VwGH 2011/23/0336

VwGH2011/23/033613.9.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. Juni 2009, Zl. E1/208669/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste am 17. Dezember 2002 illegal nach Österreich ein, wo er am 18. Dezember 2002 einen Asylantrag stellte. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 4. Februar 2003 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG für zulässig. Die dagegen erhobene Berufung wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 19. Jänner 2009 ab.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 10. Juni 2009 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

In der Begründung führte die belangte Behörde aus, dass sich der Beschwerdeführer unstrittig seit Jänner 2009 unrechtmäßig in Österreich aufhalte, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung - vorbehaltlich des § 66 FPG - gemäß § 53 Abs. 1 FPG erfüllt seien.

Der Beschwerdeführer sei nach eigenen Angaben ledig und ohne Sorgepflichten. Er werde von Freunden unterstützt und erhalte monatlich EUR 290,-- im Rahmen der "Bundesbetreuung".

Bei der gemäß § 66 FPG vorzunehmenden Interessenabwägung sei insbesondere maßgeblich, dass sich der Beschwerdeführer bereits sehr lange - über sechs Jahre - im Bundesgebiet aufhalte. Sein Aufenthalt sei jedoch seit Jänner 2009 unrechtmäßig und zuvor nur durch eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG abgesichert gewesen. Weiters sei seine strafrechtliche Unbescholtenheit zu berücksichtigen; allerdings liege gegen ihn eine seit 5. Dezember 2005 rechtskräftige "Verwaltungsstraf-Vormerkung" wegen des Lenkens eines Kraftfahrzeugs ohne Lenkberechtigung vor. Es würden keine beruflichen Bindungen und kein Familienleben im Bundesgebiet bestehen. Bindungen zum Heimatstaat seien insoweit gegeben, als dort seine Mutter und zwei Schwestern aufhältig seien. Über die Integration des Beschwerdeführers in Österreich könne mangels entsprechender Angaben durch ihn "nichts Sicheres" gesagt werden.

Die belangte Behörde kam zum Ergebnis, dass die durch die illegale Einreise und den bereits einige Monate unrechtmäßigen Aufenthalt empfindlich verletzte öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und das damit verbundene starke öffentliche Interesse an der Ausreise des Beschwerdeführers höher zu bewerten seien als seine nicht allzu bedeutenden persönlichen und privaten Interessen an einem Verbleib im Inland, zumal er weder über familiäre noch über berufliche Bindungen in Österreich verfüge. Besondere Umstände, die eine für den Beschwerdeführer positive Ermessensübung zugelassen hätten, seien weder zu erkennen noch seien solche vorgebracht worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die zu diesem Zeitpunkt (Juni 2009) geltende Fassung.

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Der Beschwerdeführer gesteht zu, dass sein Asylverfahren rechtskräftig negativ beendet ist und ihm kein Aufenthaltstitel erteilt wurde. Die behördliche Annahme, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei erfüllt, erweist sich daher nicht als rechtswidrig.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 24. April 2012, Zl. 2011/23/0541).

Die Beschwerde bringt in diesem Zusammenhang vor, dass die belangte Behörde eine "tatsächliche Interessenabwägung" nicht vorgenommen und nicht festgestellt habe, "in wie weit" die Ausweisung in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingreife. Der Beschwerdeführer halte sich "nahezu 7 Jahre" im Bundesgebiet auf, sei in der Lage seinen Unterhalt zu bestreiten und aufrecht krankenversichert. Er verfüge, wenn auch über keine familiären, so doch über "zahlreiche sonstige Bindungen" und sei in der Lage gewesen, eine Wohnung zu mieten. Bereits aus diesen Umständen lasse sich eine "Aufenthaltsverfestigung" ableiten.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer jedoch keine relevante Mangelhaftigkeit des angefochtenen Bescheids auf. Die belangte Behörde hat die in der Beschwerde angeführten relevanten integrationsbegründenden Umstände ohnehin dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt und in die von ihr durchgeführte und begründete Interessenabwägung einbezogen. Dabei beruht die soziale Absicherung des Beschwerdeführers im Inland jedoch unbestrittener Maßen auf Mitteln der Bundesbetreuung und auf Zuwendungen von Freunden. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde aus den aufgezeigten Umständen aber nicht ableiten müssen, seine Ausweisung aus Österreich sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab der in § 66 Abs. 2 FPG angeführten Kriterien unzulässig. Diese - nur das Privat- und nicht auch das Familienleben des Beschwerdeführers betreffenden - Umstände stellen sich nämlich auch in Verbindung mit der Aufenthaltsdauer (bis zum maßgeblichen Bescheiderlassungszeitpunkt) von etwa sechseinhalb Jahren insgesamt nicht als so außergewöhnlich dar, dass unter dem genannten Gesichtspunkt von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Bei der Bewertung des privaten Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich durfte die belangte Behörde im Sinne des § 66 Abs. 2 Z 8 FPG auch berücksichtigen, dass er auf der Grundlage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die ihm während des Asylverfahrens zugekommen war, nicht damit rechnen durfte, er werde dauernd in Österreich verbleiben können.

Wenn die Beschwerde in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass den Beschwerdeführer an der langen Dauer des Asylverfahrens kein Verschulden treffe, ist ihr zu entgegnen, dass sein im Dezember 2002 gestellter Asylantrag in erster Instanz bereits im Februar 2003, und damit bereits nach eineinhalb Monaten, abgewiesen worden war. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits wiederholt ausgesprochen, dass der Fremde (spätestens) nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrags - auch wenn er subjektiv berechtigte Hoffnungen auf ein positives Verfahrensende haben sollte - im Hinblick auf die negative behördliche Beurteilung des Antrags von einem nicht gesicherten Aufenthalt ausgehen muss (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2010/21/0085, mwN).

Soweit ferner eine Mangelhaftigkeit des behördlichen Ermittlungsverfahrens gerügt wird, die darin gelegen sein soll, dass im angefochtenen Bescheid mangels entsprechender Angaben des Beschwerdeführers "nichts Sicheres" zu seiner Integration habe festgestellt werden können, fehlt dem schon die Relevanz, zeigt doch auch die Beschwerde keine, in die Beurteilung durch die belangte Behörde noch nicht einbezogenen und maßgeblichen Umstände auf, die noch festzustellen gewesen wären.

Schließlich wird die von der belangten Behörde auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers in seinem Asylverfahren getroffene Feststellung, dass in seinem Heimatstaat seine Mutter und zwei Schwestern lebten, mit dem Vorbringen, dass die belangte Behörde Bindungen zum Heimatstaat auf die "unüberprüfte Tatsache noch lebender Blutsverwandter" gestützt habe, nicht ausreichend konkret bestritten.

Es ist daher jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde das Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht höher einschätzte als das gegenläufige, der Aufrechterhaltung des - hoch zu bewertenden - geordneten Fremdenwesens dienende öffentliche Interesse an der Beendigung seines seit Jänner 2009 unrechtmäßigen Inlandsaufenthalts.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 13. September 2012

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