gab. In der Folge teilte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 31. August 2011 der BH K. unter anderem mit, dass er "zum Schutze von Gerichten, Ämtern und Behörden vorläufig besachwaltet wurde".

Mit Schreiben vom 23. September 2011 stellte die belangte Behörde beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien die Anfrage, wie es um die Sachwalterschaft des Beschwerdeführers bestellt sei.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien teilte der belangten Behörde mit, dass der Beschwerdeführer in der Zeit vom 27. Oktober 2010 bis zum 25. November 2010 einen einstweiligen Sachwalter für den Bereich "Vertretung vor Gerichten, Ämtern und Behörden" gehabt habe. Am 26. November 2010 sei der Bereich auf "Vertretung vor Gerichten" eingeschränkt worden. Am 5. September 2011 sei ein Sachwalter für die Bereiche "Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern" und "Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen", bestellt worden. Dieser Beschluss sei nicht rechtskräftig und daher auch nicht wirksam.

Nach einem im vorgelegten Akt der belangten Behörde eingelegten Aktenvermerk vom 2. November 2011 sei der Beschluss vom 5. September 2011 nach einer Mitteilung des Sachwalters des Beschwerdeführers mittlerweile rechtskräftig.

In einer Anfrage der belangten Behörde vom 19. Jänner 2012 an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien wurde um Mitteilung ersucht, "ob aus do. Sicht die ho. Auffassung geteilt wird, wonach die für den (Beschwerdeführer) bestehende Sachwalterschaft (Beschluss vom 26.11.2010 betreffend 'Vertretung vor Gerichten') auch die Vertretung im Verfahren vor den Unabhängigen Verwaltungssenaten (im vorliegenden Fall: UVS in NÖ) umfasst."

Daraufhin übermittelte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien der belangten Behörde einen Beschluss vom 23. Jänner 2012, GZ 79 P 125/09b-168, mit dem die einstweilige Sachwalterschaft des Beschwerdeführers erweitert wurde, sodass der einstweilige Sachwalter nunmehr folgende dringende Angelegenheiten für den Betroffenen zu besorgen habe "Vertretung vor Gerichten und anderen Behörden". Nach der Begründung dieses Beschlusses sei mit Beschluss vom 26. November 2010 der Aufgabenbereich des einstweiligen Sachwalters auf "Vertretung vor Gerichten" eingeschränkt worden. Der Beschwerdeführer benötige allerdings, wie aus dem Beschluss vom 5. September 2011 ersichtlich sei, der Hilfestellung eines Sachwalters für die Bereiche "Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträger und Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen". Der Beschluss vom 5. September 2011 sei nicht rechtskräftig und daher auch noch nicht wirksam. Da der Beschwerdeführer vor dem UVS Niederösterreich zu der AZ Senat-KO- 11-2023, 2024, 2019 Verfahren führe, sei die bestehende einstweilige Sachwalterschaft um den Bereich "Vertretung vor Behörden" zu erweitern. Die Unabhängigen Verwaltungssenate seien Tribunale im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK, allerdings keine Institutionen der ordentlichen Gerichtsbarkeit, weshalb die Erweiterung vorzunehmen gewesen sei.

In der Folge beraumte die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung an, wozu der Beschwerdeführer "z.H. Sachwalter H. C. E., 1040 Wien, M-gasse15/3" geladen wurde. Zu der - einmal verschobenen - mündlichen Verhandlung ist weder der Beschwerdeführer noch sein Sachwalter gekommen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde das gegen den Beschwerdeführer geführte Verwaltungsstrafverfahren teilweise eingestellt und im Übrigen der Berufung keine Folge gegeben.

In der Begründung wird auf den Umstand der Sachwalterschaft des Beschwerdeführers nicht Bezug genommen. Der angefochtene Bescheid ist an den Beschwerdeführer zu Handen seines Sachwalters gerichtet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Beschwerde wird vorgebracht, dass nach einem im Sachwalterverfahren eingeholten medizinischen Gutachten vom Juli 2011 der Beschwerdeführer der Unterstützung durch einen Sachwalter in Vertretung vor Ämtern, Behörden, Gerichten, Sozialversicherungsträgern und privaten Vertragspartnern bedürfe und eine Besserung des Zustandsbildes zum aktuellen Zeitpunkt nicht prognostizierbar sei. Der Beschwerdeführer - so die Beschwerde unter Bezug auf dieses Gutachten weiter - sei bereits zum Zeitpunkt der Zustellung der Strafverfügung im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren nicht prozessfähig gewesen, was von der belangten Behörde aufzugreifen gewesen wäre.

Nach dem gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 9 AVG ist die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.

Nach der Rechtsprechung ist das Fehlen der Prozessfähigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Für die Prozessfähigkeit ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in ihm ereigneten prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten, was auch für die Frage der Wirksamkeit einer Zustellung von Bedeutung ist (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2, E 117 ff zu § 9 AVG).

Im vorliegenden Fall hatte die belangte Behörde ab der Mitteilung des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren vom 31. August 2011, er sei "zum Schutze von Gerichten, Ämtern und Behörden vorläufig besachwaltet" Anhaltspunkte für begründete Zweifel an der prozessualen Handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers. Insbesondere der Umstand, dass das zuständige Sachwaltergericht nach Kenntnis von dem bei der belangten Behörde anhängigen Verwaltungsstrafverfahren die Sachwalterschaft auch auf die Vertretung nicht nur vor Gerichten, sondern auch vor "anderen Behörden" ausdehnte und der belangten Behörde bereits mit Schreiben vom 23. September 2011 eine solche Ausweitung - wenn auch noch nicht rechtskräftig - mitgeteilt wurde, hätte die belangte Behörde mit Blick auf die bereits im Jahre 2010 erfolgte Sachwalterbestellung zum Anlass nehmen müssen, zu prüfen, ob der Beschwerdeführer nicht bereits während des gesamt Verwaltungsstrafverfahrens, beginnend mit der Zustellung des Straferkenntnisses, prozessunfähig gewesen ist. Allein die zwischenzeitig erfolgte vorläufige Einschränkung der Sachwalterschaft auf die Vertretung vor Gerichten lässt in Anbetracht der späteren Erweiterung aus Anlass des Verwaltungsstrafverfahrens keinesfalls den Schluss zu, dass die Prozessfähigkeit hinsichtlich eines Verfahrens vor anderen Behörden als vor Gerichten davor bestanden habe.

Die Sachwalterbestellung wirkt nämlich nur insofern konstitutiv, als ab ihrer Wirksamkeit die Prozessfähigkeit und Handlungsfähigkeit im dort umschriebenen Ausmaß keinesfalls mehr gegeben ist. Das enthebt bei begründeten Bedenken hinsichtlich des davor liegenden Zeitraumes die Behörde nicht der Prüfung des Vorliegens der Fähigkeiten in den in Betracht kommenden Zeitpunkten (vgl. das Erkenntnis vom 23. April 1996, Zl. 95/11/0365).

Die belangte Behörde hat es in Verkennung dieser Rechtslage unterlassen, trotz entsprechender Anhaltspunkte in eine Prüfung der Frage einzutreten, ob der Beschwerdeführer während des Berufungsverfahrens und allenfalls auch schon ab Beginn des Verwaltungsstrafverfahrens jene Fähigkeiten besessen hat, die für die Wirksamkeit von Verfahrensschritten erforderlich sind, zumal behördliche Akte nicht gegenüber Personen wirksam werden können, denen die Fähigkeit fehlt, die Bedeutung und Tragweite dieser Akte zu erkennen, für sie aber - aus welchem Grund immer - ein Sachwalter noch nicht bestellt ist.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 16. November 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte