VwGH 2011/23/0411

VwGH2011/23/041131.5.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des Y, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. Februar 2009, Zl. E1/18.121/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
FrPolG 2005 §86 Abs2 impl;
EMRK Art8 Abs2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
FrPolG 2005 §86 Abs2 impl;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1980 geborene Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 31. Juli 2002 mit einem bis zum 10. August 2002 gültigen Touristenvisum in das Bundesgebiet ein, wo er am 14. August 2002 einen Asylantrag stellte, den er am 10. Dezember 2002 wieder zurückzog.

Am 11. Oktober 2002 hatte er nämlich in Wien eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Am 28. April 2003 beantragte er sodann unter Berufung auf diese Ehe die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG".

Das in der Folge von der Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 22. Jänner 2004 über den Beschwerdeführer verhängte, auf fünf Jahre befristete Aufenthaltsverbot wegen Eingehens einer Aufenthaltsehe wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 10. März 2008 ersatzlos behoben, weil die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nach der - zum Fremdengesetz 1997 ergangenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr geboten sei, wenn die rechtsmissbräuchliche Eingehung der Ehe zumindest fünf Jahre zurückliege.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 30. Juni 2008 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.

Mit Bescheid vom 3. Dezember 2008 wies die Bundespolizeidirektion Wien den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus, weil er sich nicht rechtmäßig im Inland aufhalte. Aus der noch aufrechten Scheinehe könne er "keine Bindung zum Bundesgebiet" ableiten; den Beziehungen zu seinem Bruder und den in Österreich lebenden entfernteren Verwandten stehe gegenüber, dass er seinen Aufenthalt vom Inland aus nicht legalisieren könne, sodass die öffentlichen Interessen an einer Ausweisung ungleich schwerer wiegen würden als die Auswirkungen auf seine Lebenssituation.

Die belangte Behörde gab der dagegen erhobenen Berufung mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. Februar 2009 keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG.

Begründend führte sie nach einem Verweis auf den erstinstanzlichen Bescheid und Wiedergabe des eingangs dargestellten Sachverhalts zusammengefasst aus, dass sich der Beschwerdeführer mangels Aufenthaltstitels unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, sodass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG - vorbehaltlich der Bestimmung des § 66 FPG - erfüllt seien.

Da der Beschwerdeführer im Bundesgebiet familiäre Bindungen zu seinem Bruder, einem Onkel und einer Tante sowie zu fünf Cousins habe, sei von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Die Ausweisung sei jedoch zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen - hier: der öffentlichen Ordnung - dringend geboten. Bereits mit Bescheid vom 22. Jänner 2004 sei gegen den Beschwerdeführer aufgrund der niederschriftlichen Angaben seiner Ehefrau, dass es sich um eine von ihr gegen Zahlung von EUR 1.000,-

- eingegangene "reine Scheinehe" gehandelt habe, erstinstanzlich ein Aufenthaltsverbot erlassen worden.

Im Rahmen der Interessenabwägung sei auf den mehr als sechsjährigen, nach Ablauf der Gültigkeit des Visums bzw. Zurückziehung des Asylantrags jedoch unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich Bedacht zu nehmen. Seine seit 12. März 2008 ausgeübte Beschäftigung als Arbeiter erfolge nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes nicht legal. Auch mit dem "unzulässig im Inland gestellten" Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung habe er sich über maßgebliche fremdenrechtliche Normen hinweggesetzt, seien solche Anträge nach den seit 1. Jänner 2006 geltenden Bestimmungen des NAG doch vom Ausland aus zu stellen und sei dort auch eine Entscheidung abzuwarten. Der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten daher das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen beeinträchtigt, weshalb seine privaten und familiären Interessen gegenüber den hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens in den Hintergrund treten würden und jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet. Mangels besonderer, zu seinen Gunsten sprechender Umstände könne sein weiterer Aufenthalt auch nicht im Rahmen einer Ermessensentscheidung in Kauf genommen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die zu diesem Zeitpunkt (Februar 2009) geltende Fassung.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass der Beschwerdeführer unstrittig über keinen Aufenthaltstitel verfügt.

Soweit der Beschwerdeführer damit argumentiert, dass die Ausweisung nicht auf § 53 Abs. 1 FPG sondern auf die §§ 87, 86 FPG zu stützen gewesen wäre, weil er Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin sei, ist diesem Vorbringen zu entgegnen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtsgrundlage für die Ausweisung unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Familienangehöriger von Österreichern, die ihr unionsrechtlich zustehendes Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen haben, nicht § 86 Abs. 2 FPG, sondern § 53 Abs. 1 FPG ist. Die Ausweisung des Beschwerdeführers setzt daher nach der - zur hier maßgeblichen Rechtslage ergangenen - Rechtsprechung nicht das Vorliegen der in der Beschwerde angesprochenen qualifizierten Gefährdung voraus (vgl. etwa jüngst das Erkenntnis vom 29. März 2012, Zl. 2011/23/0401, mwN).

Hinsichtlich der in der Beschwerde angesprochenen gleichheitsrechtlichen Bedenken genügt der Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2009, VfSlg. 18.968.

Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang weiter ausführt, dass er bei Eingehung der Ehe im Hinblick auf die damalige Rechtslage mit einem weiteren Verbleib in Österreich habe rechnen dürfen und er dieser Rechtslage zufolge jedenfalls bis 31. Dezember 2005 auf Grund seiner Niederlassungsfreiheit rechtmäßig im Bundesgebiet gewesen sei, ist diesen Ausführungen zu erwidern, dass, auch wenn Fremde im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 als Angehörige eines österreichischen Staatsbürgers - und somit als begünstigte Drittstaatsangehörige - einen Niederlassungsbewilligungsantrag im Inland stellen durften, zur Rechtmäßigkeit des Aufenthalts außerhalb des Anwendungsbereichs des Gemeinschaftsrechts eine konstitutiv wirkende Niederlassungsbewilligung erforderlich war (vgl. etwa das Erkenntnis 30. August 2011, Zl. 2008/21/0635, mwN).

Die belangte Behörde ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.

Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die Ausweisung darf nach dem - auch bei Ausweisungen gemäß § 53 Abs. 1 FPG zu beachtenden (vgl. das Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348, Punkt 2.3.2.) - § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthalts und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.

Die Beschwerde bringt in diesem Zusammenhang zunächst vor, dass die Ausweisung (schon deshalb) mit einem schweren Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sei, weil er seit über sechs Jahren - und weiterhin aufrecht - mit einer österreichischen Ehefrau verheiratet sei und mit dieser "in der Vergangenheit" auch im gemeinsamen Haushalt gewohnt habe. Wenn sie nun auch nicht mehr zusammenlebten, hätten sie noch "sporadischen Kontakt zueinander" und es liege keine Aufenthaltsehe vor.

Mit diesen Ausführungen geht der Beschwerdeführer in keiner Weise auf die dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegte Aussage der Ehefrau des Beschwerdeführers, dass es sich um eine "reine Scheinehe" handle, ein. Die Beschwerde gesteht überdies selbst zu, dass der Beschwerdeführer nicht (mehr) mit seiner Ehefrau zusammen wohne und zu ihr auch nur mehr ein "sporadischer Kontakt" bestehe. Angesichts dessen ist aber auch der von der belangten Behörde gezogene Schluss, dass die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet - jedenfalls im Hinblick auf seine Ehe - das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen nicht überwiegen, nicht als rechtswidrig zu erkennen.

Die weiter in der Beschwerde aufgezeigten Umstände insbesondere der Anwesenheit eines Bruders, von Onkel und Tante sowie von fünf Cousins, die teilweise die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, hat die belangte Behörde jedoch ohnehin berücksichtigt und in ihre Interessenabwägung ausreichend einbezogen. Abgesehen davon, dass diese familiären Bindungen schon wegen der Volljährigkeit der Beteiligten und mangels gemeinsamen Haushalts zu relativieren sind, hätte die belangte Behörde - entgegen der Meinung des Beschwerdeführers - daraus auch nicht ableiten müssen, dass seine Ausweisung aus Österreich unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig und daher unzulässig sei. Die in der Beschwerde in diesem Zusammenhang geltend gemachten Umstände stellen sich nämlich auch in Verbindung mit der Aufenthaltsdauer (bis zur maßgeblichen Bescheiderlassung) von etwa sechseinhalb Jahren nicht als so außergewöhnlich dar, dass unter dem genannten Gesichtspunkt von einer Ausweisung hätte Abstand genommen werden müssen. Dass es den Verwandten des Beschwerdeführers nicht möglich wäre, seinen Unterhalt auch im Herkunftsland zu sichern, wurde nicht behauptet. Dass dem - erst im Alter von 22 Jahren und sechs Monaten nach Österreich eingereisten - Beschwerdeführer eine Rückkehr nicht mehr möglich sein sollte, wird in der Beschwerde bloß behauptet, aber nicht näher ausgeführt. Allfällige wirtschaftliche Schwierigkeiten beim Aufbau einer Existenz im Heimatland sind auf Grund des hohen öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2008/21/0557).

Es ist daher nicht rechtswidrig, dass die belangte Behörde das Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht höher einschätzte als das gegenläufige, der Aufrechterhaltung des - hoch zu bewertenden - geordneten Fremdenwesens dienende öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Inlandsaufenthalts des Beschwerdeführers. An dieser Beurteilung vermag auch die in der Beschwerde hervorgehobene strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers nichts zu ändern.

Entgegen der Beschwerdeansicht erweist sich der angefochtene Bescheid auch als ausreichend begründet. Ebenso wird nicht näher dargelegt, zu welchen Ergebnissen weitere Ermittlungen konkret geführt hätten, sodass es diesbezüglich an einer ausreichenden Relevanzdarstellung fehlt. Schließlich zeigt die Beschwerde auch keine Gründe auf, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinn des Gesetzes erfolgt wäre.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 31. Mai 2012

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